Kurzlehrbuch Chemie (eBook)
714 Seiten
Thieme (Verlag)
978-3-13-245341-8 (ISBN)
2 Chemische Reaktionen und chemisches Gleichgewicht
2.1 Klinischer Fall
Schwindelerregende Höhen
Leon taumelt, sein Atem geht immer schneller. Jeder seiner Atemzüge ist Ausdruck chemischer Reaktionen: Sauerstoff bindet sich an Hämoglobin, das Trägermolekül im roten Blutkörperchen, und wird in den Körper transportiert. CO2 (Kohlenstoffdioxid), das „Abfallprodukt“ des Atemstoffwechsels, wird über die Lunge abgeatmet. Kohlenstoffdioxid ist ein Bestandteil des wichtigsten Puffersystems bei der Regulation des pH-Wertes im Blut.
Im folgenden Kapitel wirst du verschiedene Arten von chemischen Reaktionen kennenlernen. Einige davon helfen dir zu verstehen, was in Leons Körper abläuft. Die Bindung von Sauerstoff an Hämoglobin wird in der Chemie so dargestellt:
O2 + Hb ⇌ HbO2
Und der Kohlensäure-Hydrogencarbonat-Puffer beruht auf der Gleichung
CO2 + 2 H2O ⇌ HCO3− + H3O+.
Bei Leon wird dieses Puffersystem schwer beansprucht. Durch Sauerstoffmangel und den dadurch verstärkten Atemantrieb ist sein Blut alkalisch geworden und, um wieder den normalen Blut-pH-Wert von 7,4 zu erreichen, muss der Körper Hydrogencarbonat (HCO3−) ausscheiden.
Mit Kopfschmerzen und Atemnot zum Gipfel Der Berg ruft! Da Anna und Leon vom Strand im Süden Teneriffas ständig den Pico del Teide vor Augen haben, beschließen sie, den mit 3715 m höchsten Berg der Insel zu erklimmen. Mit dem Auto fahren die beiden bis auf die etwa 2500 Meter hoch gelegene Ebene Canadas del Teide. Ab da geht es zu Fuß weiter. Ihr Tagesziel ist die 3270 m hoch gelegene Refugio Altavista, eine Berghütte. Sie übernachten – und am nächsten Morgen geht es weiter.
Als sie aufbrechen, hat Leon dumpfe, klopfende Schmerzen in seinem Hinterkopf. Er hat schon am Vorabend leichte Kopfschmerzen gehabt, nun ist es noch schlimmer geworden. Er fühlt sich schwach, ihm ist ein wenig übel und sein Herz klopft bis zum Hals. Die beiden kommen nur langsam voran. Leon keucht immer mehr, taumelt und hat Schwierigkeiten, geradeaus zu gehen. Dennoch zwingt er sich, bis zum Gipfel weiterzugehen. Dann schleppt er sich unter großen Strapazen wieder hinunter. Am nächsten Tag geht es ihm wieder rundum gut.
Sauerstoff sinkt, pH steigt Wie kann das sein? Leon litt an der Höhenkrankheit, einer Erkrankung, die schon ab Höhenlagen von 2500 m über dem Meeresspiegel auftreten kann. Ursache ist der geringere Sauerstoffpartialdruck. In einer Höhe von 3 000 m ist er etwa 30 % niedriger als auf Meeresniveau. Die Chemorezeptoren des Gehirns reagieren auf den O2-Mangel, indem sie die Atmung ankurbeln: Das Atemminutenvolumen steigt (sog. Hyperventilation). Dadurch wird verstärkt CO2 abgeatmet und es entsteht eine respiratorische Alkalose, d. h., der pH-Wert des Blutes steigt an. Der Körper versucht, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen, z. B. scheidet die Niere vermehrt Hydrogencarbonat (HCO3−) aus. Aber nicht immer gelingt diese Anpassung.
Tod durch Hirn- und Lungenödem Erfolgt der Aufstieg in hohe Lagen zu schnell, so kann es innerhalb von wenigen Stunden zur Höhenkrankheit kommen. Der Sauerstoffmangel im Gehirn führt zu Kopfschmerzen, Schwäche, Schwindel und anderen neurologischen Veränderungen bis hin zum Koma. Ursache ist ein Hirnödem, d. h., es lagert sich Wasser im Gehirn ein. Darüber hinaus kann sich ein Lungenödem entwickeln. Die Betroffenen klagen über Luftnot (Dyspnoe), manche husten blutigen Schaum. Die Höhenkrankheit kann innerhalb von wenigen Stunden zum Tod führen, wenn nicht rasch ein Abstieg in normale Höhen erfolgt. Leon hat also Glück gehabt, dass er rechtzeitig wieder vom Pico del Teide heruntergekommen ist. Die restlichen Urlaubstage verbringt er am Strand. Von Ausflügen in die Berge hat er erst einmal genug.
2.2 Stöchiometrie chemischer Reaktionen
Lerncoach
Die Stöchiometrie beschäftigt sich mit den quantitativen Beziehungen zwischen den an chemischen Reaktionen beteiligten Verbindungen oder Elementen. Du musst in diesem Kapitel viel rechnen. Die dazu notwendigen Atommassen kannst du dem Periodensystem entnehmen.
