Sexualität in der Konzentrativen Bewegungstherapie (eBook)
172 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61526-1 (ISBN)
Ute Backmann, Dipl. Sozialarbeiterin und M.A. der Kultur- und Sozialwissenschaften, ist KBT-Therapeutin an der Uniklinik Heidelberg und in freier Praxis in Heppenheim. Sie ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Supervisorin / Coach (DGSv) sowie Dozentin an Hochschulen und Institutionen.s
Ute Backmann, Dipl. Sozialarbeiterin und M.A. der Kultur- und Sozialwissenschaften, ist KBT-Therapeutin an der Uniklinik Heidelberg und in freier Praxis in Heppenheim. Sie ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Supervisorin / Coach (DGSv) sowie Dozentin an Hochschulen und Institutionen.s
2Grundlagen der Konzentrativen Bewegungstherapie
Die Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) ist eine körperorientierte, psychotherapeutische Methode. Sie nutzt Wahrnehmung und Bewegung als Grundlage von Erfahrung und Handeln und basiert damit im Wesentlichen auf der Gestaltkreislehre Viktor von Weizsäckers (1986). Dabei werden unmittelbare Sinneserfahrungen mit psychoanalytisch und psychodynamisch orientierter verbaler Bearbeitung verbunden. Als theoretische Basis dienen entwicklungspsychologische, tiefenpsychologische und lerntheoretische Denkmodelle. Durch die konzentrierte Hinwendung auf das eigene Erleben – einfühlend und erlebend – werden Erinnerungen belebt, die sich körperlich in Haltung, Bewegung und Verhalten ausdrücken. Das Körperliche bildet die Grundlage und das Beziehungsfeld für individuell-eigengesetzliche, physische, psychosomatische und psychische Abläufe. Die Problematik wird „begreifbar”. Dies kann durch unmittelbare Auseinandersetzung mit der Körpererfahrung oder durch verbale Bearbeitung des Erlebens geschehen, das aus der bewussten und vorbewussten Lebensgeschichte aufgetaucht ist (DAKBT 2020, 9).
2.1 Geschichte und Entwicklung
Die Anfänge der Konzentrativen Bewegungstherapie sind im 19. Jahrhundert und im Kontext der Lebensreformbewegung und der mit ihr einhergehenden Körperkulturbewegung anzusiedeln. Diese Bewegungen schenkten dem Körper, seiner Gestaltung und Selbstkontrolle, aber auch der Einheit von Körper, Geist und Seele als gesellschaftliches Phänomen besondere Aufmerksamkeit. Die Aufwertung des Körpers kann unter verschiedenen Aspekten verstanden werden. Zum einen gingen die Anhänger der Körperkulturbewegung davon aus, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Industrialisierung ihren Körper schwächte und degenerierte. Dagegen wurde das antiindustriell aufgewertete reformerische Körperbild der Körperkultur mit Natürlichkeit, Authentizität und Individualität verknüpft. Zum anderen galt die Annahme, dass durch die Ausbildung eines gesunden Körpers auch gesellschaftliche und soziale Probleme gelöst werden können. Ziel der Praktiken der Körperkultur war nicht die Leistung durch den Körper, sondern die gesamthafte Ausbildung des Körperbildes (Backmann 2019).
Während der Lebensreformbewegung im beginnenden 20. Jahrhundert entwickelten sich auch die Ansätze der Psychoanalyse entscheidend weiter. Diese stellten die rationalen, wissenschaftsgläubigen, vernunftorientierten Denkmuster der Aufklärung infrage und beschrieben ein Menschenbild mit archaischen Wahrnehmungs- und Sinnbildungsfähigkeiten mit schwer vorhersehbaren Wirkungen. Das (kollektive) Unbewusste bekam eine besondere Bedeutung. Die in der KBT vorgenommene Verknüpfung des freiheitlichen Körpererlebens mit der Psychoanalyse ist somit auch aus historischer Sicht konsequent.
