START-Kids - Stress-Arousal-Regulation-Treatment for Kids (eBook)
150 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042944-4 (ISBN)
Andrea Dixius ist Leitende Psychologin der SHG-Kliniken Sonnenberg im Saarland, Leiterin der Kindertraumaambulanz (OEG) sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte der Universität des Saarlandes. Prof. Dr. med. Eva Möhler ist Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes und Chefärztin der SHG-Kliniken Sonnenberg.
Andrea Dixius ist Leitende Psychologin der SHG-Kliniken Sonnenberg im Saarland, Leiterin der Kindertraumaambulanz (OEG) sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte der Universität des Saarlandes. Prof. Dr. med. Eva Möhler ist Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes und Chefärztin der SHG-Kliniken Sonnenberg.
1 Emotionen
Emotionen sind komplexe Muster, die durch psychische sowie physische Zustände und Prozesse bestimmt werden. Wahrnehmung und Bewertung von Situationen haben Einfluss auf die Entstehung und Ausprägung von Gefühlen (Emotionen) und korrelieren mit dem Ausmaß des physiologischen Hyperarousal (körperliche Übererregbarkeit mit hoher Anspannung). Emotionen, Selbstkonzepte, Identitätsüberzeugungen, Grundüberzeugungen, Kognitionen (Gedanken) und Verhalten beeinflussen sich untereinander (Petermann et al. 2017). Jede Emotion hat ein anderes Muster, so unterscheiden sich die Muster von Freude, Trauer, Wut, Ekel, Scham und Schuld.
Die Regulierung von Emotionen kann als ein mentaler Prozess mit unterschiedlichen Strategien verstanden werden und in adaptive (angepasste, angemessene) und maladaptive (wenig passende) Strategien (Barnow 2012; Heinrichs et al. 2017) unterschieden werden. Emotionsregulationsstrategien werden eingesetzt, um die affektive Erfahrung zu verstärken, aufrechtzuerhalten oder in ihrer Ausprägung zu reduzieren (Gross et al. 1998, 2015). Gefühle, Wahrnehmung, Körperreaktionen und Verhalten stehen dabei im Zusammenhang. Kinder und Jugendliche können mit Hilfe von eigenen Ressourcen und positivem Denken adaptive Problembewältigungsfertigkeiten nutzen (Compass et al. 2001). Emotionen werden durch die Bewertung von Situationen oder Ereignissen evoziert. Die Bewertung kann als Zugang zur Emotion verstanden werden. Verändert sich die Bewertung, dann kann sich auch die Emotion verändern und Auswirkungen auf subjektive Wahrnehmung, Kognitionen, Verhalten und auf die physiologischen Parameter haben (Gross 2015).
Die Fähigkeit, Emotionen adaptiv regulieren zu können, ist für die mentale und psychische Stabilität bedeutsam und wird als funktionale Strategie im Umgang mit Gefühlen verstanden. Maladaptive Strategien werden als dysfunktionale Versuche verstanden, um Stress und aversive Emotionen (unangenehm erlebte Gefühle) zum Beispiel mit selbstverletzendem Verhalten (In-Albon et al. 2015; Klonsky 2007), impulsivem Verhalten, »high-risk«-Verhaltensweisen bis hin zu präsuizidalen Handlungen zu verändern bzw. zu regulieren. Maladaptive Emotionsregulationsstrategien haben Einfluss auf das Funktionsniveau der betroffenen Personen. Beeinträchtigungen der Emotionsregulation etwa durch das Erleben von traumatischen Ereignissen spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkrankungen und Traumafolgesymptomen (Cohen et al. 2009; Rosner 2013; Steil und Rosner 2009).
Adaptive Strategien dienen der Bewältigung und der Regulierung emotionaler Anspannung. Skills, zum Beispiel Sport treiben, Aktivitätenaufbau, gezielte Wahrnehmung positiver Erlebnisse, Musik hören, sich Ablenken, Entspannungstechniken, »Emotionssurfing« (Metapher zur Emotionsregulation: Sensibilisierung bzw. Verständnis für den Vorgang, wie sich Emotionen in Qualität und Quantität wie eine Welle aufbauen und wieder abschwächen) usw., können als adaptive Fertigkeiten eingesetzt werden (Linehan 2014). Belastende Situationen und Stressoren in Anspannungssituationen können häufig nicht (unmittelbar) verändert werden. Skills (Fertigkeiten, die kurz- und langfristig helfen können und nicht schädlich sind) können einerseits zur Reduktion von krisengenerierenden Verhaltensweisen eingesetzt werden und andererseits adaptive Strategien zur Krisenbewältigung bereitstellen.
Die Inzidenz von psychischen Störungen und Verhaltensstörungen, insbesondere Störungen der Emotionsregulation (Axelson et al. 2012), nimmt bei Kindern kontinuierlich zu (Chabrol 2001). Emotionale Dysregulation (ED) ist definiert als die Unfähigkeit, Emotionen adaptiv zu regulieren und zu organisieren. Adaptive Emotionsregulationsstrategien hingegen tragen dazu bei, nach einschießender hoher Anspannung wieder zur Anspannungs-Baseline zurückzukehren (Copeland et al. 2013). ED stellt auf Dauer ein großes Gesundheitsrisiko dar, das bei etwa 5 % der Kinder und Jugendlichen besteht (Brunner et al. 2007; Fegert et al. 2019). ED ist mit verschiedenen Formen von psychiatrischen Störungen und Symptomen im Kindesalter verbunden wie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, oppositionelle Verhaltensstörungen, Persönlichkeitsstörungen, selbstverletzendes Verhalten und Suizid. In klinischen Situationen konnte gezeigt werden, dass Dysregulationsstrategien besonders ausgeprägt (Copeland et al. 2014) bei 26,0–30,5 % der Kinder auftreten, die in psychiatrischen Kliniken für Kinder und Jugendliche oder in psychosozialen Einrichtungen aufgenommen wurden. Das Auftreten typischer, mit ED verbundener Symptome wie Impulsdurchbrüche, reduzierte Frustrationstoleranz, aggressive Verhaltensweisen, Depressionen, Störungen der Emotionen und Suizidalität ist sogar höher als das vollständige ED-Syndrom, mit Schätzungen von etwa 45 % der in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken untergebrachten Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 18 Jahren (Nigg 2017).
