Pflegeforschung (eBook)
259 Seiten
UTB GmbH (Verlag)
978-3-8463-6231-0 (ISBN)
Markus Wübbeler ist Professor für Klinische Pflegeforschung an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Seine Forschungsschwerpunkte sind die evidenzbasierte Praxis, klinische Studien und die digitale Pflegeentwicklung.
Vorwort 8
1 Pflegeforschung überblicken 10
1.1 Entwicklung und Aufgaben der Pflegeforschung14
1.2 Arten der Pflegeforschung und verwandte Wissenschaftsbereiche16
1.3 Evidence-based Nursing25
2 Pflegeforschung verstehen 35
2.1 Wissenschaftstheoretische Grundüberlegungen35
2.1.1 Erkenntnisgewinn35
2.1.2 Wissenschaftstheoretische Grundlagen der Pflegeforschung42
2.2 Quantitative Pflegeforschung57
2.2.1 Quantitative Erhebungsmethoden57
2.2.2 Quantitative Forschungsdesigns und Studientypen63
2.2.3 Quantitative Auswertungsmethoden71
2.2.4 Merkmale quantitativen Forschens80
2.2.5 Forschungsbeispiele102
2.3 Qualitative Pflegeforschung106
2.3.1 Grundannahmen: Subjektivität, Zirkularität, Rekonstruktion106
2.3.2 Gütekriterien in der qualitativen Forschung112
2.3.3 Studiendesigns: Explorative Studien, Deskriptive Studien, Evaluationsstudien118
3 Pflegeforschung vertiefen 123
3.1 Statistik in der Pflegeforschung123
3.1.1 Stichproben für statistische Aussagen125
3.1.2 Statistische Auswertung139
3.2 Pflegeforschung vertiefen: Qualitative Forschung187
3.2.1 Erhebungsverfahren187
3.2.2 Qualitative Auswertung197
3.2.3 Mixed-Methods Forschungsansätze215
3.3 Evidenzbasierte Praxis: Die Rolle von (klinischen) Studien in der Gesundheitsversorgung217
IV Pflegeforschung anwenden 223
4.1 Forschungsstrukturen223
4.2 Projektmanagement in der Forschung227
4.3 Wissen finden, zusammenfassen und verstehen231
4.4 Verwendung von Forschungsergebnissen247
Literatur 252
2Pflegeforschung verstehen
Die Methoden der Pflegeforschung sind Teil eines übergeordneten Wissenschaftsverständnisses. Dieses Verständnis setzt sich aus Grundüberlegungen zum Erkenntnisgewinn, der Wissenschaftskritik, dem Anspruch zur Wahrheitsfindung und dem Aufbau des Forschungsprozesses zusammen. Daraus lassen sich konkrete Wegmarken zur wissenschaftlichen Arbeit, beginnend mit dem Erkenntnisinteresse, der Aufstellung einer Fragestellung, der Erhebung und Interpretation von Daten und schließlich den Grenzen des Forschungsprozesses ableiten. Dieses Kapitel bietet einen ersten Überblick zu den wissenschaftlichen Grundpositionen und soll helfen, sich im Dickicht komplexer wissenschaftlicher Regelwerke anhand übergeordneter Prinzipien orientieren zu können.
2.1 Wissenschaftstheoretische Grundüberlegungen
2.1.1 Erkenntnisgewinn
Die genauere Betrachtung des Wortes „Wissen(schaft)“ weist auf die zentrale Aufgabe hin, mit der sich die Forschung beschäftigt: dem Erkenntnisgewinn. Ziel der Wissenschaftstheorie ist es wiederum, Informationen zum „Wie“ dieses Weges zu liefern. Wie muss also Wissenschaft aufgebaut sein, damit wir verlässliche Erkenntnisse gewinnen können? Die Wissenschaftstheorie beantwortet damit sehr allgemeine Fragen zum wissenschaftlichen Vorgehen. Wissenschaftstheoretiker*innen haben sich z. B. der Frage gewidmet, ob bzw. auch wann sich sagen lässt, dass der Erkenntnisgewinn in einem Teilgebiet (z. B. einer naturwissenschaftlichen Theorie) abgeschlossen ist.
Generell ist zu konstatieren, dass die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse nach Regeln und Systematiken verläuft. Damit unterscheidet sich diese Art der Erkenntnisgewinnung von dem (eher zufälligen) Lern- oder Entdeckungsprozess einer einzelnen Person. Da Menschen jeden Tag neue Dinge lernen, vielleicht sogar überraschende Beobachtungen machen, ist es wichtig, den Unterschied zwischen Wissenschaft und zufälligen Beobachtungen bzw. einem individuellen Lernprozess zu definieren.
