635 Tage im Eis (eBook)

Die Shackleton-Expedition -
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
320 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-21105-9 (ISBN)

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635 Tage im Eis -  Alfred Lansing
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Am Anfang steht der Plan von der erstmaligen Durchquerung des weißen Kontinents. Doch das gewaltige Naturwunder Antarktis wird im Jahr 1915 für die Crew der 'Endurance' zur Hölle aus Eis. Beharrlich verfolgt Expeditionsleiter Sir Ernest Shackleton bald nur noch ein Ziel: 28 Männer lebend wieder in die Zivilisation zurückzubringen.

Die faszinierende Geschichte einer Irrfahrt ans Ende der Welt. 'Gebt mir Scott als wissenschaftlichen Expeditionsleiter ..., gebt mir Amundsen für eine störungsfreie und effiziente Polar-Expedition, aber wenn sich das Schicksal gegen euch verschworen zu haben scheint, dann fallt auf die Knie und betet um Shackleton.'

Alfred Lansing (gest. 1975) startete nach dem Ausscheiden aus der US-Marine Ende der 50er Jahre seine Karriere als Journalist. Seine Schilderung der Shackleton-Expedition von 1914-1916 basiert auf Informationen aus allererster Hand: Tagebuchaufzeichnungen, Briefen, Zeitungsberichten und Interviews mit Überlebenden der »Endurance«-Crew.

Kapitel 1


Der Befehl, das Schiff zu verlassen, erging um 17 Uhr. Doch die meisten der Männer hätten keinen Befehl gebraucht, weil jeder das Schiff längst verloren wußte und es an der Zeit war, die Rettungsversuche einzustellen. Niemand zeigte Furcht oder auch nur Besorgnis. Drei Tage lang hatten sie ununterbrochen gekämpft, und sie hatten verloren. Sie nahmen ihre Niederlage beinahe apathisch hin. Sie waren schlicht zu müde, um sich Sorgen zu machen.

Frank Wild, Shackletons Stellvertreter, kämpfte sich über das verbogene Deck zum Mannschaftsquartier vor, wo zwei Matrosen, Walter How und William Bakewell, in den unteren Kojen lagen. Beide waren nahe an der Erschöpfung, nachdem sie drei Tage lang an den Pumpen gestanden hatten; trotzdem war wegen der Geräusche, die das Schiff von sich gab, an Schlaf nicht zu denken.

Es wurde zermalmt. Nicht auf einen Schlag, sondern langsam, Stück für Stück. Die Kraft von zehn Millionen Tonnen Eis drückte gegen die Bordwände. Und es schrie im Todeskampf. Spant und Beplankung, die größtenteils mehr als einen Fuß dicken Balken – sie ächzten unter dem stetig zunehmenden mörderischen Druck. Und wo die Planken die Anspannung nicht mehr aushielten, brachen sie mit einem Knall wie von Artilleriefeuer. Die meisten Balken des Vorderdecks waren schon im Laufe des Tages geborsten, so daß das Deck nach oben geschoben wurde und sich je nach Zu- oder Abnahme des Drucks langsam auf und ab bewegte.

Wild steckte seinen Kopf in die Mannschaftskajüten und sagte leise: »Sie ist am Ende, Männer. Ich denke, es ist Zeit, von Bord zu gehen.« How und Bakewell erhoben sich aus ihren Kojen, nahmen zwei Kissenbezüge, in die sie ihre persönliche Ausrüstung gepackt hatten, und folgten Wild zurück an Deck.

Als nächstes stieg Wild in den winzigen Maschinenraum des Schiffes. Kerr, Zweiter Maschinist, stand am Fuß der Leiter, neben ihm Rickenson, der Erste Maschinist. Sie waren fast zweiundsiebzig Stunden unter Deck gewesen, um den Dampfdruck in den Kesseln zu halten, damit die Pumpen im Maschinenraum arbeiten konnten. Obwohl sie in dieser Zeit die Bewegung des Eises nicht wirklich hatten beobachten können, waren ihnen die Auswirkungen auf das Schiff nur allzu spürbar gegenwärtig. Auch wenn die Schiffsseiten fast überall zwei Fuß dick waren, bogen sie sich hier und da bis zu zwanzig Zentimetern nach innen. Gleichzeitig wurden die stählernen Bodenplanken kreischend zusammengepreßt, bis ihre Kanten gegeneinander stießen, nach oben gedrückt wurden und sich mit einem metallischen Knall übereinanderschoben.

