Möglichkeiten und Grenzen des Online-Psychodramas -

Möglichkeiten und Grenzen des Online-Psychodramas (eBook)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
236 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7557-5356-8 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Mitten in und aus der pandemischen Situation im Jahr 2020 heraus erfuhr die psychodramatische Welt eine enorme Erweiterung: Überall auf der Welt begannen Psychodramatiker*innen mit ihrer Methode im virtuellen Raum des Internets zu experimentieren - mit Hilfe von Videoplattformen, die zwischenmenschliche Interaktion in Echtzeit trotz Lockdowns, Isolation und Entfernung ermöglichen. Dies löste Diskussionen über Grenzen und Möglichkeiten psychodramatischer Online-Arbeit aus, von euphorischen Reaktionen auf die Erweiterung des Spektrums der Möglichkeiten bis hin zu der Frage, was davon überhaupt noch als Psychodrama zu bezeichnen ist. In diesem Sammelband werden praktische Erfahrungen, Methoden, Erkenntnisse und Spannungsverhältnisse zum Online Psychodrama dargestellt und diskutiert.

Psychodrama im Zeitalter der Covid-19 Krise


Lyudmyla Litvinenko, Ukraine


Das Auftreten und die Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit COVID-19 in den letzten Jahren in der ganzen Welt hat einen dringenden Forschungsbedarf zu diesem Thema geschaffen, um eine wirksame psychosoziale Unterstützung für verschiedene soziale Gruppen zu ermöglichen.


Die Globalisierung in großem Maßstab hat die Krankheit zu einem universellen Problem gemacht; die extreme Ausbreitung des Virus hat die Lebensweise der Menschen radikal verändert und sie gezwungen, sich an die neuen Lebensbedingungen anzupassen.


Es war schwierig, ruhig zu bleiben, als es mehr negative als positive Nachrichten über das Coronavirus gab. Alle von den Behörden ergriffenen Maßnahmen wurden von den meisten Menschen als Weckruf empfunden, der den psychologischen Zustand der Gesellschaft „untergrub“. Das Internet und die sozialen Netzwerke ließen immer wieder die Alarmglocken läuten, und die Ereignisse in anderen Teilen der Welt wurden so wahrgenommen, als ob sie bei uns zu Hause stattfänden. Diese unscharfen Grenzen verstärkten Angst und Unsicherheit. Es waren viele verängstigte Menschen unterwegs, die Gefahr war subtil, und das Virus selbst war schwer fassbar. Wir konnten es nicht sehen, aber wir haben viel darüber gehört. Wir wussten nicht genau, womit wir es zu tun hatten, und in diesem Fall sendete unser Körper Notsignale, Gefahrensignale, und wir waren besorgt. Wir hatten das Gefühl, dass der „Feind“ völlig unbekannt war und wir nicht wussten, welche Instrumente zur Lösung der Situation eingesetzt werden konnten.


Die Coronavirus-Situation hat uns mit der Notwendigkeit konfrontiert, nach Lösungen zu suchen - was genau kann mit der Gruppe in einem Online-Format gemacht werden? Noch nie zuvor hatte ein solches Treffen stattgefunden.


Der Vorstand des Instituts für Psychodrama der modernen Psychologie und Psychotherapie, Psychodrama-Ausbilder und Kollegen versuchten, mit einer untypischen Situation fertig zu werden. Es gab Gruppen der ersten und zweiten Ebene in der Ausbildung, und wir waren nicht bereit, den Ausbildungsprozess zu unterbrechen. Aber es gab Quarantänebeschränkungen, und die galten für uns alle. Es war also in unser aller Interesse, alles zu tun, um die Herausforderungen der Pandemie und der Quarantäne zu bewältigen. Wir begannen, die Zoom-Plattform als eine Form der Gruppenarbeit zu betrachten.


Es war nicht einfach, die übliche Arbeit (die ich seit 2001 mache) - die stark von der Interaktion in der Gruppe abhängt und sich auf Spontaneität und Kreativität konzentriert - in eine Bildschirmversion zu übertragen. Es gab Widerstand, Misstrauen gegenüber dem kleinen Bildschirm, Zoom wurde als unzureichende Form der Kommunikation wahrgenommen.