2.1.1.1 Suche nach Zusammenhängen
Wird von Wissenschaft gesprochen, so wird in der Regel nach Zusammenhängen gesucht, die auf viele Situationen (z. B. Pflegesituationen, Klimawandel, Wirtschaft) zu übertragen sind. Wenn Erkenntnisse auf viele Situationen übertragbar sind, werden diese Informationen für viele Menschen relevant. Dieses Wissen kann dann z. B. genutzt werden, um Vorhersagen zu treffen. Vorhersagen bedeuten, dass – wenn spezifische Bedingungen oder Ereignisse zusammenkommen – ein erwartetes Folgeereignis eintritt.
Probabilistische Hypothese
Ein vereinfachtes Beispiel kann z. B. das Rauchen sein: Wenn eine Person über viele Jahre (I. Bedingung) Zigaretten raucht (II. Bedingung), wird sie wahrscheinlich an Krebs erkranken (Vorhersage). Da die meisten wissenschaftlichen Erkenntnisse, also z. B. eine Theorie zum Krebsrisiko, von Unsicherheiten begleitet werden, muss meistens mit Wahrscheinlichkeiten gearbeitet werden. Wenn sich ein Ereignis nicht mit absoluter Sicherheit vorhersagen, aber beobachten lässt, dass viel mehr Raucher an Krebs erkranken, nutzen wir Angaben zur Wahrscheinlichkeit.
2.1.1.2 Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Erkenntnissen
Wenn von dem Begriff Erkenntnisgewinn gesprochen wird, dann geht es – allgemein gesagt – entweder um einen individuellen und/oder einen kollektiven Entdeckungsprozess. Bei einem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ist ein kollektiver Entdeckungsprozess maßgeblich, wobei mit einem Kollektiv die größtmögliche Gruppe an Menschen gemeint ist. Im Unterschied dazu sind Erkenntnisgewinne, die im Alltag individuell von Menschen gemacht werden, häufig ungeplant und zufällig. Dabei ist es durchaus möglich, dass auch solche Erkenntnisse neu sind, damit sind sie aber noch nicht wissenschaftlich. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen transparent und damit überprüfbar sein. Um dies zu erreichen, muss der Weg zur Erkenntnis in seinem Ablauf vollständig transparent dargestellt sein. Es geht bei der Unterscheidung zwischen wissenschaftlichem und nicht-wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn also um den (sorgfältig dokumentierten) Entdeckungsprozess und die Neuartigkeit für das menschliche Wissen.
Um die Unterscheidung wissenschaftlicher von nicht-wissenschaftlichen Erkenntnissen deutlich zu machen, hilft die Betrachtung des Entdeckungsprozesses der Vererbungslehre: Theorien zur Vererbungslehre werden mit dem Namen Mendel (1822–1884) in Verbindung gebracht. Mendel konnte in seinen Untersuchungen zeigen, dass die Vererbung erkennbarer Merkmale (z. B. die Farbe einer Erbsenpflanze) spezifischen Regeln unterliegt (Buselmaier/Haussig 2018). Dadurch wurde es möglich, Vorhersagen über die Gestalt einer Pflanze zu treffen (u. a. Farbe, Blütenform), wenn die Ausgangsbedingungen bekannt sind. Dass es Merkmale gibt, die zwischen Generationen weitergegeben werden, war auch zum Zeitpunkt der Beschreibung von Mendels Theorie nicht ganz neu. Formulierungen in der deutschen Sprache wie „aus meinem eigenen Fleisch und Blut“ oder die Regeln zur Erbnachfolge in europäischen Königshäusern deuten darauf hin, dass die sogenannte Blutsverwandtschaft bereits damals bekannt war. Die Erkenntnisse von Mendel waren hingegen in ihrer Genauigkeit und Systematik neu, da er hierzu einen transparenten Untersuchungsprozess nutzte, der einen Versuchsaufbau mit genau beschriebenen Bedingungen enthielt. Dadurch konnte Mendel allgemeine Regeln zur Vererbungslehre aufstellen, die von anderen Personen wiederholt werden können und dann zu den gleichen Ergebnissen führen.
