Gesund Führen in der hybriden Arbeitswelt (eBook)
208 Seiten
Hogrefe AG (Verlag)
978-3-456-76311-8 (ISBN)
|17|1 Die Haltung entscheidet
„Bücher, Regenschirme und Gehirne erfüllen ihre Funktion am besten, wenn sie offen sind.“ Sir James Dewar (Rowlinson, 2012)
|18|Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Haltung“ hören? „Oh, ich sollte unbedingt mal wieder etwas für meinen Rücken tun?“ Oder: „Was hat der Mayer denn für eine Arbeitshaltung? Bei der kleinsten Erkältung meldet der sich schon krank.“ Oder verbinden Sie mit dem Wort vielleicht eher gesellschaftliche, politische oder auch religiöse dauerhafte Grundwerte und Einstellungen, die Ihnen als Person Orientierung geben und ebenso Teil Ihrer Persönlichkeit sind? Tatsächlich definieren Expert:innen den Begriff Haltung je nach Kontext sehr unterschiedlich. Physiotherapeuten, Psychologinnen oder Philosophinnen werden jeweils unterschiedliche Aspekte von Haltung in ihrer Definition einbringen.
Für die meisten ist der Begriff positiv besetzt: Haltung zeigen, Haltung bewahren, klare Haltung ausbilden … Glauben wir, eine solche Haltung zu erkennen, dann begegnen wir dem Phänomen meist mit Respekt. Scheint Haltung zu fehlen, beklagen wir ihre Abwesenheit. Christiane Woopen, Vorsitzende des europäischen Ethikrates definiert ihre Vorstellung von Haltung wie folgt:
„Eine Haltung zu haben bedeutet für mich aus einer Grundüberzeugung heraus zu handeln, die die ganze Person umfasst, also ihren Körper, ihren Geist und ihre Gefühle. Eine Haltung besteht nicht aus einer konkreten Regel wie „du sollst nicht töten“, sie ist vielmehr eine Handlungsdisposition, die sich im Laufe des Lebens und Erlebens einer Person also im individuellen Lebensvollzug, entwickelt. Die Grundüberzeugung lautet dann zum Beispiel, dass Leben etwas äußerst Wertvolles ist und das führt dann zur Handlungsdisposition, Leben zu schützen und zu bewahren, ohne vorher darüber jetzt eigens nachzudenken.“
Diese Definition umfasst aus meiner Sicht richtigerweise natürlich auch Haltungen, denen wir nicht zwangsläufig respektvoll begegnen möchten. Haltungen sind also per se weder positiv noch negativ. Wir können sie nicht verordnen, nicht lehren. Den Versuch, das zu tun, kann man wohl am besten mit dem Begriff der „Indoktrination“ beschreiben. Wir erwerben Haltungen im Laufe des Lebens aktiv und gleichzeitig formen die soziale Umwelt sowie unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen unsere Haltungen. Es handelt sich also zugleich um einen aktiven und passiven Vorgang. Führungskräfte aller Ebenen sollten sich ihrer Haltungen bewusst sein, sie sollten sie reflektieren, weiterentwickeln und – dort, wo es für sie sinnvoll ist – auch stärken. Ich plädiere für eine überwiegend aktive Aneignung von inneren Grundhaltungen, Einstellungen, Glaubenssätzen und Werten. Das geschieht, indem Sie Themen durchdenken, unterschiedliche Blickwinkel dazu einnehmen und mit anderen darüber diskutieren, um die eigene Position zu schärfen, und um damit die eigene Haltung zu klären. Und diese ist nichts Feinstoffliches, sondern sie wird im Gehirn in |19|Form von neuronalen Netzwerken repräsentiert. Sie selbst formen diese Netzwerke durch Ihr Denken, Sprechen, Fühlen und Handeln.
Daher ist es keineswegs überflüssig, die eigenen Bewertungen immer wieder in Worte zu fassen und diese mit anderen auszutauschen. Das Gespräch kann somit als eine Art „geistige Kläranlage“ dienen. Beim stillen Denken verliert man sich leicht. Beim Sprechen hingegen muss man sich anderen gegenüber verständlich machen. Das erfordert deutlich mehr Präzision in den Worten als im stummen Selbstgespräch. Das wiederum hilft in der Selbstklärung „Was genau meine ich damit? Was fühle ich dabei? Was könnten die Konsequenzen dieser Haltung sein? Was würde es bedeuten, wenn ich meine Haltung ändern würde?“ Noch konkreter können Sie werden, wenn Sie Ihre Worte nach dem Gespräch verschriftlichen. Nicht selten bemerkt man erst beim Aufschreiben, dass man es doch „etwas anders gemeint“ hat.
Zusammenfassend: Haltungen erwerben Sie durch Denken, Hinterfragen, Sprechen, Konkretisieren, Bewerten, Schreiben, Reflexion und Integration eigener Erfahrungen, Abgleichen mit den Sichtweisen anderer und natürlich durch Transformation in Handlungen.