Wir hielten unser erstes Online-Treffen via Zoom ab, das auf den 1. April 2020 fiel, den 99. Geburtstag des Psychodramas. Etliche Teilnehmer aus verschiedenen Gruppen nahmen daran teil. Wir beglückwünschten uns gegenseitig, freuten uns, einander zu sehen, und sprachen über die Situation, die sich ergeben hatte. Und nach dem Treffen wurde klar, dass das Thema Coronavirus ziemlich akut ist, es verursacht ein Gefühl der Unsicherheit, und wir mussten einen Ausweg finden, wie es weitergehen sollte.


Es war ein echter Test für die Spontaneität; es war ein Test und eine Herausforderung, eine neue Arbeitsweise zu finden. Man denke an J.L. Moreno zurück. Er sagte, Spontaneität sei eine angemessene Reaktion auf eine neue Situation oder eine neue Reaktion auf eine alte Situation. Wir mussten eine angemessene Antwort auf eine neue, ungewöhnliche Situation finden.


Zu dieser Zeit hatte ich 6 Gruppen in Psychodrama-Ausbildungsprojekten: 4 Gruppen der ersten Stufe und 2 Gruppen der zweiten Stufe; 4 Gruppen aus der Ukraine und 2 Gruppen aus Kirgisistan. Insgesamt waren es 63 Personen, überwiegend Frauen und 10 Männer. Die Teilnehmer begannen die Ausbildung zu unterschiedlichen Zeiten: Gruppen aus Kirgisistan im Jahr 2016, Gruppen in der Ukraine ab 2018. Jede Gruppe entwickelte sich in ihrem eigenen Tempo und hatte ihre eigene Geschichte. Aufgrund der Pandemie im März 2020 wurde der gemessene Zeitplan für das Treffen jedoch gekürzt und alle befanden sich in einer Situation der Unsicherheit.


Ich arbeite viel mit Gruppen, für mich ist eine Gruppe eine äußerst fruchtbare Form der Arbeit. Jeder Mensch sehnt sich danach, in einer Gruppe zu sein. Dieser Wunsch manifestiert sich vor allem auf psychologischer Ebene, er ist biologischer Natur und instinktiv. Die Gruppe wird als eine Gruppe von Individuen gesehen, als ein ganzheitliches dynamisches Feld mit zwischenmenschlicher Interaktion.


In den frühen Stadien der menschlichen Entwicklung schlossen sich die Menschen in Gruppen zusammen, um zu überleben und sich weiterzuentwickeln. Unsere alten Vorfahren wussten um die Wirksamkeit der Beeinflussung einer Person in einer Gruppe. Schamanen, Heiler und Kräuterkundige haben in der gesamten Geschichte der menschlichen Entwicklung bewiesen, dass die öffentliche Beeinflussung ritueller und zeremonieller Verfahren zur Behandlung von Kranken erfolgreich ist. Viele Mönche des Mittelalters schlossen sich in religiösen Gruppen zusammen, um die Seele zu läutern und die Wahrheit zu erkennen, und viele griechische Philosophen nutzten die Gruppenform, um das Wesentliche zu verstehen.


Nach Moreno „wird der Mensch in ein 'soziales Atom' hineingeboren und taucht darin ein, in ein Netz sozialer Bindungen, das ihn sein ganzes Leben lang beeinflusst“ [3]. Das Bedürfnis, eng mit anderen verbunden zu sein, ist ein ebenso grundlegendes Bedürfnis wie jedes andere biologische Bedürfnis, und seine Befriedigung ist für das Überleben notwendig. J. Moreno schreibt: „Menschen schließen sich Gruppen an oder organisieren sie, um ein erfülltes Leben zu führen, um sich selbst in Beziehungen zu anderen Menschen zu entdecken“ (3).


Wir wissen, dass in einer Psychodrama-Gruppe sehr viel Wert daraufgelegt wird, einen „sicheren Raum“ zu schaffen, was für die individuelle Entwicklung äußerst wichtig und notwendig ist. Die Gruppe spielt die Rolle einer guten Mutter, die ein solides Fundament aus Vertrauen, Wärme, Verständnis und Akzeptanz darstellt.