Wild hielt sich nicht lange auf. »Befeuerung einstellen«, sagte er. »Sie ist am Ende.« Kerr wirkte erleichtert.

Wild wandte sich nach achtern zum Stevenrohr, wo McNeish, der alte Schiffszimmermann, und McLeod, ein Matrose, mit Deckenfetzen einen Kofferdamm kalfaterten, den McNeish am Vortag gebaut hatte, um das Eindringen des Wassers an der Stelle zu dämmen, wo Ruder und Achtersteven durch das Eis herausgerissen worden waren. Doch inzwischen stand das Wasser schon fast bis zu den Bodenplatten und floß schneller nach, als man es durch den Kofferdamm aufhalten oder abpumpen konnte. Jedesmal wenn der Druck einen Moment lang nachließ, hörte man das Geräusch von fließendem Wasser, das in den Frachtraum strömte.

Wild machte den beiden Männern ein Zeichen aufzugeben, bevor er über die Leiter aufs Hauptdeck stieg.

Clark, Hussey, James und Wordie hatten an den Pumpen gestanden, jedoch aus eigenem Entschluß aufgegeben, als sie die Nutzlosigkeit ihres Unterfangens erkannt hatten. Jetzt saßen sie auf Vorratskisten oder auf dem Deck und lehnten sich an das Schanzkleid. In ihren Gesichtern spiegelten sich die unsagbaren Strapazen der vergangenen drei Tage an den Pumpen.

Weiter vorne hatten die Schlittenführer ein großes Stück Segeltuch an der Backbordreling befestigt und eine Art Rutsche auf das Eis neben dem Schiff gebaut. Sie holten die neunundvierzig Huskies aus ihrem Zwinger und ließen sie nacheinander hinunter in die Arme auf dem Eis wartender Männer gleiten. Normalerweise hätte jede derartige Aktivität die Hunde vor Aufregung verrückt werden lassen, doch auch sie schienen zu spüren, daß etwas sehr Außergewöhnliches vonstatten ging. Weder brach ein Kampf unter ihnen aus noch versuchte auch nur ein einziger Hund auszubrechen.

Vielleicht lag es an der Haltung der Männer. Sie arbeiteten mit besonnener Eile und wechselten kaum ein Wort miteinander. Sie zeigten jedoch auch keinerlei Anzeichen von Panik. Bis auf die Bewegung des Eises und die Geräusche aus dem Schiff war die Szenerie tatsächlich relativ ruhig. Es war zweiundzwanzig Grad unter Null, ein leichter Südwind wehte. Der dämmrige Himmel war klar.

Doch irgendwo weit entfernt im Süden wehte ein Sturm in ihre Richtung. Obwohl er ihre Position wahrscheinlich erst in frühestens drei Tagen erreichen würde, ließ sich sein Nahen an der Bewegung des Eises erkennen, das sich erstreckte, soweit das Auge blickte, und noch Hunderte von Meilen darüber hinaus. So gewaltig und dick war das Packeis, daß der entfernte Druck des Windes die Eisschollen bereits zusammendrückte, obwohl der Sturm sie noch lange nicht erreicht hatte.

Die gesamte Eisoberfläche war ein Chaos aus Bewegung. Sie sah wie ein riesiges Puzzle aus, dessen Teile sich in die Unendlichkeit erstreckten und von einer unsichtbaren, aber unwiderstehlichen Macht übereinandergeschoben und zermalmt wurden. Der Eindruck titanenhafter Kraft wurde durch die Bedachtsamkeit der Bewegungen noch verstärkt. Wo zwei dicke Schollen aneinanderstießen, schlugen und knirschten ihre Kanten für eine Weile gegeneinander. Wenn dann keine von beiden ein Zeichen des Nachgebens gab, hoben sie sich langsam und oft auch zitternd, getrieben von der unnachgiebigen Kraft hinter ihnen. Manchmal verharrten sie unvermittelt, als die unsichtbare Kraft, die das Eis bewegte, rätselhafterweise das Interesse zu verlieren schien. Häufiger jedoch schoben sich die oft mehr als drei Meter dicken Schollen weiter nach oben und richteten sich auf, bis eine oder beide brachen, hinabstürzten und sich zu einem Druckgrat auftürmten.

