Partizipative Projekte zur Gestaltung von Versorgungssystemen im Gesundheitswesen -

Partizipative Projekte zur Gestaltung von Versorgungssystemen im Gesundheitswesen (eBook)

Entwicklung, Umsetzung und Reflexion
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
204 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-039694-4 (ISBN)
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Das Werk liefert einen Überblick, welchen Beitrag partizipativ gestaltete Entwicklungsprozesse zur Weiterentwicklung von Gesundheits- und Sozialsystemen leisten können. Hierfür werden exemplarisch anhand eines Projekts zur Erarbeitung von Empfehlungen für die Entwicklung einer Autismus-Strategie in Bayern die Vorgehensweise, die Ergebnisse sowie die Reflexion eines solchen Prozesses dargestellt. Die Erarbeitung von Empfehlungen zeichnet sich durch ein breit angelegtes Beteiligungsverfahren aus, welches wissenschaftliche und versorgungspraktische AkteurInnen mit der Perspektive der Betroffenen und Angehörigen sowie der von Behörden und Leistungsträgern zusammenführt. Das Buch gibt einen Einblick in die methodische Gestaltung, den damit verbundenen Anforderungen als auch Stärken und Schwächen von Beteiligungsprozessen. Des Weiteren werden Perspektiven und Kenntnisse über die Besonderheiten im Kontext Autismus-Spektrum-Störung vermittelt.

Prof. Dr. (phil.) Markus Witzmann, Professor für evidenzbasierte Pflege an der Hochschule für angewandte Wissenschaften München, Studiengangsleiter Master Mental Health (MMH) und Mitglied der Ethikkommission; Geschäftsführer der Autismuskompetenzzentrum Oberbayern gGmbH Eva Kunerl, Dipl.-Soziologin, Wiss. Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie an der Hochschule München, Hochschule für angewandte Wissenschaften München. MIt Beiträgen von: Markus Witzmann, Eva Kunerl, Hanna Batzoni, Stefan Bauernfeind, Matthias Dose, Elisa Kutsch, Annika Lang, Reinhard Markowetz, Michele Noterdaeme, Annastasia Prommersberger, Martina Schabert, Leonhard Schilbach, Thomas Schneider, Tobias Schuwerk und Hanna Thaler.

Prof. Dr. (phil.) Markus Witzmann, Professor für evidenzbasierte Pflege an der Hochschule für angewandte Wissenschaften München, Studiengangsleiter Master Mental Health (MMH) und Mitglied der Ethikkommission; Geschäftsführer der Autismuskompetenzzentrum Oberbayern gGmbH Eva Kunerl, Dipl.-Soziologin, Wiss. Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie an der Hochschule München, Hochschule für angewandte Wissenschaften München. MIt Beiträgen von: Markus Witzmann, Eva Kunerl, Hanna Batzoni, Stefan Bauernfeind, Matthias Dose, Elisa Kutsch, Annika Lang, Reinhard Markowetz, Michele Noterdaeme, Annastasia Prommersberger, Martina Schabert, Leonhard Schilbach, Thomas Schneider, Tobias Schuwerk und Hanna Thaler.

Geleitwort:
Eine kurze Problemskizze bestehender Versorgungsstrukturen für autistische Personen


Reinhard Markowetz

»Ich schwöre von dieser Stelle aus, daß das Auffinden eines für Autismus kodierenden Gens, so es ein solches überhaupt gibt, was ich sehr bezweifle, nach einigen Jahren dazu führen wird, daß stolz verkündet wird, daß die Geburtenrate für autistische Kinder stark zurückgehend ist, wie das jüngst in Bezug auf das Down-Syndrom durch die Presse ging. Mit dem Ausschluß der Betroffenen aus unserer Mitte, aus dem Mitmensch-Sein, sind wir anscheinend erst zufrieden, wenn sie nicht mehr sind und nichts mehr kosten – weder Geld noch Nerven.«
(Feuser 2001, S. 3)

Dieses denkwürdige Zitat des geschätzten Kollegen Georg Feuser, der sich zeitlebens intensiv mit selbst vom System der Heil- und Sonderpädagogik aufgegebenen und als austherapiert bezeichneten Autist*innen theoretisch wie praktisch auseinander gesetzt hat, macht darauf aufmerksam, dass Menschen aus dem sogenannten Autismus-Spektrum nicht nur ein hohes Exklusionsrisiko tragen, sondern anhaltend unterversorgt, ja bisweilen sogar noch immer eher verwaltet und verwahrt als vorbehaltlos unterstützt und qualitativ hochwertig gefördert werden (Klauß 1987), auch wenn neuerdings das Thema Autismus eine gewisse Faszination auszulösen vermag und vermehrt über insel- und hochbegabte Autistinnen und Autisten in den Medien berichtet und geschwärmt wird.

