Wenn Liebesbeziehungen zu Ende gehen (eBook)
131 Seiten
Vandenhoeck und Ruprecht (Verlag)
978-3-647-99309-6 (ISBN)
Peter Bremicker, Studium der Theologie, Weiterbildung zum Klinischen Seelsorger (KSA), ist Leiter des Hamburger Instituts für Systemische Transaktionsanalyse und Psychotraumatologie (HISTAP), Lehrtrainer und Lehrsupervisor für Systemische Transaktionsanalyse (DGTA/EATA) und seit mehr als 20 Jahren in eigener Beratungspraxis tätig. Er ist Mitglied der Deutschen und Europäischen Gesellschaft für Transaktionsanalyse (DGTA/EATA) und der Gesellschaft für Psychotraumatologie, Traumatherapie, Gewaltforschung (GPTG). Zu seinen Zusatzqualifikationen zählen: Traumazentrierte Fachberatung und Traumapädagogik (DeGPT), Transaktionsanalytiker (CTA), Supervisor (DGTA), Pesso-Therapie (Pesso-Boyden System Psychomotor, PBSP).
Peter Bremicker, Studium der Theologie, Weiterbildung zum Klinischen Seelsorger (KSA), ist Leiter des Hamburger Instituts für Systemische Transaktionsanalyse und Psychotraumatologie (HISTAP), Lehrtrainer und Lehrsupervisor für Systemische Transaktionsanalyse (DGTA/EATA) und seit mehr als 20 Jahren in eigener Beratungspraxis tätig. Er ist Mitglied der Deutschen und Europäischen Gesellschaft für Transaktionsanalyse (DGTA/EATA) und der Gesellschaft für Psychotraumatologie, Traumatherapie, Gewaltforschung (GPTG). Zu seinen Zusatzqualifikationen zählen: Traumazentrierte Fachberatung und Traumapädagogik (DeGPT), Transaktionsanalytiker (CTA), Supervisor (DGTA), Pesso-Therapie (Pesso-Boyden System Psychomotor, PBSP).
2 Theorie
2.1 Phasen einer gelingenden Paardynamik
In der Regel durchlaufen Zweierbeziehungen sechs verschiedene Phasen, die ich hier kurz skizziere.
1. Schmetterlinge im Bauch – Phase der Begeisterung
Am Anfang stecken wir als Individuum in einer Beziehung voller Ideale. Verliebt und von Glückshormonen und Spiegelneuronen angefeuert, sind wir häufig nicht mehr Herr oder Herrin der Lage. Durch Liebe, Leidenschaft und Lust sind wir von unserem Gegenüber magisch angezogen, und was so leidenschaftlich und eindrücklich brennt, davon würden wir uns nie träumen lassen, dass es mal zu Ende gehen könnte. Im eigenen Umfeld und Bekanntenkreis interpretieren die Menschen um einen herum das Liebeserleben als völlig abgehoben. Sichtbar für alle kommt manches zum Schwingen und Klingen. Irgendetwas fasziniert uns an unserem Gegenüber, und wir beobachten, dass das etwas bei uns beiden auslöst. Resonanz nennt man es in der Musik und es lässt sich auch auf die verrücktesten oder kompliziertesten Paarkonstellationen übertragen. Resonanz, die Fähigkeit von uns Menschen, dem Gegenüber emotional zu begegnen, ihn zu berühren, zu verstehen. Hartmut Rosa hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit Resonanz auseinandergesetzt und eine seiner Erkenntnisse ist: »Resonanz bleibt das Versprechen der Moderne, Entfremdung aber ist ihre Realität« (Rosa, 2016, Klappentext).
Carl Rogers hat in den 1960er Jahren, um ähnliche Phänomene zu beschreiben, den Begriff »Empathie« geprägt. Mittlerweile sind viele Jahre ins Land gezogen und neben Hartmut Rosa tauchen andere wegweisende Wissenschaftler zum Beispiel im Bereich der Neurobiologie auf: zum Beispiel Joachim Bauer, Professor für Psychoneuroimmunologie am Universitätsklinikum Freiburg. Er sorgte im vergangenen Jahrzehnt mit neuen Forschungsergebnissen für Aufmerksamkeit. Er forscht im Bereich der »intuitiven Kommunikation« und fand heraus, dass uns die Spiegelneuronen in unserem Gehirn die Fähigkeit verleihen, zu fühlen, was der andere fühlt. Diese Spiegelneuronen bzw. Nervenzellen sind die Basis von Intuition und Empathie. Sie bestimmen unser »Bauchgefühl« und die Fähigkeit zu lieben.
