Die Toten können uns retten (eBook)

Wie die Rechtsmedizin hilft, Krankheiten zu erforschen und das Sterben zu verhindern
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
255 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-0413-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Toten können uns retten -  Klaus Püschel
Systemvoraussetzungen
17,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

In seinem Buch erzählt Klaus Püschel aus dem Innersten der Pandemie-Bekämpfung, von den Hürden, die es zu überwinden gilt, um von den Toten zu lernen, nicht nur während Corona. Denn unabhängig von seinen Thesen ist er fest davon überzeugt, dass wir über Erkrankungen nur mehr erfahren, wenn die Toten gründlich untersucht werden. Seine Schlussfolgerungen helfen uns in Zukunft, die richtige Balance zu finden zwischen dem Schutz vor Viren einerseits und unserer Freiheit andererseits. Er wirft einen dringend notwendigen Blick in die Zukunft und auf Krankheitswellen, die uns noch bevorstehen.



Klaus Püschel hat sich als erster deutscher Forensiker den Leitlinien des RKI widersetzt und zahlreiche Corona-Tote obduziert, da er sich davon lebenswichtige Forschungsergebnisse versprach. Er war Professor und Direktor des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf. Er ist bekannt für seine kontroversen Thesen und seine Leidenschaft für das Erforschen noch unbekannter Krankheiten und kann sich vor Nachfragen aus allen Teilen der Welt kaum retten. Klaus Püschel ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften - der Leopoldina.

Klaus Püschel hat sich als erster deutscher Forensiker den Leitlinien des RKI widersetzt und zahlreiche Corona-Tote obduziert, da er sich davon lebenswichtige Forschungsergebnisse versprach. Er war Professor und Direktor des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf. Er ist bekannt für seine kontroversen Thesen und seine Leidenschaft für das Erforschen noch unbekannter Krankheiten und kann sich vor Nachfragen aus allen Teilen der Welt kaum retten. Klaus Püschel ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften - der Leopoldina.

Detektive in Weiß


Faszination Rechtsmedizin


Eigentlich sollte mein Fachgebiet ja die Sportmedizin werden. Sport hatte mich immer schon interessiert; als Jugendlicher bildete ich gemeinsam mit meinem Vater und meinem älteren Bruder immerhin die Hälfte der Tischtennis-Herrenmannschaft im norddeutschen Varel. An der medizinischen Fakultät in Hannover absolvierte ich deshalb recht bald die Zusatzausbildung zum Sportmediziner, erwarb eine Trainerlizenz für die Tischtennis-Bundesliga, beriet das Trainerteam der Nationalmannschaft und hatte schon eine Assistenzarztstelle in Aussicht. Alles lief planmäßig; die Weichen für eine spannende berufliche Laufbahn waren gestellt. Jetzt galt es nur noch, das letzte Ausbildungsjahr hinter mich zu bringen. Jenes Jahr, in dem unter anderem die Rechtsmedizin auf dem Lehrplan stand.

In Studentenkreisen war zu vernehmen, dass die Vorlesungen bei Professor Bernd Brinkmann, seines Zeichens Privatdozent und Oberarzt der Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, trotz toter Materie äußerst lebendig seien. Inwieweit zu der positiven Wahrnehmung auch die Tatsache beitrug, dass unter anderem sichergestellte Sexfilme und Exkursionen ins Hamburger Rotlichtviertel auf dem Programm standen, sei dahingestellt.

