Innovationen in der Sozialpolitik des Alterns (eBook)
116 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-041932-2 (ISBN)
Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt, Lehrstuhl für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung, Direktor des Seminars für Genossenschaftswesen am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln; Honorarprofessor an der Vinzenz Pallotti University Vallendar. Caroline Rehner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kuratorium Deutsche Altershilfe, Berlin. Malte Möbius, externer Doktorand, Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung, Universität zu Köln. Ingeborg Germann, wissenschaftliche Mitarbeiterin i.R. am Kuratorium Deutsche Altershilfe, Berlin. Christine Freymuth, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kuratorium Deutsche Altershilfe, Berlin. Dr. Anne Bruns, wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung an der Universität zu Köln.
Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt, Lehrstuhl für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung, Direktor des Seminars für Genossenschaftswesen am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln; Honorarprofessor an der Vinzenz Pallotti University Vallendar. Caroline Rehner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kuratorium Deutsche Altershilfe, Berlin. Malte Möbius, externer Doktorand, Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung, Universität zu Köln. Ingeborg Germann, wissenschaftliche Mitarbeiterin i.R. am Kuratorium Deutsche Altershilfe, Berlin. Christine Freymuth, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kuratorium Deutsche Altershilfe, Berlin. Dr. Anne Bruns, wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung an der Universität zu Köln.
1 Ein Instrument zur Einschätzung der Innovativität sozialer Projekte
Wer »echte« von »vermeintlichen« Innovationen unterscheiden will, muss zunächst wissen, wonach er sucht. Es müssen klare Zielvorstellungen formuliert und Wege beschrieben werden, wie, in welcher Haltung und mit welchen Methoden diese zu erreichen sind. Das hier beschriebene Instrument zur Einschätzung sozialer Projekte für gelingendes Alter(n) basiert auf dem im Kuratorium Deutsche Altershilfe entwickelten Index Soziale Innovation für das Altern und stellt ein fundiertes, praktikables Verfahren dar.
Es richtet sich an all jene, die sich bei der Planung und Umsetzung sozialer Projekte vertiefend informieren möchten – etwa im Kontext der Nachbarschaftshilfe, in Kommunen, oder in Trägern und Einrichtungen. Akteur*innen in Stiftungen, Verbänden und Organisationen oder bei Förderprogrammen auf Ebene der Kommunen, der Länder oder des Bundes, die soziale Projekte mit ihren Mitteln fördern, können es für den Vergleich der Innovativität von einer Vielzahl sozialer Projekte und Maßnahmen, zur Untersuchung eines einzigen Projektes oder einer Maßnahme oder auch zur (Weiter-)entwicklung von Förder- und Auswahlkriterien nutzen. Auch Investoren und Geldgeber gemeinwohlorientierter Unternehmen und Startups, die auf sozialen Impact statt auf rein wirtschaftlichen Gewinn setzen, können es nutzen, um die soziale Innovationskraft von Startups oder Weiterentwicklungen in Unternehmen besser einschätzen zu können. Andererseits können soziale Projekte oder soziale Startups, die selbst innovative Projekte umsetzen oder weiterentwickeln möchten, sich mit Hilfe des Instruments selbst einschätzen und Anregungen und Ideen für die eigene Weiterentwicklung generieren. Auf diese Weise versteht sich das Instrument selbst als Innovation, als Vorantreiber sozialen Wandels für gelingendes Altern.
Dem Index als Grundlage des Instruments liegt eine Untersuchung von über 200 sozialen Projekten und sozialen Startups im Rahmen eines von Mitteln der Deutschen Fernsehlotterie geförderten zweijährigen Projekts am Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) in den Jahren 2021 bis 2022 zugrunde.1 Die Projekte wurden systematisch analysiert, um Kennzeichen herauszufiltern, die soziale Innovationen erkennbar machen. Ein komplexes Gedankenmodell aus wissenschaftlichem Wissen, praktischem Handlungswissen, Kontextwissen, Organisationswissen und Erfahrungswissen, das sich aus den untersuchten Projekten ableiten lässt, bildet die Grundlage. Der Index als Instrument selbst ist leicht erlernbar und einfach in der Praxis anwendbar. Es umfasst Orientierungsfragen zur Einschätzung von Innovativität sowie eine handhabbare Auswertungssystematik, um diese Einschätzung vorzunehmen. So kann ermittelt werden, ob Projekte, die sich selbst als innovativ bezeichnen, tatsächlich innovativ sind. Sowohl Projekte, die in einem sehr speziellen Bereich agieren und beispielsweise musikalisch-aktivierende Gegenständen für die Pflege entwickeln als auch großräumige Projekte, etwa die Planung und Entwicklung eines Quartiers, können angemessen auf ihre soziale Erneuerungskraft hin geprüft werden.
Der Index in seiner instrumentellen Anwendung hilft also bei der Einschätzung von Innovativität. Aber an welchen Leitlinien richtet er sich selbst aus, wenn er »echte« von »vermeintlichen« Innovationen unterscheidet? Welche Theorien und Ansätze konstituieren seine Wirkweise?