2. Magenbitter – Phase der Ernüchterung
Doch irgendwann scheinen uns diese Spiegelneuronen in der Partnerschaft im Stich zu lassen. Spätestens in dem Augenblick, wo wir die erste Phase der Zweierbeziehung, die Phase der Begeisterung, noch etwas benommen verlassen haben. Als Paar betreten wir nach der Phase der Begeisterung ein uns völlig neues und unbekanntes Land, das Land der Realität. Ein Land, wo nur noch wenige Schmetterlinge fliegen. Ein Land, das mit dem, was uns in der Zeit der Begeisterung, der Zeit der Spiegelneuronen, begegnet ist, nicht mehr viel zu tun hat. Ernüchterung setzt ein. Die ersten Jahre liegen als Paar hinter uns. Beruflich war schön was los. Es galt, sich nach der Ausbildung oder dem Studium zu profilieren und Erfahrungen zu sammeln, und in der Regel fordern oder bereichern die Kinder unseren Alltag. Von Resonanz und Empathie, von Spiegelneuronen und Sinnlichkeit scheint in der Phase der Ernüchterung nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Die Jahre plätschern dahin, die Tages- und Wochenpläne sind durchstrukturiert, und da es heute fast unmöglich ist, eine Familie nur mit einem Gehalt über die Runden zu bringen, bzw. beide Partner zumindest Teilzeit arbeiten müssen, bleibt für die Paarbeziehung nicht mehr viel Zeit – trotz aller Weiterentwicklungen gerade technischer Art in Form von Online-Meetings und Social Media.
Wir entfernen uns als Paar voneinander, fühlen uns trotz Partner einsam. Jeder empfindet einen gewissen Frust, Mangel, fehlende Bestätigung und sieht die eigenen Bedürfnisse im Nichts verschwinden. Die Phase der Ernüchterung ist oft auch geprägt von mangelnder Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit und dem fehlenden Mut, über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen. Wer sich einen Moment Zeit nimmt, entdeckt und spürt, wie unsicher und brüchig Zweierbeziehungen in den letzten Jahrzehnten geworden sind und wie viel Gegensätzliches und Spannungsreiches sich im Kontext von Zweierbeziehung entwickelt hat. Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts vollzieht sich in der Gesellschaft der westlichen Welt ein fundamentaler sozialer Wandel. Etliche Traditionen wurden ausgehebelt, und dadurch ist es allgemein erlaubt, zu leben, wie wir wollen (alles nur Denkbare), solange wir es wollen (immer kürzer, dafür öfter mit wechselnden Partnern) und mit wem wir es wollen (fast mit jedem und zunehmend mit uns allein).
Diese Wahlfreiheit innerhalb unserer Gesellschaft bringt viele Vorteile, aber natürlich auch Nachteile. Der Vorteil liegt klar in der gewachsenen Selbstbestimmung, der Nachteil darin, dass Sicherheiten verloren gegangen sind. Der einzelne Mensch ist auf sich selbst zurückgeworfen. Die ehemalige Verpflichtung zur Familiengründung etwa bildet nur noch eine Option unter vielen. Solange es verbindlich war, eine lebenslange Ehe einzugehen, verlief das Leben nach einem festen Ritual. Auf die Zeit des männlichen Werbens folgte eine kurze Verliebtheits- und Verlobungsphase, die Heirat und nachfolgende Familiengründung. Die Frau verwandelte sich in Mutter und Hausfrau, der Mann in einen berufstätigen Vater mit Versorgungsverantwortung. So vergingen die Jahre, bis die Kinder erwachsen waren, das Haus verließen, die Eheleute zu Großeltern gemacht wurden und zum Schluss im Kreis eines Mehrgenerationenhaushalts sich auf den Weg machten zu sterben. Konflikte galten als immanente Konflikte eines Ehepaars, Scheidungen waren ein Tabu.
