Pflegehabitus in der stationären Langzeitpflege von Menschen mit Demenz -

Pflegehabitus in der stationären Langzeitpflege von Menschen mit Demenz (eBook)

Personzentrierte Pflegebeziehungen nachhaltig gestalten

Hermann Brandenburg (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
230 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-037312-9 (ISBN)
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Der Band arbeitet heraus, welche Faktoren eine personzentrierte Pflegebeziehung befördern und stützt sich dabei auf Aussagen und Beobachtungen von Pflegefachpersonen in zwei stationären Altenpflegeeinrichtungen, die sich auf eine personzentrierte Pflege von Menschen mit Demenz spezialisiert haben. Die empirischen Daten wurden im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts erhoben. Im Ergebnis werden verschiedene Typen des Pflegehandelns rekonstruiert, um individuelle und organisationsbezogene Fallstricke zu erkennen, die eine personzentrierte Pflege hemmen.

Univ.- Prof. Dr. Hermann Brandenburg ist Inhaber des Lehrstuhls für Gerontologische Pflege an der Vincenz Pallotti University Vallendar. Mit Beiträgen von: Hermann Brandenburg, Lola Maria Amekor, Heike Baranzke, Volker Fenchel, Leonie Mareen Göcke, Helen Güther, Lisa Luft, Alfons Maurer, Sabine Ursula Nover und Frank Schulz-Nieswandt.

Univ.- Prof. Dr. Hermann Brandenburg ist Inhaber des Lehrstuhls für Gerontologische Pflege an der Vincenz Pallotti University Vallendar. Mit Beiträgen von: Hermann Brandenburg, Lola Maria Amekor, Heike Baranzke, Volker Fenchel, Leonie Mareen Göcke, Helen Güther, Lisa Luft, Alfons Maurer, Sabine Ursula Nover und Frank Schulz-Nieswandt.

Einleitung: Die Pflege von Menschen mit Demenz in der Langzeitpflege ist eine große Herausforderung! – Einleitende Bemerkungen zur HALT-Studie