Die unendlich lange Geschichte der Hin- und Zuwendung autistischer Menschen erweist sich von der Antike über das Mittelalter, hinein in die Neuzeit, über die Zeit des Nationalsozialismus hinweg in das Hier und Jetzt unserer postmodernen Gesellschaft als ein ausgesprochen schwieriger Weg von der Extinktion, Exklusion und Segregation über die Normalisierungs- und Integrationsbewegung hin zur Inklusion (Markowetz 2015, 2021). Bis heute gehören Autist*innen zweifelsfrei zu den marginalisierten Gruppen unserer Gesellschaft. Noch immer führen sie ein Leben zwischen Integration und Aussonderung, das einem deutlichen Mehr an Anerkennung, Wertschätzung, Teilhabe an Gesellschaft und der Aufwertung wie Perspektiven für ein sozialintegratives Leben in den Städten, Gemeinden, Kommunen und Landkreisen bedarf.

Am 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland in Kraft getreten. Wie kaum ein anderes Recht dieser über 50 Artikel hinweg ausgewiesenen und rechtverbindlichen Menschenrechtskonvention (BMAS 2011) stand in den zurückliegenden 13 Jahren die Umsetzung des Rechts auf Bildung, das auf das Engste mit Inklusion als Begriff, Konzept und Reformprogramm für umfängliche Schulentwicklungen, aber darüber hinaus auch mit allen vor-‍, neben- und nachschulischen noch anzugehenden Fortschritten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens verbunden ist, im Mittelpunkt gesellschaftlicher Debatten und im Fokus der Sozial-‍, Gesundheits- und Bildungspolitik (z. B. Degener & Diehl 2015; Demke 2011, Döttinger & Hollenbach-Biele 2015) aber gleichwohl auch in der Kritik (z. B. Ahrbeck 2014, Graumann 2018, Speck 2011, Winkler 2018). Nach 13 Jahren schulischer Inklusion sind im Zuge der Umsetzung des Artikels 24 der UN-BRK immer mehr Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in unseren »Volksschulen« angekommen und dort willkommen (Klemm 2020, 2021). Wirklich alle? Auch Schüler*innen aus dem Autismus-Spektrum? Ist diese Schülerschaft gesellschaftlich tatsächlich schon Teil des Volkes, das vorbehaltlos anerkannt, gleichwertig behandelt und angemessen versorgt wird?

Offensichtlich noch nicht! Warum hätte es sonst im Nachgang dieser bahnbrechenden UN-Behindertenrechtskonvention, die ja explizit und vorbehaltlos die Schaffung von Strukturen einfordert, um endlich in vollem Umfang und chancengleich in allen gesellschaftlichen Bereichen lebenslang teilhaben zu können, sogar einer speziellen Strategie für Autisten gebraucht? »Mittendrin statt nur dabei« und »Autismus spezifisch unterstützt statt unterversorgt«, das scheint zumindest sich in Bayern noch nicht in dem Maße erfüllt zu haben, wie sich das die Autist*innen erhoffen und immer selbstbewusster lautstark auch einfordern, von der Politik, den Verbänden und allen, die als Träger die Versorgungslandschaft gestalten und den Kanon der Maßnahmen und Hilfen für Autist*innen bestimmen, wohl stets auch vor dem Hintergrund deren Finanzierbarkeit.

Auch wenn noch nicht absehbar ist, ob Inklusion das Verständnis von Autismus als Behinderung oder einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung verändert und autistischen Menschen mehr Teilhabe und Emanzipation bringt, steht fest, dass die Umsetzung von Inklusion als ein gesetzlich verbrieftes Menschenrecht Auftrag und Aufgabe ist, die vom Staat ausnahmslos zu leisten ist. Auf der Grundlage eines Berichts des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales zur aktuellen Versorgungssituation von autistischen Menschen in Bayern (StMAS 2016) wurde im Jahr 2018 deshalb im bayerischen Landtag die Entwicklung einer Autismus-Strategie für Bayern beschlossen, dies mit dem Ziel Empfehlungen zu entwickeln, die sowohl das ganze Autismus-Spektrum als auch die gesamte Lebensspanne und alle Lebensbereiche in Blick nehmen sollen.

