Atomkraft und menschliche Freiheit (eBook)

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2018 | 1. Auflage
126 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-10968-5 (ISBN)

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Atomkraft und menschliche Freiheit -  J. Robert Oppenheimer
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? Atomare Sprengstoffe ? Atomenergie als Zeitproblem ? Offenheit und Aufgeschlossenheit ? Die Physik in unserer Zeit ? Der Triumph der Naturwissenschaft ? Der Wissenschaftler und die Gesellschaft ? Kunst und Wissenschaft: Ein Ausblick ? Enzyklopädisches Stichwort: Neue Physik und Verantwortung ? Literaturhinweise ? Personen- und Sachregister

J. Robert Oppenheimer (1904-1967) war ein amerikanischer theoretischer Physiker deutsch-jüdischer Abstammung. Er gilt als «Vater der Atombombe».

J. Robert Oppenheimer (1904–1967) war ein amerikanischer theoretischer Physiker deutsch-jüdischer Abstammung. Er gilt als «Vater der Atombombe».

II. Atomenergie als Zeitproblem


Wenn ich bedenke, welches Mißverhältnis zwischen dem etwas anspruchsvoll klingenden Titel dieser Betrachtung und ihrem fast bescheiden anmutenden Inhalt besteht, kann ich nicht umhin, mich einer alten Geschichte zu erinnern, die mir immer wieder ins Gedächtnis zurückkommt, wenn eine allgemeinere, die Atomenergie betreffende Frage aufgeworfen wird. Ich hatte an der Universität von Kalifornien einen Kollegen namens ARTHUR RADER. Er war ein einsamer Mann, der gern kleine Kinder auf seine Spaziergänge mitnahm, sie aufzuheitern suchte, ihnen Eis kaufte. Eines Tages nahm er eine kleine Freundin von mir mit; sie schien gelangweilt, und er begann deshalb, für sie mit seinen Ohren zu wackeln. Sie sah ihn an und sagte: ‹Onkel Arthur, wie machst du das?› Er dachte angestrengt nach, und nach einer Pause sagte er: ‹Es ist sehr schwer zu beschreiben. Man hat einfach ein allgemeines Gefühl von Gespanntheit.›

Diesem Gefühl scheint der Gemütszustand, der allen atomaren Bemühungen zugrundeliegt, so sehr zu entsprechen, daß noch einiges über seine Ursachen zu sagen wäre. Auf die technischen Bezüge der Kernkraft einzugehen, ist hier kaum möglich und wäre auch kaum ergiebig. Auch glaube ich nicht, daß die technischen Fragen, so verwickelt sie auch sein mögen, für die Schwierigkeit grundsätzlicher Entscheidungen auf diesem Gebiete verantwortlich sind. Die Gründe dafür sind vielmehr in den Zielen zu suchen, die gleichzeitig verfolgt werden müssen und die sich bis zu einem gewissen Grade widersprechen. Sie lassen sich auf zwei verschiedenen Wegen ermitteln – welcher Art sind diese Wege?

Stellt man die Frage, ob es wichtig sei, daß wir uns für die nächsten zwei Jahre, für die nächsten zehn Jahre oder für die nächsten zwanzig Jahre stark und in diesem Atomzeitalter sicher fühlen sollten, so würde sie gemeinhin gewiß bejaht werden. Auf Grund einer solchen Antwort wäre eine Planung nicht einfach, da die Sicherheitserfordernisse für diese drei verschiedenen Zeitpunkte nicht gleichartig wären. Sie ließen sich jedenfalls nur dann in Einklang bringen, wenn es uns, mit einiger Geschicklichkeit, gelänge, die Elemente aufzuspüren, die allen Fragen der Atomenergie zugrundeliegen.

