Psychologische Therapie- und Beratungskonzepte -  Annette Boeger

Psychologische Therapie- und Beratungskonzepte (eBook)

Theorie und Praxis
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2024 | 4. Auflage
216 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043582-7 (ISBN)
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This textbook provides a basic overview of current approaches in psychological psychotherapy and counselling. The foundations consist of the four pillars of psychotherapy and counselling: depth-psychological, learning-theoretical, humanistic and systemic approaches. The views of humanity, theoretical background, therapeutic relationship, techniques used and goals in counselling used in these approaches are presented comparatively. Numerous example cases and excerpts from conversations illustrate the complex theoretical models and typical procedures in practice. Additional chapters are related to empirically confirmed findings on verifiable effective factors in psychotherapy, common elements and differences between psychotherapy and psychosocial counselling, and the significance of one=s view of humanity and the relationship aspect in the context of psychotherapy and counselling.

Prof. Annette Boeger holds the Chair of Developmental Psychology at the Department of Educational Sciences at the University of Duisburg-Essen. She is a qualified psychotherapist with training in conversational psychotherapy and systemic-analytical family therapy.

2 Eine Einführung in den psychoanalytischen Ansatz


2.1 Sigmund Freud: Biographische Aspekte


Abb. 2.1:Freud mit seiner Tochter Anna

Freud (1856 – 1939) wurde als erstes von sieben Kindern einer jüdischen Kaufmannsfamilie im heutigen Tschechien geboren. Angeblich trug er bei seiner Geburt eine »Glückshaube« (ein Teil der Fruchtblase befand sich auf Freuds Kopf), worauf der Mutter prophezeit wurde, dass sie der Welt einen großen Mann geschenkt habe.

1860 zog die Familie nach Wien, wo Freud fast sein ganzes Leben verbrachte. Er studierte zunächst Medizin. Nach Fortbildungen in Physiologie und Psychiatrie machte er sich einen Namen auf dem Forschungsgebiet der zerebralen Kinderlähmung und der Aphasien. Ursprünglich hatte Freud den Wunsch, Wissenschaftler zu werden; seine Professur an der Wiener Universität wurde aber aus persönlichen und rassistischen Gründen etwa ein Jahrzehnt lang verschleppt. Freud eröffnete daraufhin eine Praxis als Nervenarzt und verbrachte ein Forschungssemester bei dem weltberühmten Psychiater Charcot in Paris, der seine Patientinnen mit Hypnose behandelte. Hier begannen Freuds erste Schritte in eine Richtung, die ihn in den folgenden Jahrzehnten wissenschaftlich und gesellschaftlich immer mehr isolieren sollte. Charcot arbeitete mit so genannten hysterischen Patientinnen, bei denen keinerlei organische Ursachen für ihre vielfältigen körperlichen Symptome gefunden werden konnten. Er versetzte sie in Hypnose und gab ihnen Aufträge, die den Krankheitszustand nach der Hypnose für einige Zeit verbesserten. Nach Freud lag bei diesen Patientinnen offensichtlich eine ungehemmte Herrschaft einer inneren Kraft vor, die ihren Ausdruck in einer körperlichen Symptomatik fand. Für diese Kraft prägte er später den Begriff des Unbewussten. Solche Gedankengänge waren für Freuds Wiener Kollegen nicht nur unseriös, sondern unvorstellbar, da Freud von Krankheiten sprach, denen die biologische Basis fehlte.

Zurück in Wien arbeitete Freud zunächst mit der Hypnose, wandte sich aber bald einer neuen Methode zu, einer Technik, die er von seinem Freund Breuer, einem Internisten, gelernt hatte. Diese « talking cure« (Redekur) bestand darin, die Patientin lange und intensiv aussprechen zu lassen. Das hatte oft heilende Wirkung auf die Symptome der « Hysterikerinnen«, die sowohl Breuer als auch Freud aufsuchten wegen verschiedener Leiden wie etwa Lähmungen, Blindheit oder Ohnmachtsanfällen, für die kein organisches Korrelat zu finden war und die deshalb von den Hausärzten nicht eingeordnet werden konnten. Nach Breuer hatte das Aussprechen eine heilende, eine kathartische (reinigende) Wirkung. Im Gegensatz zu Breuer interessierte sich Freud für die Inhalte des Erzählten. Die Interpretation dessen und auch der Lebensgeschichte seiner Patientinnen brachte ihn immer mehr zu der Erkenntnis von der zentralen Bedeutung der Sexualität in der Persönlichkeitsentwicklung und als Ursache für seelische Erkrankungen. Die Verbreitung dieser Erkenntnis kostete ihn nicht nur die Freundschaft Breuers, sondern brachte ihm in der prüden Wiener Gesellschaft des 19. Jahrhunderts viele Feinde. Unbeirrt von der Ablehnung seiner Ansichten durch die Fachwelt entwickelte Freud seine Theorie von der Sexualität als Ursache aller seelischen Störungen im Menschen. Hierzu interpretierte und deutete er das, was die Patientinnen ihm erzählten. Um Schamgefühle und Hemmungen auf Seiten der Patientinnen zu überwinden und sie in einen entspannten Zustand zu bringen, fand die »Kur« liegend auf einer Couch statt. Freud gab die Anweisung, alle durch den Kopf gehenden Einfälle, sollten sie auch noch so merkwürdig oder auch sinnlos erscheinen, auszusprechen. Hiermit hatte Freud Breuers Methode der Redekur in die der freien Assoziation umgewandelt.