Im Mittelpunkt der Strategie und des hier vorliegenden Buches steht die Partizipation autistischer Personen. Die Autismus-Strategie soll für möglichst viele autistische Menschen in Bayern einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung ihrer Lebenssituation leisten. Dies jedoch ist nur möglich, wenn man über die Lebenssituation, die Lebensqualität und die Bedürfnisse von autistischen Menschen aus »erster Hand« umfängliche Kenntnisse hat und die Personengruppe der autistischen Menschen in ihrer gesamten Breite, deren Lebenswelt es im Rahmen der Entwicklung einer Autismus-Strategie Bayern ja wahrzunehmen, zu verstehen und zu verändern gilt, auch an der Forschung und an Entscheidungsprozessen beteiligt wird. Nichts mehr über Autist*innen also ohne sie! Und bitte keine Entscheidungen über die Versorgungssituation von Autist*innen mehr, ohne sie umfassend einzubeziehen! Deshalb war es selbstverständlich, dass die betroffenen Menschen aus dem Autismus-Spektrum gleichberechtigt in der Autismus-Strategie mitwirken mussten und sich in den einzelnen Arbeitsgruppen umfänglich einbringen konnten.

Um autistischen Menschen ein langes und erfülltes Leben in allen gesellschaftlichen Bereichen so selbständig und unabhängig wie möglich zu garantieren, gilt es personenzentriert und teilhabeorientiert alle notwendigen Unterstützungssysteme in ihrer aktuellen Existenz und institutionalisierten Formen nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern diese in enger Zusammenarbeit mit den autistischen Menschen neu zu denken und neu zu machen, damit eine chancengleiche persönliche Entfaltung und damit einhergehend Zufriedenheit und Lebensqualität möglich wird und darüber hinaus das menschliche So-Sein von Autist*innen dem Ansatz der Neuro-Diversität (Zimpel, Hutig-Bohn 2016) folgend von der Gesellschaft wertschätzend als normale Variante des menschlichen Seins allmählich anerkannt wird und bestehende Vorurteile gegenüber Autist*innen abgebaut werden.

Folgt man den Studien und Expertenschätzungen zur Prävalenz von Autismus wird gegenwärtig der Anteil an der Gesamtbevölkerung mit 1 % angegeben (Vllasaliu et al. 2019). Auf internationaler Ebene liegen die Angaben mit 1,5 % bis 2 % sogar noch deutlich höher. Errechnet man ausgehend von rund 81,3 Millionen in Deutschland lebenden Menschen die absolute Zahl der Autist*innen, müsste es schätzungsweise rund 800 Tausend autistische Menschen geben. Folgerichtig müssten unter den rund 13 Millionen in Bayern wohnenden Menschen etwa 130.000 autistische Menschen unterschiedlichster Ausprägung im Freistaat Bayern leben und dementsprechend auch gut versorgt werden. Damit gehören autistische Störungen bzw. Autismus-Spektrum-Störungen zu den eher nicht seltenen Erkrankungen bzw. Behinderungen. Unter der Bevölkerung sind mehr Menschen von Autismus betroffen als etwa von Sehbehinderungen und Blindheit oder von Hörschädigungen und Taubheit (Markowetz 2020).

Vor dem Hintergrund des Anspruchs der Autismus-Strategie die Bildungs-‍, Lebens- und Versorgungsituation von Autisten ökosystemisch als komplexe Mensch-Umwelt-Interaktion zu betrachten und zu verbessern, bedarf es kritischer Blicke auf individuelle Befindlichkeiten wie aktuelle Versorgungszustände einzelner Autistinnen und Autisten genauso wie systematisch angelegte Ist-Analysen von gesellschaftlichen Systemen, die darauf Einfluss nehmen bzw. die umgekehrt durch die Existenz von Autist*innen in ihrer Funktionalität beeinflusst und bestimmt werden, so z. B. insbesondere das System Familie.

Trotz der Etablierung von bayernweiten Strukturen, wie den bayerischen Autismusberatungsstellen ab 2008, gab es bislang für in Bayern lebende Autist*innen und ihre Familien keine überregionale, systematische Erfassung ihrer Schul- und Gesamtlebenssituation, ihrer Lebensqualität und ihrer Bedürfnisse (Schuwerk et al. 2019). Wie aber kann die Versorgung sozialplanerisch flächendeckend gerecht und autismusspezifisch genug...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2023
Co-Autor Hanna Batzoni, Stefan Bauernfeind, Matthias Dose, Elisa Kutsch, Annika Lang, Reinhard Markowetz, Michele Noterdaeme, Annastasia Prommersberger, Martina Schabert, Leonhard Schilbach, Thomas Schneider, Tobias Schuwerk, Hanna Thaler
Zusatzinfo 13 Abb., 11 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
Schlagworte Autismus • Gesundheitsversorgung • Partizipation • Versorgung
ISBN-10 3-17-039694-3 / 3170396943
ISBN-13 978-3-17-039694-4 / 9783170396944
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