Das Gen (eBook)

Eine sehr persönliche Geschichte | Der New York Times-Bestseller
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
768 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2782-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Gen -  Siddhartha Mukherjee
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Die Geschichte einer der mächtigsten und gefährlichsten Ideen der Menschheit Mukherjee kreiert ein ambitioniertes und faszinierendes Panorama über den Versuch, das menschliche Genom zu entschlüsseln und in unser Erbgut einzugreifen. Es beginnt in einem augustinischen Kloster im Jahr 1856 und führt uns von Darwins Evolutionstheorie über die grausame Eugenik der Nationalsozialisten ins heute und darüber hinaus. Indem er seine eigene Familiengeschichte einwebt, die von tragischen psychischen Erkrankungen geprägt ist, führt Mukherjee uns vor Augen, dass die Forschungsergebnisse aus dem Labor einen immensen Einfluss auf unser echtes Leben haben, auf die Zukunft und die Identätit unserer Kinder. Das Gen ist das ultimative Buch über die Geschichte der Genetik und ermöglicht uns einen ehrlichen und erhellenden Blick in die Vergangenheit und Zukunft der Menschheit. »Mukherjee verpackt abstrakte, intellektuelle Ideen in emotionale Geschichten.« The Washington Post »Leicht verständlich und unterhaltsam, aber ohne grobe Vereinfachungen verknüpft er geschickt große Ereignisse der Wissenschaft mit seiner eigenen Familiengeschichte.« Deutschlandfunk 

Siddhartha Mukherjee ist praktizierender Onkologe am Columbia University Medical Center und Autor. Für sein Buchdebüt Der König aller Krankheiten: Krebs - eine Biographie erhielt er 2011 den Pulitzer Preis. Auch Das Gen - eine sehr persönliche Geschichte war ein weltweiter Erfolg. Als Experte auf dem Gebiet der Krebs- und Stammzellforschung veröffentlicht er regelmäßig in The New Yorker und der New York Times. Dr. Mukherjee lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in New York.

Siddhartha Mukherjee ist praktizierender Onkologe am Columbia University Medical Center und Autor. Für sein Buchdebüt Der König aller Krankheiten: Krebs – eine Biografie erhielt er 2011 den Pulitzer Preis. Auch Das Gen – eine sehr persönliche Geschichte war ein weltweiter Erfolg. Als Experte auf dem Gebiet der Krebs- und Stammzellforschung veröffentlicht er regelmäßig in The New Yorker und der New York Times. Dr. Mukherjee lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in New York.

Der Klostergarten

Nun kennen sich gerade die Erforscher der Vererbung bestens auf ihrem Gebiet aus, abgesehen davon, daß sie nicht wissen, was ihr Gebiet ist. Sie kamen, so vermute ich, in jenem Unterholz zur Welt und haben dort ihr ganzes Leben zugebracht und es gründlich durchstöbert, ohne an sein Ende zu gelangen. Das heißt, sie haben alles erforscht bis auf die Frage, was sie da eigentlich erforschen.

Gilbert K. Chesterton,

Eugenik und andere Übel3

Frage … die Sträucher der Erde, die werden dich’s lehren …

Hiob 12,8

Ursprünglich hatte das Kloster Nonnen beherbergt, und die Augustinermönche hatten – wie sie oft beklagten – in wesentlich üppigeren Verhältnissen und großzügigeren Räumlichkeiten in einer großen Abtei auf der Anhöhe im Herzen der mittelalterlichen Stadt Brünn (Brno) gelebt. Die Stadt war im Laufe von vier Jahrhunderten rund um das Kloster gewachsen und hatte sich an den Hängen und darüber hinaus im Flachland mit Bauernhöfen und Weiden ausgebreitet. Die Mönche waren 1783 bei Kaiser Joseph II. in Ungnade gefallen: Er hatte rundheraus erklärt, die Immobilie mitten in der Stadt sei viel zu wertvoll für sie – und hatte ihnen ein baufälliges Gemäuer am Fuß des Hügels in Altbrünn zugewiesen. Die Ungeheuerlichkeit dieser Umsiedlung wurde noch durch den Umstand verschlimmert, dass die Mönche in ein ursprünglich für Frauen errichtetes Kloster ziehen mussten. In den Sälen hing der dumpfe Geruch feuchten Mörtels, und das Gelände war von Gras, Dornengestrüpp und Unkraut überwuchert. Der einzige Vorzug dieser Anlage aus dem 14. Jahrhundert – die kalt wie ein Schlachthaus und karg wie ein Gefängnis war – bestand in einem rechteckigen Garten mit schattenspendenden Bäumen, Steintreppen und einer langen Allee, wo die Mönche in stiller Abgeschiedenheit spazieren gehen und meditieren konnten.

