Mutige Eltern: Wie Sie Ihren Kindern ein guter Anker sein können (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
235 Seiten
Vandenhoeck und Ruprecht (Verlag)
978-3-647-99313-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mutige Eltern: Wie Sie Ihren Kindern ein guter Anker sein können -  Haim Omer
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Schritt für Schritt zurück zum Mut: Seit 20 Jahren forscht Haim Omer zum Gewaltlosen Widerstand und zur Neuen Autorität. In seinem neuen Buch richtet er sich an Eltern, die mithilfe von Präsenz, Selbstbeherrschung, Unterstützung und Beharrlichkeit Kraft und Zuversicht gewinnen wollen, (wieder) für ihre Kinder da zu sein. In Kontakt bleiben, präsent und wachsam sein, liebevoll Grenzen setzen, achtsam und stützend mit Ängsten umgehen, Wiedergutmachungen in den Fokus nehmen, für sich selbst sorgen: So gelingt es Eltern trotz aller Herausforderungen, die das moderne Familienleben mit sich bringt, ihr Kind auf dem Weg zum Erwachsenwerden gut zu begleiten. Wenn sie selbst zum stabilen Anker werden, können auch ihre Kinder hinderlichen Denk- und Verhaltensmustern, besorgniserregenden Gefühlen und Versuchungen standhalten. Wenn Sie Eltern beraten oder selbst Elternteil sind (oder beides!), erhalten Sie in diesem Buch konkrete Impulse dafür, wie Sie Schritt für Schritt festen Halt auch auf schwankendem Boden gewinnen, wieder Ordnung ins Chaos und sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lassen. Eltern und Menschen, die Familien begleiten, erhalten darüber hinaus nützliches Handwerkszeug, um das sprichwörtliche 'Dorf' aufzubauen, das wir brauchen, um ein Kind zu erziehen.

Prof. (em.) Dr. phil. Haim Omer war Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie an der Universität Tel Aviv und ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel. Er entwickelte das Konzept der Neuen Autorität in den Bereichen Beratung, Erziehung, Schule und Gemeinwesen.

Prof. (em.) Dr. phil. Haim Omer war Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie an der Universität Tel Aviv und ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel. Er entwickelte das Konzept der Neuen Autorität in den Bereichen Beratung, Erziehung, Schule und Gemeinwesen.

Zweites Kapitel


Selbstbeherrschung


Unsere Studien haben ergeben, dass die Selbstbeherrschung von Eltern eine Schlüsselrolle dabei spielt, ihren Status zu verbessern und die Probleme der Kinder zu lösen.14 In diesem Kapitel werde ich eine Reihe von »gebrauchsfertigen« Lektionen und Schritten präsentieren, die Eltern dabei helfen können, ihre impulsiven Reaktionen in den Griff zu bekommen und Besonnenheit, Geduld und Durchhaltevermögen zu entwickeln. Ich werde erläutern, wie diese Veränderungen sich auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirken, wie sie Eltern Stärke und Stabilität verleihen und ihnen ermöglichen, auf ihre Kinder Einfluss zu nehmen.

»Ich kann dich nicht beherrschen; ich kann nur mich selbst beherrschen!«


Diese Einsicht ist ein wichtiger Schlüssel, um die Eltern-Kind-Beziehung zu verbessern – egal, in welcher Entwicklungsphase sich das Kind befindet. Wenn Kinder noch klein sind, müssen die Eltern sie buchstäblich an die Hand nehmen, um sie davor zu schützen, sich in Gefahr zu bringen. Jedoch werden alle Mütter und Väter früher oder später feststellen, dass ihr Auftrag mit dem zunehmenden Alter des Kindes immer schwieriger wird.

In Wirklichkeit haben Eltern nämlich von Anfang an keine Kontrolle über ihr Kind. Sie merken schon bald, dass sie die Gedanken und Emotionen ihrer Kinder nicht kontrollieren können. Allmählich dämmert ihnen dann auch, wie schwierig es ist, das Verhalten ihrer Kinder unter Kontrolle zu halten. Schon bald erleben sie, wie viel Spaß es den Kleinsten macht, genau das Gegenteil von dem zu tun, was von ihnen erwartet wird. Dieses Verhalten ist Ausdruck der Entwicklung des autonomen Willens eines Kindes und der natürlichen Abneigung gegen Zwang. Eltern, die versuchen, die Abwehr ihrer Kinder zu dominieren und sie dazu zu zwingen, zu tun was sie als Eltern wollen, werden schon bald feststellen, dass die Kinder genau das Gegenteil davon tun, sobald sie unbeobachtet sind. Diese Neigung nimmt im Laufe der Entwicklung des Kindes zu. Besonders bei Heranwachsenden erreichen die Eltern mit dem Versuch, ihr Kind unter Kontrolle zu haben, genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich wollten.

