Lehrbuch Öffentliche Gesundheit -

Lehrbuch Öffentliche Gesundheit (eBook)

Grundlagen, Praxis und Perspektiven
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
608 Seiten
Hogrefe AG (Verlag)
978-3-456-76028-5 (ISBN)
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Die bestmögliche Vorbereitung auf das Heute und auf künftige Herausforderungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst Der fachliche Hintergrund der Öffentlichen Gesundheit ist multidisziplinär, an der praktischen Umsetzung sind unterschiedliche Professionen beteiligt. Zudem ist die komplementäre und kooperative Vernetzung mit dem in den deutschsprachigen Ländern neu etablierten Bereich von Public Health zu gewährleisten und aktiv zu gestalten. Dies stellt komplexe Anforderungen an den ÖGD und die Wissenschaftspartner. Erstmalig im deutschsprachigen Raum schlägt dieses Werk nun eine Brücke zwischen Theorie und Praxis im Bereich des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Neben den grundlegenden Prinzipien, Orientierungswissen und querschnitt­lichem Handlungswissen werden spezifische Kenntnisse und Fertigkeiten anhand von Fallbeispielen und konkreten Lösungsmöglichkeiten vermittelt, die für eine verantwortungsbewusste und qualitätsorientierte Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst unerlässlich sind. Durch konsequent strukturierte Kapitel und vernetzte Bezüge zwischen den Kapiteln wird ein vertieftes Verständnis ­ge­fördert. Evidenz- und wertebasiert sowie qualitätsorientiert bietet dieses ­umfassende Lehrbuch die bestmögliche Vorbereitung auch auf künftige Herausforderungen. Dieses Buch kann sowohl kapitelweise für gezieltes Lernen als auch als Ganzes für einen umfassenden Überblick genutzt werden. Die Berücksichtigung des föderalen Aufbaus in Deutschland und des bundesweit gültigen Leitbildes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst ermöglicht eine ­länderübergreifende Perspektive, die auch auf Österreich und die Schweiz ausgeweitet wird. Dieses Lehrbuch spricht dabei nicht nur Ärztinnen und Ärzte und ­weitere Fachkräfte im Öffentlichen Gesundheitsdienst an, sondern auch Medizinstudierende, Gesundheitswissenschaftlerinnen und Gesundheitswissenschaftler, Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler sowie alle an den Aufgaben des ÖGD Interessierte. .

|19|1  Öffentliche Gesundheit/Public Health: die Gesundheit der Bevölkerung


1.1  Einführung


Manfred Wildner und Gottfried Roller

Gesundheit hat vielfältige Facetten und diese Vielfalt ist Programm. Die unterschiedlichsten Dimensionen menschlichen Lebens spiegeln sich darin: Leben verstanden als ein komplexer, sich dynamisch entwickelnder und in Teilen neu erfindender, zugleich individueller und sozialer Prozess, eingebettet in ein ökologisches Netzwerk großer räumlicher und zeitlicher Reichweite. „Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will“ (Albert Schweitzer). Menschliche Gesundheit, verstanden als Gesundheit des Einzelnen wie auch als die Gesundheit einer Bevölkerung, ist damit als dynamischer Prozess, nicht als stationärer Zustand zu verstehen. Der wohl prominenteste Vertreter dieses Konzepts ist der amerikanische Soziologe Aaron Antonovsky, der die Gesundheit eines Menschen zu einem definierten Zeitpunkt als Prozess und temporären Balancepunkt eines Kontinuums versteht, mit fließenden Übergängen zwischen Gesundheit und Krankheit, die daher auch nicht als dichotomes, binäres Zustandspaar „gesund/krank“ verstanden werden. Eine mögliche Analogie wäre die eines Spiels, das im zeitlichen Verlauf verschiedene Spielstände haben und Situationen mit teilweise unerwarteten Wendungen aufweisen kann.

Bezogen auf den einzelnen Menschen definiert die 1946 verabschiedete Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) das Ideal der Gesundheit als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ (WHO, 1948). Diese Definition ist als „utopisch“ kritisiert worden: als ein Ziel, das in der tatsächlichen Welt an keinem Ort (griechisch: u-topos) längerfristig zu realisieren ist. Diese Kritik ist berechtigt bezogen auf die in der allgemeinen Lebenserfahrung anzutreffenden Realitäten. Sie ist gleichzeitig ungerechtfertigt bezogen auf die Funktion dieser Definition als übergreifende Zielsetzung individueller und auch gemeinschaftlicher Anstrengungen: Eine solche Zielsetzung darf unerreichbar sein, um ihrer Funktion der langfristigen Orientierung gerecht zu werden. Historische und prähistorische Betrachtungen lehren uns, dass Gesundheit kein „natürlicher“ Zustand im Sinne des einfachen, ungehinderten Geschehenlassens ist, sondern in erheblichem Maß auch das Ergebnis menschlicher Anstrengung: Der Mensch ist von seiner Natur aus ein Kulturwesen (Konrad Lorenz). Etwas entschärft wurde diese utopische Definition von der Weltgesundheitsorganisation in ihrer Strategie „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“ aus dem Jahr 1977 durch das soziale Grundsatzziel eines Gesundheitsniveaus, das „ein gesellschaftlich aktives und wirtschaftlich produktives Leben“ erlaubt (WHO, 1984). Dies kommt der sozialrechtlichen Definition von Gesundheit bzw. Krankheit durch das Bundessozialgericht (BSG) näher: „Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist Krankheit ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der behandlungsbedürftig ist oder den Versicherten arbeitsunfähig macht.“ (Bundessozialgericht, 1972, 2015, 2018).

