Unglaublich krank (eBook)

Seltene Krankheiten und was sie über unseren Körper verraten | Von den Machern des beliebten Podcasts
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3194-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Unglaublich krank -  Esther Schweins,  Martin Mücke,  Daniel von Rosenberg
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Krimi im Körper: Die unsichtbaren Feinde im menschlichen Organismus Eine Frau suchen aus heiterem Himmel schlimme Panikattacken heim. Eine Hand versagt plötzlich ihren Dienst. Unerklärliche Krampfanfälle machen das Leben zur Qual. Und die Ärzte sind ratlos. Es gibt mehr seltene Erkrankungen, als man denkt. Ihre Symptome sind ebenso verwirrend wie vielfältig. Nur wenige Spezialisten nehmen sich dieser Chamäleons der Medizin gezielt an. Prof. Martin Mücke ist einer von ihnen. Zusammen mit Esther Schweins begibt er sich auf die Suche nach den Ursachen: er mit wissenschaftlicher Akribie, sie mit Neugier und fundiertem Wissen über alternative Medizin. Anhand dramatischer Krankheitsfälle wird deutlich, wie Patienten ohne Diagnose geholfen werden kann. Darüber hinaus liefert die Betrachtung dieses Phänomens aufschlussreiche Einblicke in die Funktionsweise unseres Körpers. Durch ein neues Verständnis der medizinischen Zusammenhänge wird uns ermöglicht, achtsamer auf die Signale unseres Organismus zu reagieren und für Ärzte mehr Partner als nur Patient zu sein.

Esther Schweins, geboren 1970, ist Schauspielerin, Synchronsprecherin, Moderatorin und Theaterregisseurin. Sie war Ensemblemitglied der Kult-Comedysendung 'RTL Samstag Nacht' und spielte bislang in über 70 Film- und Fernsehproduktionen. Seit jeher befasst sie sich leidenschaftlich mit Themen rund um Gesundheit und Ernährung. An der Seite von Martin Mücke moderiert sie seit 2021 den Medizin-Podcast 'Unglaublich krank - Patienten ohne Diagnose'.

Esther Schweins (* 18. April 1970 in Oberhausen) ist eine deutsche Schauspielerin, Synchronsprecherin, Moderatorin und Theaterregisseurin. Ihre Karriere begann sie in den 1990er Jahren als Komikerin in der Fernsehsendung RTL Samstag Nacht. Seit 1994 spielte sie bislang in über 70 Film- und Fernsehproduktionen mit, u. a. in Filmen wie Der Trip – Die nackte Gitarre 0,5, Das Superweib, Höllische Nachbarn und Die Hälfte der Welt gehört uns – Als Frauen das Wahlrecht erkämpften. Zusammen mit Niki Greb und Anne Enderlein veröffentlichte sie bei Eichborn 2008 Saft & Kraft. Gesunde Ernährung, die Spaß macht. 

KAPITEL 1


Angst ist kein schlechter Berater


Esther

Angst ist ein angeborenes Gefühl, das uns Menschen seit Jahrtausenden dabei hilft, Gefahren zu erkennen und Risiken abzuwägen. Waren es früher drohende Attacken des jagdfreudigen Säbelzahntigers oder unwillkommene Besuche rivalisierender Stämme, so sind es heute oft abstrakte, nicht auf Anhieb begreifbare oder in einer fernen Zukunft liegende Dinge, die uns Angst machen: Angst vor dem Fliegen in einem Flugzeug, vor falschen Lebensentscheidungen, vor Krieg und Terror, der nächsten Pandemie, der wachsenden Inflation oder der sich zuspitzenden globalen Klimakrise. Oder aber ganz profan einfach »Fomo«: Fear of missing out – also Angst, etwas zu verpassen.

»Angst ist ein schlechter Ratgeber« heißt es sprichwörtlich. Das mag in manchen Situationen durchaus stimmen, doch im Grunde genommen ist »gesunde Angst« ein hilfreicher Instinkt, der unser Überleben sichern soll. Aber wir sollten unterscheiden zwischen irrationalen Ängsten – zum Beispiel der Furcht vor einer eher unwahrscheinlichen Zombie-Apokalypse – und einer konkreten Angst, die sich aus eigenen schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit speist. Wenn man beispielsweise als Kind von einem Hund gebissen wurde, ist zumindest ängstliches Misstrauen und eine geschärfte Vorsicht bei künftigen Begegnungen mit felligen Vierbeinern vollkommen nachvollziehbar und auch sinnvoll.

Dass Angst im Notfall ein wertvolles Werkzeug ist, habe ich vor vielen Jahren am eigenen Leib erfahren. Am 26. Dezember 2004 erlebte ich während einer Ayurveda-Kur auf Sri Lanka an der Seite meiner Mutter den verheerendsten Tsunami der Neuzeit. Bis heute bin ich mir absolut sicher, dass uns beiden, neben meinem festen Vertrauen auf göttlichen Beistand und der selbstlosen Hilfe von Einheimischen, nicht zuletzt meine Angst an diesem schicksalhaften Tag das Leben rettete.

