Wenn die Toten sprechen (eBook)

Spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2430-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wenn die Toten sprechen -  Claas Buschmann
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Zum Gruseln und Mitfiebern: Spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin Jeden Tag vor einer Leiche stehen? Nichts für schwache Nerven. Für Claas Buschmann ist genau das seine tägliche Arbeit - früher als Notfallsanitäter und heute als Rechtsmediziner an der Charité Berlin. Wann ist die Person gestorben? Und woran? War es ein natürlicher Tod, ein Unfall oder gar Mord? Diesen Fragen spürt er jeden Tag nach und leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Ermittlungsarbeit in einem Todesfall. Zu seinem Job gehört auch, dass er den Sektionssaal verlassen muss und an Fundorte fährt, um im Beisein der Polizei Leichen zu begutachten. In diesem Buch erzählt er von den spektakulärsten Fällen in seiner Laufbahn - und von denen, die ihn am meisten bewegten. Ein Muss für alle True Crime-Fans.

Claas Buschmann, geboren 1977 in Hamburg, war viele Jahre Oberarzt der Berliner Rechtsmedizin und ist heute Leitender Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft hilft er neben Tötungsdelikten auch Suizide oder Kunstfehlervorwürfe medizinisch aufzuklären. Privat geht es bei ihm lebendiger zu: unter dem Namen Dr. Boogie gibt er Jazz-Konzerte am Piano. Außerdem ist er leidenschaftlicher AC/DC-Fan.

Claas Buschmann, geboren 1977 in Hamburg, ist aktuell Oberarzt der Berliner Rechtsmedizin. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft hilft er, neben Tötungsdelikten auch Suizide oder Kunstfehlervorwürfe medizinisch aufzuklären. Privat geht es bei ihm lebendiger zu: unter dem Namen Dr. Boogie gibt er Jazz-Konzerte am Piano. Außerdem ist er leidenschaftlicher AC/DC-Fan.

1 – BLAUE STUNDE


Viele Menschen stellen sich die Arbeit eines Rechtsmediziners ganz grauenvoll vor. Jeden Tag untersuchen wir Tote – große, kleine, junge, alte, auch verstümmelte, zerstückelte oder stark fäulnisveränderte Leichen. Ich empfinde Obduktionen trotzdem überhaupt nicht als belastend. Warum? Das hat nichts damit zu tun, dass ich vielleicht abgestumpft wäre, im Gegenteil. Der Grund ist ein anderer:

Weil die Toten es schon hinter sich haben.

Weil sie frei sind von Leid und Schmerz.

Wir Lebenden dagegen haben das Sterben alle noch vor uns. Und das kann sehr grausam sein. Und enorm belastend für die, die es unmittelbar oder mittelbar miterleben.

Als Medizinstudent bin ich einmal völlig unvorbereitet in eine solche Situation hineingeraten. Es war im Hochsommer, ich fuhr an den Wochenenden meist immer noch Rettungswagen, um mein Studium zu finanzieren. In einem Landkreis im Speckgürtel Hamburgs arbeiteten wir in 24-Stunden-Schichten. Die gingen am Samstagmorgen los und dauerten bis zum Sonntagmorgen. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht war man im Einsatz. Heute sehe ich das aus vielen Gründen kritisch. Wer 24 Stunden nicht schläft, dessen Konzentration lässt deutlich nach, der Zustand ähnelt einem leichten Alkoholrausch. Trotzdem soll man zu jeder Zeit in der Lage sein, Menschenleben zu retten und eventuell innerhalb von Sekunden schwerwiegende Entscheidungen während eines Einsatzes zu treffen. Das ist manchmal einfach, manchmal schwierig und manchmal unmöglich.

Zumal sich die Gegebenheiten auf dem Land vom Rettungsdienst in der Stadt stark unterscheiden. In der Großstadt habe ich im Rettungsdienst oft erlebt, dass wir eher eine Art Sozialfeuerwehr waren. Es riefen Menschen an, die uns faktisch nicht brauchten. Häufig wurde man dann noch beschimpft, wenn man nicht innerhalb von zwei Minuten vor Ort war. Auch Handgreiflichkeiten waren an der Tagesordnung und sind es heute auch noch; ich habe mir schon damals ein Pfefferspray zugelegt, um mich notfalls selbst verteidigen zu können. Zum Glück bin ich ziemlich groß und konnte mich bisher immer ganz gut wehren – meistens natürlich nur verbal. Gewalt gegen Rettungskräfte ist aber leider kein neues Thema. Wenn in der Großstadt die 112 gewählt wird, geht es nicht selten um Alkoholexzesse, Streitereien, Schlägereien, da müsste häufig kein Rettungswagen kommen; ein Taxi zur Notaufnahme würde reichen. Oder die Leute sollten einfach mal nach Hause gehen, sich ins Bett legen und ihren Rausch ausschlafen.