Wenn die Gruppe eins wird (wie die Einheit von Mutter und Kind), wenn es keine Ängste und Befürchtungen gibt, erlaubt die Gruppe den anderen, in ihrer Welt und gleichzeitig in der Welt der anderen zu sein. „Je mehr ich mich mit anderen verbunden fühle, desto mehr kann ich mich von ihnen trennen und mit mir selbst sein. Wenn ich mir erlaube, zu sein, kann ich anderen erlauben, zu sein. Gemeinsam können wir mehr sein als jeder für sich“ [3].


Alle betreffenden Gruppen hatten viel Zeit miteinander verbracht; sie hatten bereits ihre eigene Geschichte, in der sie darum kämpften, zu verstehen, wie sie einander Wut oder Liebe entgegenbringen konnten; sie wussten, dass es möglich war, zu vertrauen, dass es möglich war, zusammen zu sein. Die Normen der gegenseitigen Betreuung, Unterstützung, Akzeptanz und Liebe waren bereits in der Gruppe verankert.


Die Pandemie hat uns viele Türen verschlossen und uns viele Möglichkeiten genommen, aber sie kann uns nicht die Liebe und den Respekt nehmen, den wir füreinander haben. Es ist die Liebe, die uns Ausdauer in Zeiten der Prüfung gegeben hat. G. Jung erklärte dies: „Der Mensch kann jedes Leiden ertragen, das ihm einen Sinn geben kann“ [5].


Und wir fanden weiterhin einen Sinn in dem, was wir taten.


Unterstützungsgruppen

Alles, was wir anfangs tun konnten, war, uns mit Gruppen zu treffen und zu versuchen, Beziehungen zu pflegen und uns gegenseitig zu unterstützen. Aus diesem Grund haben wir diese Treffen 'Unterstützungsgruppen' genannt. Die physische Entfernung sollte die Entfernung zwischen unseren Herzen nicht vergrößern, wir fühlten uns stark, wir hatten eine Verbindung. Unsere Resilienz, unsere psychologische Resilienz, liegt in der Stärke unserer Beziehung. Wir wussten nicht, was vor uns lag und was wir noch durchmachen mussten, aber wir wussten, dass wir zusammen sein konnten, dass wir in diesen Prüfungen nicht allein waren, dass wir uns alle gegenseitig unterstützen konnten. So waren wir stärker, hatten weniger Angst und mehr Hoffnung. Treffen dieser Art fanden regelmäßig mit allen Gruppen statt.


In den Unterstützungsgruppen hatten wir die Möglichkeit, zu reden und unsere eigenen Erfahrungen auf die Bühne zu bringen. Wir versuchten, im „Hier und Jetzt“ zu leben und uns an Werte zu erinnern. BASIC Ph (Integratives Modell der Stressresilienz) hat uns sehr effektiv dabei geholfen, unsere Kraftquellen durch Glauben, Spiritualität, Texte, Kunstwerke, Kontakte mit Menschen, Erinnerungen, Träume, körperliche Aktivität usw. wiederherzustellen.


Bei diesen Treffen lernten wir, aufmerksam zuzuhören, zu schweigen, zu reden und einfach zu sein. Wir haben gelernt, präsent zu sein, aufmerksam zu sein, uns gegenseitig durch die Kamera anzuschauen, um die schönen Momente des Lebens nicht zu verpassen, den Moment, der uns in einer schwierigen Zeit des Stresses und der Unsicherheit zusammengebracht hat.


Gemeinsam waren wir in der Lage, unsere Trauer zu teilen, unseren Schmerz zu ertragen und uns gegenseitig zu unterstützen; gemeinsam haben wir uns gefreut, gelacht und gedankt. Die Anwesenheit bei Zoom war eine Möglichkeit, Energie und Kraft für die Bewältigung all dieser Herausforderungen zu...

Erscheint lt. Verlag 17.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
ISBN-10 3-7557-5356-1 / 3755753561
ISBN-13 978-3-7557-5356-8 / 9783755753568
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 53,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Lehrbuch für Demenz- und Alltagsbegleitung

von Ingrid Völkel; Marlies Ehmann

eBook Download (2022)
Urban & Fischer Verlag - Lehrbücher
31,99