Denn es war Angst, die mir – durch eine enorme Dosis körpereigener Endorphine – die schier übermenschliche Kraft und geistige Klarheit verlieh, meine Mutter unter Wasser aus gespannten Wäscheleinen zu befreien, in die sie verwickelt war und die sie kopfüber unter Wasser gefangen hielten. Dies inmitten eines Infernos aus reißenden Wassermassen, schäumender Gischt und andauernder Lebensgefahr. Das Meer schob eine Lawine aus Booten, entwurzelten Bäumen, zerstörten Hausmauern, Mobiliar, scharfkantigem Metall und vielem mehr, was nicht fest genug in der Erde verankert war, vor sich her ins Landesinnere, auch all das, was das Meer nach der ersten Welle bei seinem ersten Rückzug mit sich gerissen hatte.

Ich hatte Todesangst und noch größere Angst um meine Mutter. Diese Angst verlieh mir paradoxerweise so etwas wie Ruhe oder kontemplative Konzentration unter Wasser, das ich bernsteinfarben in Erinnerung habe. Ich konnte ausmachen, dass uns eine massive Mauer davor schützte, zerquetscht oder zertrümmert zu werden, und mein Hirn signalisierte, dass wir weniger Zeit hatten als meine Mutter Luft in den Lungen, bevor die Mauer nachgeben und uns mit allem, was sich hinter ihr staute, im Wasser begraben würde. Meine Sicht unter Wasser war gestochen scharf, mein Gehör ausgeschaltet, ich sah und wusste genau, welche Handgriffe erforderlich waren. Als ich begann, die Schnüre zu lösen, war mir klar, dass ich meine Mutter am Ende einmal nach hinten über Kopf drehen müsste, um sie zu befreien, und ebenso klar war mir, dass sie mir vertrauen und mitmachen musste, da jegliche Hinderung zu viel Zeit gekostet hätte.

Im selben Moment, in dem ich meine Mutter wieder an der Oberfläche und damit an der Luft hatte, gab die Mauer nach. Ich hielt sie vor mir, so gut es ging, über Wasser und rief »Wir müssen loslassen, Mama, wir müssen wie das Wasser sein, kein Widerstand!«

Unter unzähligen Erinnerungen an diese Situation wähle ich zuerst diese, um Ihnen die Wirkung von Angst anschaulich zu machen. Sie alle haben sicher schon einmal ein Seil oder einen Gartenschlauch entknotet und dabei fast die Nerven verloren, weil sie am falschen Ende angefangen oder nach einem guten Start die falsche Schlaufe angezogen haben und wieder von vorne anfangen mussten. Das ist mir damals unter Wasser nicht passiert. Ein Gehirn unter Einfluss von Todesangst, verstärkt um den Faktor Angst um das Leben eines geliebten Menschen, funktioniert offenbar ganz hervorragend. Es präsentiert im Bruchteil einer Sekunde eine Vielzahl von Optionen – zu denen auch zählt, die Nerven zu verlieren und aufzugeben. Es ermittelt außerdem Handlungsmöglichkeiten auf Grundlage der eigenen Persönlichkeit, des eigenen Wertesystems und der gesetzten Prioritäten, unter Berücksichtigung der entsprechenden Szenarien und inklusive aller möglichen Konsequenzen.

Auf der zeitlich knapp und in Metern kurz bemessenen Flucht vor der zweiten Welle – dem eigentlichen Tsunami – durch den Klinikgarten, schob ich auf der einen Seite am Ellenbogen meine Mutter, auf der anderen Seite zog ich eine Frau am Arm mit. Meine Mutter keuchte: »Lass mich und lauf!« Ich rief: »Nicht ohne dich, wir laufen, so schnell du kannst, ich habe dich, alles wird gut!« Die Frau, noch immer unter Schock von der ersten Welle, war von der Situation überwältigt und wiederholte immerzu: »Was machen wir denn bloß?« – »Wir laufen, so schnell und so weit wir können, vor dem Meer weg, ich habe Sie, alles wird gut«, antwortete ich.

Dann sah ich, dass uns in einigen Metern Entfernung ein hüfthoher Stacheldrahtzaun den Weg versperrte. Ich wusste, sollten wir überhaupt irgendeine Chance haben, dann lag diese hinter diesem Zaun, und zwar bevor uns das Wasser erreicht hätte. Ich schob meine Mutter weiter durchs Gestrüpp und zog die andere Frau hinter mir her. Doch die blieb zwei Schritte vor dem Zaun stehen. Meine Hand rutschte ab, ich fasste erneut nach ihr und zog, aber sie stand da wie angewurzelt. »Was machen wir denn bloß?« – »Wir müssen weiterlaufen, Sie müssen weiterlaufen!«, rief ich.