Genaugenommen gibt es drei verschiedene Ebenen, auf denen nach mehr oder weniger deutlichen Erklärungen Sicherheit zu erreichen wäre. Das erste wäre die der internationalen Überwachung, worauf die amtliche Politik der Vereinigten Staaten abzielt. Dabei handelt es sich um eine sehr weitreichende Überwachung, die auf diesem Gebiet den Wettbewerb zwischen den einzelnen Staaten ausschalten, die geheime Aufrüstung einer Nation gegen eine andere verhindern und uns vor jedem Atomangriff – wie vermutlich auch vor jedem Angriff mit Waffen der Massenzerstörung – eine Art Schutzfrist gewährleisten würde. Damit wäre bereits ein großer Schritt getan, um die Atomenergie zumindest als Streitquelle zwischen den Mächten auszuschalten. Diese Art von Sicherheit wäre, wie ich glaube, durch kein anderes Verfahren zu erlangen. Die Tatsache freilich, daß dies die wünschenswerteste Form der Sicherheit ist, besagt, was an sich schon auf der Hand liegt und noch weiter erörtert werden muß, noch lange nicht, daß sie auch verwirklicht werden wird.

Zweitens gäbe es die Möglichkeit technischer Überlegenheit. Das heißt, wir sollten uns stets bemühen, in bezug auf Ideen, Organisation und Entwicklung in der vordersten Linie zu stehen; uns nicht von technischen Entwicklungen überraschen, es niemals an Sachkenntnis fehlen zu lassen und auf dem Gebiet der Atomenergie eine Gruppe rühriger und erfolgreicher Fachleute zur Hand zu haben. Damit wäre ein doppelter Zweck erfüllt: einmal könnten wir uns eine Bewegungsfreiheit auf diesem Gebiete sichern, die wir völlig verlieren würden, wenn wir uns durch fremdes Bemühen überholt oder überrascht fänden. Zum andern aber gilt – und mit Recht – technische Überlegenheit als ein wirksames Abschreckungsmittel gegen feindliche Angriffsabsichten.

Das Dritte wäre die Ebene wirklicher Stärke, die auf diesem Gebiet, das ersichtlich nicht scharf von anderen zu trennen ist, aus einer Reihe von Elementen besteht, die einzeln aufgezeigt werden müssen. Sie bedeutet u.a. wirksame, aufs höchste wirksame Verteidigung gegen wahrscheinliche Einsatz-Verfahren von Atomwaffen, richtige und zum Überleben unumgängliche Verteilung der Bevölkerung im Angriffsfall; gute Pläne für die unumgängliche und wahrscheinlich äußerst schwierige Mobilisierung; wirksame und sofort verfügbare Mittel für einen Gegenangriff; bis ins einzelne ausgearbeitete strategische Zusammenarbeit für die Ausnutzung aller atomaren Möglichkeiten.

Freilich sind die verschiedenen Bemühungen, internationale Überwachung, eine Art von technischer Überlegenheit auf lange Sicht und ein Höchstmaß an tatsächlicher Stärke zu erreichen, nicht immer miteinander vereinbar. Somit stellt sich die Aufgabe, ein zu allen Zeiten zweckentsprechendes Gleichgewicht zu finden, ohne eines der erwähnten drei Ziele preiszugeben. Diese Aufgabe aber ist nur dann zu bewältigen, wenn man sich bis ins einzelne genau Rechenschaft darüber gibt, worin die Probleme der Atomenergie bestehen, und derart die Faktoren ermittelt, mit deren Hilfe sich auf eine zunächst unmöglich scheinende Weise drei Ziele auf einmal erreichen oder zumindest anstreben lassen.

Eine Binsenweisheit? Wäre es uns beispielsweise darum zu tun, innerhalb der nächsten zwei Jahre ein Höchstmaß an militärischer Stärke zu erreichen, kämen langfristige Pläne überhaupt nicht in Frage, gäbe es keine Aussicht auf internationale Übereinkunft und brauchten wir auf das Gedeihen und die Stärke unserer wissenschaftlichen und technischen Entwicklung in den nächsten zwanzig Jahren keinen Gedanken zu verschwenden, so wäre man geneigt, dem Atomproblem mit einer Art Einkreisungsmethode zu Leibe zu rücken. In diesem Falle wäre eine Mindestzahl von maßgebenden Leuten mit den grundsätzlichen Entscheidungen befaßt, eine Mindestzahl über die Tatsachen der Atomenergie unterrichtet, würde ein Mindestmaß an technischer Entwicklungsarbeit – die stets erst spät Zinsen abwirft – unternommen, wäre man fast ausschließlich auf die Erweiterung und oberflächliche Verbesserung der bekannten Verfahren zur Herstellung von Atomwaffen bedacht. Unser Ziel wäre dann ein großer Vorrat, der größtmögliche Vorrat an solchen Waffen und die kleinstmögliche Verbreitung von Tatsachenkenntnis. Das wäre freilich nur ein Programm auf kurze Sicht.