Im Laufe der Zeit haben sich unzählige Wissenschaftler*innen etabliert, die sich in den unterschiedlichen Fachgebieten (u. a. Biologie, Physik, Psychologie, Soziologie) jeweils ihren eigenen Fragestellungen widmen. Die Wissenschaftstheorie versucht einen Schirm über die unterschiedlichen Fächer und Vorhaben zu spannen (Metawissenschaft). Ziel ist es, einen Reflexionsprozess zu den unterschiedlichen Ansätzen des Erkenntnisgewinns zu erreichen: Wie also der Erkenntnisprozess gestaltet sein muss, damit fächerübergreifend Grundsätze verfolgt werden können (Wiltsche 2013).
2.1.1.3 Wissenschaftstheorie: Rationalismus und Empirismus
Wenn über die Ansätze der Wissenschaftstheorie gesprochen wird, muss auf die Anfänge dieser Diskussion hingewiesen werden. Diese Anfänge gliederten sich um eine vermeintlich gegensätzliche Positionierung der Wissenschaften: Wissenschaftsvertreter*innen, die Erkenntnisse primär durch Messungen und Beobachtungen (Empirie) gewinnen wollen, und solche, die sich primär der Logik und Vernunft zuwenden (Rationalismus). Vernunft bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Erkenntnisse auch primär dem Nachdenken entspringen können. Meist suchen Ansätze des Rationalismus nach den großen Zusammenhängen der Welt und sind daher für viele Menschen nicht leicht von philosophischen Diskussionen zu unterscheiden (Döring/Bortz 2016).
Vertreter*innen der Empirie gehen grundsätzlich davon aus, dass Menschen in der Lage sind, objektivierbare Beobachtungen zu treffen und daraus verlässliche Erkenntnisse zu gewinnen.
Mit objektivierbar ist gemeint, dass uns etwas umgibt (was wir Welt nennen), und dass wir dieses etwas (also die Welt) bzw. seine Gesetzmäßigkeiten auch mit Hilfsmitteln (Methoden, Technik) und Sinneseindrücken (z. B. Sehen, Tasten) erfassen können.
Diese Beobachtungen werden zur besseren Übersichtlichkeit meist in einer einheitlichen Berichtssprache ausgedrückt (Mathematik/Statistik). Damit wird ein Gegenstand nicht mehr mit primär sprachlichen Mitteln beschrieben (Beispiel: „Die Menschenmenge ist sehr groß und bewegt sich schnell.“), sondern in ein einheitliches Datenformat übertragen („Menschenmenge mit 120 Personen, Geschwindigkeit: 6 kmh“). Beobachtungen werden also durch Messungen wie Mengen und Maße ausgedrückt und dadurch für statistische Analysen zugänglich. Dabei erscheint uns die Übersetzung von Beobachtungen oder Ereignissen in Zahlen sehr plausibel und damit besonders aussagekräftig – also in gewisser Weise objektiv. Eine empirisch gewonnene Erkenntnis soll zunächst mit Beobachtungen/Messungen hinterlegt und ausgewertet werden, bevor diese Ergebnisse schließlich interpretiert werden. Dieses Hilfsmittel ist dabei nicht primär unser Geist, sondern es sind Daten, welche die Eigenschaften von etwas beschreiben. Eine Grundkritik an diesem Vorgehen erhoben Vertreter*innen des Rationalismus u. a. an dem Punkt, damit immer nur Teilausschnitte von einem Erkenntnisgegenstand abzubilden. Die intensivsten Diskussionen zu diesen Ansätzen (Empirismus vs. Rationalismus: Wer beschreitet den besseren Weg zur Erkenntnis?) wurden zu einer Zeit geführt, zu der es noch die sogenannten Universalgelehrten gab. Personen also, die sich mit vielseitigen Gebieten der Wissenschaft auseinandersetzen und eine Art der „Allwissenheit“ verkörpern. Ein Beispiel einer...
Erscheint lt. Verlag | 13.5.2024 |
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Reihe/Serie | Pflege studieren |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Pflege |
Schlagworte | Altenpflege • Altersheim • Deskriptive Statistik • Forschungsmethoden • Gesundheitsökonomie • Gesundheitsversorgung • Gesundheitswesen • Krankenhaus • Krankenpflege • Lehrbuch • nursing • Pflegeberufe • Pflegeheim • Pfleger • Pflegerin • Pflege studieren • Pflegewissenschaft • Prüfungsvorbereitung • Qualitative Forschung • Quantitative Forschung • Studium Pflegewissenschaft • Vertiefendes Lehrbuch |
ISBN-10 | 3-8463-6231-X / 384636231X |
ISBN-13 | 978-3-8463-6231-0 / 9783846362310 |
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