Psychiatrie in Zeiten globaler Umweltkrisen -

Psychiatrie in Zeiten globaler Umweltkrisen (eBook)

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2024 | 1. Auflage
202 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-044348-8 (ISBN)
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Klimakrise, Artensterben und Umweltverschmutzung stellen eine große Bedrohung dar - nicht nur für die körperliche, sondern auch für die seelische Gesundheit: Hitzewellen führen zu Depressionen. Überschwemmungen führen zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Und manche Menschen werden durch Umweltkrisen sogar zur Flucht gezwungen - mit all ihren psychischen Folgen. Es ist also höchste Zeit, dass sich die Psychiatrie mit diesen gravierenden Entwicklungen auseinandersetzt. Dieses Praxislehrbuch möchte handlungsorientiertes Wissen über Umweltkrisen vermitteln und als Referenzwerk für die klinische Praxis dienen. Es beleuchtet zunächst die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Umweltkrisen und ihre psychischen Folgen. Im Anschluss wird aufgezeigt, wie sich in den Bereichen Ernährung, Mobilität, Stadtplanung und Naturerleben positive Wirkungen sowohl für die psychische Gesundheit als auch für die Umwelt erzielen ließen. Daneben geht das Werk der Frage nach, was die Psychiatrie unternehmen kann, um die Umweltkrisen nicht selbst weiter zu verschärfen. Außerdem werden veränderte Anforderungen an die psychiatrische Versorgung diskutiert.

Dr. med. Sebastian Karl, Arzt in Weiterbildung an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Mannheim. Prof. Dr. med. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) und Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Mannheim, Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg sowie Co-Sprecher und Standortkoordinator des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG). Mit Beiträgen von: Sebastian Karl, Andreas Meyer-Lindenberg, Lorenz Albrecht, Adina Arth, Leonie Ascone, Lasse Brandt, Jonas Geschke, Gerhard Gründer, Andreas Heinz, Wolfram J. Herrmann, Sören Hese, Carmen Jochem, Joachim Klosterkötter, Hans Knoblauch, Simone Kühn, Linda C. Kunz, Konrad Laker, Carsten Loose, Hendrik Napierala, Frauke Nees, Markus Salomon, Julia Sander, Kerstin Schepanski, Elisabeth Schmid, Meryam Schouler-Ocak, Astrid Schulz, Gunter Schumann, Sebastian Siehl, Moritz Spangemacher, Monika Stöhr und Annika Walinski

Dr. med. Sebastian Karl, Arzt in Weiterbildung an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Mannheim. Prof. Dr. med. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) und Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Mannheim, Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg sowie Co-Sprecher und Standortkoordinator des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG). Mit Beiträgen von: Sebastian Karl, Andreas Meyer-Lindenberg, Lorenz Albrecht, Adina Arth, Leonie Ascone, Lasse Brandt, Jonas Geschke, Gerhard Gründer, Andreas Heinz, Wolfram J. Herrmann, Sören Hese, Carmen Jochem, Joachim Klosterkötter, Hans Knoblauch, Simone Kühn, Linda C. Kunz, Konrad Laker, Carsten Loose, Hendrik Napierala, Frauke Nees, Markus Salomon, Julia Sander, Kerstin Schepanski, Elisabeth Schmid, Meryam Schouler-Ocak, Astrid Schulz, Gunter Schumann, Sebastian Siehl, Moritz Spangemacher, Monika Stöhr und Annika Walinski

Vorwort


Psychiatrie in Zeiten globaler Umweltkrisen: Dieser Titel ist aktuell, aber ist er auch anhaltend relevant? Wird diese Krise nicht bald überstanden sein? Leider ist das mitnichten der Fall. Zwar stößt Deutschland aktuell bereits etwa 46 % weniger Treibhausgase aus als noch 1990, doch pro Kopf sind die CO2-Emissionen in Deutschland noch immer fast doppelt so hoch wie im weltweiten Durchschnitt und viermal so hoch wie beispielsweise in Indien. Außerdem jagt ein Temperaturrekord den nächsten: So war 2023 in Deutschland das wärmste Jahr seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen und der Trend setzt sich 2024 fort. Europa ist der Kontinent, in dem sich die Durchschnittstemperaturen am stärksten erhöhen. Und auch die Durchschnittstemperatur der Ozeane nimmt nie dagewesene Dimensionen an.

Als wäre dies nicht schlimm genug, findet ein dramatischer Verlust an Biodiversität statt, der vom Ausmaß und insbesondere von der Geschwindigkeit her in der jüngeren Geschichte der Erde beispiellos ist. So sind weltweit etwa ein bis zwei Millionen Arten vom Aussterben bedroht. In Deutschland gilt ein Drittel aller Säugetier- und Pflanzenarten als gefährdet. Weil dadurch wichtige Ökosystemleistungen wie die Bestäubung von Pflanzen wegfallen, gefährdet dies nicht nur die Ernährungssicherung, sondern auch mehr als die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung.