Elsa Gindler (1885–1961) entwickelte eine Form der Gymnastikarbeit, die die „Konzentration” auf die Selbstwahrnehmung und das Selbsterleben in den Fokus rückte. Dabei ging es darum, einen subjektiven körperlichen Ausdruck zu erlangen, der dem inneren (psychischen) Ausdruck entsprach (Arps-Aubert 2010). Während der Zeit des Nationalsozialismus schlossen sich viele Schulrichtungen der Rhythmischen Gymnastik als Teil des Deutschen Gymnastik-Bunds an. Viele Lehrer*innen mussten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft emigrieren oder arbeiteten zurückgezogen von der Öffentlichkeit weiter, so auch Elsa Gindler (Backmann 2019).
Gertrude Heller (1892–1984) arbeitete mit den erworbenen Kenntnissen von Elsa Gindler in einer schottischen Klinik mit psychisch kranken Patientinnen und Patienten und entwickelte daraus einen pädagogisch-therapeutischen Ansatz, in dem sie bereits das Wahrnehmungs- und Bewegungserleben mit psychodynamischen Ansätzen verband. Im Kontakt mit Dr. Helmuth Stolze fand dieses Konzept zwischen 1959 und 1962 erstmals Eingang bei den Lindauer Psychotherapiewochen (Schreiber-Willnow 2016). Miriam Goldberg setzte diese Tradition fort.
In den folgenden Jahren bewährte sich die KBT in den psychosomatischen Kliniken. Zu den klinischen Pionierinnen und Pionieren gehörten Christine Gräff und Dr. Ursula Kost. Zusammen mit weiteren KBT-Kolleginnen und -kollegen wurde durch ein experimentelles Erproben die KBT zur „Methode”. Ihren sperrigen, aber dennoch treffenden Namen erhielt sie durch Dr. Helmut Stolze. Auf Initiative von Dr. Ursula Kost wurde 1977 der „Deutsche Arbeitskreis für Konzentrative Bewegungstherapie” gegründet, in dessen Verband bis heute die Weiterbildung und Forschung durchgeführt und weiterentwickelt wird.
Inzwischen hat sich die Methode im europäischen Raum unter dem Dachverband des „Europäische Arbeitskreises für Konzentrative Bewegungstherapie” etabliert. Dr. Helmuth Stolze (1958) und Dr. Hans Becker (1981) ordneten die KBT dem psychotherapeutischen Kontext zu und gaben der Methode eine psychodynamische theoretische Fundierung.
2.2 Kernelemente
2.2.1 Selbstwahrnehmung
Ausgehend von der basalen körperlichen Selbstwahrnehmung im Liegen, Sitzen, Stehen und Gehen, aber auch im Umgang mit verschiedenen Gegenständen, wird ein sinnliches Selbsterleben und damit die Idee der biografischen Subjektivität gefördert. „So wie ich bin, verkörpere ich meine eigene Geschichte.“ Die taktilen und haptischen Wahrnehmungen bilden die Basis unseres Welterlebens (Grunwald 2017). Wahrnehmungen und Gefühle können differenziert entwickelt werden. Die dazugehörigen theoretischen Modelle entstammen der Leibphilosophie, der Neurobiologie, der Entwicklungspsychologie und den psychoanalytischen Ansätzen.
2.2.2 Symbolisierungsfähigkeit
Für die KBT sind Symbolisierungsprozesse, szenisches Verstehen und ihre Verbindung zur Sprache von Evelyn Schmidt (1994) erarbeitet worden.
Die Wirkmächtigkeit der Symbolisierung bestimmt das Leben jedes Menschen auf diese Weise grundlegend. Freud verstand das Symbol als Ausdruck des Verdrängten, ein Erinnerungssymbol, dass sich in einem Symptom äußert. Nur was verdrängt ist, wird symbolisch dargestellt, nur was verdrängt ist, bedarf der symbolischen Darstellung. C. G. Jung (1987) sieht in dem Symbol Botschaften aus dem kollektiven Unbewussten. Er verweist auf das nicht ganz Erfassbare, dass in der Funktion eines lebendigen Symbols liegt.