Zum Glück gibt es eine Alternative: nämlich die Kombination aus persönlichem Vorbild, einer vernünftigen Erklärung und einem festen Stand. Ein fester Stand ist nicht dasselbe wie der Versuch, ein Kind zu kontrollieren. Wenn Eltern einen festen Stand einnehmen, dann haben sie die Kontrolle über sich selbst, nicht über das Kind. Sie sagen dann nicht zum Kind: »Du machst jetzt, was ich dir sage!« Sondern: »Wir werden tun, was wir sagen!«

Die moralische Basis für diesen festen Stand ist das Pflichtgefühl der Eltern. Leider haben viele Eltern heute die Fähigkeit verloren, mit klarer und fester Stimme zu sagen: »Es ist meine Pflicht!« Dieser Satz tut vielen Eltern in den Ohren weh. Pflicht ist zu einem unpopulären, steifen, blechernen Begriff geworden, so wie die schnarrende Stimme eines altmodischen Schulmeisters. Viele Eltern versuchen es eher mit Überzeugungskraft, mit Belohnungen oder sogar mit Bestechung. Was aber, wenn sich das Kind nicht überzeugen lässt? Oder wenn sich jeder Überzeugungsversuch zu einer endlosen Diskussion auswächst? Um das zu vermeiden, müssen Eltern einen festen Stand einnehmen, an dem sich auch durch Fragen, Tricks und Proteste nicht rütteln lässt, und der auf dem Pflichtgefühl beruht, das aus der Sorge und der Verantwortung für das Kind erwächst. Genauso wie wir in der Mathematik unverrückbare Axiome haben, brauchen wir sie auch in der Erziehung. Die elterliche Pflicht ist das »Axiom«, auf das sich eine gesunde und stabile Eltern-Kind-Beziehung gründet. Eltern mit einem vagen oder zögerlichen Pflichtgefühl hindern ihre Kinder daran, Stabilität zu erleben. Dann wird das Familienschiff ohne Anker hin- und hergeworfen.

Wenn Eltern sagen: »Es ist unsere Pflicht!«, dann bringt das etwas ganz anderes zum Ausdruck als wenn sie sagen: »Du machst jetzt gefälligst, was wir dir sagen!« Kinder streben von Natur aus Autonomie an. Deshalb kollidiert die Botschaft »Du machst jetzt, was ich sage!« mit ihrem inneren Bedürfnis. Viele Kinder reagieren allergisch auf Befehle und Drohungen. Kein Wunder, dass es manchen Eltern dann so vorkommt, als mache es den Kindern geradezu Spaß, ihnen nicht zu gehorchen! Was diesen Kindern jedoch eigentlich Spaß macht, ist die Entdeckung, dass sie einen eigenen Willen haben, den die Eltern nicht verbiegen können.

Kinder, die den Befehlen ihrer Eltern nicht gehorchen wollen, zeigen drei typische Verhaltensweisen:

Frechheit,

Gleichgültigkeit,

innere Wut.

Frechheit ist der offene und unverhohlene Ausdruck der Ablehnung der Wünsche und Regeln der Eltern. Manchmal schreit das Kind die Eltern an oder zuckt einfach nur mit den Schultern, um seine spöttische Zurückweisung zum Ausdruck zu bringen.

Gleichgültigkeit ist eine ausgeklügelte Form des Widerstands: Die Worte der Eltern prallen am Kind ab. Zum Beispiel indem es die Befehle der Eltern ignoriert, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Vielleicht rollt es nur verächtlich die Augen.

Die schlimmste Reaktion besteht darin, dass das Kind sich nach innen kehrt, die Lippen zusammenpresst und ein steifes Genick macht. Diese körperlichen Reaktionen bringen eine zunehmende innere Wut zum Ausdruck und die Entschlossenheit, dem Willen der Eltern zu trotzen oder sich sogar an ihnen zu rächen. Wenn man Kinder mit der Botschaft konfrontiert: »Du musst tun, was ich sage«, haben sie nur zwei Möglichkeiten: zu gehorchen oder zu rebellieren. Ganz anders hingegen klingt die Botschaft: »Es ist unsere Pflicht, für dich zu sorgen!« Damit bekommt das Kind eine positive Gelegenheit, sich anders zu verhalten, als wenn es sich um blinden Gehorsam handeln würde.