Aber sie lief nicht, sie blieb stehen. Hinter ihr sah ich die meterhohe Gischt, alles darüber und dahinter blendete mein Gehirn aus. »Zu groß für uns«, sagte es mir, und es berechnete den Abstand, die Geschwindigkeit und die Zeit, bis uns das Meer erreichen würde. Ich hätte beide Hände gebraucht, um die Frau zu bewegen. Mein Verstand kam zu dem Ergebnis, dass, würde ich meine Mutter loslassen, es keine Chance mehr gäbe, sie über den Zaun zu bekommen. Einmal habe ich noch nach der Frau gegriffen, aber ich konnte sie nicht bewegen, sie blieb stehen. Sie war gelähmt vor Angst.

Einige Tage später habe ich dem Auswärtigen Amt ihres Herkunftslandes ihre Identität bestätigt. Man hatte ihre Leiche nicht weit von dem Ort gefunden, an dem ich sie stehen gelassen hatte.

Sie sehen, in meiner Formulierung liegt er verborgen, der Vorwurf an mich selbst; da mischt sie sich ein, die Schuld. Sie meldet sich sehr überzeugend, erst als Gefühl, dann laut in Gedanken. Die Schuld liebt den Konjunktiv: »Hättest du … wärest du …, dann würde sie noch leben.« Die Schuld wirft ihre Angel weit aus auf der Zeitachse: »Hättest du dich im Buchladen am Flughafen vor dem Flug nach Sri Lanka in puncto Urlaubslektüre für Frank Schätzings Der Schwarm (in dem ein Tsunami beschrieben wird) entschieden anstatt für Yann Martels Schiffbruch mit Tiger, dann hättest du verstanden, was vor sich geht, du hättest so viele retten können!« Menschenleben aber werden nicht im Konjunktiv gerettet.

»Sie ist gestorben, und all die anderen starben auch an diesem Tag«, sage ich dann meiner Schuld, bewusst im Präteritum. Wir verwenden die Vergangenheitsform für abgeschlossene Handlungen. Ich muss mich dann trotzdem für einen Moment zurückversetzen und mich erinnern an die absolute Klarheit meines Handelns und daran, dass dieses Handeln alternativlos war und dass das Leben meiner Mutter Priorität hatte.

Ich hatte meine Mutter damals den entscheidenden Schritt weitergeschoben, sie hochgehoben, sie fühlte sich federleicht an, ich machte einen Ansatz zum Sprung. Dann krachte mir das Wasser in den Rücken und war überall.

Meine Mutter erlitt später, als das Wasser zum Stillstand gekommen war, eine Herzattacke. Ein junger Angestellter der Ayurveda-Klinik, der meiner Mutter in den zwei Wochen zuvor jeden Morgen ihre Medikamente gebracht hatte, war von der Strömung zu uns gespült worden und entschied sich, nicht aus dem Inferno zu fliehen, sondern uns zu helfen. Ohne Dinesh – das ist sein Name, er ist heute Vater von drei Kindern – hätte meine Mutter nicht überlebt.

Als Typ-1-Diabetikerin brauchte meine Mutter dringend Insulin. Dinesh brachte in der folgenden Nacht welches, eine Ampulle ohne Etikett, mitsamt einer Spritze – doch da war meine Mutter schon bewusstlos. Drei Tage lang hat es gebraucht, die Hauptstadt Colombo und eine dortige Klinik zu erreichen. Auf dem Weg spritzte ich meiner Mutter Insulin im Trial-and-Error-Verfahren, sie wurde viel getragen, und wir fuhren auf verschiedenen Vehikeln. Die Menschen, die sich unserer angenommen hatten, die unser Überleben möglich machten, taten dies selbstlos. Sie hatten zum Teil selbst Tote zu beklagen. Nur einige wenige Touristen habe ich erlebt, die, von ihrer Angst getrieben, ohne Rücksicht auf andere in eigenem Interesse handelten und Essen, Kleidungsstücke oder Wasser an sich nahmen oder eine Verletzung fingierten, um von hilfsbereiten Einheimischen transportiert zu werden.

Unterdessen hatten wir alle die ganze Zeit Angst, das Meer würde wiederkommen – Angst, dass dies nur der Anfang von etwas...

Erscheint lt. Verlag 30.5.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Studium 2. Studienabschnitt (Klinik) Anamnese / Körperliche Untersuchung
Schlagworte Alpträume • Alternative Medizin • Atmen • Baby • China • Chronische Beschwerden • Dengue • Eigenbrauer • Esstörung • Fieber • Hautausschlag • Indien • Kollaps • Koma • Mallorca • Müdigkeit • Münchhausen-Syndrom • Notaufnahme • Ohnmacht • Panikattacken • Parasiten • Pflegefall • Schmerzen • Schulmedizin • Schwangerschaft • Sex • Sri Lanka • Tsunami • Universitätsklinik • Vergiftung • Virus • Zittern
ISBN-10 3-8437-3194-2 / 3843731942
ISBN-13 978-3-8437-3194-2 / 9783843731942
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