Die Philosophin Suzanne Langer (1984) beschreibt Symbolisierung als eine grundlegende Tätigkeit des menschlichen Geistes – ein dem Denken wesentlicher Akt, der die äußere Welt mit seiner inneren Welt in Verbindung bringt und damit in einer schöpferischen Art und Weise sein Selbst erschafft.
In der KBT verstehen wir die Fähigkeit zur Symbolisierung als einen ganzheitlichen Prozess – die verleiblichte Symbolschöpfung des ganzen Menschen. Die Symbolisierungsfähigkeit entwickelt sich durch gelungene frühe Bindungen, in denen Innen- und Außenwelt kohärent exploriert werden können. Die Einheitlichkeit semiotischer (körpernaher) Repräsentanzen wie Rhythmus, Atmosphäre und sensomotorische Modalitäten sind Grundlage für die Affektorganisation, die eine Ausbildung der Symbolisierungsfähigkeit ermöglicht. Das Semiotische ist ein Erlebnishorizont, auf dem sich das Nonverbal-Symbolische und das Verbal-Symbolische entwickeln und in verschiedenen Formen ausdrücken kann (Küchenhoff/Agarwalla 2012).
Aus symboltheoretischer Sicht ist die Besonderheit in der Körperpsychotherapie die Entfaltung des Themas im Sinne des Leiblichen. So ist die Symbolisierungsfähigkeit nicht beschränkt auf Vorstellungsbilder, sondern erstreckt sich vielmehr auf den gesamten menschlichen Ausdruck und das Handeln (Merleau-Ponty 1966). Chronische Schmerzen und psychosomatische Krankheitsformen sind somit Ausdruck leiblicher nonverbaler Symbolisierungen.
Die Verwendung von Gegenständen eröffnet einen symbolischen szenischen Raum. Gegenstände haben in der KBT verschiedene Bedeutungen. In der Symbolisierung können sie zum Beispiel Schmerzerleben oder bestimmte Aspekte des Schmerzerlebens darstellen. Ebenso können sie das interaktionelle Erleben in der Gruppe oder in der Familie darstellen. Zudem können Gegensätze herausgearbeitet werden, die zwischen unbewussten Wünschen, Werten und Fantasien Ambivalenzkonflikte bilden. In der symbolisch-szenischen Verwendung von Gegenständen kann eine konfliktzentrierte Sichtweise angesprochen werden. Das Symbol ist eine besonders indirekte Darstellung. Der Gegenstand in der symbolischen Verwendung steht als Bindeglied präsentativer Symbolik (der persönlichen Bedeutsamkeit) und diskursiver (versprachlichter, allgemein mitteilbarer) Symbolik. In den Gegenstand fließen individuelle Sichtweisen, Erlebens- und Erfahrungsinhalte und Affekte als Bedeutungsgebung ein. In der Arbeit mit Gegenständen zur Symbolisierung können Hypothesen gebildet werden. Der Gegenstand erhält eine Mittler- und Klärungsfunktion innerpsychischer Prozesse. Im Umgang mit dem Gegenstand kann sich die handelnde Person einen „Begriff“ machen, was sich intrapsychisch abspielt. Ebenso wird der Gegenstand und/oder die Gestaltung zum Botschaftsträger in der Mitteilung anderen gegenüber. Die jeweils aktualisierte innere Szene wird somit auf die gedankliche – und im Gegenstand auf die äußere – Bühne gebracht und beschreibt...
Erscheint lt. Verlag | 6.9.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Sexualität / Partnerschaft |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Berührung • Bewegung • Borderline • Essstörung • Fallbeispiele • Gender • Gruppentherapie • Identität • KBT • KONZENTRATIV • Konzentrative Bewegungstherapie • Körper • Körpererfahrung • Körperpsychotherapie • Motologie • Praxisbuch • Psychiatrie • psychodynamisch • Psychosomatik • Psychotherapie • Sexualität • Sexuelle Entwicklung • sexuelle Traumatisierung • Symbolisierung • Tanz • Transsexualität • Trauma • Traumatisierung |
ISBN-10 | 3-497-61526-9 / 3497615269 |
ISBN-13 | 978-3-497-61526-1 / 9783497615261 |
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