Tagtäglich kämpfte Moira, die Mutter von Liz (13), mit ihrer Tochter wegen der Hausaufgaben, aber das Mädchen klebte förmlich an den sozialen Netzwerken. Sie ging immer später schlafen und war morgens oft nicht imstande, aufzustehen. Moira erklärte, schrie, drohte und strafte. Sie strich ihrer Tochter das Taschengeld und verdonnerte sie zu Hausarrest, ohne Erfolg. Wenn Moira versuchte, den Computer abzuschalten, während Liz davorsaß, reagierte diese mit Gewalt.

Als Liz’ Eltern zum Eltern-Trainingsprogramm kamen, war Moira von den unaufhörlichen Kämpfen und Liz völliger Verweigerung jeglicher Bitte oder Forderung zutiefst erschöpft. Der erste Punkt der Programmtagesordnung bestand darin, Moiras Selbstbeherrschung wiederherzustellen. Sie lernte, sich angesichts der Provokationen ihrer Tochter zurückzuhalten und ihre Reaktionen zu verzögern. Ronny, der Vater, bekam die Rolle zugeteilt, Moira in ihrer Haltung beizustehen.

Die Eltern gingen zu Liz ins Zimmer und sagten: »Uns ist klar, dass du nicht kontrolliert werden kannst. Wir können weder dein Mundwerk noch deine Hände oder deine Füße kontrollieren. Aber wir können uns selbst kontrollieren, und es ist unsere Pflicht, dich nicht mit Dingen zu versorgen, die dir schaden. Dieses ständige Surfen im Internet, das wir dir bisher erlaubt haben, ist für dich zu einer Quelle des Schadens geworden. Wir dürfen dir nichts geben, was dir schadet!«

Nach dieser Erklärung verließen sie das Zimmer. Zwei Tage später stellte Liz verblüfft fest, dass ihr Internetzugriff gesperrt und das Modem aus ihrem Zimmer entfernt worden war. Sie konnte zwar nach wie vor bei ihren Freunden oder auch am Computer ihres Bruders surfen, aber diese Optionen waren begrenzt und unbequem. Sie protestierte, weinte und drohte, aber die Eltern, die angeleitet worden waren, solchem Druck standzuhalten, blieben hart.

Einige Tage später wurde auch Nancy einbezogen, eine Freundin der Familie, die zu Liz eine gute Beziehung hatte. Sie ließ das Mädchen wissen, dass sie eine kooperative Lösung finden wolle, die Liz’ Selbstachtung nicht beeinträchtigen, und ihr zugleich erlauben würde, wieder mit ihrem Umfeld klarzukommen. Zunächst gab Liz sich desinteressiert. Einige Tage später rief Nancy sie an und betonte abermals die Sache mit der Wahrung ihrer Würde. Dieses Mal war Liz einverstanden. Allein die Erwähnung ihrer Würde, die es zu wahren galt, schenkte ihr das Gefühl, dass es abgesehen von Nachgeben oder Rebellion noch eine dritte Möglichkeit geben könnte.

Nancy bot Liz an, ein paar Tage lang nach der Schule zu ihr zu kommen, um die Lage zu Hause zu entspannen und ihre versäumten Schulaufgaben aufzuarbeiten. Das ermöglichte Liz, eine Form von Kooperation zu erleben, die sich nicht wie eine Niederlage anfühlte und auch nicht so, als ergebe sie sich den Bedingungen ihrer Eltern. Einige Tage später sagte ihre Mutter zu ihr: »Wir sind stolz auf dich! Wir betrachten deine Initiative, deine Schulversäumnisse mit Nancy nachzuholen, als wichtigen Schritt.«

Ronny einigte sich mit Liz auf zwei Punkte: Erstens sollte sie wieder im Internet surfen und auf ihren Computer zugreifen können, und zweitens wollte er jeden Nachmittag um 16 Uhr kurz mit ihr telefonieren. Er notierte diese...

Erscheint lt. Verlag 12.8.2024
Verlagsort Göttingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte aggressive Jugendliche • Aggressive Kinder • Ängstliche Kinder • Autorität • Computersucht • Elterliche Autorität • Eltern • Eltern-Kind-Beziehung • Erziehung • Familie • Mobbing • Neue Autorität • Ratgeber • Systemische Beratung • Systemische Therapie
ISBN-10 3-647-99313-1 / 3647993131
ISBN-13 978-3-647-99313-3 / 9783647993133
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