Geburtsarbeit (eBook)

Fachbuch-Bestseller
Hebammenwissen zur Unterstützung der physiologischen Geburt
eBook Download: EPUB
2023 | 3. Auflage
396 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-244690-8 (ISBN)

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Geburtsarbeit -
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<p><strong>Konzept für eine zeitgemäße, interventionsarme und frauenzentrierte Geburtshilfe</strong><br></p><p>Dieses Praxisbuch zeigt die vielfältigen Möglichkeiten, wie Sie als Hebamme eine natürliche Geburt fördern und unterstützen können. Dabei wurden sowohl die vorhandenen Studienergebnisse als auch das immense Erfahrungswissen von vielen Hebammen in der klinischen und der außerklinischen Geburtshilfe aufgenommen. Der Schwerpunkt liegt auf konkreten Hilfestellungen, Therapieempfehlungen und Praxistipps für die typischen Problemsituationen in den einzelnen Phasen der Geburt. Dazu gehört auch die kritische Auseinandersetzung mit umstrittenen Interventionen in der Geburtshilfe.</p><p>Selbst erfahrene Hebammen werden in diesem vom Deutschen Hebammenverband herausgegebenen Praxisbuch noch zusätzliche Anregungen und Tipps für die Begleitung einer physiologischen Geburt finden.</p>

1 Was ist eine normale Geburt?


Astrid Krahl

Hebammen vertreten den Standpunkt, dass Schwangerschaft, Geburt und Familienentwicklung vitale, normale, gesunde und soziale Lebensprozesse sind. In der Förderung der normalen Geburt erkennen sie ein Potenzial, das kurz- und langfristig positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Frauen und deren Familien hat ▶ [26].

Hebammen sind wichtige Akteur*innen in der Gesundheitsversorgung und tragen weltweit nachweislich zur Gesundheit von Frauen, Neugeborenen und Familien bei ▶ [24]. In Deutschland besitzen Hebammen die rechtlichen Grundlagen für eine selbstständige und selbstverantwortete Betreuung und Begleitung von Frauen und ihren Kindern bei regelrecht verlaufender Schwangerschaft, Geburt, Neugeborenen- und Wochenbettzeit. Regelrecht meint den Normen entsprechend.

Doch was kennzeichnet die normale Geburt und wie kann sie gefördert werden? Vom beruflichen Standpunkt aus ist es für Hebammen unerlässlich, möglichst genau zu definieren, was ein normaler Schwangerschafts-, Geburts- und Wochenbettverlauf ist, um einen geeigneten Bewertungsmaßstab für ihre selbstständige Arbeit zu entwickeln und zu nutzen.

„Normale Geburt“ ist eine übliche Bezeichnung für unkomplizierte und physiologische Geburtsverläufe. Dennoch scheint eine gezielte und bewusste Verwendung des Adjektivs unerlässlich zu sein. Es kann als spaltend – normale versus abnormale Geburten? – oder stigmatisierend empfunden werden, insbesondere dann, wenn diese Normalität nicht erreicht wurde. Dennoch ist es eine häufige Bezeichnung von Frauen, Familien und Hebammen. Studien belegen, dass Frauen eine normale Geburt mit guten Outcomes für sich und ihr Kind wünschen ▶ [10].

1.1 Definition der normalen Geburt


Eine bislang allgemein anerkannte Definition einer normalen Geburt stammt von der WHO ▶ [32]:

Merke

Eine normale Geburt zeichnet sich aus durch einen „spontanen Geburtsbeginn bei niedrigem Ausgangsrisiko und gleichbleibend wenig Auffälligkeiten während des Geburtsverlaufes. Das Neugeborene wird aus Schädellage spontan mit einem Gestationsalter von 37–42 vollendeten Wochen geboren. Post partum befinden sich Mutter und Kind in gutem Allgemeinzustand.“

Die International Confederation of Midwives hat sich 2014 zu folgender Definition der normalen Geburt bekannt ▶ [15]:

  • A unique dynamic process in which fetal and maternal physiologies and psychosocial contexts.