Man hörte die Bewegung des Packeises – die Grundgeräusche, das Ächzen und Jammern der Schollen, begleitet von einem gelegentlichen dumpfen Aufprall, wenn ein schwerer Block in sich zusammenbrach. Doch darüber hinaus schien das Packeis über ein schier grenzenloses Repertoire an Geräuschen zu verfügen, von denen viele in nichts an Eismassen unter Druck erinnerten. Manchmal hörte man einen Lärm wie von einem riesigen Zug mit quietschenden Achsen, der unter großem Geklapper und Gepolter umherrangiert wurde. Gleichzeitig blies eine gigantische Schiffspfeife, begleitet von krähenden Hähnen, dem Dröhnen einer entfernten Brandung, dem leisen Brummen eines Motors in weiter Ferne und den klagenden Schreien einer alten Frau. In den seltenen Ruhephasen, wenn die Bewegung des Packeises für eine Weile nachließ, trieben gedämpfte Trommelwirbel durch die Luft.

In diesem Universum aus Eis waren die Bewegung und der Druck nirgendwo intensiver als bei den Schollen, die das Schiff attackierten. Auch hätte seine Position nicht ungünstiger sein können. Eine Scholle war fest gegen den Bug auf der Steuerbordseite geklemmt, eine weitere drückte weiter achtern gegen dieselbe Seite, eine dritte preßte von Backbord gegen den Rumpf, so daß das Eis drohte, den Rumpf mittschiffs zu zerbrechen. Mehrmals neigte sich das ganze Schiff nach Steuerbord.

Weiter vorn, wo sich die schlimmste Angriffswelle konzentrierte, wurde das Schiff vom Eis überschwemmt. Es schichtete sich höher und höher gegen den Bug, während der Rumpf jede neue Welle abwehrte, bis die Brocken sich über das Schanzkleid türmten, auf Deck krachten und das Schiff noch tiefer drückten, so daß es den gegen seine Flanken pressenden Schollen noch schutzloser ausgeliefert war.

Das Schiff reagierte auf jede neue Druckwelle anders. Manchmal zitterte es nur kurz wie ein Mensch, der von einer stechenden Schmerzattacke erfaßt wurde. Dann wieder würgte es in einer Reihe zuckender Stöße, begleitet von Schmerzensschreien, wobei die drei Masten heftig vor und zurück federten, so daß die Takelage sich spannte wie die Saiten einer Harfe. Doch als am quälendsten empfanden die Männer die Momente, in denen das Schiff wie eine riesenhafte Kreatur würgend nach Luft zu ringen schien, während seine Flanken unter dem erstickenden Druck bebten.

Es bäumte sich auf wie ein gewaltiges Untier im Todeskampf, ein Anblick, der die Männer mehr als alle anderen Eindrücke aus jenen letzten Stunden entsetzte.

Bis 19 Uhr waren alle wesentlichen Ausrüstungsgegenstände auf das Eis herabgelassen worden, auf einer großen festen Scholle auf der Steuerbordseite hatte man ein Behelfslager errichtet. Die Rettungsboote waren schon am Vorabend abgelassen worden. Als sie über die Reling auf das Eis stiegen, empfanden die meisten Männer eine ungeheure Erleichterung, das dem Untergang geweihte Schiff zu verlassen, und wohl kaum einer unter ihnen wäre freiwillig an Bord zurückgekehrt.

Trotzdem wurden einige Unglückliche zurückbeordert, um diverse Gegenstände zu bergen. Einer von ihnen war Alexander Macklin, ein untersetzter junger Schiffsarzt, der auch Führer eines Hundeschlitten-Gespanns war. Er hatte seine Hunde gerade unweit des Lagers angebunden, als er den Befehl erhielt, zusammen mit Wild an Bord zurückzukehren, um Holz aus dem vorderen Laderaum des Schiffes zu holen.

Die beiden Männer waren gerade aufgebrochen und hatten das Schiff fast erreicht, als sich beim Lager ein großes Geschrei erhob. Die Scholle, auf der die Zelte aufgeschlagen worden waren, brach. Wild und Macklin eilten zurück. Die...

Erscheint lt. Verlag 30.11.2016
Übersetzer Franca Fritz, Heinrich Koop, Kristian Lutze
Zusatzinfo 16 S. Bildteil 2-fbg.
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Endurance-Shackleton's Incredible Voyage
Themenwelt Naturwissenschaften
Technik
Schlagworte Amundsen • Antarktis • eBooks • Eis • Expedition • Geschichte • Polarforscher • Polarforschung • Polargebiet • Reisen • Shackleton
ISBN-10 3-641-21105-0 / 3641211050
ISBN-13 978-3-641-21105-9 / 9783641211059
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