Fehler und Irrtümer in der Dermatologie und Allergologie (eBook)
260 Seiten
Thieme (Verlag)
978-3-13-243259-8 (ISBN)
1 Patientensicherheit in der Dermatologie: Definitionen und Fehlermonitoring
P. Elsner
Zusammenfassung
Medizinethisch ist der Arzt nach dem Nil-nocere-Prinzip verpflichtet, einem Patienten durch eine Behandlung zu nutzen und nicht zu schaden, auch wenn die Behandlung erfolglos sein mag. Das ärztliche Haftungs- und Berufsrecht fordert, dass eine Behandlung nach dem Standard eines sorgfältigen Facharztes zu erfolgen hat. Gleichwohl kommt es in Kliniken und Praxen immer wieder zu „vermeidbaren unerwünschten medizinischen Ereignissen“, die definiert sind als „den Patienten schadende Vorkommnisse, die eher auf der Behandlung als auf der Erkrankung selbst beruhen und die durch einen Fehler verursacht sind“.
Patientensicherheit als in der Medizin erstrebenswertes Handlungsziel bedeutet die Minimierung derartiger unerwünschter Ereignisse. Dies setzt voraus, dass unerwünschte Ereignisse und die zu ihnen führenden Risikosituationen erfasst und analysiert werden; dafür eignen sich Register wie „Critical Incidence Reporting Systems“ (CIRS) und die Fälle der Gutachterkommissionen bei den Landesärztekammern.
Die Analyse von Gutachten zu Behandlungsfehlervorwürfen gegen Dermatologen ergab, dass nichtoperative Therapiefehler an der Spitze der bestätigten Fehler stehen, gefolgt von Diagnostikfehlern und operativen Therapiefehlern. Aus diesen Erkenntnissen können konkrete Empfehlungen für Initiativen zur Verbesserung der Patientensicherheit in der Dermatologie abgeleitet werden.
1.1 Einleitung
Die Patientensicherheit ist ein Thema, das die klinische Medizin, aber insbesondere auch die Öffentlichkeit immer wieder beschäftigt. Unter sensationalistischen Schlagzeilen in der Publikumspresse wie „Tatort Operationssaal: Ärzte verpfuschten unser Leben“ ▶ [7] wird auf Schätzungen verwiesen, wonach sich in Deutschland etwa 600000 Behandlungsfehler jährlich ereignen sollen. Die ökonomischen Auswirkungen vermeidbarer Fehlbehandlungen sollen in Milliardenhöhe liegen ▶ [30]. Die Bundesregierung und federführend das Bundesministerium für Gesundheit haben daher die Patientensicherheit zu einem Schwerpunkt ihrer Politik gemacht; Patientensicherheit soll zu einem tragenden Prinzip der Ausbildungen in allen bundesrechtlich geregelten Gesundheitsberufen werden ▶ [11].
In der deutschsprachigen Dermatologie wurde das Thema der Patientensicherheit im Gegensatz zu der US-amerikanischen bisher eher am Rande behandelt. Bereits 2009 wurde im „Blue Journal“ in einem Beitrag zu Patientensicherheit in der Dermatologie festgestellt:
„Die American Academy of Dermatology wird eine aktive Rolle bei der Entwicklung einer Strategie zur Verbesserung der Patientensicherheit spielen und Daten zur klinischen Wirksamkeit und zu den Patienten-Outcomes sammeln.“ ▶ [14]
Begründet sein mag diese unterschiedliche Wahrnehmung in deutlich höheren Risiken für die Arzthaftung in den USA und daraus resultierendem Druck vonseiten der Gesundheitspolitik, der Kostenträger und der Berufshaftpflichtversicherungen, Konzepte zur Verbesserung der Patientensicherheit zu entwickeln, aber auch in einer traditionellen Haltung in Deutschland, Patienten durch die Erwähnung von Aspekten der Patientensicherheit „nicht zu verunsichern“ und damit dem Vertrauen zwischen Dermatologen und ihren Patienten zu schaden.
In diesem und dem folgenden Beitrag soll daher das Thema der Patientensicherheit in der Dermatologie unter medizinethischen und medizinrechtlichen Aspekten behandelt werden, um deutlich zu machen, dass eine Vermeidungshaltung gegenüber der Problematik nicht angemessen ist. Die Erfassung von vermeidbaren unerwünschten Ereignissen bei dermatologischen Behandlungen bietet die Chance, konkrete und zielgerichtete Präventionsmaßnahmen zur Optimierung der Patientensicherheit einzuleiten; diese werden im folgenden Kapitel vorgestellt (s. Kap. ▶ 2).
1.2 Medizinethische Aspekte der Patientensicherheit in der Dermatologie
Die Dermatologie ist seit mehr als 100 Jahren als medizinisches Fachgebiet etabliert. Ihr Gegenstand ist die auf medizinisch-wissenschaftlichen Grundlagen beruhende, heute „evidenzbasiert“ genannte Versorgung von Patienten mit Hautkrankheiten. Dermatologen sind Ärzte mit speziellen Kompetenzen auf dem Gebiet der Hautkrankheiten, ihrer Diagnostik und Therapie. Sie sind damit wie andere Fachärzte auch an erster Stelle Ärzte; Grundlage ihrer Tätigkeit ist die ethisch begründete Sorge um kranke Menschen.