Die Ordensbrüder machten das Beste aus ihrer neuen Unterkunft. Sie richteten im zweiten Stock wieder eine Bibliothek mit angrenzendem Studierzimmer ein und statteten sie mit Lesetischen, einigen Lampen und einer wachsenden Sammlung von annähernd zehntausend Büchern aus, darunter auch die neuesten Werke zu Naturgeschichte, Geologie und Astronomie (die Augustiner sahen glücklicherweise keinen Konflikt zwischen Religion und weiten Teilen der Naturwissenschaften; sie begrüßten diese vielmehr als weiteren Beleg für das Wirken der göttlichen Ordnung in der Welt).4 Zudem legten sie einen Weinkeller an und bauten darüber ein bescheidenes Refektorium mit Deckengewölbe. Im zweiten Stock schliefen die Mönche in einem Schlafsaal mit abgetrennten Zellen.

Im Oktober 1843 trat ein junger Mann aus einer schlesischen Bauernfamilie in das Kloster ein.5 Er war klein, kurzsichtig, hatte ein ernstes Gesicht und neigte zur Korpulenz. Am geistlichen Leben bekundete er kein sonderliches Interesse – war aber wissbegierig, handwerklich geschickt und ein begabter Gärtner. Das Kloster bot ihm ein Zuhause und einen Ort, an dem er lesen und lernen konnte. Am 6. August 1847 empfing er die Priesterweihe. Sein Taufname war Johann, aber die Mönche gaben ihm den Ordensnamen Gregor Johann Mendel.

Der junge Novize fand bald in die gleichmäßige Routine des Klosterlebens. Im Rahmen seiner Ausbildung studierte er 1845 an der Theologischen Lehranstalt Brünn Theologie, Geschichte und Naturwissenschaften. Die Unruhen von 1848 – die blutigen Revolutionen, die die gesellschaftliche, politische und religiöse Ordnung in Frankreich, Dänemark und Deutschland erschütterten – gingen weitgehend an ihm vorüber wie fernes Donnergrollen.6 Nichts in Mendels Anfangsjahren deutete auch nur im Entferntesten auf den revolutionären Naturwissenschaftler hin, zu dem er sich entwickeln sollte. Er war diszipliniert, fleißig und ehrerbietig – ein Mann, der sich an die Gepflogenheiten der Ordensleute anpasste. Das einzige Anzeichen von Auflehnung gegen Autoritäten bestand in seiner gelegentlichen Weigerung, in Studentenmütze zum Unterricht zu erscheinen. Auf Ermahnung seiner Oberen beugte er sich jedoch.

Im Sommer 1848 nahm Mendel seine seelsorgerische Arbeit in einer Brünner Pfarrei auf, die er nach allen Berichten äußert unbefriedigend erledigte. Mendel war von »einer unüberwindlichen Scheu«, wie sein Abt erklärte, brachte auf Tschechisch (der Sprache der meisten Pfarrkinder) kaum ein Wort heraus, war als Priester wenig inspirierend und zu empfindsam, um die Arbeit mit den Armen emotional zu verkraften.7 Noch im selben Jahr hatte Mendel einen perfekten Ausweg gefunden: Er bewarb sich als Lehrer für Mathematik, Naturwissenschaften und Griechisch am Gymnasium in Znaim (Znojmo) und erhielt die Stelle auf hilfreiches Drängen seiner Abtei – allerdings hatte die Sache einen Haken.8 Da die Schule wusste, dass er keine Lehrerausbildung genossen hatte, verlangte sie, dass Mendel die externe Lehramtsprüfung in Naturwissenschaften absolvieren solle.

Im Frühjahr 1850 legte Mendel voller Eifer die schriftliche Prüfung in Brünn ab – und reichte in Geologie eine ausgesprochen miserable Arbeit ein (als »trocken, unklar und verschwimmend« bezeichnete ein Prüfer Mendels Leistung in diesem Fach).9 Anfang August reiste er während einer Hitzewelle von Brünn nach Wien, um sich dort der mündlichen Prüfung zu stellen.10 Am 16. August erschien er vor seinen Prüfern in den Naturwissenschaften. Diesmal schnitt er noch schlechter ab – in Biologie. Als er die Säugetiere beschreiben und klassifizieren sollte, kritzelte er eine unvollständige und absurde Taxonomie hin, in der er Gattungen ausließ, andere erfand, Kängurus mit Bibern und Schweine mit Elefanten in einen Topf warf. Einer der Prüfer monierte: »… von einer Kunstsprache macht er keinen Gebrauch, indem er alle Tiere bloß mit dem deutschen Familiennamen bezeichnet, ohne irgendeiner systematischen Nomenklatur sich zu bedienen.«11 Mendel fiel durch.