Auf dem Land ist das anders. Wenn da ein Anruf in der Leitstelle eingeht, ist oft wirklich etwas passiert. Die Wege sind zudem viel länger; auch kleine Einsätze dauern daher mit Hin- und Rückfahrt gerne mal zwei Stunden. Und es kann vorkommen, dass man als Rettungsassistent irgendwo ankommt und dort eine halbe Stunde allein ist, bevor der Wagen mit dem Notarzt auftaucht.

In der besagten Nacht war ich auf einer Rettungswache nahe einer niedersächsischen Kleinstadt eingesetzt. Mein Kollege an diesem Wochenende war ein Zivildienstleistender, der frisch von der Rettungsdienstschule kam, medizinisch völlig unerfahren, dazu noch fast ein Teenager. Warum ich das erwähne? Weil die Erlebnisse, die in dieser Nacht auf uns zukommen sollten, selbst für Profis schwer zu verdauen sind. Zwei Drittel unserer 24-Stunden-Schicht – den Tag und den Abend – hatten wir schon hinter uns, bisher nichts Dramatisches. Aber wir hatten alle Hände voll zu tun, fanden kaum Zeit zu essen oder zu trinken. An Hinlegen war gar nicht zu denken. Als die Nacht anbrach, hofften wir endlich auf ein paar Stunden Ruhe.

Doch gegen halb drei Uhr morgens wurden wir schon wieder rausgeklingelt: Schlägerei auf einem Abiball. Das klang wenig spektakulär, aber wer weiß. Als wir bei dem Fest ankamen, saßen da tatsächlich nur ein paar betrunkene Abiturienten. Einer jammerte, sie hätten sich geprügelt und jetzt tue ihm der Fuß weh. Darüber konnte ich nicht lachen. Ein Notfall sieht anders aus. »Pass mal auf«, wurde ich relativ unfreundlich, »es ist mitten in der Nacht! Morgen früh gehst du damit zum Arzt, wir düsen jetzt wieder ab.« Das ist vielleicht ein bisschen ruppig, aber manchmal helfen klare Ansagen.

Wir fuhren wieder los. Plötzlich begann unser Funk im Rettungswagen verrücktzuspielen. Hektisches Durcheinander, wir verstanden nur: »Verkehrsunfall, unklare Lage«. Dann wurden verschiedene Straßennamen genannt, das war äußerst ungewöhnlich. Wo war jetzt genau was passiert? Keiner wusste Näheres. In dem Moment kam auch schon der Funkalarm der Leitstelle: Wir sollten direkt hinfahren. Ich war immer noch leicht genervt vom vorherigen Einsatz beim Abiball – vor allem war ich wirklich müde mittlerweile. Vielleicht ist das wieder einer, der nur wegen Nackenschmerzen ins Krankenhaus gefahren werden will, dachte ich. Wie sehr ich mich irrte, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Mittlerweile war es etwa halb fünf. Die blaue Stunde: nicht mehr ganz dunkel, aber auch noch nicht hell. Über den Wiesen und Feldern lagen ein wenig Nebel und ein fast surreales Licht. Man hätte denken können, man sei in einer Traumlandschaft unterwegs. Wir fuhren die letzten ein, zwei Kilometer. Und dann sahen wir den Unfallort.

Erst später habe ich die ganze Vorgeschichte erfahren: Eine große Gruppe Jugendlicher hatte zusammen in einer örtlichen Disco gefeiert. Im Laufe des Abends gab es Streit mit einer anderen Clique von außerhalb. Die Jugendlichen reagierten ganz vernünftig und beschlossen, sich nicht auf heftigere Diskussionen, vielleicht gar eine Schlägerei einzulassen. Sie wollten sich den schönen Abend nicht verderben lassen. Stattdessen beschloss man: »Lasst uns mal alle nach Hause gehen.« Mit von der Partie war auch ein 19-jähriger Fahranfänger, der mittlerweile leicht angetrunken war. Er war mit dem Auto gekommen, wollte es nun aber doch lieber stehen lassen. Richtige Entscheidung. Die ganze Gruppe setzte sich also zu Fuß in Bewegung in Richtung Stadt; die Disco selbst lag etwas außerhalb in einem Gewerbegebiet.