1.1 Zielvorstellung einer Werte-basierten Einschätzung von Innovativität
Die Ausgangsfrage des KDA-Projekts lässt sich in einer rhetorischen Figur bündeln: »Wann ist eine soziale Innovation innovativ?« (Schulz-Nieswandt, 2021a) Was auch die Frage berührt: Wann ist sozialer Fortschritt fortschrittlich? Der Pleonasmus »Innovation«/«innovativ« beziehungsweise »Fortschritt«/«fortschrittlich« weist auf ein unklares und uneindeutig verwendetes Bedeutungsspektrum der Begriffe hin. Es besteht die Notwendigkeit einer Definition und kontextuellen Absteckung der Begriffe, um einen klaren Fluchtpunkt definieren zu können, der das »Ideal«, oder das »Ziel« darstellt, wonach eigentlich gesucht werden soll, wenn nach innovativen Innovationen gesucht wird. Aus dieser Zielvorstellung leiten sich alle weiteren Ebenen des Indikatorenmodells ab.
Die Zielvorstellung dieses Index basiert auf den Grund- und Menschenrechten. Wie hängen diese unantastbaren, normativ-rechtlichen Werte mit der Idee von »Innovativität« zusammen? Dieses Kapitel erläutert diesen Zusammenhang anhand von vier Bestandteilen, die die Zielvorstellung des Index charakterisieren:
a) Innovationsverständnis: Dem Index liegt ein normatives, gemeinwohlorientiertes Innovationsverständnis zugrunde, im Gegensatz zu einer rein deskriptiven Beschreibung sozialer Innovativität.
b) Grund- und menschenrechtliche Leitlinien: Diese normative Beschreibung sozialer Innovativität setzt bei allgemein anerkannten grund- und menschenrechtlichen Wertvorstellungen an, die als Ziele gesellschaftlicher Verwirklichung den Fluchtpunkt des Indikatorenmodells bilden.
c) Offizielle Zielvorgaben: Im Hinblick auf die gesellschaftliche Verwirklichung dieser Grundwerte zieht das Projekt politische Zielsetzungen und offizielle Leitlinien und Empfehlungen zur Gestaltung von Lebenswelten des gelingenden Alterns heran, die den Index prägen, ohne ihn zu bestimmen.
d) Sozialanthropologische Grundlagen: Zudem fließen sozialanthropologisch abgesicherte Perspektiven auf »gelingendes Altern« – und Bedarfslagen, die sich daraus ergeben – in die Gestalt des Index, der auf einem personalistischen Menschenbild basiert, ein.
e) Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: Um Innovationen zu erkennen, die das Potenzial haben, die Grundwerte unserer Gesellschaft Wirklichkeit werden zu lassen, werden zentrale aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen des Alterns einbezogen.
Folgende Abbildung führt noch einmal die den Index konstituierenden Theorien und Ansätze vor Augen:
Abb. 1: Werte-basierte Zielvorstellungen
a) Innovationsverständnis
In Abgrenzung zu technischen oder wirtschaftlichen Innovationen zielen soziale Innovationen, die durch Individuen oder Gruppen, private oder gemeinnützige Unternehmen oder öffentliche Institutionen initiiert werden können, auf eine Veränderung sozialer Praktiken und des sozialen Miteinanders ab. Soziale Innovationen können Wert-neutral als Veränderung sozialer Praktiken durch die Entstehung neuer Handlungsroutinen und gemeinsamer Abläufe im Hinblick auf gesellschaftliche Problemlösungsstrategien betrachtet werden. Sich-Erneuern umschreibt eine Kernherausforderung der Gesellschaft, die immer mit der Herausforderung konfrontiert ist, sich an einschneidende Ereignisse, die zur Störung oder Umstrukturierung des sozialen Gefüges führen, anzupassen. Veränderung und die Herausforderung der Erneuerung gehen beständig vonstatten.
Entscheidend für die gezielte Steuerung sozialer Innovationen zum Anstoß sozialer Veränderung im Sinne eines übergeordneten Gemeinwohls – auch im Sinne der Leitbilder der Deutschen Fernsehlotterie und des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, in deren Rahmen dieses Projekt stattfand – ist aber die Frage, an welchen Zielen sich Innovationen orientieren und mit welcher Haltung sie umgesetzt werden. Schließlich ist nicht alles, was »neu« ist und auf eine akute Herausforderung reagiert, auch in einem ethischen Sinne »gut«. Für soziale Projekte unterschiedlichster Art heißt das, dass Gemeinnützigkeit und Solidarität im Vordergrund stehen müssen, und der soziale Gewinn mehr wiegen muss als wirtschaftlicher Profit. Mit der Frage, welche sozialen Innovationen gemeinwohlorientiert zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen im Alter(n) führen, will der Index daher nicht etwa rein deskriptiv alle Aspekte von Innovativität im Sinne von »irgendetwas Neuem« erfassen, sondern normative Zielvorstellungen sozialer Innovationen und deren Umsetzungskompetenz formulieren.
Aber woran kann man die Beurteilung einer gemeinwohlorientierten sozialen Innovation festmachen? Woran kann man sich orientieren, wenn man ein Urteil...
Erscheint lt. Verlag | 25.10.2023 |
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Zusatzinfo | 17 Abb. |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Pflege |
Schlagworte | Altenhilfe • Gerontologie • Innovationen • Sozialpolitik |
ISBN-10 | 3-17-041932-3 / 3170419323 |
ISBN-13 | 978-3-17-041932-2 / 9783170419322 |
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Größe: 3,9 MB
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