Darüber hinaus befinden sich moderne Formen von Umweltverschmutzung auf dem Vormarsch. So gehen Schätzungen beispielsweise davon aus, dass bereits jetzt jährlich 19 Millionen Tonnen Plastik in die Umwelt gelangen und dass sich diese Menge bis 2060 verdoppeln wird.

Diese Umweltkrisen – vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) als »dreifache planetare Krise« bezeichnet – gefährden nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Gesundheit der Menschen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht in Bezug auf die Klimakrise sogar von der größten Bedrohung für die menschliche Gesundheit in diesem Jahrhundert. Dazu kommt, dass die Umweltkrisen nicht nur direkte Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Vielmehr wirken sie als Risikomultiplikator, der Wirtschaftskrisen, Hungersnöte, bewaffnete Konflikte und andere Krisen mit all ihren Folgen für die psychische Gesundheit wahrscheinlicher macht und ihre Auswirkungen verstärkt.

Auch deshalb bezeichnet die Bundesregierung die Bewältigung der Umweltkrisen in ihrer Strategie zur Klimaaußenpolitik als »zentrale Menschheitsaufgabe«. Deren Bewältigung – so sie denn hoffentlich gelingt – wird tiefgreifende Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen mit sich bringen, die das Leben aller Menschen spürbar beeinflussen werden. Gerade weil die Veränderungen aber so tiefgreifend sein müssen, um die Krisen erfolgreich zu bewältigen, bietet sich auch eine Chance: Wir können die Gelegenheit nutzen, um bisherige Gewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen und viele Weichen so zu stellen, dass die menschliche Gesundheit davon nicht nur indirekt über den Schutz der Umwelt profitiert, sondern dass die Gesundheit und das Wohlbefinden, insbesondere auch die psychische Gesundheit, im Vergleich zum Status quo auch direkt verbessert werden. Solche Möglichkeiten aufzuzeigen, ist eines der zentralen Anliegen dieses Buchs.

Wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche wird auch die Psychiatrie von Veränderungen betroffen sein. Einerseits wird das psychiatrische Versorgungssystem genau wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche seinen eigenen Beitrag zur Befeuerung der Umweltkrisen reduzieren müssen: Es geht also darum, CO2-intensive Prozesse, negative Effekte auf die Biodiversität und die Produktion von Abfällen möglichst zu vermeiden oder zu reduzieren. Andererseits wird sich das Versorgungssystem auf veränderte Umweltbedingungen wie vermehrte Hitzewellen, Naturkatastrophen und ein verändertes Krankheitsspektrum einstellen müssen. Nicht zuletzt sind psychiatrisch Tätige – aufgrund ihrer Rolle als medizinische Fachkräfte, die großes Vertrauen genießen und aufgrund ihrer spezifischen Fähigkeiten in Bezug auf menschliches Verhalten und Verhaltensänderungen – in einer guten Position, die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen unterstützend zu begleiten und zu befördern. Dafür möchte dieses Buch psychiatrisch Tätigen das notwendige Wissen vermitteln und Anstöße dafür geben, welche Konsequenzen aus diesem Wissen gezogen werden können.

In den ersten drei Buchkapiteln werden die wichtigsten Grundlagen und der aktuelle wissenschaftliche Stand zu Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Verschmutzung vermittelt ( Teil I). Die zwei darauffolgenden Kapitel stellen die direkten und indirekten Auswirkungen dieser Umweltkrisen auf die psychische Gesundheit dar ( Teil II).

Die weiteren Kapitel des Buches widmen sich möglichen Lösungsansätzen. Dabei werden zunächst Bereiche beleuchtet, die besonders geeignet dafür scheinen, gleichzeitig spürbare Verbesserungen in Bezug auf die Umweltkrisen und in Bezug auf die psychische Gesundheit zu erreichen ( Teil III). Welche Rolle spielen Städte für die Entstehung und die Ausprägung psychischer Erkrankungen? Welchen Einfluss haben Städte auf die Umweltkrisen? Und wie können Städte so gestaltet werden, dass sie positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben und negative Auswirkungen auf die Umwelt minimieren? Ein weiteres Kapitel widmet sich der Bedeutung von Biodiversität und Naturerleben auf die psychische Gesundheit und zeigt auf, dass der Erhalt von Biodiversität und naturnahen Räumen nicht nur Umweltschutz ist, sondern einen direkten Einfluss auf unsere psychische Gesundheit haben kann. Dazu kommt der Bereich Ernährung: Was wir essen, hat nicht nur einen Einfluss auf unsere Gesundheit, sondern auch auf die Umwelt. Gegenwärtig weit verbreitete Ernährungsweisen schaden nicht nur der Gesundheit, sondern heizen die Klima-, Biodiversitäts- und Verschmutzungskrise weiter an. Dabei könnte unsere Ernährung so gestaltet werden, dass sowohl die Natur als auch die psychische Gesundheit davon profitieren. Und als weiterer Bereich mit einem großen Einfluss auf die Umweltkrisen wird die Art und Weise beleuchtet, wie sich Menschen heutzutage überwiegend fortbewegen. Für die Umwelt bieten sich die größten Potenziale vor allem durch weniger mit fossilen Brennstoffen betriebenen motorisierten Individualverkehr. Wird ein Teil der vormals mit dem Auto »passiv« zurückgelegten Stecken durch körperlich aktive Fortbewegung ersetzt, dient dies aber auch der Förderung der psychischen Gesundheit und der Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen.