Bis dato ist die Datenlage in Bezug auf durch Stress verursachte psychische Beeinträchtigungen und Erkrankungen Kinder und Jugendlicher (Möhler und Resch 2019) nicht erschöpfend untersucht. Möhler et al. (2006) sowie Möhler und Resch (2018) haben in Studien den Einfluss von Stress im frühen Entwicklungsalter auf Impulskontrolle und Emotionsdysregulation nachweisen können. Auch Henschel, deBruin und Möhler (2014) konnten zeigen, dass die Emotionsregulation bei dreijährigen Kindern mit den stressbedingten Belastungen der Mutter zusammenhängt. Im Jahr 2011 konnten Rothenberger et al. in einer prospektiven Studie zeigen, dass vorgeburtlicher Stress die Verhaltenshemmung bei Säuglingen reduziert.
Frühe Interventionen sind von entscheidender Bedeutung, um die psychosoziale Funktion bei Kindern und Jugendlichen zu verbessern (Möhler und Resch 2019).
Eine hohe Anspannung ist ein häufiges Motiv für selbstverletzendes Verhalten (SVV) (Klonsky 2007). In einer retrospektiven Befragung gaben 30 % der Erwachsenen mit emotionaler Instabilität an, sich im Grundschulalter bereits selbst verletzt zu haben (Bohus und Schmahl 2006). Eine Studie von Brunner und KollegInnen (2007) zeigte, dass 8 % der 15-jährigen Mädchen mit emotionaler Dysregulation (ED) bereits einen Suizidversuch unternommen hatten. 6 % der 15-jährigen Mädchen mit ED gaben an, sich seit Kindheit regelmäßig selbst zu verletzen.
In ähnlicher Weise wurden Stress und ungünstige Bedingungen in der Kindheit mit der Entstehung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in Verbindung gebracht (Bourvis et al. 2017; Cohen et al. 2005; Johnson et al. 1999; Jucksch et al. 2009; Kaess et al. 2016). In der Literatur wird wiederholt darauf hingewiesen, dass insbesondere das Erleben traumatischer Ereignisse und emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit oder Jugend eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Emotionsdysregulation spielt (Axelson et al. 2012; Brunner et al. 2001; Helgeland und Torgersen 2004; Herman et al. 1989; Kaess und Brunner 2016; Kernberg 1967; Bernstein et al. 1996, Ogata et al. 1990; Zanarini et al. 1998). Belastendende »Life Events« in der Kindheit können zu einer Vielzahl von entwicklungsbedingten und psychosozialen Folgen führen (Felitti et al. 1998; Ruf et al. 2010; Schmid et al. 2010; Witt et al. 2019). In Familien mit ausgeprägter Emotionsdysregulation wie Borderline-Persönlichkeitsstörungen (BPS) werden signifikant häufiger Probleme in der Bindung zwischen Kindern und ihren Eltern beobachtet (Paris et al. 1994; Posner et al. 2005). Den Grundannahmen der Bindungstheorie nach Bowlby (1979) folgend, bilden zwischenmenschliche Interaktionen die Grundlage für die Entwicklung der emotionalen Gesundheit. Ein gestörtes Bindungsverhalten kann Interaktionsschwierigkeiten und Störungen der Selbstkontrolle in der Entwicklung des Kindes forcieren (Fornagy et al. 1996). Desorganisierter Erziehungsstil und chaotische, konfliktreiche familiäre Interaktionen schaffen eine familiäre Atmosphäre, in der Gefühle, Gedanken und Verhalten des Kindes invalidiert werden (Beraldi 2010; Buchheim et al. 2002). Die Emotionsregulation des Kindes wird durch Eltern oder wichtige Bezugspersonen beeinflusst (Morris et al. 2007). Kinder lernen so am Modell den Umgang mit Gefühlen, was sich zum Beispiel auch in der »emotionalen Atmosphäre« der Familie wiederfinden kann. Die emotionale Verfügbarkeit (Biringen et al. 1991, 2014) der Eltern oder »Primary Caregiver« (bedeutsame erste Bezugspersonen) ist von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des Kindes und dessen Vermögen zur Emotionsregulation.
Schon Felliti und KollegInnen (1998) konnten in der Adverse Childhood Experiences-Study zeigen, dass Kinder mit invalidierenden Erlebnissen oder traumatischen und belastenden Lebensereignissen ein höheres Risiko im späteren Leben haben, physische...
Erscheint lt. Verlag | 11.10.2023 |
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Zusatzinfo | 84 Abb., 5 Tab. |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie |
Schlagworte | Resilienz • Stressbewältigung • Traumatischer Stress |
ISBN-10 | 3-17-042944-2 / 3170429442 |
ISBN-13 | 978-3-17-042944-4 / 9783170429444 |
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