Ergotherapie im Arbeitsfeld Neurologie (eBook)
928 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-243309-0 (ISBN)
1.1 Der Gegenstandsbereich der Ergotherapie und seine Elemente
Carola Habermann
1.1.1 Der Gegenstandsbereich
Ergotherapie hat zum Ziel, Menschen jeden Alters in ihrer Handlungsfähigkeit zu unterstützen und zu begleiten. Sie ermöglicht damit bedeutungsvolle Betätigungen für diese Menschen. Dies geschieht unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Umwelt, um ihnen hier gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen (DVE 2008). Dabei handelt es sich um ein komplexes Konstrukt des Eingebundenseins (s. ▶ 2.2.8) in Betätigung damit eine Teilhabe in der persönlichen Umwelt möglich ist. Diese Gedanken finden sowohl im COPM-E (ebd. und CAOT 2007) als auch im AOTA-Framework Berücksichtigung, (Reichel 2005). Beide beeinflussen die deutschsprachige Ergotherapie zunehmend. Der Berufsverband der US-amerikanischen Ergotherapeuten (AOTA) hat das Framework entwickelt, welches das komplexe Gebilde des ergotherapeutischen Gegenstandsbereichs aufzeigt (AOTA 2002 in Reichel 2005). Viele deutschsprachige Definitionen und Erklärungen nähern sich diesem Konstrukt an (z. B. Götsch, Marotzki & Reichel oder Scheepers in Scheepers et al. 2007). Es lehnt sich in seiner Begrifflichkeit an die ICF (s. ▶ 1.3.2) an und bietet damit Bezeichnungen, die international verstanden werden. Auch um den Menschen in seiner Betroffenheit durch eine neurologische Erkrankung zu erfassen, ermöglicht die Beschreibung der AOTA einen sinnvollen Rahmen ( ▶ Tab. 1.1 )
Tab. 1.1 Eingebundensein in Betätigung zur Unterstützung der Partizipation im Kontext (nach AOTA, übersetzt von Reichel, 2004). Performanz in Betätigungsbereichen | (instrumentelle) Aktivitäten des täglichen Lebens Bildung und Arbeit Spiel und Freizeit soziale Partizipation |
Performanzfertigkeiten | motorische Fertigkeiten Verarbeitungsfertigkeiten Kommunikations- und Interaktionsfertigkeiten |
Performanzmuster | Gewohnheiten Routinen Rollen |
Kontext | kulturell physisch sozial persönlich spirituell zeitlich virtuell |
Aktivitätsanforderungen | Gebrauch von Objekten und deren Eigenschaften Raumanforderungen soziale Anforderungen Abfolge und Zeit einteilen erforderliche Handlungen erforderliche Körperfunktionen und -strukturen |
Klientenfaktoren | Körperfunktionen und -strukturen |
1.1.2 Elemente und wichtige Begriffe
In der Ergotherapie werden bestimmte Begriffe zum menschlichen Handeln und zu seiner Handlungsfähigkeit verwendet. In den Praxismodellen (s. ▶ Kap. 2), aber auch in den Kapiteln 4 und 5 werden einige Definitionen aufgezeigt. Für die Leser mag das verwirrend wirken, aber es gibt noch keinen übergreifenden Konsens in der deutschsprachigen Ergotherapie, wie welcher Begriff verwendet wird. Handlung und Aktivität wird manchmal eher synonym verwendet, obwohl die Handlung eine übergeordnete Rolle spielt. Sie ist ein komplexes Geschehen und mit kognitiven Prozessen verbunden.
Handlung wird nach Blaser (2004) verstanden als Definition eines Ziels, Planen der angemessenen Vorgehensweise, Auswählen geeigneter Handlungsschritte, (fortlaufende) Überprüfung von Plan und Vorgehen, Aufnahme und Abschluss der Handlung zum angemessenen Zeitpunkt, (evtl.) abschließende Bewertung des Vorgehens.
Der Begriff der Aktivität ist häufig durch die ICF (s. ▶ 1.3.2) geprägt. Dort wird beschrieben, was Aktivität im Sinne des konkreten Tuns beinhalten kann. Es geht hier um die Tätigkeit an sich, ohne dass begleitende gedankliche Prozesse beschrieben werden.
Aktivität bedeutet, dass der Mensch das in Art und Umfang tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem erwartet wird.
Die Verwendung der Begriffe muss daher in der gemeinsamen intra- und interdisziplinären Sprache geklärt werden, um bei der Behandlung Einigkeit zu erzielen. Die Betrachtung der unterschiedlichen Begriffe beeinflusst die Diskussion über die Behandlungsschwerpunkte der Ergotherapie, besonders auch im Arbeitsfeld Neurologie.
