ICF in der Pflege -  Manuela Malek,  Ingrid Nickel,  Andreas Seidel

ICF in der Pflege (eBook)

Praxishandbuch zur Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit für Pflegefachpersonen (ICF)
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
128 Seiten
Hogrefe AG (Verlag)
978-3-456-76256-2 (ISBN)
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Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO ist das weltweit anerkannte Rahmenkonzept für das Verständnis und die Dokumentation von Funktionsfähigkeit und Behinderung. Sie ergänzt das Konzept der ICD (Internationale Klassifikation der Krankheiten), mit der die medizinische Diagnose und Gesundheitsstörungen beschrieben werden. Erst durch das Einbeziehen der ICF gelingt es individuelle Therapie- oder Pflegekonzepte abzuleiten. In den deutschsprachigen Ländern findet die ICF zunehmende Verbreitung im Gesundheits- und Sozialwesen und wird dabei als gemeinsame interdisziplinäre Sprache angewendet. Da Pflege ein zentraler Bestandteil der sozialen Infrastruktur darstellt und Fachkräfte in den Pflegeberufen mit allen Akteur_innen im Gesundheits- und Sozialwesen kooperieren, ist die Kenntnis und praktische Anwendung der ICF in der Pflege unverzichtbar. Dieses Praxishandbuch: führt anschaulich in das biopsychosoziale Modell der ICF ein beschreibt die Komponenten der ICF, wie Körperfunktion, -struktur, Aktivität, Partizipation/Teilhabe sowie umwelt- und personenbezogene Faktoren setzt die dargestellten Inhalte praxisorientiert in Fallbeispielen um und zeigt Möglichkeiten der Pflegedokumentation auf bietet für Pflegefachpersonen eine praxisnahe und verständliche Anleitung für ein ICF-orientiertes Arbeiten stärkt den Professionalisierungsprozess in der Pflege und trägt dazu bei, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu verbessern kann in der Ausbildung und Praxis von Pflegefachpersonen genutzt werden.

|47|2  ICF und Pflege


Klassifikationssysteme in der Pflege haben insofern eine lange Historie hinter sich, als dass sie eng mit dem Pflegeprozess verbunden sind. Darauf wird in Kap. 2.1 näher eingegangen. Anschließend beschäftigt sich Kap. 2.2 mit den Potenzialen der ICF in der Pflege.

2.1  Klassifikationssysteme in der Pflege


Auch wenn Florence Nightingale schon im Jahre 1860 einen ersten wichtigen Meilenstein im Pflegeprozess gelegt hat, wurde erst 1992 die erste Pflegeklassifikation (NANDA) vom Amerikanischen Berufsverband der Pflegenden (ANA) anerkannt. Im Laufe der Jahre sind einige Klassifikationssysteme dazugekommen.

2.1.1  Zweck und Anwendung

Für eine Professionalisierung in der Pflege oder des sogenannten „Advanced Nursing Process“ sind Pflegeklassifikationen unverzichtbar. Sie legen den Grundstein für einen evidenzbasierten Pflegeprozess. Hieraus wird deutlich, dass es sich bei dem Pflegeprozess um einen komplexen Vorgang handelt, der professionelles Wissen, Leitlinien und Konzepte benötigt. Das Ziel von Pflegeklassifikationen ist, dass wissenschaftlich definierte und validierte Konzepte eine Anwendung in der klinischen Pflegesituation finden. Vertiefte Informationen über Anforderungen und Kriterien sind in der Literatur zu finden (Müller Staub et al., 2017). Grundlegend stellen Klassifikationssysteme Systematiken und Ordnungssysteme dar, sodass eine Einteilung nach spezifischen Aspekten und Merkmalen vorgenommen werden kann. Dies erleichtert u. a. die Dokumentation, da eine systematische Einschätzung erfolgen kann (Hoehl & Kullick, 2019). Jede einzelne Klassifikation fokussiert dabei noch ein ganz spezielles Ziel. Somit verfolgt z. B. NANDA die Absicht, Pflegefachwissen zu etablieren (www.nanda.org; eigene Übersetzung). Weitere pflegespezifische Klassifikationen sind NIC (Nursing Interventions Classification) und NOC (Nursing Outcomes Classification). Damit eine Einordnung von Krankheitsdiagnosen erfolgen kann, hat die WHO die ICD erstellt. Ergänzend zur ICD empfiehlt die WHO die Beschreibung der Funktionsfähigkeit (und Behinderung) von Menschen, um deutlich zu machen, wie es einem Menschen mit seinem Gesundheitsproblem in seiner Umwelt geht. In diesem Praxisbuch wird vertieft und praxisnah auf die Einordnung der funktionalen Gesundheit eingegangen.

2.1.2  Die ICF für die Pflege

Nach ihrer Einführung (2001) war die ICF bereits einmal Gegenstand einer Diskussion in der Pflegewissenschaft. Dabei wurde auch disku|48|tiert, inwieweit sich die ICF als Klassifikation für pflegerelevante Phänomene eignet und ob die Einbeziehung der sozialen Dimension (Kontext) von Behinderung in der Pflegepraxis nützlich sein kann (Müller, 2018). Im deutschsprachigen Raum ist die ICF in der Ausbildung, beruflichen Praxis oder wissenschaftlichen Betrachtung noch nicht stark in den Vordergrund getreten. Dabei hat das bio-psycho-soziale Modell ein großes Potenzial für die Pflege(-wissenschaft).