1.1 Haltung vor Verhalten
In der Definition von Christiane Woopen haben wir schon gehört, dass Haltung nicht gleich Handlung ist, sondern lediglich eine starke Handlungsdisposition beinhaltet.
So kann es durchaus sein, dass eine Führungskraft z. B. eine grundsätzlich wertschätzende Haltung ihren Mitarbeitenden gegenüber hat, aber in Belastungssituationen nicht mehr in der Lage ist, diese Grundhaltung im Verhalten sichtbar zu machen. Selbstverständlich gibt es auch unzählige Beispiele im privaten Bereich, in denen es uns nicht gelingt, Haltung und Verhalten tatsächlich zu synchronisieren. Gesundheit ist für die meisten ein hoher Wert und dennoch handeln viele häufig entgegen dieser inneren Werthaltung. Dennoch gilt: Langfristiges und stabiles Verhalten beruht auf einem inneren Wertekompass und einer inneren klaren Haltung. Je stabiler diese Haltung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie das dazugehörige Verhalten auch in Stresssituationen aktivieren können.
Umgekehrt gilt: Ein Verhalten, das nicht mit Ihrer inneren Haltung übereinstimmt, können Sie zumeist nicht dauerhaft und glaubwürdig umsetzen. Eine Führungskraft, die z. B. die Gesundheit der Mitarbeitenden nicht als Führungsaufgabe versteht und im eigenen Wertesystem verankert hat, wird nicht konsequent in der Umsetzung sein können. Denn der überwiegende Anteil unserer Handlungen ist unbewusst. Unser Gehirn wäre völlig überfordert, wenn all unsere Verhaltensweisen |20|bis in unser Bewusstsein vordringen würden und wenn wir jede Situation neu bewerten müssten. Also greift unser Gehirn gerne auf alte Muster zurück. Eine starke Haltung entlastet somit das Gehirn, das sonst in jeder Situation noch einmal neu und selbstständig denken müsste. Das unbewusste und automatische Grundprogramm – Ihre innere Haltung – übernimmt stattdessen die Steuerung.
Mitarbeitende haben ausgeprägte, gute Sensoren für die Authentizität, also die Übereinstimmung zwischen Haltung, Kommunikation und Handlungsweisen, ihrer Führungskräfte.
Daher sollte der erste Schritt die Reflexion und Diskussion der eigenen Haltung zum Thema sein. Es ist bedeutend, welche persönlichen Theorien und Vorstellungen Sie mit dem Thema Gesundheit verbinden, um zu entscheiden, ob und wie genau Sie die Gesundheitsperspektive in Ihrer täglichen Führungspraxis berücksichtigen. Albert Einstein wird der Satz zugeschrieben:
„Die Theorie bestimmt, was wir beobachten“.
Er bringt damit sehr gut auf den Punkt, dass sowohl unsere bewussten als auch unbewussten inneren Vorstellungen unsere Wahrnehmung, aber auch unsere ganz konkreten Handlungen leiten. Was genau ist Ihr Verständnis von Gesundheit? Wie entsteht sie, wie kann sie gefördert werden, wo und bei wem liegen die Verantwortlichkeiten?
Die Gesundheitspsychologie bietet verschiedene Gedankenmodelle an, die hilfreich sein können, um die eigene Haltung und damit das daraus resultierende Verhalten zu überprüfen und ggf. zu verändern. Ich möchte Ihnen im Folgenden ein Modell vorstellen, das sich in der Arbeit mit Führungskräften bewährt hat. Es ist ein Gesundheitsmodell, das sehr leicht auf gute und gesunde sowie hybride Führung übertragbar ist.
1.2 Ein Modell als Grundlage guter und gesunder Führung
Das systemische Anforderungs- und Ressourcenmodell, kurz auch SAR-Modell, wurde von dem Psychologen Peter Becker entwickelt (Becker, 2006). Es ist in der Gesundheitspsychologie wie in der Medizin anerkannt und Sie können es für Ihre individuelle, ebenso für die betriebliche Prävention nutzen. Richtig eingesetzt kann es für ganz verschiedene Lebens- und Arbeitsbereiche Impulse zur Weiterentwicklung geben. Die Kernaussage des Modells beinhaltet, dass Gesundheit, Wohlempfinden sowie auch Leistungsfähigkeit durch...
Erscheint lt. Verlag | 7.10.2024 |
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Zusatzinfo | 18 Abbildungen |
Verlagsort | Bern |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Arbeit 4.0 • Digitale Arbeitswelt • digitale Transformation • Digitalisierung Arbeitsplatz • new work |
ISBN-10 | 3-456-76311-5 / 3456763115 |
ISBN-13 | 978-3-456-76311-8 / 9783456763118 |
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Größe: 4,2 MB
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