Damals war gerade der spektakuläre Fall des Serienmörders Fritz Honka omnipräsent. Honka, im Jahr 1935 in Leipzig geboren, war ein klein gewachsener Mann, das spärliche Haar sauber gekämmt, der Bart gepflegt. Als Folge eines schweren Unfalls war sein Gesicht deformiert, das schielende Auge verbarg er meist hinter einer getönten Brille. In den frühen Morgenstunden, wenn sich die Nachtschwärmer in Etablissements wie dem Goldenen Handschuh oder dem Elbschlosskeller auf dem Kiez trafen, endete Honkas Schicht als Nachtwächter im Shell-Gebäude. Dann mischte er sich unter die Feiernden, trank sich Mut an und versuchte sein Glück bei der Damenwelt: bei Gelegenheitsprostituierten, vereinsamten Frauen und solchen, die längst durch das soziale Netz gerutscht waren. Bei Frauen, die niemand je vermissen würde. Für eine Brause mit Korn oder fünf D-Mark folgten sie ihm in seine winzige Dachgeschosswohnung, die sich als eine mit pornografischen Bildern austapezierte Rumpelkammer erwies. Zwischen leeren Bierkästen, Unrat, Puppen und einer vergilbten Ausgabe von de Sades Juliette vergnügte er sich dort mit den Frauen. Was auch immer der Auslöser gewesen sein mochte – Zank ums Geld, eine falsche Bemerkung, Beschimpfungen –, wenn die Wut in ihm entfacht wurde, verlor Honka jegliche Selbstkontrolle. Dann warf er sich auf sein Opfer, seine Hände schnellten um dessen Kehle, und er begann es zu würgen. Ein minutenlanger Todeskampf folgte, der ihm all seine Kraft abverlangte, doch er ließ nicht von den Frauen ab, bis sie sich nicht mehr regten. Doch damit nicht genug. Die leblosen Körper legte er auf ein Brett und zersägte sie mit einem handelsüblichen Fuchsschwanz. Einige Päckchen mit Leichenteilen hatte er schon einmal nicht weit von seiner Wohnung entfernt auf einer Brachfläche entsorgt; es dauerte lange, bis die Fragmente einer verschwundenen Prostituierten zuzuordnen waren. Den Torso des Leichnams und die Teile dreier weiterer ermordeter Frauen versteckte er in den Verschlägen seiner Einzimmerwohnung. So lebte er dort mit ihnen weiter, umgeben von den Ausdünstungen der Einsamkeit und massivem Verwesungsgestank. Ein Brand im zweiten Stock des Wohnhauses rief schließlich die Feuerwehr auf den Plan. Auf der Suche nach Glutnestern drangen die Männer bis in Honkas Dachwohnung vor und machten einen grausigen Fund: Müllsäcke voller Fleisch, von dem Honka behauptete, es handele sich um Schlachtabfälle – bis sich herausstellte, dass es menschliche Überreste waren. Fritz Honka, der als »Schlächter von St. Pauli« bekannt werden sollte, gab bei der stundenlangen Befragung auf dem Revier zunächst an, sich an nichts zu erinnern.

Professor Brinkmann war einer der Sachverständigen im Prozess, und so erhielten wir Studenten anhand der Bilder von den verwesten, teils mumifizierten Leichenteilen einen detaillierten Einblick in den Fall. Es handelte sich um Taten, die nur schwer zu fassen waren. Ein Mörder, dessen Leben zwischen massiver väterlicher Gewalt, Aufenthalten in Heimen, Demütigungen und fortwährendem Versagen zerschellt war. Dazu die Tragik der Frauen, nach deren Verbleib sich niemand je erkundigt hatte. Die Eruption von Gewalt, das zornerfüllte Würgen, gefolgt von fein säuberlichem Zerlegen der Leichen.

Während jener Vorlesungen bekam ich eine Ahnung davon, was Rechtsmedizin ausmacht, und das Fach nahm mich mehr und mehr gefangen. Dazu trugen auch die Vorlesungen von Professor Manfred Kleiber über scharfe Gewalt bei. Allein die exakte Analyse der Stichverletzungen und was man in Relation zu den Spaltlinien der Haut schlussfolgern konnte! Hier waren exakte Befunde, die Kenntnis naturwissenschaftlicher Sachverhalte und logisches Denken gefragt, um dem Tod auf die Spur zu kommen.

Auf einer unserer Exkursionen nach Hamburg zeigte uns Professor Brinkmann das dortige Institut für Rechtsmedizin, das dezent am Rande des großen Uniklinikums liegt. Gespannt stiegen wir die Treppe in Richtung Leichenhalle hinab, wo Brinkmann uns in einen großen Kühlraum mit mehreren Leichen führte. Die Wände waren gekachelt, an einem der Metalltische hafteten Spritzer von getrocknetem Blut. Ein wenig roch es wie in der örtlichen Metzgerei: ein leichter Fleischgeruch, durchwoben von den Aromen Blut und beginnende Verwesung.

An diesem Tag war »eine Bahnüberfahrung« hereingekommen. Professor Brinkmann nahm die Leiche genau in Augenschein und referierte. Während wir uns gedanklich Notizen machten, packte er die Haare des Leichnams – und hielt im nächsten Moment den abgetrennten Kopf in die Höhe. Ein Raunen ging durch die Gruppe der Anwesenden. Was immer er bezweckt hatte, die Aufmerksamkeit seiner Studenten war ihm gewiss. In den folgenden Minuten dozierte er über den Abtrennungsrand des Kopfes und klärte uns über die Unterschiede zu einer Enthauptung durch Beil oder Messer auf. Die Aufgabe der anstehenden Sektion war es, zu klären, ob es sich um eine Selbsttötung handelte oder ob das Opfer womöglich vor der Bahnüberfahrung erdrosselt und dann auf die Schienen gelegt worden war. Ein immenser Unterschied. Für die Hinterbliebenen, für die emotionale Last des Fahrzeugführers und im Fall eines Mordes für all jene, die dem Täter künftig zum Opfer fallen könnten.

