Sensible Seele, sensibler Körper (eBook)
288 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2416-6 (ISBN)
Dr. Peter Liffler, geb. 1941, ist Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin und leitet als Chefarzt die Kinderfachklinik Bellevue auf Fehmarn. Er studierte 1975 bis 1981 Humanmedizin an der Philipps-Universität Marburg. Danach erfolgte die Weiterbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Kassel. Von 1988 bis 1990 erfolgte Planung, Aufbau und ärztliche Leitung des Kinder-Rehabilitationszentrums auf Fehmarn, 1992 bis 1994 Entwicklung und ärztliche Leitung des Therapeutikums Westfehmarn, 1995 bis 2017 Betrieb und ärztliche Leitung der Fachklinik Bellevue. Dr. Liffler entwickelte eine innovative, sektionen- und fachbereichsübergreifende Versorgungsform für Kinder mit schweren Erkrankungen des atopischen Formenkreises. 2012 bis 2016 erfolgte dann eine Pilot-Studie mit Eltern neurodermitiserkrankter Kinder. Durchführung von Forschungsprojekten in Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäts-Kliniken, u. a. Validierung eines Senibilitäts-Tests.
Dr. Peter Liffler, geb. 1941, ist Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin und leitete als Chefarzt das Therapeutikum Westfehmarn sowie die Fachklinik Bellevue auf Fehmarn. Liffler entwickelte innovative- und fachbereichsübergreifende Versorgungsmethoden für Kinder und Erwachsene mit schweren atopischen Erkrankungen. Darüber hinaus führt er diverse Forschungsprojekte mit verschiedenen Universitätskliniken durch, u. a. die Validierung eines Sensibilitätstests.
ATOPIE
1921 prägten die beiden Mediziner Cooke und Coca den Begriff Atopie (griechisch: ortlos, seltsam, unvorhersehbar) und brachten damit zum Ausdruck, dass es Krankheiten gibt, die offenbar ihren Ursprung nicht in dem Organ, wo sie sich äußern, beispielsweise in der Haut, der Lunge oder der Nase, sondern in der Seele, d. h. im Unterbewusstsein des Menschen haben. Die Annahme, dass es sich bei den Krankheiten des atopischen Formenkreises um psychosomatische Störungen handelt, ist populärwissenschaftlich verbreitet. In der Ursachenforschung der naturwissenschaftlichen Medizin hatte dieser Aspekt aber eher eine nebensächliche Bedeutung. Es sollten hundert Jahre vergehen, bis der Begriff Atopie sinngemäß verstanden wird.
Die sensationelle Entdeckung der Stress-Reaktion durch den ungarisch-kanadischen Arzt Hans Selye passte ungleich besser in das Weltbild der naturwissenschaftlichen Medizin. In den 1940-er Jahren hatte er nachgewiesen, dass Tier und Mensch auf veränderte Anforderungen mit Hormonausschüttung reagieren. Nach wiederholten ergebnislosen Anpassungsversuchen tritt Erschöpfung ein, der Gestresste wird krank.
Generationen von Forschern machten sich seither auf die Suche nach dem krankmachenden Stress. Dieser Ansatz zog sich wie ein roter Faden durch ein dreiviertel Jahrhundert Ursachenforschung. Man suchte die Ursachen vor allem in der Lebensweise und in der Umwelt: Nahrungsmittel, Nahrungsmittelzusatzstoffe, Körperpflegeprodukte, übermäßige oder zu geringe Hygiene, Bewegungsmangel, Rauchen und Luftverschmutzung waren die bevorzugten Forschungsobjekte. Im Verdacht standen auch psychische Faktoren: Persönlichkeitsmerkmale, Lebensereignisse und psychische Krankheiten. Da sich atopische Krankheiten schon in der frühen Kindheit entwickeln, standen auch die Eltern im Fokus der Forschung. Dabei war unter anderem die Neigung zur Überfürsorglichkeit aufgefallen, ohne dass sich erklären ließ, warum diese Neigung beispielsweise eine Hautkrankheit auslösen kann. Bis heute wurde kein einziger Stressfaktor nachgewiesen, der unmittelbar zur Entwicklung einer dieser Erkrankungen führen würde. Selbst Erdbeben und Kriege hatten nie zu einer Zunahme der atopischen Krankheiten geführt. In der Medizin gilt die Ursache der Atopie trotz intensiver Forschung bis heute als unbekannt. Nach einer internationalen Studie einigte man sich 2015 darauf, dass Stress die atopischen Krankheiten negativ beeinflussen, »möglicherweise auch deren Entwicklung ungünstig beeinflussen kann [1]. Die Atopie gilt seither als genetische Überempfindlichkeit der Haut und der Schleimhäute auf an sich harmlose Substanzen, die mit IgE-vermittelten Allergien einhergehen. Die Behandlung beschränkt sich auf zahlreiche Vermeidungsempfehlungen und rein symptomatisch wirkende, apparative (Bestrahlung) und medikamentöse Behandlungen.