  • Normal birth is where the woman commences, continues and completes labour with the infant being born spontaneously at term, in the vertex position at term, without any surgical, medical, or pharmaceutical intervention.

Zum Teil werden neben dem physiologischen Prozess auch die Selbstbestimmung und Gestaltungsfreiheit von Frauen sowie eine unterstützende Geburtsumgebung als Merkmale einer normalen Geburt benannt ▶ [2].

Zum einen geht es also um eine gelungene natürliche oder physiologische Geburt, an deren Ende eine gesunde Mutter und ein gesundes Kind stehen. Zum anderen geht es aber auch um die soziale Unterstützung, die Mit- und Selbstbestimmung von Frauen und um die Förderung des Wohlbefindens von Mutter und Kind. Soo Downe ▶ [9] nennt dies eine salutogenetische Geburt, da physische, psychische, soziale und kulturelle Bedürfnisse der Frauen gleichermaßen Beachtung finden.

Diese Definitionen erfordern zusätzliche Unterdefinitionen, um im praktischen Arbeitsalltag für Hebammen handhabbar zu werden. Wann beginnt eine Geburt? Was kennzeichnet ein niedriges Ausgangsrisiko? Was genau bedeutet: „gleichbleibend wenig Auffälligkeiten während des Geburtsverlaufes“?

Entsprechende Unterdefinitionen werden z.B. in der S3 Leitlinie Vaginale Geburt am Termin ▶ [6] und den WHO-Empfehlungen ▶ [33] „Intrapartum care for a positive childbirth experience“ von 2018 formuliert. Hier wird nicht auf eine übergeordnete Definition verwiesen. Vielmehr werden mit den Empfehlungen Aussagen getätigt, die ein Verständnis herstellen können für das, was eine normale Geburt konstituiert.

Merke

In der konkreten Geburtsbegleitung brauchen Hebammen weitere Unterdefinitionen, die den Geburtsverlauf differenzierter betrachten, und die ihnen eine fortlaufende und vorausblickende Einschätzung des Vorgangs erlauben. Nur dann wird es möglich, sich auf notwendige Interventionen zu beschränken und die normale Geburt zu fördern.

In der Debatte um die Medizinalisierung und Medikalisierung weiblicher Lebensphasen werden medizinische Normierungen während der Geburt kritisch hinterfragt ▶ [16]. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, welche Unterscheidungen oder Normierungen sinnvoll sind, um Hebammen und Frauen den oben genannten Zielen näher zu bringen.

1.1.1 Was ist normal?


Was Einzelne als normal erachten, ist abhängig von gesellschaftlichen und sozialen Definitionen, vom Wissens- und Forschungsstand, von dem was üblich und damit bekannt ist. Der Sinn von Normierungen liegt darin, eine Vergleichsbasis zu schaffen, die eine Einschätzung und Orientierung und sinnvolle Handlung ermöglicht. Eine Norm ist daher eher zielangemessen und zweckdienlich und nicht primär „wahr“ oder „richtig“ ▶ [28].

Normierungen richten sich nach verschiedenen Kriterien aus. Die Idealnorm folgt traditionellen oder individuellen Werten wie Schönheit oder Richtigkeit. Sie hat beispielsweise Einfluss auf das individuelle Selbst-Ideal. Die statistische Norm folgt Berechnungen von Häufigkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Durchschnittswerten und Indizes. Funktionelle Normen betrachten Gegenstandsbereiche wie Laufen, Sprechen und Lieben können, aber auch z.B. ganz allgemein das Wohlbefinden.

Abweichungen von statistischen Normwerten brauchen zur Bewertung der Aussage immer einen Bezugspunkt. Dieser erfolgt über eine Funktionsnorm, die messbar sein kann, oder – wie im folgenden Beispiel – eine subjektive Einschätzung: Ein Blutdruck von 95/50 mmHg wird als niedrig und behandlungsbedürftig eingeschätzt, wenn die betreffende Person auch über Schwindel und Müdigkeit klagt. Fühlt sie sich dagegen gut und im täglichen Leben nicht eingeschränkt, erscheint die Hypotonie „funktionsbereinigt“ für diese Person als normal und nicht therapiebedürftig.