Der Tod, so begriff ich, bedeutet in der Wissenschaft der Medizin nicht das Ende. Auch wenn dem Menschen, der auf dem Sektionstisch vor einem liegt, nicht mehr geholfen werden kann, so gibt die Obduktion doch Aufschluss über Verletzungsmuster und Krankheitsverläufe. Interpretiert man diese richtig, kann man rekonstruieren, was im speziellen Fall zum Tode geführt hat, und vor allem künftig weitere Menschenleben retten. Indem ein Täter gefasst wird oder indem fehlerhafte Behandlungsmethoden aufgedeckt und Krankheiten weiter erforscht werden. Und so packte mich die Faszination der Rechtsmedizin.

Die Krankheit, auf die ich von da an am häufigsten stoßen sollte, war die Gewalt. Ob als niederer Instinkt oder Folge von Bedrohung: Gewalt, so meine Überzeugung aus über 40 Jahren Tätigkeit als Rechtsmediziner, schlummert in jedem von uns. Den meisten Menschen gelingt es, sie zu beherrschen – bis etwas Unvorhergesehenes sie wachruft und unverhüllte Aggression die Herrschaft übernimmt. Nahezu alles kann Ursache sein: ein Leben, das sich am Rande der Gesellschaft bewegt und schließlich havariert; ein Gefühl des Versagens oder der Bedrohung; Demütigung, Angst, Rachegelüste, Sex, Eifersucht, Habgier, politische Motive … Rund 200 000 polizeilich erfasste Fälle von Gewaltkriminalität werden in Deutschland jährlich verzeichnet. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher, denn Opfer häuslicher Gewalt erstatten nur selten Anzeige. Aus Scham, Angst oder weil sie nicht in der Lage sind, sich Hilfe zu holen.

Jeder Körper erzählt eine Geschichte, und mehr als alles andere ist es Aufgabe des Rechtsmediziners, die Sprache der Toten zu verstehen und die Todesursache herauszufinden. Wir sind immer dann im Einsatz, wenn die Krankheit Gewalt sich gegen einen Menschen selbst oder gegen andere entladen hat. Und sämtliche Tode aufgrund nicht natürlicher oder noch ungeklärter Ursache sind unser Fachgebiet.

Natürliche Tode infolge innerer Erkrankungen hingegen zählen zum Fachgebiet der Pathologen. Manchmal allerdings verschwimmen die Grenzen zur Pathologie, wie zuletzt bei Corona. Ein Thema, das mich kurz vor der Pensionierung sehr stark herausgefordert hat.

Immer wieder kommt es vor, dass eine auf dem Totenschein als natürlich angegebene Todesursache, zum Beispiel Herzversagen, in Wahrheit ein Mord war. So im Fall des Olaf D.

An einem Junitag im Jahr 2001 klingelt es an der Tür der 82-jährigen Rentnerin Martha B. Als die alte Dame öffnet, steht ihr ein Mitarbeiter des Arbeiter-Samariter-Bundes gegenüber, ein freundlicher, vertrauenerweckender Bär von einem Mann, in der Tat der Inbegriff des guten Samariters. Mit seinen eins dreiundneunzig und 130 Kilogramm Körpergewicht hat er etwas Tapsiges. An diesem Tag möchte Olaf D. sich vergewissern, dass das Bad der alten Dame auch wirklich behindertengerecht ist. Dankbar für die Fürsorglichkeit des netten Mannes, lässt Martha B. ihn eintreten. Sie ahnt nicht, dass der 31-Jährige fristlos entlassen wurde, weil er Geld unterschlagen hat.

Arglos wendet sie ihm den Rücken zu. Die Tür fällt hinter ihr ins Schloss. Einen Atemzug lang ist es völlig still, dann hört sie ein Rascheln. Im nächsten Moment spürt...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Medizinische Fachgebiete Innere Medizin Pneumologie
Schlagworte Abstand • Alte • Altenheim • Analysen • Angela Merkel • Ansteckung • Autopsie • Bakterien • Beatmung • Behandlung • China • Corona • Covid-19 • Direktor • Drosten • Erkenntnisse • Europa • Gesundheitssystem • Grippe • Heilungschancen • Herz-Kreislauf-Erkrankung • Impfung • Infektion • Intensivstation • Jens Spahn • Junge • Klima • Körper • Krankheiten • Labor • Leitlinien • Lunge • Masken • Medizin • Messer • Methoden • Möglichkeiten • Nieren • Obduziere • Organe • Pandemie • Professor • Quarantäne • Rechtsmedizin • RKI • Robert Koch Institut • Sektionssaal • Sterblichkeit • Therapien • Tote • Überleben • Uke • Ursachen • Verfall • Verstorbene • Viren • Vorerkrankung • Wissenschaft • Zukunft
ISBN-10 3-7517-0413-2 / 3751704132
ISBN-13 978-3-7517-0413-7 / 9783751704137
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich

von Ulrich Costabel; Robert Bals; Christian Taube …

eBook Download (2024)
Georg Thieme Verlag KG
249,99