Deborah Feldman beschreibt 2016 in ihrem Bestseller »Unorthodox« in Form einer autobiografischen Erzählung, wie sich eine Frau aus traditionellen Strukturen löst und eigene Wege findet. Heute werden zwar noch viele Ehen geschlossen, aber auch rasch wieder geschieden. Man kann sich aus einer Beziehung verabschieden, wenn es nicht mehr passt, unabhängig davon, wie lange sie währte, was sie einmal bedeutet hat und was aus ihr an gemeinsamer Geschichte hervorgegangen ist. Gefühle dominieren und gelten als das Entscheidungskriterium für eine Trennung. Die vielen Jahrhunderte verlässlicher sozialer oder kirchlicher Verpflichtungen haben ihren Regelwert verloren. Dem entgegen steht allein die emotionale Erlebniswelt der Paare. Ist die Emotionalität gestört, wird die Beziehung infrage gestellt. Hat sich die Leidenschaft hinter Gewohnheiten und Alltagsstress versteckt oder verflüchtigt, nehmen Unsicherheit, Irritation und Unwillen ihren Platz ein. Man, sprich Paar, will nicht wahrhaben, dass die leidenschaftliche Tiefe, die gesucht wird, Schwankungen unterworfen ist und die Qualität des Erlebens, dem man sich verpflichtet fühlt, einem unaufhaltsamen Wandel unterliegt. Aber eben genau das gehört in eine Paarbeziehung hinein und ist ein Teil der Ernüchterungsphase.
3. Prokrustes – Phase der Erpressung
Wenn die Phase der Ernüchterung beendet scheint, tritt die Paarbeziehung in eine »kriminelle« Phase ein: Der andere muss sich ändern. Erpressung macht sich breit und wird subtil auf verschiedene Art benutzt, um den Partner oder die Partnerin gefügig zu machen. Es ist der ewig andauernde Kampf der Geschlechter. Aber es ist ein hoffnungsloser Kampf, denn es gibt in diesen Erpressungsszenarien letztlich nur Verlierer.
Der altgriechische Geschichtsschreiber Diodor berichtet über den Unhold und Wegelagerer Prokrustes: Dieser bot Reisenden ein Bett an. War der Wanderer groß, gab er ihm ein kleines Bett und hackte ihm die Füße ab, damit er hineinpasste. War er eher klein, gab er ihm ein großes Bett, zog ihn in die Länge und renkte ihm die Glieder auseinander, indem er sie auf einem Amboss streckte.
Oft versuchen wir, die Paarbeziehung für unseren Partner zu einem Prokrustesbett zu machen. Wir würden die Partnerschaft am liebsten nur nach unseren eigenen Erwartungen gestalten und verhalten uns wie Prokrustes. Der andere muss sich ändern, und nur, wenn er sich ändert, können wir eine Zukunft haben und wieder Liebe, Lust und Sinnlichkeit erleben. Ich mache an dem anderen rum, überschreite dessen Grenzen und verletze auf Biegen und Brechen, in der Hoffnung, mein Ziel zu erreichen. Auch diese Phase überstehen die Paare in der Regel und arrangieren sich irgendwann mit dem, was ist, und mit dem, was wohl nicht mehr werden wird. Aber das Leben ist doch eigentlich viel zu schade, um sich damit abzufinden.
4. Der Kampf scheint verloren – Phase der Resignation
Und darum geht einer der Partner in die nächste Phase der Zweierbeziehung über. Er beginnt zu resignieren. Die Hoffnungslosigkeit siegt und die Phase der Resignation nimmt den Raum der Zweierbeziehung ein. Manchmal beginnt diese Phase damit, dass ein Partner darüber nachdenkt auszusteigen. Natürlich nicht laut, aber innerlich hat er sich schon verabschiedet. Die Seele schmerzt so sehr, dass es besser ist oder leichter fällt, zu verdrängen und über Alternativen nachzudenken. Kontaktabbruch findet statt, man löst sich emotional vom Gegenüber und findet, wie kann es anders sein, vielleicht ein neues Gegenüber, das so ist, wie das alte Gegenüber es einmal war....
Erscheint lt. Verlag | 6.5.2024 |
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Reihe/Serie | Edition Leidfaden – Begleiten bei Krisen, Leid, Trauer |
Zusatzinfo | mit 2 Abb. |
Verlagsort | Göttingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Abschied • Abschiednehmen • Ehepaar • Krise • Krisenintervention • Lebenskrise • Liebesbeziehung • Neuanfang • Paar • Paarberatung • Scheidung • Trauer • Trauerbegleitung • Trauerberatung • Trennung • Trennungsmoderation • Verlust • Zweierbeziehung |
ISBN-10 | 3-647-99309-3 / 3647993093 |
ISBN-13 | 978-3-647-99309-6 / 9783647993096 |
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Größe: 1,1 MB
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