Interprofessionelle Pflegearbeit -  Nina Fleischmann

Interprofessionelle Pflegearbeit (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
145 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042435-7 (ISBN)
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Im Gesundheitswesen werden die Versorgungsbedarfe immer komplexer. Eine Berufsgruppe allein kann eine qualitativ hochwertige Versorgung nicht (mehr) gewährleisten. Für eine umfassende und personenorientierte Versorgung ist eine aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit heute und zukünftig essenziell. Als größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen übernehmen Pflegefachpersonen in allen Settings der Versorgung wichtige Aufgaben. Sie haben den dichtesten Kontakt zu Patientinnen und Patienten in allen Phasen menschlichen Lebens und sind primäre Ansprechpersonen für Belange aller Art. Sie begleiten in akuten wie in dauerhaften Pflegesituationen und den verschiedenen Settings gesundheitlicher Versorgung. Im Rahmen dessen widmet sich dieser Band der Interprofessionalität in der Pflege, wobei Konzepte zur interprofessionellen Zusammenarbeit und Kommunikation vorgestellt werden.

Prof. Dr. Nina Fleischmann, Professorin für Pflegewissenschaft an der Hochschule Hannover.

1          Professionalität und Interprofessionalität


Professionalisierung steht für beruflich qualifiziertes Pflegehandeln auf der Basis fachlicher und wissenschaftlicher Grundlagen. Pflegefachpersonen als professionell Handelnde stellen ihre berufliche Autonomie und die Bedeutung pflegerischer Arbeit für die Gesellschaft heraus. Ziel dieses ersten Kapitels ist es, den Professionalisierungsprozess beruflicher Pflege nachzuzeichnen. Dazu werden Begriffe wie Arbeit, Beruf und Profession geklärt und unterschiedliche Professionalisierungsansätze aufgezeigt. Daran schließen sich Betrachtungen an, wie sich Professionalisierungsmerkmale für den Pflegeberuf zeigen. Zur Interprofessionalität werden Begriffe geklärt und die Einordnung und Relevanz im Gesundheitssystem vorgenommen.

Praxisbeispiel


»Pflege braucht Forschung, Innovation und Professionalisierung« betitelt der NDR einen Fernsehbeitrag, den Lukas Hellweg1 in der Mediathek entdeckt. Alle drei Begriffe hat Lukas Hellweg im ersten Semester seines Studiums zum Pflegefachmann schon mal gehört – aber was bedeutet Professionalisierung genau? Wie wird das in einem Fernsehbeitrag verstanden und unterscheidet sich das von Verständnis des Pflegeberufs? Lukas Hellweg recherchiert in einer Fachzeitschrift und findet die berufssoziologische Perspektive mit verschiedenen Blickwinkeln auf das Konstrukt Profession und was den Weg von einem Beruf zu einer Profession ausmacht. Professionalisierung hat mit Akademisierung, Autonomie und Kontrolle, Selbstverwaltung und Sozialprestige zu tun. Lukas Hellweg stellt fest, dass es wichtig ist, sich zunächst mit dem eigenen Beruf und Professionalisierungsgrad zu befassen, bevor man ins interprofessionelle Handeln kommt: vor Interprofessionalität kommt Professionalität.

1.1       Arbeit, Beruf, Profession und Professionalisierung – eine Begriffsbestimmung


Professionalität

Im allgemeinen Verständnis ist ein Profi eine Person, die sich mit einer Sache besonders gut auskennt, diese sehr gut beherrscht und viel Erfahrung hat. Häufig wird das auch mit beruflichen Fähigkeiten verbunden, zum Beispiel die Kompetenz eines erlernten Tischlerberufs im Unterschied zur Hobbyheimwerkerei. Im Sport sind Profis die Athletinnen und Athleten, die den Sport professionell ausüben und dafür (in der Regel) entlohnt werden. Profisportlerinnen und -sportler haben zumeist jahrelang trainiert und Zeit und Mühe investiert, um auf höchstem Niveau den Sport auszuüben.

Alltagsweltlich ist mit der professionellen Tätigkeit die Qualität oder Güte des Handelns gemeint, nicht aber die Art und Weise des Handelns selbst (Helsper, 2021). Was heißt Professionalität im Kontext beruflicher Pflege? Und was unterscheidet Professionalisierung davon?

Arbeit, Beruf und Profession

Zur Beantwortung dieser Fragen braucht es zunächst eine Erklärung der Begriffe Arbeit, Beruf und Profession. Die Berufssoziologie versteht Arbeit als den planmäßigen Einsatz des individuellen Arbeitsvermögens zur Abdeckung einer Bedürfnislage (Fleischmann, 2009). Arbeit wird bestimmt als Inanspruchnahme von Zeit und Anstrengung. Sie kann dabei technische oder soziale Bezüge aufweisen und unterscheidet Erwerbsarbeit und Sorgearbeit (Helsper, 2021). Beruf hingegen bezieht sich darauf, welche Organisationsform und Struktur eine Arbeit benötigt, um auf dem Markt Bestand zu haben. Abgrenzbare Fähigkeiten und spezifisches Wissen werden institutionell im Rahmen einer Ausbildung eingeordnet. Ein Beruf wird über einen längeren Zeitraum ausgeübt. Ein Berufsinhaber hat in dieser subjektorientierten soziologischen Sicht ein spezielles Arbeitskraftmuster. Neuerungen in diesem Muster erfolgen zumeist als Reaktion auf gesellschaftliche Problemlagen oder aktuelle Entwicklungen (Fleischmann, 2009).

