Psychodynamik der Liebe bei Kindern und Jugendlichen -  Damianos Korosidis

Psychodynamik der Liebe bei Kindern und Jugendlichen (eBook)

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2024 | 1. Auflage
196 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-041486-0 (ISBN)
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Die Liebe bewegt als universelles Grundgefühl jeden Menschen ein Leben lang. Besonders Kindheit und Jugend stehen unter ihrer schicksalhaften Macht. Für den Aufbau seelischer Struktur und damit auch für eine gesunde Entwicklung erscheint die Psychodynamik der Liebe wegweisend. Das Buch nähert sich dem Begreifen dieser existenziellen Kraft aus der Sicht einer psychodynamisch ausgerichteten Kinder- und Jugendlichentherapie. Es beschäftigt sich mit Themen wie Sexualität und Sinnlichkeit sowie der Suche nach Bezogenheit und Halt im Kosmos der Liebe in einer sich rasant verändernden Welt. Auch die Auseinandersetzung mit Aspekten wie Angst, Hass und Vertrauen kommt in zahlreichen Fallbeispielen zur Sprache. Dabei gibt das Buch einen praxisbezogenen Einblick, wie 'liebevolle' psychotherapeutische Arbeit mit Heranwachsenden gelingen kann.

Damianos Korosidis ist Analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in eigener Praxis und Dozent am Psychoanalytischen Institut Stuttgart.

Vorspiel – Entwicklungsraum der Liebe


Jeder Mensch kennt die Liebe, auch wenn er keinerlei Begriff von ihr hat, doch niemand kann sie wirklich begreifen oder wahrhaft erkennen. Von Anbeginn bildet die Liebe als Paar mit dem Tod, der ihr psychodynamisch sehr nahesteht, die Essenz unserer Lebenswelt. Alle Kräfte verblassen im Verhältnis zu diesen zwei Urgewalten. Dabei scheinen beide, Eros und Thanatos, ihr wahres Wesen umso mehr zu verschließen, je rationaler man ihnen begegnet.

Während ich dem Tod und dessen unheimlich umtreibender Psychodynamik für Heranwachsende anderweitig zu erforschenden Raum gewidmet habe (Korosidis, 2021), zeigen sich auch hier bereits die Schwierigkeiten in Bezug auf die Unergründlichkeit oder gar Definition der Liebe. Sie ist ein so schillernder, polarisierender und überstrapazierter Begriff, dass naiv-romantisierte Idealsierungen mit einem drohenden Abgleiten ins Kitschige genauso gefährlich erscheinen wie nüchtern-analytische Abstraktionen. Einerseits gibt es inzwischen eine Vielzahl von wissenschaftlich deterministischen Zugangswegen zur Natur der Liebe, wobei dem andererseits eine beinahe mystifizierende Haltung gegenübersteht, die jeglichen Forschungszugang zur Liebe als unangebracht und entweihend empfindet.

Ich werde mich ihr als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut wiederum mit der Art nähern, die sich seit ihren Anfängen damit empirisch tief beschäftigt: der psychodynamischen Wissenschaftskunst. Dabei werden hier im Weiteren keine Abhandlungen über die Frage auftauchen, ob Psychoanalyse als Wissenschaft oder doch eher als Kunst zu verstehen ist. Die Liebe mit all ihren schwer greifbaren Spielarten zwischen Unter- und Übertriebenem bildet von Anbeginn das Herzstück der Psychoanalyse und jegliche tiefenpsychologische Bemühung kann seit Freud als Entwicklungs- und Beziehungsarbeit an der Liebesfähigkeit, der Kunst des Liebens, gesehen werden. Angefangen bei Freuds monumentaler Aufdeckung der kindlichen »Psycho-Sexualität« mit der einhergehenden Zentrierung auf die libidinös-triebhafte Natur des Menschen und seines sinnlich-erotischen Wesens über die entwicklungspsychologischen Arbeiten zur frühesten Kindheit bis zu den weitreichenden Forschungen der Objekt-‍, Bindungs- und Ich- bzw. Selbstpsychologie:

Alles Psychodynamische widmet sich der Liebe und ist gewissermaßen eine Liebeserklärung.

Meine Haltung der Liebe gegenüber wird sich dabei spielerisch am vitalen Wachstum zwischen tiefster Verbundenheit und grenzenloser Freiheit orientieren, das Spielerische genauso wie das Empirische stehen hierbei für ihre basal existenzielle Dimension. Jegliche kreative Überlebenskraft speist sich schließlich aus einer spielerischen Gesinnung gegenüber unserem todernsten Dasein, wobei »ėm-peiria« in ihrem altgriechischen Ursprung »Erfahrung« bzw. »Wagnis« bedeutet und mitnichten etwas, was vermeintlich gesichertes Wissen schafft. Ein Buch über die Kraft der Liebe kann ohnehin nur mit persönlicher Note geschrieben sein und so wird meine individuelle Empirie unweigerlich in die folgenden Zeilen einfließen. Im Zusammenhang mit der Conditio Humana und dem unausweichlichen Spannungsfeld von Lust, Unlust und Verlust spreche ich dabei gerne von uns allen als »Patienten des Lebens«; diese existenziell-dynamische Haltung wird alle meine Ausführungen über die Liebe grundierend begleiten.