Eine weitere wichtige Begriffsdiskussion rankt sich um den Menschen, für den Ergotherapeuten Intervention als Therapie und Beratung anbieten. Es geht um die Bezeichnung Klient oder Patient (s. auch ▶ Kap. 3). Die Betrachtung der Bezeichnung für den Empfänger therapeutischer Leistung als Klient stammt aus der klientenzentrierten Sichtweite (s. ▶ Kap. 2). Es ist aber auch ein Begriff, der durch Überlegungen aus dem Qualitätsmanagement der Non-Profit-Organisationen stammt (Kölsch & Roerkohl 1996). Hier ist für den modernen Dienstleister im sozialen Bereich der Begriff Kunde oder Klient selbstverständlich. Somit kann der Mensch, der bei ergotherapeutischer Beratung, im Rahmen einer Rehabilitation oder in der ambulanten Ergotherapiepraxis als Kunde die Leistung eines Anbieters einholt, als Klient bezeichnet werden. Vor allem um die gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen betroffenem Menschen und Therapeutin zu demonstrieren, wird der Klientenbegriff bevorzugt (vergl Sumsion 2002 und ▶ Kap. 2, ▶ 5.7).
Klientenzentrierung: Therapeutin und Klient definieren gemeinsam Probleme, der Klient wird dazu ermutigt, seine Ziele selbst zu formulieren und beide legen die Behandlungsinhalte gemeinsam fest. Der Klient übernimmt im Behandlungsprozess Eigenverantwortung.
Klientenzentrierung heißt auch, dass die Therapeutin den Klienten in seiner Einzigartigkeit respektiert. Sie versucht die Klientenperspektive zu erfassen, indem sie ihn und seine Erfahrungen im therapeutischen Prozess im Mittelpunkt der Intervention sieht. Ihr therapeutisches Handeln ist auf die Sicht des Klienten, auf sein Handeln, sein Denken und Fühlen eingestellt.
Erfahrungsgemäß sieht sich der betroffene Mensch in einem Krankenstadium dennoch eher als Patient. Dies ist im besonderen Maße zu beobachten, wenn die Erkrankung noch einen akuten Entwicklungsstand hat. Im Verlaufe der Rehabilitation übernimmt der Patient immer mehr Eigenverantwortung und wird so zum Klienten. Hier im Buch wechseln die Bezeichnungen, je nach Sichtweise der jeweiligen Autorinnen und Autoren.
1.1.3 Elemente im Arbeitsfeld Neurologie
Ergotherapie in der Neurologie beschäftigt sich mit der Behandlung von Menschen, die durch eine neurologische Erkrankung bzw. Schädigungen im zentralen Nervensystem (ZNS) eine vorübergehende oder dauernde Herabsetzung ihrer Handlungsfähigkeit erlitten haben. Die Schädigungen verursachen Störungen bei sensomotorischen, neuropsychologischen und kognitiven Funktionen und haben Auswirkungen auf psychosoziale Fähigkeiten des betroffenen Menschen. Sie beeinträchtigen ihn in der Gesamtheit seiner Handlungsfähigkeit.
Die ergotherapeutische Behandlung legt daher ihre Schwerpunkte einerseits auf diese gestörten Funktionen und andererseits auf die Handlungsfähigkeit. In die Behandlung miteinbezogen werden die Lebenszusammenhänge des gesamten Menschen mit seinen psychosozialen Fähigkeiten, die ihn umgebenden Umweltfaktoren im psychosozialen Bereich und sein Lebensraum. Bedeutend sind die letztgenannten Kriterien deshalb, da das Individuum in dynamischer Beziehung zur Umwelt und seiner Betätigung in dieser Umwelt steht (Townsend et al., 1997). Alle Fähigkeiten und genannten Kriterien werden durch das ZNS verarbeitet und gesteuert, sie beeinflussen und lenken jede Handlung. Die Ergotherapie berücksichtigt all diese Faktoren in der Behandlung und setzt sie gezielt ein, um gewünschte Handlungen wieder zu ermöglichen.
„Die Ergotherapie – abgeleitet vom Griechischen „ergein“ (handeln, tätig sein) – geht davon aus, dass „tätig sein“ ein menschliches Grundbedürfnis ist, und dass gezielt eingesetzte Tätigkeit gesundheitsfördernde und therapeutische Wirkung hat. Deshalb unterstützt und begleitet Ergotherapie Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht sind und/oder ihre Handlungsfähigkeit erweitern möchten. (…) In der Ergotherapie werden spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung gezielt und ressourcenorientiert eingesetzt. Dies erlaubt dem Klienten, seine Handlungsfähigkeit im Alltag, seine gesellschaftliche Teilhabe (Partizipation) und seine Lebensqualität und -zufriedenheit zu verbessern“...
Erscheint lt. Verlag | 22.12.2020 |
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Reihe/Serie | Ergotherapie | Ergotherapie |
Co-Autor | Margo Arts, Sonja Bernartz, Claudia Bouska |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Gesundheitsfachberufe |
Schlagworte | Beschäftigungstherapie • ergotherapeutische Modelle • Hemiplegie • Hirnschädigung • MS • Multiple Sklerose • Neurologie • neurologische Störungsbilder • Parkinson-Sydrom • Rehabilitation |
ISBN-10 | 3-13-243309-8 / 3132433098 |
ISBN-13 | 978-3-13-243309-0 / 9783132433090 |
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Größe: 22,5 MB
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