Bodennahe Pflege -  Bianca Schmidt-Maciejewski

Bodennahe Pflege (eBook)

Grundlagen, praktische Umsetzung, Fallbeispiele
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
98 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-041929-2 (ISBN)
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Die Arbeit mit sturzgefährdeten Menschen stellt Pflegende vor große Herausforderungen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Betroffenen zusätzlich kognitiv eingeschränkt sind. Pflegebedürftige sollen vor Stürzen geschützt werden bei gleichzeitigem Erhalt von Selbstbestimmtheit und größtmöglicher Mobilität. Die bodennahe Pflege stellt eine Möglichkeit dar, beiden Ansprüchen gerecht zu werden. Das Buch bietet Pflegenden mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und rechtlichen Grundlagen untermauerte Handlungsempfehlungen, um das Konzept im Pflegealltag umzusetzen. Die Erläuterung einer bedarfsgerechten Vorgehensweise bei der Implementierung erfolgt in drei Phasen: von der Planung einer bodennahen Pflege bis hin zur Rückführung in die Normalität. Das Buch bezieht dabei auch hygienische Aspekte ein und gibt Hinweise zum rückenschonenden Bewegen der Pflegebedürftigen auf dem Boden. Pflegetherapeutische Konzepte sowie Maßnahmen zum Thema Kontinenzförderung erleichtern die praktische Umsetzung der bodennahen Pflege. Anhand von Fallbeispielen wird die Praktikabilität des Konzeptes konkret erläutert.

Bianca Schmidt-Maciejewski, M. Sc., Advanced Practice Nurse und Leitung der Stabsstelle Pflegekompetenz am Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand.

Bianca Schmidt-Maciejewski, M. Sc., Advanced Practice Nurse und Leitung der Stabsstelle Pflegekompetenz am Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand.

3 Praktische Umsetzung der bodennahen Pflege


Bodennahe Pflege bezeichnet solche Pflegesituationen, in denen Pflegebedürftige auf einem Matratzenlager auf dem Zimmerboden betreut werden. Alle pflegerischen und therapeutischen Aktivitäten werden dabei auf dem Matratzenlager bzw. auf dem Boden durchgeführt. Allgemeinhin gilt, dass besonders Personengruppen von einer pflegerischen Begleitung in bodennaher Pflege profitieren, die eine motorische Unruhe oder Aufsteh- und Hinlauftendenzen zeigen und gleichzeitig stark sturzgefährdet (▸ Kap. 2.3.1) sind. Weisen die betroffenen Personen zudem eine kognitive Einschränkung oder eine Desorientiertheit auf, können diese Pflegebedürftigen in besonderem Maße von einer bodennahen Pflege profitieren.

Das Ziel dieser pflegerischen Maßnahme ist es, Stürze und deren Folgen zu verhindern, die Mobilität der Pflegebedürftigen zu erhalten und freiheitsentziehende Maßnahmen (▸ Kap. 2.4.2) zu vermeiden (Schmidt-Maciejewski, 2021). Tatsächlich zeigen Evidenzen eine tendenzielle Abnahme der Sturzhäufigkeit bei Personen, die bodennah gepflegt werden (Suter-Riederer et al., 2009). Ebenso lässt sich feststellen, dass die Betroffenen sowohl einen Zugewinn in ihren Bewegungskompetenzen als auch in ihrer Leistungsfähigkeit kognitiver Art erzielen (Imhof et al., 2015). Der im Rahmen der bodennahen Pflege feststellbare verbesserte Allgemeinzustand der Pflegebedürftigen scheint zudem die Verschreibungshäufigkeit von Psychopharmaka zu reduzieren (Bredthauer, 2006). Somit zeigen sich unverkennbar positive Effekte der bodennahen Pflege, wenngleich es insgesamt wenige wissenschaftliche Untersuchungen zur Anwendung dieses Pflegekonzeptes gibt.