2.2.1 Grundlegende Gesetze für chemische Reaktionen
Chemische Reaktionen werden durch chemische Gleichungen beschrieben. Die Ausgangsstoffe werden als Reaktanten oder als Edukte bezeichnet, als Ergebnis einer Reaktion entstehen die Produkte. Bei chemischen Reaktionen werden Bindungen gelöst und neue gebildet. Die Anzahl aller Atome bleibt gleich, auch wenn sie in den Produkten teilweise anders als in den Ausgangsstoffen verknüpft sind. In einer chemischen Reaktionsgleichung muss daher die Zahl der Atome jeder Sorte auf beiden Seiten der Gleichung gleich groß sein. Diese quantitativen Beziehungen zwischen den an chemischen Reaktionen beteiligten Stoffen sowie die Mengenverhältnisse der Elemente in Verbindungen sind Gegenstand der Stöchiometrie (stoicheon griech. Element; metron griech. messen).
Die nachfolgend aufgeführten, grundlegenden Gesetze für chemische Reaktionen müssen beim Aufstellen chemischer Gleichungen stets berücksichtigt werden:
Gesetz von der Erhaltung der Masse: Bei allen chemischen Vorgängen bleibt die Gesamtmasse der an der Reaktion beteiligten Stoffe konstant.
Bsp.: 1,00 g Kohlenstoff reagiert mit 2,67 g Sauerstoff zu 3,67 g Kohlenstoffdioxid.
Gesetz der konstanten Proportionen: Eine chemische Verbindung bildet sich immer aus konstanten Massenverhältnissen der Elementsubstanzen.
Bsp.: 1,00 g Kohlenstoff reagiert mit 2,67 g Sauerstoff und nicht etwa mit 2,50 g oder 2,70 g zu Kohlenstoffdioxid.
Gesetz der multiplen Proportionen: Bilden zwei Elemente mehrere Verbindungen miteinander, dann stehen die Massen desselben Elements zueinander im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen.
Bsp.: 1,00 g Kohlenstoff reagiert mit 1 · 1,34 g Sauerstoff zu Kohlenstoffmonoxid, mit 2 · 1,34 g Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid.
Im Labor wird häufig mit Massen- und Volumenangaben gearbeitet, weil diese durch Laborgeräte (Waage, Messzylinder etc.) einfach bestimmt werden können. Bei der Berechnung von beispielsweise der Menge an benötigten Reaktanten werden aber oft statt Massenangaben Teilchenanzahlen oder Stoffmengenangaben verwendet. Das liegt darin begründet, dass bei chemischen Reaktionen Atome oder Moleküle in einem bestimmten Verhältnis miteinander reagieren, welches der jeweiligen Reaktionsgleichung zu entnehmen ist. Weil Atome und Moleküle in Abhängigkeit von ihren ▶ atomaren Bausteinen unterschiedliche Massen haben, können auch die bloßen Massenangaben der Reaktanten nicht immer direkt miteinander ins Verhältnis zueinander gesetzt werden. Eine Umrechnung zwischen der Stoffmenge eines Stoffes und seiner Masse bzw. seinem Volumen ist aber ▶ leicht möglich.
2.2.2 Avogadro-Zahl und die molaren Größen
Die Masse eines einzelnen Atoms eines Elements ist die Atommasse. Die relative Atommasse Ar entspricht für ein Nuklid ungefähr der Summe der Massen der enthaltenen Protonen und Neutronen. Die absolute Atommasse mA kann durch Multiplikation der relativen Atommasse Ar mit der atomaren ▶ Masseneinheit u erhalten werden:
mA = Ar · u
Mithilfe dieser Gleichung kann somit die absolute Masse von einem Atom des Kohlenstoff-Isotops berechnet werden:
(2.1)
Daraus geht also hervor, wie groß die Masse eines Atoms ist. Liegen 12 g des Kohlenstoff-Isotops vor, kann sofort berechnet werden, wie viele Atome in dieser Menge vorhanden sind. Es müssen lediglich diese 12 g durch die absolute Atommasse mA geteilt werden! Das liefert die Angabe, dass 6,02 · 1023 Atome in 12 g des Kohlenstoff-Isotops enthalten sind. Diese Zahl wird als Avogadro-Zahl N0 bezeichnet. Früher wurde sie auch oft Loschmidt-Zahl genannt. Um den Umgang mit diesen großen Teilchenanzahlen zu vereinfachen, wurde eine Einheit eingeführt: Diese 6,02 · 1023 Teilchen werden zu einer Zähleinheit zusammengefasst und als Stoffmenge Mol bezeichnet. Die SI-Einheit ist mol (SI = Système International d’Unités). Dies kommt in der Avogadro-Konstante NA zum Ausdruck, welche angibt, wie viele Teilchen in einem Mol eines Stoffes enthalten sind.
NA = N0 mol−1
Als Teilchen kommen dabei Atome, Ionen, Moleküle oder sog. Formeleinheiten infrage. Der letzte Begriff wird bei ▶ Ionenverbindungen verwendet und beschreibt die kleinste, aber chemisch sinnvolle Kombinationsmöglichkeit von Ionen, welche eine neutrale Verbindung liefert.
2.2.2.1 Molare Masse und Stoffmenge
Die molare Masse M ist die Masse, die 6,02 · 1023, also 1 mol, der betrachteten Teilchen haben. Die molare Masse...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
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Reihe/Serie | Kurzlehrbuch |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Studium ► 1. Studienabschnitt (Vorklinik) ► Naturwissenschaftliche Grundlagen |
Schlagworte | 1. ÄP • 1. Ärztliche Prüfung • Chemie • Klinische Bezüge • Medizinstudium • Prüfungsvorbereitung • Thieme • Vorklinik |
ISBN-10 | 3-13-245341-2 / 3132453412 |
ISBN-13 | 978-3-13-245341-8 / 9783132453418 |
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