Zu diesem Zeitpunkt stand für Freud fest, dass die Ursache der aktuellen Symptomatik der Patientin in früheren Erlebnissen liegen müsste. Diese seien der Patientin nicht bewusst und damit »verdrängt«. Er stellte fest, dass die bloße Erinnerung, also die Auflösung des Verdrängten, keinerlei Besserung in der Symptomatik brachte, sondern dass die Erinnerung von einer »affektiven Abreaktion« begleitet sein müsste, also emotional erfahren werden müsste, um einen Heilungsprozess einzuleiten. Bereits 1896 verwendete Freud für seine Vorgehensweise den Begriff »Psychoanalyse«. Im gleichen Jahr gab er die Hypnose auf und beschränkte sich darauf, der auf einer Couch gelagerten Patientin zuzuhören und ihr die unbewussten Zusammenhänge ihrer Mitteilungen zu deuten.

Nach Jahren der wissenschaftlichen Isoliertheit wurde Freud zunehmend international bekannt und interessierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen versammelten sich um Freud: Jung, Adler, Fromm, Ferenczi, Abraham, Binswanger, Lou Salome und Rank, um nur einige zu nennen. Es entstand der berühmte »Mittwochszirkel«, bei dem die in der Entstehung begriffene Psychoanalyse diskutiert und weiterentwickelt wurde. Seine Schüler und Schülerinnen, die ihn zunächst bewunderten, kritisierten jedoch zunehmend seine dogmatische Sicht von der zentralen Bedeutung der Sexualität und emanzipierten sich von ihm, indem sie eigene Theorien, später sogar eigene Schulen entwickelten. Letztlich zerstritt Freud sich mit seinen ehemals engsten Weggenossen und größten Bewunderern und der Mittwochszirkel wurde aufgelöst. Seine zwei berühmtesten Schüler, Jung und Adler, gründeten eigene Richtungen und später Ausbildungsinstitute: Jung wurde als der Begründer der analytischen Psychologie berühmt, Adler entwickelte die Individualpsychologie.

Mit steigender Berühmtheit wurde Freud wohlhabender und konnte eine lange Warteliste zum Teil auch sehr prominenter und sehr reicher Patientinnen vorweisen, wie etwa Prinzessin Bonaparte aus Paris, die sich für mehrere Jahre in Wien einquartierte, um ihre Analyse bei Freud durchzuführen. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts trafen Freud mehrere Schicksalsschläge: Seine Tochter Sophie starb, zwei seiner Söhne waren als Soldaten im Ersten Weltkrieg und er verlor sein gesamtes Vermögen durch den Krieg. In diesem Kontext entwickelte Freud seine Theorie vom Thanatos (griech.: der Tod), dem Todestrieb oder Destruktionstrieb des Menschen, den er dem Lebenstrieb bzw. der Libido entgegensetzte.

Freud blieb trotz des offenen Antisemitismus fast bis zu seinem Tod in Wien und entkam nur knapp der Festnahme durch die Gestapo. Zu diesem Zeitpunkt war er aufgrund von Zungenkrebs schon todkrank. Ein Jahr vor seinem Tod, 1938, verließ er auf dringenden Appell enger Freunde, die vermutlich aufgrund ihres Einflusses seine Ausreise in letzter Minute ermöglichten, Wien und siedelte mit seiner engsten Familie, dem langjährigen Hausarzt Max Schur und der ebenfalls langjährigen Haushälterin Paula Fichtl nach London über. Seine fünf Schwestern mit ihren Familien, die ebenfalls in Wien lebten, durften nicht mit ausreisen. Sie wurden kurze Zeit später ins Konzentrationslager gebracht und dort ermordet. In London erfuhr Freud in seiner verbleibenden Lebenszeit noch hohe wissenschaftliche Anerkennung. Nachdem er sich in seinen letzten Lebensjahren insgesamt mehr als dreißig Operationen unterzogen hatte und zeitweise unter unsäglichen Schmerzen litt, starb er ein Jahr nach seiner Ankunft in London, hierbei unterstützt von seinem Hausarzt Schur, der ihm – wie vereinbart – eine tödliche Dosis Morphium spritzte.

Freuds Leben ist nicht nur von persönlichem Mut, sondern auch von einer ungewöhnlich großen Produktivität gekennzeichnet. Offensichtlich war er ein unbestechlicher Mensch mit sehr klaren Standpunkten: Trotz einer zeitweise angespannten finanziellen Situation lehnte er lukrative Angebote ab, wie etwa das Verfassen einer Rubrik über Eheprobleme für das Cosmopolitan Magazin oder die Mitwirkung an Filmen über Liebesbeziehungen (vgl. Pervin, 2005, S. 84). Was Freud darüber hinaus für ein Mensch war, darüber gibt es unterschiedliche Quellen. Zum einen wird er als autoritär und intolerant beschrieben. So bezeichnete er seinen Schüler Stekel, der eine andere Auffassung vertrat als er, in Anspielung auf dessen geringe Körpergröße als »Laus auf meinem Kopf«. Stekel konterte allerdings sehr witzig mit der Bemerkung: »Ein kleiner Mann auf der Schulter eines großen Mannes sieht weiter als der große Mann« (Dokumentation: Freud Museum Wien). Andere wiederum charakterisieren ihn als warmherzig und mitfühlend. Dass er wohl auf jeden Fall eine sehr beeindruckende Persönlichkeit war, wird in einem Interview mit der letzten noch lebenden Patientin Freuds, die erst im hohen Alter erfuhr, wie berühmt Freud war, deutlich (Die Zeit, 2006, Nr. 18: »Ich vergaß dieses einmalige Gespräch nie«.).

Freud hat seine Gedanken in einem umfangreichen Werk niedergelegt. Es umfasst insgesamt 15 Bände. Im Jahr 1900 wurde seine für die Psychoanalyse...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
ISBN-10 3-17-043582-5 / 3170435825
ISBN-13 978-3-17-043582-7 / 9783170435827
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