Hermann Brandenburg1


Eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen ist die Garantierung der Menschenresp. Grundrechte auf Selbstbestimmung und soziale Teilhabe von pflege- und hilfsbedürftigen Menschen2 und in besonderer Weise von Menschen mit Demenz.3 Daher widmet sich die vorliegende Forschungsarbeit der empirisch begründeten Entwicklung einer diese Grundrechte von Demenzbetroffenen nicht nur achtenden, sondern auch fördernden Pflege. Je nach Prognose wird in Deutschland die Zahl der Betroffenen für das Jahr 2050 auf 1,5–3 Millionen geschätzt, sofern kein Durchbruch in der Prävention und Therapie gelingt (Deutsche Alzheimer Gesellschaft 2018, S. 20). Für Europa werden zu diesem Zeitpunkt 16,2 Millionen demenziell erkrankte Personen erwartet, weltweit liegen die Schätzungen zwischen 84 und 107 Millionen Menschen (Doblhammer et al. 2012; vgl. auch Deutsche Alzheimergesellschaft 2018). Die Institutionalisierungsrate dieser Personengruppe ist dabei sehr hoch. In stationären Pflegeeinrichtungen leiden bereits etwa zwei Drittel der Bewohnerschaft an einer Demenz, davon mehr als die Hälfte an einer schweren Demenz (Schäufele et al. 2009). Eine kausale medizinische Therapie ist bislang nicht möglich (Förstl 2009; vgl. auch Jessen 2019 oder Karakaya et al. 2021; zu nicht-medikamentösen Therapien vgl. Pantel & Schall 2019, für eine leibphänomenologische Perspektive aus der Medizin vgl. z. B. Fuchs 2019). Der Terminus »Demenz« beschreibt ein Syndrom kognitiv degenerativer Prozesse (zur Ontologie der Demenz vgl. Schnabel 2022). Darunter gilt die Alzheimersche Krankheit als die am häufigsten vorkommende Form der Demenz, deren Prävalenz mit dem Lebensalter steigt. Die genaue Diagnose ist mit Unsicherheiten behaftet und in der Regel erst nach dem Tode möglich. Sie beschränkt sich daher auf eine Klassifikation aus typischen Symptomen wie fortschreitendem Gedächtnis- und Orientierungsverlust, Abbau kognitiver Fähigkeiten und Veränderungen in Verhalten und Persönlichkeit. Zugleich gehen Fähigkeiten der Kommunikation und Mobilität z. T. vollständig verloren (Kruse 2010). Daraus resultieren zum einen progredient verlaufende Einschränkungen der Alltagskompetenz und der Fähigkeit, selbständig einen gelingenden Kontakt mit der Umwelt herzustellen sowie zentrale Bedürfnisse nach Bezogenheit, Teilhabe und Personsein eigenständig zu realisieren (Nordheim/Liebich 2010). Zum anderen vermögen Betroffene ihre Bedürfnisse nur noch in einer zunehmend unspezifischen Form auszudrücken (Apathie, Aggressivität, Umherwandern, Angst), die als »herausforderndes Verhalten« bezeichnet wird (BMG 2006). Insbesondere im Kontext der stationären Langzeitpflege erwächst daraus das Problem der Isolation und Depersonalisierung (Schölzel-Dorenbos et al. 2010, Rocha et al. 2013). Vor diesem Hintergrund wird die Wichtigkeit einer durch personale Anerkennung charakterisierte (Güther 2015, 2018) und das Grundrecht auf soziale Teilhabe gewährende Pflegebeziehung nicht hinreichend berücksichtigt. Dabei bieten die Pflegepersonen in grundlegender Weise die Möglichkeit zur »Kontaktarbeit«, um Brücken zur Umwelt zu bauen und dadurch Teilhabe und Sicherheit zu vermitteln (Rösner 2014). Auf die herausragende Rolle Pflegender in der Förderung von sozialer Teilhabe (Rehabilitation) ist schon früh in der Forschung hingewiesen worden (Henderson 1980), da die Pflege den maßgeblichen sozialen Kontext für das Leben abhängiger, auf die Hilfe anderer angewiesener und an Demenz erkrankter Personen in der stationären Langzeitpflege darstellt (vgl. auch Nolan et al. 2008, Dening/Mine 2011, Ying-Ling et al. 2015). Damit ist von einem bio-psycho-sozialen Modell der Demenz auszugehen. Seit den ersten Arbeiten des britischen Theologen und Sozialpsychologen Tom Kitwood in den 1990er Jahren wird Demenz in der Pflegewissenschaft nicht mehr nur als ein neuropathologisches Krankheitsgeschehen verstanden. Vielmehr werden neben der biomedizinischen auch psycho-soziale Dimensionen der Demenz betont, die eine das Zugehörigkeitsgefühl beeinflussende Wechselwirkung zwischen der betroffenen Person und ihrer sozialen Umwelt unterstreichen. Die Medikalisierung demenzieller Erkrankungen und die daraus resultierende Medizinalisierung des pflegerischen Umgangs kritisierend (Morton 2002; vgl. auch Twenhöfel 2011) hat Kitwood den Ansatz einer »Person-Centred Care« (PCC) entwickelt,4 der die sozialpsychologischen Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz in den Vordergrund rückt. Folglich wird die vorrangige Relevanz einer soziale Teilhabe gewährenden, kommunikativen Pflegekultur für die Zielgruppehervorgehoben (Kitwood 1990, 1993, 2013), die sich auch positiv auf die Berufszufriedenheit der Pflegenden auswirkt. PCC gilt seither als führender Orientierungsrahmen für eine gute Pflege von Menschen mit Demenz und wird insbesondere im britischen und US-amerikanischen Raum erforscht und diskutiert (vgl. Überblick bei Boggatz 2020, McCormack 2004, McCormack et al. 2021). Jüngere Studien zeigen jedoch, dass PCC-geschulte Pflegepersonen ihr Teilhabe gewährendes Kommunikationshandeln gegenüber den Betroffenen im Pflegealltag nicht zu stabilisieren vermögen, sondern in ein exkludierendes Verhalten des »othering« zurückfallen (vor allem: Doyle/Rubinstein 2014) Letztlich dominiert ein medikal geprägtes Defizitverständnis, welches Machbarkeit und Bewältigung von Problemsituationen (z. B. herausforderndes Verhalten) und weniger die Verständigung der Beteiligten betont.