Professionen sind eine besondere Art von Berufen. Vor 120 Jahren hat Spencer den Begriff der Profession erstmalig verwendet und als ein wesentliches Merkmal zivilisierter Gesellschaften beschrieben. 1939 entwickelte der Soziologe Parsons den Begriff weiter. Professionen repräsentieren für ihn zentrale Werte wie Bildung, Gerechtigkeit, Gesundheit und Wahrheit (Wilkesmann & Falkenberg, 2021). Professionen beruhen auf der Basis des handlungswissenschaftlichen Wissens und verbinden damit Theorie und Praxis (Mahler et al., 2014).

Professionalisierung

Professionalisierung beschreibt demzufolge den Prozess, aus dem aus einem Beruf eine Profession wird. Profession und Professionalisierung als Begriffe finden sich recht häufig in der wissenschaftlichen Analyse und in berufspolitischen Debatten und folgen bestimmten Struktur- und Interaktionslogiken, die in diesem Kapitel erläutert werden.

Neben der Professionalisierung als soziologisches Konstrukt stellt sich auch die Frage, was professionelles Pflegehandeln ausmacht. Berufliche Pflege ist im Kern Arbeit in und am Menschen im Kontext grundlegender menschlicher Bedürfnisse, Krisen und Destabilisierung sowie physischen und psychischen Wohlbefindens. In der Tätigkeit ist das Gegenüber eine selbst deutende, erlebende und interpretierende Person, weshalb der individuelle Fallbezug eine besondere Rolle spielt. Insbesondere im Kontext dieses Themenbands, das die interprofessionelle Pflegearbeit in den Mittelpunkt stellt, ist die Integration von Bezugswissen aus anderen Disziplinen wichtig. Es geht mehr um Integrieren statt Separieren, mehr Kooperation anstatt Abgrenzung und weniger Streit, welche Berufsgruppe welche Tätigkeit durchführt, sondern wer mit welchen Konzepten zum Wohl der Patientinnen und Patienten wann handelt. Bestehende Konzepte sollen hierbei reflektiert angewendet und nicht einfach nur übernommen werden. Dazu sind begleitenden Bildungsmaßnahmen notwendig und der Hintergrund bestehender Organisationsmöglichkeiten zu beachten. Reines Regelwissen ersetzt das Erfahrungswissen nicht. Im professionellen Pflegehandeln ist ein Gleichgewicht aus beiden Wissensformen zu finden und auf den individuellen Fall anzuwenden. Dabei gilt es, Handlungsalternativen zu ermitteln, Optionen zu diskutieren und abzuwägen und Begründungen zu formulieren – dies macht kritisches Pflegedenken und -handeln aus (Isfort, 2003).

Gemeinsam in einem Team das Handeln, was in der jeweiligen Situation für die Patientenversorgung nötig ist, in den Mittelpunkt zu stellen und dabei auf der Basis gegenseitiger Anerkennung sich von traditionellen und historisch gewachsenen beruflichen Rollenbildern zu lösen, zeigt den Weg zu einer modernen und sicheren gesundheitlichen Versorgung.

Professionelle Identität

Von der Professionalisierung abzugrenzen ist der Begriff der professionellen Identität. Dieser beschreibt den inneren Kompass, der Pflegefachpersonen bei ihrer Arbeit leitet. Professionelle Identität wird als bedeutsam für eine hohe Selbstwirksamkeit im beruflichen Handeln, präventiv zum Burn-out sowie förderlich für interprofessionelle Zusammenarbeit eingeschätzt. In einer Vergleichsstudie mit australischen Pflegefachpersonen zeigt sich die professionelle Identität bei deutschen Pflegefachpersonen in einem ausgeprägten Pflichtgefühl als zentraler Entscheidungsparameter im beruflichen Handeln. Pflegefachpersonen versuchen, das Recht auf Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten zu wahren. Als weiterer Anteil der professionellen Identität zeigt sich eine Unsicherheit, sich häufig in rechtlichen Grauzonen zu bewegen im Kontext defizitärer Strukturen und Zuständigkeiten. Im Gegensatz zu den australischen Pflegefachpersonen können die deutschen Pflegefachpersonen nicht auf etablierte Strukturen wie das Nursing and Midwifery Borad mit Rahmenbedingungen und Kodizes zurückgreifen. Die Identität wird maßgeblich von über Jahrzehnte vorgelebte Praxis als historisch gewachsen bestimmt und durch Praxisvorbilder vorgelebt und sozialisiert. Die Arbeitsweise von Pflegefachpersonen ist oftmals durch Fremdbestimmung gekennzeichnet. Standards und (abrechnungsrelevante) Vorgaben begründen eher das Handeln als Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten. Die Etablierung einer analytischen Arbeitsweise ist bisher kaum gelungen (Flaiz, 2019).

Professionalisierungsansätze

Für viele Berufe innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens scheint es verlockend und aussichtsreich, den Prozess der Professionalisierung zu durchlaufen. Begründet wird dies mit einer besseren Leistungsvergütung, mehr beruflicher Handlungsautonomie sowie der Kontrolle von Zugang zu und Inhalten von Aus- und Weiterbildung. Professionalisierung wird neben den Gründen inhaltlicher Verbesserung auch als berufspolitisches Programm genutzt. Wenige Berufe haben dies auf der Basis eines historischen Prozesses erreicht. Idealtypen sind Medizin, Theologie und Jura (Klemmt, 2022).

Warum Professionalisierung?

Berufe wollen bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. Durch eine Professionalisierung können sie sicherstellen, dass die Berufsinhaber...

Erscheint lt. Verlag 17.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
ISBN-10 3-17-042435-1 / 3170424351
ISBN-13 978-3-17-042435-7 / 9783170424357
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