Leitend wird dabei der liebevoll gesunde Entwicklungsweg von Kindern und Jugendlichen sein, der gesäumt ist von den inneren und äußeren Einflüssen, die zu seelischen Störungen und psychischer Krankheit führen können. Ein Augenmerk meiner Darlegungen wird auf dem heutigen Zeitgeist und der aktuellen Bedeutung der Liebesthemen für Heranwachsende liegen. Aspekte wie Geschlechtsidentität, Internet und sexuelle Liebe, soziale Medien und die Suche nach Beziehungen, Verliebtheit und Liebeskummer, aber auch Grundthemen wie Angst, Hass, Vertrauen und Mitmenschlichkeit scheinen in einer modernen, sich rasant verändernden Welt bedeutsamer denn je.

Diese Zeilen schreibe ich während einer höchst dynamischen Zeit, in der zahlreiche Krisen die Menschen zutiefst bewegen. Nicht zuletzt Heranwachsende mag dabei das diffuse atmosphärische Gefühl beschleichen, die Welt habe sich verrückt und Liebe(n) erscheint verwirrender denn je! Natürlich ist der humane Weltenraum in seinem dynamisch resonanten Grunde von Anziehung und Abstoßung schon immer so gewesen und die weitreichenden Krisen mit all ihren Auswirkungen auf unsere sozialen und innerpsychischen Beziehungsstrukturen heben hierbei verdichtend unser tief dualistisches und erschütterbares Wesen hervor:

Welchen Spielraum aus Bezogenheit und Freiheit benötigt das Menschenkind, um nicht krank zu werden, und welches ist das angemessene bzw. gesunde Maß an Liebe? Wann ist es zu viel im Leben, wann zu wenig? Wann und ab wo ist besonders für Kinder und Jugendliche eine Grenze überschritten und es drohen zwischenmenschlich Vernachlässigungstendenzen auf der einen und übergriffige Missbrauchserfahrungen auf der anderen Seite?

Das vorliegende Werk versucht Antworten darauf zu finden, indem es sich der Liebe in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie mithilfe einer komprimierten Rundumschau über die Vielfalt der psychodynamischen Essentials zuwendet. Die entsprechende Diversität von analytischen und synthetischen Ausrichtungen will ich dabei als unerschöpfliche Reichhaltigkeit verstehen und mich einleitend auf einen einfachen therapeutischen Wesenskern konzentrieren: Wie kann der Mensch die Liebe im Sinne einer gesunden Entwicklung und Selbstwerdung er-kennenlernen?

Zu Beginn kann bereits festgehalten werden, dass es dafür natürlich Bezogenheit zur inneren und äußeren Welt bedarf. Aus psychodynamischer Sicht umweht beide Welten durchdringend das Unbekannte und so bedeutet Lieben im Leben immer auch Schicksal, Gefahr und Risiko, denn »niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben« (Freud, 1930, S. 214). Betrachtet man die Liebe in jeglicher Beziehung, dann sind neben Lustwonnen, Wohlwollen und Harmonie, tiefste Kränkung, Leid und Hass nicht weit. Insbesondere in der menschlichen Entwicklungsdynamik und entsprechend auch in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie erlebt man diese Polarität von Liebe und Hass mitunter unmittelbar. Nicht selten bewegen sich die Therapeuten dabei mit ihren jungen Patienten manifest weit weg von Liebevollem und bekommen in ihrer entsprechenden klinischen Arbeit bösesten Groll, vernichtende Feindseligkeit und ungefilterten Hass ab.

»Hast Du mich lieb?«, fragte mich mit Nachdruck einmal ein fünfjähriger Patient im Laufe seiner psychotherapeutischen Behandlung, nachdem er zum wiederholten Male mein Zimmer auf den Kopf gestellt hatte und auch mich wie so oft direkt angegangen war. Ich befand mich damals noch in meiner Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und ich weiß noch genau, in welche Bedrängnis mich diese einfache Frage in jener ohnehin aufgeladenen Situation gebracht hatte. Mir machte in diesem emotional dichten Moment meine therapeutische Haltung Sorge und wie ich darauf angemessen abstinent und neutral reagieren könnte. Spontan bin ich damals nickend darauf eingegangen und gab unbeholfen zurück: »Hast Du dich denn auch selbst lieb?«

Heute weiß ich, dass meine Reaktion insofern stimmig gewesen ist, da jeder Patient intuitiv mit diesen beiden einfachen Fragen auf die Welt und somit auch in eine Psychotherapie kommt: Werde ich geliebt und kann ich – vor allem mich selbst – lieben? So einfach ist das, nur gestaltet sich diese Ein‍(fach)‌heit für den Menschen als dualistisches, d. h. handelnd-erkennendes und behandelt-erkanntes Wesen höchst vertrackt sowie zutiefst verwickelt. Wo auch immer nämlich die Liebe hinfällt, sie fällt uns nicht andauernd in den Schoß!

Oder, wie formulierte es so eindrücklich mal ein 14-jähriger depressiver Jugendlicher nach einer tief enttäuschenden Liebesbeziehung: »Verdammte Liebe! Kommen Sie mir jetzt nicht damit! Ich hasse das!«

Wenn somit nachfolgend von der Dynamik der Liebe die Rede ist, soll diese Kraft mit ihren tief- und weitreichenden, aber auch explosiven Strömungen vor allem mithilfe zahlreicher Praxisbeispiele für sich sprechen, wobei sämtliche Fallschilderungen authentisch und nach allen Regeln der Kunst anonymisiert sind. Darüber können schließlich wertvolle Impulse für die eigene Behandlungstechnik, therapeutische Praxis oder Lebenshaltung entstehen. Selbstredend wird dabei auch die obige Frage meines fünfjährigen Patienten aus Therapeutensicht im Mittelpunkt...

Erscheint lt. Verlag 12.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
ISBN-10 3-17-041486-0 / 3170414860
ISBN-13 978-3-17-041486-0 / 9783170414860
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