Im Anschluss daran sollen Ansätze aufgezeigt werden, wie der Einfluss des psychiatrischen Versorgungssystems auf die Umweltkrisen verringert werden kann ( Teil IV): Ein stärkerer Fokus auf die Förderung psychischer Gesundheit und die Prävention psychischer Erkrankungen kann dabei helfen, den psychiatrischen Behandlungsbedarf zu verringern. Durch die Verhinderung psychischer Erkrankungen kann dies nicht nur den mit psychiatrischen Behandlungen verbundenen Effekt auf die Umwelt verringern, sondern auch Druck aus dem schon jetzt mehr als ausgelasteten psychiatrischen Versorgungssystem nehmen. Patient:innen und Umwelt profitieren auch von einem leitliniengerechten Einsatz von Medikamenten, der Vermeidung von Polypharmazie sowie dem Absetzen von nicht mehr benötigten oder wirkungslosen Medikamenten. Nicht zuletzt könnte Social Prescribing in Zukunft einen weiteren Baustein für die Therapie liefern und möglicherweise dabei helfen, Medikamente einzusparen und die positiven Effekte von Naturerleben, körperlicher Aktivität oder gesunder Ernährung für die psychische Gesundheit zu nutzen.

Die abschließenden Kapitel widmen sich der Anpassung des psychiatrischen Versorgungssystems an neue Realitäten und zu erwartende Entwicklungen im Kontext der Umweltkrisen ( Teil V). Dazu zählt die Anpassung aller Behandlungssettings an vermehrte und intensivere Hitzewellen, nicht zuletzt, weil Menschen mit psychischen Erkrankungen zu den besonders gefährdeten Gruppen zählen. Daneben ist durch veränderte Umweltbedingungen mit einer Veränderung des Versorgungsbedarfs zu rechnen – sei es durch die Entstehung neuer psychischer Syndrome, durch die Verschiebung der Prävalenzen psychischer Erkrankungen oder durch die Zunahme von Extremwetterereignissen und ihren psychischen Folgen. Eine Möglichkeit, auf einzelne Aspekte dieses veränderten Versorgungsbedarfs zu reagieren, könnte in der Einrichtung von Klimaambulanzen oder Klimasprechstunden bestehen, was in einem weiteren Kapitel beleuchtet werden soll. Zuletzt wird noch auf einen spezifischen Aspekt des sich verändernden Versorgungsbedarfs eingegangen. Die Umweltkrisen und weitere Krisen, die durch die Umweltkrisen wahrscheinlicher...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2024
Co-Autor Lorenz Albrecht, Adina Arth, Leonie Ascone, Lasse Brandt, Jonas Geschke, Gerhard Gründer, Andreas Heinz, Wolfram Herrmann, Sören Hese, Carmen Jochem, Sebastian Karl, Joachim Klosterkötter, Hans Knoblauch, Simone Kühn, Linda C. Kunz, Konrad Laker, Carsten Loose, Andreas Meyer-Lindenberg, Hendrik Napierala, Frauke Nees, Markus Salomon, Julia Sander, Kerstin Schepanski, Elisabeth Schmid, Meryam Schouler-Ocak, Astrid Schulz, Gunter Schumann, Sebastian Siehl, Moritz Spangemacher, Monika Stöhr, Annika Walinski
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Artenvielfalt • Biodiversitätsverlust • klimabilanz • Klimafolgenforschung • Klimamaßnahmen • Klimaneutralität • Klimaschutz • Klimawandel • Klimawandelanpassung • Ökologie • Umweltgerechtigkeit • Umweltschutz • Versorgungspraxis • Versorgungsstrukturen
ISBN-10 3-17-044348-8 / 3170443488
ISBN-13 978-3-17-044348-8 / 9783170443488
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