Die Erweiterung der Perspektive in der Pflege von einer biomedizinischen zu einer bio-psycho-sozialen Sichtweise hat den Vorteil, den so bedeutsamen Kontext für die Patient*innen aufzuzeigen und mit in die Pflege- und Therapiekonzepte einzubeziehen. Dies ist bereits heute in der ambulanten (häuslichen) Pflege eine Selbstverständlichkeit und durch das Entlassungsmanagement im stationären Pflegebereich ebenfalls in den letzten Jahren immer deutlicher geworden.

Während bis 2005, dem Jahr, in dem die deutsche Übersetzung der ICF veröffentlicht wurde, in der wissenschaftlichen Suchmaschine „pubmed“ vier Publikationen zu finden sind, sind es heute 251 wissenschaftliche Artikel, die sich hiermit beschäftigen, wenn die Suchworte „nursing“ und „international classification of functioning“ eingegeben werden.

Mit der gesellschaftlichen Umsetzung der Inhalte aus der UN-BRK wird deutlich, dass das ICF-Modell der WHO die „klassischen“ Inhalte und Themen der Pflege mit den „neuen“ Themen (Selbstbestimmung und Partizipation) in der Pflegepraxis altersübergreifend und in verschiedenen Settings gut verbinden kann. Teilhabe und Lebensqualität sind heute zentrale Aspekte beim Thema Gesundheit geworden. Die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen stellt dazu fest, dass hilfe- und pflegebedürftige Menschen das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben. Die Personen- und die Partizipationsorientierung der ICF können diese Perspektiven praktisch und einfach unterstützen.

Die Entwicklung, Implementierung und Anwendung von ICF Core Sets kann in der klinisch-pflegerischen Praxis einen Leitfaden darstellen, um auch in interdisziplinären Teams (unter gleichberechtigter Beteiligung der Pflege) Gesundheitszustände zu beschreiben sowie Interventionen zu planen und durchzuführen. Aktuelle Beispiele hierzu finden sich bereits in vielen Feldern der Versorgung von Patient*innen, z. B. in der Neurologie, Orthopädie, Pulmologie oder Psychiatrie (Huang et al., 2021; Nuño et al., 2021; Pan et al., 2021; Zhang et al., 2021). Nur wenn sich Fachkräfte der Pflege in diesen interdisziplinären Kontexten fachlich und gleichberechtigt einbringen (können), werden die Pflegeaspekte in der Versorgung der Menschen ausreichend berücksichtigt und kann die Professionalisierung der Pflege weiterentwickelt werden. Das Beherrschen der „gemeinsamen Sprache ICF“ bedeutet aber nicht, dass alle Pflegeprozesse im Detail mit der ICF abgebildet werden müssen. So wie bei anderen Fachdisziplinen auch wird es in der Pflege sehr spezifische Beschreibungen und eigene Pflegeklassifikationen brauchen, um den fachlichen Anforderungen im Detail gerecht zu werden (Florin et al., 2021). Für Fachkräfte der Pflegeberufe ist es für die weitere Professionalisierung bedeutsam, die Möglichkeiten der Familie der Klassifikationen der WHO zu kennen und zu nutzen. Mit der stärkeren Implementierung der ICF wird sich auch die Pflege in der interdisziplinären Versorgung von Patient*innen stärker artikulieren können.

2.1.3  Zusammenfassung

  • Für eine professionelle Pflege sind Pflegeklassifikationen unverzichtbar; sie bilden den Grundstein für einen evidenzbasierten Pflegeprozess.

  • Die Erweiterung der Perspektive in der Pflege von einem biomedizinischen zu einem bio-psycho-sozialen Blick hat den Vorteil, den so bedeutsamen Kontext für die Pa|49|tient*innen aufzuzeigen und mit in die Pflege- und Therapiekonzepte einzubeziehen.

2.2  Potenziale der ICF in der Pflege


Wie bereits in den vorherigen Kapiteln beschrieben, fokussiert die ICF nicht nur auf die Beschreibung von Schädigungen, Beeinträchtigungen und Barrieren, sondern auch auf die Fähigkeiten und Kompetenzen der Menschen sowie Förderfaktoren in der Umwelt.

2.2.1  Empowerment

Das Deutlichmachen der eigenen Ressourcen stärkt die Betroffenen vor allem darin, Verantwortung für die Erhaltung der eigenen Gesundheit sowie Genesung zu übernehmen. Wesentliche Aspekte wie Selbstwirksamkeit und Selbstmanagement spielen dabei eine große Rolle. Liegt der Fokus dabei nicht nur auf den eigenen Defiziten (z. B. der ICD-Diagnose oder der Beschreibung von Beeinträchtigungen), sondern auch auf den Ressourcen, steigert sich das Vertrauen und die Motivation des Betroffenen (Wakefield et al., 2018). Wenn beispielsweise bei einem Betroffenen nach einem Schlaganfall Einschränkungen der bewegungsbezogenen Funktionen auftreten, kann dies zunächst sehr entmutigend und deprimierend sein. Eine Parese macht einem Menschen deutlich, dass der eigene Körper nicht mehr so funktioniert, wie er es zuvor gewohnt war. Dies kann unterschiedliche Empfindungen in der Person auslösen, sodass sie sich sehr hilfsbedürftig fühlt. Negative Gefühle manifestieren sich im Körper meist stärker als positive. Umso wichtiger ist es, die positiven und stärkenden Faktoren in den Vordergrund zu stellen. Genau das kann eine ganzheitliche Betrachtung mithilfe der ICF ermöglichen. Denn je mehr sich Betroffene...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
ISBN-10 3-456-76256-9 / 3456762569
ISBN-13 978-3-456-76256-2 / 9783456762562
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