Doch dürfen wir überhaupt von „der“ Gesundheit sprechen, als einem Begriff in der Einzahl? Ist Gesundheit nicht genauso vielfältig wie das Leben selbst und damit eigentlich ein Begriff im Plural? In einem medizinsoziologisch inspirierten Konzept ist „Gesundheit […] das Ergebnis einer gelungenen, Krankheit einer nicht gelungenen Bewältigung von inneren und äußeren Anforderungen“ (Franzkowiak & Hurrelmann, 2018). Menschliches Leben ist bunt und enthält damit in der Vielfalt seiner Lebensentwürfe auch eine Vielfalt an „Gesundheiten“ körperlicher, geistiger und sozialer Art in ihren jeweiligen Kontexten und Lebensumwelten: die Gesundheit einer Pianistin mit ihren hohen Ansprüchen an Feinmotorik und Gehör ebenso wie die Gesundheit eines profes|20|sionellen Fußballspielers mit hoher auch kardiovaskulärer Belastbarkeit, einer Pflegefachkraft oder eines theoretischen Physikers mit ihren jeweils eigenen gesundheitlichen Prioritäten, die zudem auch subjektiv mitbestimmt werden.

Diesen individuellen Lebensentwürfen und den damit verbundenen bio-psycho-sozialen Interaktionen, die von genomischen Wechselwirkungen über interpersonelle Interaktionen im kleineren Rahmen bis zu individuellen und gruppenbezogenen Wechselwirkungen mit der natürlichen und menschengemachten soziokulturellen Umwelt reichen, kann die (Individual-)Medizin nur begrenzt entsprechen. Individualmedizin kann Großes in der Prävention, Diagnose, Therapie und Rehabilitation von Erkrankungen leisten, mit Fokussierung auf die bio-psycho-sozialen Besonderheiten eines einzelnen Menschen und geprägt durch ihr jeweiliges wissenschaftliches und kulturelles Krankheitsverständnis. Sie stößt an Grenzen, wenn die Bereiche der gemeinschaftlich verantworteten Lebenswelten berührt werden: Essgewohnheiten, Sozial- und Risikoverhalten in Beruf und Freizeit sind beispielsweise stark von gesellschaftlichen und kulturellen Normen, Gewohnheiten und Angeboten mitgeprägt und fügen sich nur bedingt ärztlichem Rat oder individuellen Wunsch- und Wertvorstellungen. Auch die Angebote der gesundheitlichen Versorgung selbst werden zumeist gemeinschaftlich, oftmals regulatorisch gestaltet: die Infrastruktur der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung und ihre Finanzierung, der Zugang zu diesen Angeboten, in der Konsequenz daraus auch ihre Qualität. Um die Analogie eines Spiels auch für diese regulatorische Rahmensetzung noch einmal aufzugreifen: Die kollektiv vereinbarten Spielregeln entscheiden, ob z. B. ein Ballspiel als Volleyball, Handball oder Fußball abläuft – mit dann jeweils auch unterschiedlichen gesundheitlichen Auswirkungen.

Damit tritt in notwendiger komplementärer und korrespondierender Ergänzung zur Individualmedizin der Ansatz der Bevölkerungsgesundheit und Bevölkerungsmedizin bzw. Öffentlichen Gesundheit auf den Plan, im internationalen Kontext auch als Public Health bezeichnet. In der auch von der Weltgesundheitsorganisation verwendeten Definition ist Public Health als Sorge um die Öffentliche Gesundheit „die Wissenschaft und Praxis der Prävention von Krankheiten, der Verlängerung des Lebens und der Förderung der Gesundheit durch organisierte Anstrengungen der Gesellschaft“ (s. a. Acheson, 1988; WHO, 2011; Winslow, 1920). In den sich überschneidenden Begriffen von Bevölkerungsgesundheit und Öffentlicher Gesundheit/Public Health, die im Weiteren vereinfachend als Synonyme verwendet werden, findet sich ein gemeinsamer Kern: die Fokussierung auf Gesundheit und Wohlbefinden und nicht nur eine Krankheitsorientierung, die Bedeutung der sozioökonomischen menschlichen (Selbst-)Organisationsformen für die Gesundheit sowie in der Konsequenz daraus eine über die medizinischen Kerndisziplinen hinausreichende Methoden- und Professionen-Vielfalt. Die Aufgabe von Public Health ist mit der kurzen Formel „Bedingungen schaffen, in denen Menschen gesund sein können“ treffend beschrieben worden (Institute of Medicine, 1988). Diese kurze Formulierung enthält die Einsicht in die Bedeutung der natürlichen und sozialen Lebensbedingungen für die Gesundheit und die Erkenntnis, dass diese Bedingungen „geschaffen“ werden können, mithin von uns Menschen ein Stück weit mit verantwortet werden. Zudem findet sich ein ganzheitlicher Fokus auf die menschliche Gesundheit (salutogenetische Perspektive) und nicht primär auf die Entstehung oder die Abwehr von Krankheit (pathogenetische Perspektive) (Antonovsky, 1987). Nicht zuletzt ist auch ein freiheitlicher Ansatz formuliert: gesund sein können, nicht müssen. Damit wird eine klare Absage an eine allzu wohlwollende Bevormundung erteilt („Gesundheitsdiktatur“, „Gesundheitsfaschismus“) und neben dem gemeinsamen Streben nach mehr Gesundheit steht gleichzeitig auch die Achtung der Freiheit der Einzelnen....

Erscheint lt. Verlag 8.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Allgemeines / Lexika
ISBN-10 3-456-76028-0 / 3456760280
ISBN-13 978-3-456-76028-5 / 9783456760285
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