Die praktische Umsetzung der bodennahen Pflege erfordert das Einbeziehen diverser Stakeholder, inklusive der Bereichsleitungsebene einer Klinik sowie die Einbindung der Hygieneabteilung. Die Unterstützung der Leitungsebene ist von großer Bedeutung, da sich bei der Umsetzung der bodennahen Pflege die Notwendigkeit einer Einzelzimmernutzung ergibt (▸ Kap. 3.1), was unter Umständen Kostenfragen und Fragen des Belegungsmanagements einer Einrichtung aufwirft (Schmidt-Maciejewski, 2021). Wenn auch prinzipiell aus hygienischer Sicht nichts gegen die Umsetzung der bodennahen Pflege spricht (▸ Kap. 3.2), ist die Einbindung der Hygieneabteilung sinnvoll, um Fragen bezüglich der Materialauswahl und deren Reinigung vor Umsetzung und auch im Prozess klären zu können. Auch ist es wichtig, Bedenken einzelner Stakeholder bezüglich einer möglichen Keimübertragung durch die Arbeit auf dem Boden mit spezieller Fachexpertise begegnen zu können. Besonders wichtig ist jedoch, dass die Umsetzung der bodennahen Pflege vom gesamten multiprofessionellen Team einer Station bzw. eines Pflegebereichs mitgetragen wird. Jegliche pflegerische, therapeutische und medizinisch-behandelnde Arbeit wird dann auf dem Boden durchgeführt, was den initiierenden Personen bewusst sein muss.

Es stellt sich nun die Frage, welcher Berufsgruppe die Initiierung der bodennahen Pflege obliegt. Laut der allgemeinen Interpretation der Rechtsprechung lassen sich die Expertenstandards des DNQP mit anderen, medizinischen Leitlinien gleichsetzen, da sich hieraus evidenzbasierte Handlungsempfehlungen ergeben (▸ Kap. 2.3). Da der Expertenstandard »Sturzprophylaxe in der Pflege« somit handlungsleitend für das Thema Sturzprophylaxe ist, kann angenommen werden, dass die Berufsgruppe der Pflegenden die weitreichendste Fachexpertise in diesem Themenbereich aufweist. Eine sogenannte Fachgleichheit zwischen Pflegenden und Medizinerinnen und Medizinern kann nicht angenommen werden (Gaßner & Strömer, 2015), sodass die Entscheidung zur bodennahen Pflege demnach den Pflegenden obliegt (Klein, 2014). Nichtsdestotrotz sollte die Entscheidung, ob Pflegebedürftige eine bodennahe Pflege erhalten sollen, im gesamten Team erörtert, abgewogen und entschieden werden (▸ Kap. 3.3.1). Es ist unstrittig, dass, wenn die Umsetzung der bodennahen Pflege als Entscheidung einer einzigen Berufsgruppe oder gar einer Einzelperson gegen den Willen des multiprofessionellen Teams erfolgt, diese scheitern wird. So gibt es unterschiedlichste Beispiele dafür, dass Pflegende die Entscheidung von Therapierenden nach Therapieende rückgängig machten oder bei Unstimmigkeiten im Pflegeteam nach Schichtwechsel die bodennahe Pflege wieder aufgehoben wurde (Lückhoff, 2010). Solche Situationen verschlechtern nicht nur die Zusammenarbeit im gesamten Team, sondern wirken sich auch auf die Pflegebedürftigen aus. Sie sind die Leidtragenden, da sie durch die inkonsequente Umsetzung eines Pflegekonzepts in ihrer Desorientierung verbleiben und unter Umständen, durch eine Ortsfixierung im Pflegebett, in ihrer Mobilität stark eingeschränkt werden. Zu guter Letzt ist die Einbindung der Angehörigen und der gesetzlich Betreuenden in das Thema bodennahe Pflege ein wichtiger Faktor, der das Gelingen maßgeblich beeinflusst (▸ Kap. 4.1). Personen auf dem Boden liegend vorzufinden, entspricht nicht dem gängigen Verständnis von Krankheit, Behandlung und Pflege und kann daher als Achtlosigkeit und würdelos fehlinterpretiert werden. Daher ist die Vorabinformation der Angehörigen in der Planungsphase (▸ Kap. 3.3.1), wobei die Indikationen erklärt und die erhofften positiven Effekte dargestellt werden, von großer Bedeutung (Klein, 2014). Auch kann an dieser Stelle abgeklärt werden, inwiefern die Angehörigen in den Prozess der Umsetzung der bodennahen Pflege eingebunden werden möchten.