In dem vorliegenden Forschungsprojekt wird daher die Frage untersucht, welche primärsozialisierenden, professionssozialisierenden oder kontextuellen Faktoren sich in der Praxis einer stationären Pflege von Menschen mit Demenz nachweisen lassen, die einer professionellen Habitualisierung einer PCC-Praxis und damit einer Veränderung der Pflegekultur (»culture change«)5 entgegenstehen oder diese unterstützen. Insgesamt rückt die Relevanz einer Beziehungsgestaltung »mit therapeutischem Charakter« (DNQP 2018, S. 17) in den Fokus der Aufmerksamkeit.

In der Forschung zur PCC überwiegen Studien mit randomisiert kontrollierten Designs (RCTs). In den bekannten Arbeiten von Sloane et al. (2004) sowie von Hoeffer et al. (2006) wurden positive Auswirkungen auf das Verhalten festgestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass Pflegehandlungen in der Interventionsgruppe erleichtert wurden, Stressempfinden abnahm und die Zufriedenheit der Pflegenden stieg. Pflegende zeigten darüber hinaus vermehrt höfliches Verhalten. Die Autorinnen und Autoren berichten, dass die kommunikativen, verbalen Kompetenzen der Pflegenden jedoch nicht dauerhaft verbessert werden konnten. Im Hinblick auf den Gebrauch von Psychopharmaka ist eine Untersuchung von Fossey et al. (2006) wichtig geworden. Im Rahmen einer 12-monatigen Längsschnittstudie konnte eine Reduktion von Neuroleptika von der Forschergruppe belegt werden. Auswirkungen im Hinblick auf das Verhalten der Menschen (z. B. Agitation) wurden nicht beobachtet. Diesen Nachweis konnte die Studie von Chenoweth et al. (2009) erbringen, in der eine signifikante Verringerung von agitiertem Verhalten nach einem PCC-Training dokumentiert wurde. Die Dosierung der Psychopharmaka war in der PCC-Gruppe allerdings höher als in den Kontrollgruppen. Die Sichtweisen und die Bedürfnisse der von Demenz betroffenen Menschen sowie das pflegerische Selbstverständnis und die Beziehungsgestaltung als solche wurden in keiner der Studien ermittelt.6 Auch in der deutschen Fachdebatte werden die vorgeschlagenen Pflegeinterventionen vorwiegend im Hinblick auf die Modifikation bzw. Reduktion von herausforderndem Verhalten diskutiert, weniger bezogen auf die Gestaltung grundlegender Verständigungs- und Aushandlungsprozesse zwischen Pflegenden und Betroffenen (BMG 2006, DIMDI 2009, IQWiG 2009). Edvardsson et al. (2008) resümieren den Forschungsstand in ihrem Review zudem als mangelhaft hinsichtlich der Berücksichtigung des organisatorischen Kontextes auf die Pflegepraxis. Offen bleiben auch die Fragen, welche Pflegepersonen für PCC geeignet sind, für wen dieser Ansatz Vorteile bringt, welche Ressourcen dafür erforderlich sind und welche nachhaltigen Wirkungen beobachtet werden können. Ein grundlegender Wandel in Handlungspraxis und Pflegeorganisation hinsichtlich der PCC bei Demenz ist daher bislang nicht oder nur in Ansätzen zu beobachten (Kirkley et al. 2011). Diese Aussage wird auch durch die bereits erwähnte amerikanische Studie von Doyle/Rubinstein (2014) gestützt, in der untersucht wurde, wie PCC von Pflegenden definiert und praktiziert wird. Mit einem ethnographischen Untersuchungsdesign kommen sie zu dem Ergebnis, dass trotz PCC-Schulungen des Personals in einer für PCC ausgewiesenen...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2023
Co-Autor Heike Baranzke, Lisa Luft, Lola Maria Amekor, Volker Fenchel, Leonie Mareen Göcke, Helen Güther, Alfons Maurer, Sabine Ursula Nover, Frank Schulz-Nieswandt
Zusatzinfo 5 Abb., 2 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
Schlagworte Altenheim • Altenpflege • Demenz • Gerontologie • Langzeitpflege
ISBN-10 3-17-037312-9 / 3170373129
ISBN-13 978-3-17-037312-9 / 9783170373129
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