Ein solches Programm würde einem der drei Ziele Genüge tun, aber nicht allen zugleich. Man mag sich darüber wundern, daß ich die Herbeiführung internationaler Überwachung zu den Aufgaben rechne, die man bei der Planung atomarer Tätigkeiten im Auge behalten muß. Aber es ist offenbar die einzige Möglichkeit, diesem Land eine Sicherheit zu erwirken, die mit der der Vorkriegsjahre vergleichbar wäre; die einzige Möglichkeit, die es uns erlaubt, uns auch mit schlechten Regierungen, mit neuen Entdeckungen, mit unverantwortlichen Regierungen abzufinden, wie sie wahrscheinlich in den nächsten hundert Jahren nicht ausbleiben werden, ohne daß wir ständig zu fürchten hätten, durch den Gebrauch solcher Waffen oder durch ihre Entwicklung überrumpelt zu werden.

Der ganze Begriff einer internationalen Überwachung läuft aber, wie man gleichfalls weiß, bei sorgfältiger Prüfung auf den der Entwicklung internationaler Zusammenarbeit hinaus – selbst die Erfahrungen innerhalb der Vereinten Nationen sind in dieser Hinsicht aufschlußreich. Denn die Vertreter der neun nicht-sowjetischen Staaten, die in dem Ausschuß der Vereinten Nationen sitzen, sind heute, wie mir scheint, von der grundsätzlichen Vernünftigkeit der Vorschläge der Vereinigten Staaten überzeugt, wenn sie es wohl auch nicht von Anfang an waren. Ich glaube nicht, daß ihre Zustimmung in den meisten Fällen einfach das Ergebnis des Wunsches war, sich der Haltung der Vereinigten Staaten anzupassen. Sie ging vielmehr auf echte Überzeugung zurück. Die Lebenskraft der grundlegenden Gedanken in der Haltung der Vereinigten Staaten wird also, wie mir scheint, durch ihre Übernahme bezeugt.

Andererseits aber wird wohl kaum jemand ernsthaft die Hoffnung oder die Erwartung hegen, daß die Sowjet-Union dem beipflichten oder entgegenkommen wird, was jetzt den Mehrheitsplan darstellt. Das ist nicht allzu schwer zu verstehen. Der Eckstein unserer Vorschläge ist eine Einrichtung, die Aufrichtigkeit und völlige Offenheit in bezug auf Gegebenheiten der Technik und Politik erfordert. Sie verlangt nach tätiger Zusammenarbeit zwischen den Völkern, ohne Ansehung der zufälligen Nation. Sie schließt eine höchste Anstrengung ein, auf dem Gebiet der Atomenergie jeder nationalen Eifersucht ein Ende zu machen und in allen Gefahrenzonen vollständiges und ehrliches internationales Gemeinschaftshandeln herbeizuführen. Natürlich setzen Vorschläge dieser Art selbst auf seiten der Vereinigten Staaten einen sehr greifbaren Verzicht voraus, unter anderem den mehr oder weniger ständigen Verzicht auf jede Hoffnung, daß die Vereinigten Staaten im Zustand der Selbstabschließung von der übrigen Welt weiterbestehen könnten. Ich mache mich wohl keines ungehörigen Vertrauensbruches schuldig, wenn ich sage, daß die Vertreter vieler anderer Staaten geradezu Kugelaugen machten, als sie herausfanden, worin unsere Vorschläge bestanden und daß es uns ernst damit war. Anfänglich hielten sie sie in gewisser Hinsicht für allzu radikal, ja für ungerechtfertigt. Aber wenn diese Vorschläge für die Vereinigten Staaten und die westeuropäischen Mächte gewisse Opfer erfordern, so...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2018
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Naturwissenschaften Physik / Astronomie Atom- / Kern- / Molekularphysik
Schlagworte Naturwissenschaft • Physik • Sprengstoff • Wissenschaftler
ISBN-10 3-688-10968-6 / 3688109686
ISBN-13 978-3-688-10968-5 / 9783688109685
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