Doch wie sie da so entlangschlenderten, kam plötzlich ein Auto angefahren. Auf Höhe der Jugendlichen bremste es ab. Es war die andere Clique. Aus dem offenen Fenster heraus pöbelten die Insassen den jungen Mann an: »Wir haben dein Auto auf dem Disco-Parkplatz gefunden und den Lack zerkratzt!« Dann rasten sie davon. Daraufhin drehte der junge Mann durch. Das Auto war ganz offensichtlich sein Hobby, ein tiefergelegter Golf. Der Fahranfänger schnappte sich seinen besten Freund und lief den Weg zurück zur Disco. Dort angekommen, setzte er sich – wütend, wie er war – mit seinem Freund ins Auto und raste los. Er wollte die Verfolgung aufnehmen.

Der Rest der Freundesgruppe hatte derweil den Heimweg fortgesetzt, immer noch an der Landstraße entlang. Von hinten kam nun ihr Kumpel mit viel zu hoher Geschwindigkeit, etwa 100 km/h, angerast und verlor in einer leichten Linkskurve die Kontrolle über seinen Wagen. Und zwar exakt dort, wo sich der Rest der Gruppe gerade befand. Er fuhr gegen die Bordsteigkante, das Auto wurde über den Fußweg geschleudert und raste genau in die eigene Freundesgruppe hinein. Es erwischte – schicksalhaft, tragisch – die 17-jährige Freundin des Fahrers und die 16-jährige Freundin des Beifahrers. Danach prallte es gegen einen Baum. Neben der Straße war eine bewaldete Böschung, die leicht anstieg. Dorthinein wurden die beiden Mädchen geschleudert.

Das alles wussten wir zum Zeitpunkt unserer Ankunft am Unfallort natürlich nicht. Wir bogen um die letzte Kurve, und das Erste, was ich im morgendlichen Dämmerlicht sah, war der zertrümmerte tiefergelegte Golf, der quer auf der zweispurigen Fahrbahn stand. Mir gingen sofort lauter Fragen durch den Kopf: Wieso steht das Auto so merkwürdig? Es war auch kein zweiter Unfallwagen zu sehen. Unausgesprochen waren wir auf einen Verkehrsunfall zwischen zwei Pkw eingestellt gewesen. Dann entdeckte ich, dass etliche Meter von der Straße entfernt, den Hang hinauf, jede Menge Menschen zwischen den Bäumen standen, saßen, lagen, herumliefen. Was machen die da oben? Die Situation war auf den ersten Blick überhaupt nicht zu entschlüsseln.

Weil auch noch lose Autoteile auf der Fahrbahn und dem Gehweg lagen, kamen wir mit unserem Rettungswagen nicht näher an den Golf und den Hang heran. Die Polizei war offenbar ganz kurz vor uns eingetroffen. Ein junger Polizist sprintete auf uns zu und kickte mit dem Fuß die Frontschürze des Unfallwagens zur Seite. Seine Augen waren weit aufgerissen und schienen zu schreien: »Kommt schnell!« Da erst verstand ich, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Wenn Polizisten oder Feuerwehrleute anfangen zu rennen, ist es verdammt ernst. Im Augenwinkel sah ich einen Kollegen des zweiten Rettungswagens, der wenige Minuten vor uns eingetroffen war. Er machte sich an einem Wildzaun im unteren Bereich des Hangs zu schaffen. Der dazugehörige Zivi, auch ein ganz junger Mann, saß ein Stück weiter den Hang hinauf zwischen den Bäumen neben einem älteren Polizisten. Der wiederum hielt ein lebloses Mädchen im Arm. Der Polizist weinte. Ich lief auf ihn zu mit den Worten: »Wir übernehmen das jetzt.« Dann nahm ich ihm das...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Medizin / Pharmazie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Anklage • Buschmann Buch • CSI • Ermittlung • Forensik • Gerechtigkeit • Kiel • Kriminalistik • Kriminalität • Leben • Leiche • Leichenhalle • Leichenteile • Medizin • Mord • Nervenkitzel • Opfer • Rechtsmedizin • Rechtsmediziner • Rettungsdienst • sezieren • Täter • Tod • Toter • True Crime • Verbrechen • Verbrechensaufklärung
ISBN-10 3-8437-2430-X / 384372430X
ISBN-13 978-3-8437-2430-2 / 9783843724302
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