Eine Normierung muss sich immer an ihrer Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit messen lassen. Alles davon Abweichende ist zunächst einmal wertungsfrei eine Varianz. Ab wann wird daraus eine Störung, Regelwidrigkeit, Abnormalität oder Pathologie? Das heißt, ab wann wird die Zielverwirklichung behindert?

1.2 Warum ist die Förderung der normalen Geburt wichtig?


Eine Geburt ist, wie jeder andere vitale Prozess auch, ein komplexes physiologisches Zusammenspiel von verschiedenen Prozessen, das bislang noch nicht in der Tiefe verstanden wird. Die Dynamik der Prozesse und die Auswirkungen von vielfältigen physischen, psychischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Einflussfaktoren sind weitgehend unerforscht und rücken erst nach und nach in das wissenschaftliche Interesse.

Der Rhythmus der Geburt folgt einem sensiblen Zusammenspiel verschiedener Hormone. Einige Untersuchungen untermauern das Erfahrungswissen von Hebammen, dass dieser physiologische Prozess der Geburt hochsensibel auf die Geburtsumgebung, Interventionen und den zwischenmenschlichen Umgang reagiert ▶ [3], ▶ [18], ▶ [22]. Das Hormon Oxytocin spielt hier eine zentrale Rolle. Es wirkt sich nicht nur körperlich direkt auf den Uterus und die Erzeugung von Wehen aus. Wird es vom Gehirn der gebärenden Frau ausgeschüttet, fördert es als sog. Liebeshormon auch die ganze Bandbreite mütterlicher Gefühle ▶ [29].

Merke

Ob medikamentöse Geburtseinleitung und Wehenförderung, vaginale Untersuchungen, Amniotomie, Episiotomie oder kardiotokografische Untersuchungen – jede Intervention während der Geburt greift in irgendeiner Form in die physiologische Dynamik der Körperprozesse ein. Was sie dort genau bewirkt, ist in vielen Fällen bis heute nicht systematisch untersucht ▶ [27], ▶ [30].

Die medizinischen Definitionen von normal, suspekt, abweichend oder pathologisch sind häufig umstritten und nicht immer gut erforscht. Viele medizinische Interventionen sind nur in Bezug auf eine Behandlung pathologischer Zustände untersucht worden ▶ [14], ▶ [27].

Im Zuge der Entwicklung der evidenzbasierten Geburtshilfe in den letzten drei Jahrzehnten entspannen sich zahlreiche Kontroversen um diese, häufig routinemäßig durchgeführten Praktiken. Zeitgleich etablierten sich die ersten wissenschaftlich ausgebildeten Hebammen in diesem Forschungsbereich und untersuchen seither geburtshilfliche Betreuungspraktiken aus einem völlig neuen Blickwinkel. Diese Entwicklung setzt sich immer weiter fort, sodass hebammenspezifische und frau- und familienorientierte Fragestellungen heute einen festen Platz in der geburtshilflichen Forschungslandschaft erhalten haben....

Erscheint lt. Verlag 6.12.2023
Reihe/Serie DHV-Expertinnenwissen
DHV-Expertinnenwissen
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Gesundheitsfachberufe
Schlagworte Baby • Beleghebammen • Erstmaßnahmen • Geburt • Geburtsarbeit • Geburtsbetreuung • Geburtshilfe • Geburtsvorbereitung • Hausgeburtshilfe • Hebamme • Hebammenarbeit • Hebammenpraxis • Hebammenwissen • Kinderheilkunde • Klinikhebammen • Kreißsaal • Natürliche Geburt • Neugeborenes • Perinatalmedizin • Säugling • Säuglingspflege • Schwangerschaft • Schwangerschaftsvorsorge • Vorgeburtliches Erleben
ISBN-10 3-13-244690-4 / 3132446904
ISBN-13 978-3-13-244690-8 / 9783132446908
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