Nach dem inzwischen klassischen und in der Medizinethik weitgehend vertretenen Konzept von Beauchamp u. Childress in Principles of Biomedical Ethics ▶ [5] basiert die ärztliche Ethik auf den vier Prinzipien
-
Benefizenz,
-
Non-Malefizenz,
-
Achtung der Patientenautonomie und
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Gerechtigkeit.
Die ersten beiden Prinzipien, Gutes zu tun und im Interesse des Patienten zu handeln und dem Patienten nicht zu schaden, sind letztlich nichts anderes als eine moderne Fassung des aus dem „Hippokratischen Eid“wohlbekannte „Nisi nil nocere“, Prinzipien, die sich auch in der Deklaration von Genf des Weltärztebundes und der (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte wiederfinden ▶ [28].
Nicht in allen Fällen können freilich, trotz aller beeindruckende Fortschritte der Medizin, Patienten durch medizinische Maßnahmen geheilt werden; sie sollen durch ärztliches Handeln aber wenigstens keine Schäden erleiden.
Merke
Sofern ein Schadensrisiko besteht, was bei vielen medizinischen Behandlungen nicht vermieden werden kann, sollte dieses wenigstens minimiert werden, und Patienten müssen, in Achtung ihrer Autonomie als einem weiteren Prinzip der medizinischen Ethik nach Beauchamp/Childress, nach sorgfältiger Aufklärung in freibestimmter Entscheidung dem Eingehen eines solchen Risikos zustimmen ▶ [5].
Die Grenzen der Möglichkeit freier Entscheidung für Patienten sind allerdings offensichtlich: Je akuter und stärker ein Leiden und je dringender in der Folge ein Linderungswunsch ist, desto eingeschränkter ist die Entscheidungsfreiheit. Anders als bei alltäglichen Entscheidungen etwa als Konsumenten bestehen für Patienten auch nur eingeschränkte Wahlmöglichkeiten, sei dies aufgrund der beschränkten Zahl von medizinischen Leistungserbringern oder der verfügbaren Therapieoptionen.
Und schließlich kann die Entscheidungsfreiheit des Patienten durch ein unvermeidliches Informationsgefälle zwischen dem Arzt als medizinischem Experten und dem Patienten als Laien beeinträchtigt sein, sodass Vertrauen in die ärztliche Beratung als eine emotionale Kategorie über eine rein rationale Abwägung hinaus zu einer Entscheidung beiträgt.
Im Ziel einer medizinischen Behandlung – der Heilung einer Krankheit – sind sich Patient und Arzt einig. Im Idealfall wird dieses gemeinsame Ziel erreicht; dann ist der Patient wieder gesund und zufrieden mit der Behandlung, und der Arzt darf feststellen, dass er seine beruflichen Aufgaben erfolgreich erfüllt hat. Gelingt eine Heilung jedoch nicht oder treten unter oder nach einer Behandlung Nebenwirkungen auf, kann sich die Frage stellen, ob dieser unerwünschte Verlauf schicksalshaft aufgetreten ist oder vermeidbar gewesen wäre.
1.3 Ausgangspunkt und Endpunkt der Patientensicherheit: Das „vermeidbare unerwünschte medizinische Ereignis“
„Vermeidbare unerwünschte medizinische Ereignisse“ (VUME) werden definiert als „Patienten schadende Vorkommnisse, die eher auf der Behandlung als auf der Erkrankung selbst beruhen und die durch einen Fehler verursacht sind“ ▶ [19]. Nach Schätzungen sollen diese etwa in 10% der Krankenhauseinweisungen auftreten ▶ [13], ▶ [18] und in den USA mittlerweile die dritthäufigste Todesursache darstellen ▶ [27]. Nach einem systematischen Review auf der Basis von 74485 Krankenhauspatienten traten unerwünschte Ereignisse bei 9,2% auf; davon waren 43,5% vermeidbar ▶ [13]. Die genaue Inzidenz der VUME ist allerdings umstritten ▶ [19].
Um die Definition eines „vermeidbaren unerwünschten medizinischen Ereignisses“ zu erfüllen, muss dieses erstens auf einem (Behandlungs-)Fehler beruhen und zweitens einen Schaden verursachen. Ein Behandlungsfehler als solcher allein erfüllt demnach noch nicht die Definition eines VUME, ebenso wenig wie ein Schaden, der nicht auf einen Fehler in der Behandlung kausal zurückgeführt werden kann, womit sich die Frage nach der Kausalität und ihres Beweises eröffnet. Letztlich sind bei einem VUME daher immer drei Elemente zu klären, nämlich das Vorliegen
-
eines Behandlungsfehlers,
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eines – vermeidbaren – Schadens und
-
der Kausalität des Behandlungsfehlers für den Schaden ( ▶ Abb. 1.1).
Unerwünschtes medizinisches Ereignis.
Abb....
Erscheint lt. Verlag | 4.5.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Dermatologie |
Schlagworte | Dermatologie • Fehlentscheidungen • Fehleranalyse • Fehlermatrix • Fehlervermeidung • juristische Kommentare • Kasuistiken • Kommunikationsfehler • Management-Fehler |
ISBN-10 | 3-13-243259-8 / 3132432598 |
ISBN-13 | 978-3-13-243259-8 / 9783132432598 |
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