Mit diesen Prüfungsergebnissen kehrte er nach Brünn zurück. Das Verdikt der Prüfer war eindeutig: Wenn Mendel die Lehrerlaubnis erhalten wollte, brauchte er eine weitergehende naturwissenschaftliche Ausbildung – ein umfangreicheres Studium, als sein Kloster es ihm in Bibliothek oder Garten vermitteln konnte. Unterstützt von Empfehlungs- und Bittbriefen seiner Abtei bewarb Mendel sich um einen Studienplatz an der Universität Wien und wurde angenommen.

Im Winter 1851 stieg Mendel in den Zug, um sich an der Universität einzuschreiben. Damit begannen seine Probleme mit der Biologie – und die der Biologie mit ihm.

• • •

Der Nachtzug von Brünn nach Wien fuhr durch eine atemberaubend kahle Winterlandschaft – gefrorene Äcker und Weingärten, zu eisblauen Venen erstarrte Kanäle und vereinzelte Bauernhäuser in der mitteleuropäischen Finsternis. Die halb von Eis bedeckte Thaya zog sich träge durch das Land, und allmählich kamen die Donauinseln in Sicht. Zu Mendels Zeit dauerte die knapp 150 Kilometer weite Fahrt etwa vier Stunden. Aber am Morgen seiner Ankunft war es, als sei er in einem neuen Kosmos aufgewacht.

Die Naturwissenschaften waren damals in Wien von knisternder Spannung und Leben erfüllt. An der Universität, nur wenige Kilometer von seiner Unterkunft in der Invalidenstraße entfernt, erfuhr Mendel die geistige Taufe, die er in Brünn so eifrig angestrebt hatte. Physik lehrte der Respekt einflößende Österreicher Christian Doppler, der Mendels Mentor, Professor und Idol wurde. Der hagere, scharfzüngige Physiker hatte als Neununddreißigjähriger 1842 aufgrund mathematischer Überlegungen erklärt, die Tonhöhe (oder Lichtfarbe) sei nicht konstant, sondern hänge von Standort und Geschwindigkeit des Beobachters und der Signalquelle ab.12 Ein Geräusch von einer Quelle, die sich schnell auf den Hörer zubewege, werde komprimiert und als höherer Ton wahrgenommen, während das Geräusch einer sich schnell entfernenden Quelle sich tiefer anhöre. Skeptiker hatten eingewandt: Wie könne dasselbe Licht derselben Lampe von unterschiedlichen Betrachtern in unterschiedlichen Farben wahrgenommen werden? Aber Doppler platzierte 1845 einige Trompeter auf einem Eisenbahnzug und ließ sie während der Fahrt einen bestimmten Ton spielen.13 Ungläubig lauschte das auf dem Bahnsteig versammelte Publikum, als es von dem schnell herannahenden Zug einen höheren Ton und von dem sich entfernenden Fahrzeug einen tieferen Ton hörte.

Doppler behauptete, Schall und Licht verhielten sich nach universellen Naturgesetzen – auch wenn diese der Intuition gewöhnlicher Betrachter oder Hörer zutiefst zuwiderliefen. Wenn man genau hinschaue, seien all die chaotischen, komplexen Phänomene der Welt das Ergebnis höchst organisierter Naturgesetze, die wir nur gelegentlich durch Intuition oder Wahrnehmung erkennen könnten. Häufiger sei aber ein durch und durch künstliches Experiment – wie Trompeter auf einem vorbeifahrenden Zug – erforderlich, um diese Gesetzmäßigkeiten zu verstehen und zu demonstrieren.

Mendel fand Dopplers Experimente und Demonstrationen gleichermaßen faszinierend wie frustrierend. Sein Hauptfach, Biologie, erschien ihm als wilder, überwucherter Garten ohne jegliche systematische Organisationsprinzipien. Oberflächlich betrachtet, gab es Ordnung in Hülle und Fülle – vielmehr eine Fülle von Ordnungen. Die vorherrschende Disziplin der Biologie war die Taxonomie, ein ausgeklügelter Versuch, alle Lebewesen in verschiedene Kategorien einzuordnen: Reiche,...

Erscheint lt. Verlag 26.1.2023
Übersetzer Ulrike Bischoff
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Studium 2. Studienabschnitt (Klinik) Humangenetik
Schlagworte Aristoteles • CRISPR • Darwin • Forschung • Geistige • Genetik • Geschichte • Gesundheit • Indien • Medizin • Mendel • Schizophrenie • Vererbung • Wissenschaft
ISBN-10 3-8437-2782-1 / 3843727821
ISBN-13 978-3-8437-2782-2 / 9783843727822
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