3.1 Räumliche Ausstattung


Ganz generell sollte für die Umsetzung einer bodennahen Pflege ein Einzelzimmer für die pflegebedürftige Person zur Verfügung stehen. Die bodennahe Pflege hat zum Ziel, dem Bewegungsdrang der Pflegebedürftigen den größtmöglichen Spielraum zu geben. Es ist daher erforderlich, alle Möbelstücke und medizinische Hilfsmittel, die nicht fest mit der Räumlichkeit verankert sind, zu entfernen. Dazu gehören neben Infusionsständern auch Stühle, Tische, Nachtschränke und das Bett der Pflegebedürftigen. Hilfsmittel, wie fahrbare Lifter oder Rollstühle, müssen bei Bedarf ins Zimmer geholt und nach Gebrauch wieder entfernt werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass sich die Pflegebedürftigen an beweglichem Mobiliar und an Hilfsmitteln festhalten oder versuchen, sich aufzurichten. Das bewegliche Mobiliar könnte kippen und es käme dann unter Umständen zu gravierenden Verletzungen bei den in bodennaher Pflege befindlichen Personen (Klein, 2014). Für die Umgestaltung des Patientenzimmers werden daher verschiedenste alternative Positionierungshilfsmittel benötigt (▸ Abb. 5).

Abb. 5:Positionierungsmaterialien (eigenes Foto)

Nach Möglichkeit sollten zwei Matratzen zur Verfügung stehen. In der Regel sind Fußböden in Pflegeeinrichtungen unbeheizt. Die Wärme, die aber von Wandheizkörpern abgestrahlt wird, steigt in die mittleren und oberen Raumschichten auf, der Fußboden bleibt kalt. Da die Matratzen auf dem Fußboden positioniert werden, besteht die Gefahr, dass Pflegebedürftige, die auf nur einer einzelnen Matratze liegen, auskühlen könnten. Daher sollten zwei Matratzen übereinander liegend genutzt werden. Ist es nicht möglich, eine zweite Matratze für die bodennahe Pflege zur Verfügung zu stellen, ist als Mindestanforderung eine Gymnastikmatte zum Zwecke der Isolation unter der Matratze zu positionieren. Auch kann eine Matratze allein die Härte des Bodens nur gering ausgleichen. Das ist vor allem für Pflegebedürftige relevant, bei denen muskuloskelettale Erkrankungen bekannt sind. Für diese Personengruppe kann das Liegen auf dem Boden mit zu geringer Polsterung Schmerzen verursachen (Hirsch, 2016; Suter-Riederer et al., 2009; Kuster, 2004).

Ob der Auflagedruck auf dem Boden zu einem gehäuften Auftreten von Dekubitalgeschwüren führt, ist aktuell noch nicht wissenschaftlich untersucht. Da sich die bodennahe Pflege jedoch an Menschen richtet, die einen starken Bewegungsdrang bei gleichzeitiger Sturzgefahr zeigen, sind diese Personen in der Regel selbst in Lage, druckentlastende Bewegungen durchzuführen. Aufgrund der aber noch fehlenden Datenlage sollte dennoch, besonders bei Personen mit einer generell erhöhten Dekubitusgefahr, im Rahmen der Durchführung einer bodennahen Pflege eine gründliche Hautinspektion durchgeführt werden. Durch den starken Bewegungsdrang der Pflegebedürftigen ist davon auszugehen, dass sich der Bewegungsradius auf das gesamte Zimmer erstreckt. Es bietet sich daher aus oben genannten Gründen an, den Boden um das eigentliche Matratzenlager herum großflächig mit Gymnastikmatten auszulegen. Nicht nur für die Pflegebedürftigen wird das Bewegen auf dem Boden durch die Matten angenehmer gestaltet, sondern auch für alle pflegerisch und therapeutisch Tätigen. Die...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2023
Zusatzinfo 20 Abb., 6 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
Schlagworte Freiheitsentziehende Maßnahmen • Geriatrie • Patientenmobilität • Pflegepraxis • Sturz
ISBN-10 3-17-041929-3 / 3170419293
ISBN-13 978-3-17-041929-2 / 9783170419292
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