Unter dieser medizinischen Versorgung haben die Erkrankungen des atopischen Formenkreises in einem geradezu atemberaubenden Ausmaß zugenommen. Seit den 1980-er haben sie sich vervier- bis versechsfacht. Nach den letzten Erhebungen des Robert-Koch-Instituts im Jahr 2014 leiden inzwischen knapp 30 Millionen Deutsche im Verlauf ihres Lebens unter mindestens einer der Erkrankungen des atopischen Formenkreises [2]. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, weil nachweislich die Hälfte der Betroffenen nicht mehr zum Arzt geht und viele ihr Heil in alternativen und komplementärmedizinischen Verfahren sucht [3]. Die »Allergischen Erkrankungen« wurden vom Robert-Koch-Institut inzwischen als Volkskrankheiten eingestuft [2]. Die Ursachen vermutet man im »westlichen Lebensstil« [63, 64].
Experten wie der Systemtheoretiker und Physiker Peter Kafkage gehen weniger von krankmachenden Verhaltensweisen als von einer Globalen Beschleunigungskrise aus. Danach führt ein sich ständig beschleunigender Fortschritt mit globalem Strukturwandel zwangsläufig in eine instabile Gesamtlage der menschlichen Zivilisation und ihres Lebensraums [4]. Diese Krise sollte nicht als unausweichlicher Untergang, sondern als eine Zeitenwende in der Geschichte des Fortschritts verstanden werden, einem Punkt, an dem die Menschen zu zukunftstauglicheren Leitideen finden müssen [5].
AKTUELLE STUDIEN
Mir war über viele Jahre das aufopfernde Verhalten der Eltern neurodermitiskranker Kinder aufgefallen. Empfindsam und außergewöhnlich beeindruckbar, ständig ängstlich-besorgt, ließen sie kein Auge von den Kindern. Auffällig waren ihre überaus innige Zuwendung, der ständige Körperkontakt und die Angewohnheit, die Kinder ständig zu tragen. Auch das mitunter exzessiv verlängerte Stillen und das Schlafen im gleichen Bett waren geradezu typische Merkmale dieser Familien. Erste Befragungen der Eltern ergaben Hinweise auf eine empfindlichere Wahrnehmungsverarbeitung im Sinne der Hochsensibilität.
Das Phänomen der »Hochsensibilität« wurde 1997 von Elaine N. Aron in ihrem Buch »Sind sie hochsensibel?« beschrieben. Aron ging davon aus, dass ein kleiner Teil jeder Population vorausschauend auf Umweltreize reagiert und sich damit optimaler an die sich ändernden Lebensbedingungen anpasst. Aron ging davon aus, dass diese Menschen über eine intensivere und verlängerte zentralnervöse Verarbeitung von inneren und äußeren Reizen verfügen. Die niedrigere Reizschwelle führe allerdings zu einer Empfindlichkeit gegenüber subtilen Reizen, wie Schmerz, Koffein, Hunger und lauten Geräuschen. Charakteristisch sei auch die emotionale Berührbarkeit und Empfänglichkeit für ästhetische Reize. Außerdem bestehe eine Neigung zur Überreizung, die zu psychischen Störungen führen könne. Mit ihrem 27 Fragen umfassenden Hochsensitivitäts-Test wollte sie die Sensibilität der Menschen messen. In die wissenschaftliche Auseinandersetzung wurde die »Hochsensibilität« als Sensorische Verarbeitungsempfindlichkeit (Sensory processing sensitivity, kurz SPS) eingeführt. Das Konstrukt der SPS ging von einer empfindlicheren, zentralnervösen Verarbeitung, Bewertung und Beanwortung aller Wahrnehmungen aus [6, 7]. Arons Hochsensibilitäts-Test wurde mehrfach wissenschaftlich untersucht. In zahlreichen Studien, u. a. in einer Meta-Analyse von 76 Studien, wurde bei Probanden mit hohen HS-Testwerten Vermeidungshaltungen, Verhaltenshemmung, Angststörungen und Depressionen festgestellt [8 – 12]. In unseren Voruntersuchungen erzielten vor allem die Eltern hohe Werte im Hochsensibilitäts-Test, die selbst unter Neurodermitis, Asthma oder Allergien leiden. Damit war die Idee für eine Studie geboren, mit der ich diesem Zusammenhang mit wissenschaftlicher Methodik auf den Grund gehen würde.
Zwischen SPS und Atopie besteht ein Zusammenhang
In einer ersten Pilot-Studie wurden zwischen 2014 und 2017 vierundsechzig, in etwa gleichaltrige Mütter und Väter aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich mit ihren neurodermitiskranken Kindern in stationärer Behandlung befanden, mit vier voneinander unabhängigen Test-Instrumenten, u. a. mit dem HS-Test von Aron auf die Sensory processing sensitivity untersucht. Die Ergebnisse der Studie waren deutlicher als erwartet: Eltern, die selbst unter einer Atopie litten, zeigten deutliche Hinweise auf SPS (siehe Tabelle 1 im Anhang). Eltern mit sehr hohen HS-Testergebnissen boten außerdem Hinweise auf psychische Instabilität. Die Studie ergab einen eindeutigen Zusammenhang zwischen SPS und der Veranlagung zur Atopie. Wir gingen davon aus, dass der mit der SPS erklärte, responsive Erziehungsstil als Co-Faktor für die Entwicklung der Neurodermitis in Betracht kommt [13].
In einer deutlich größeren Studie, die wir 2019 mit mehr als 300 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Probanden durchführten, wurden neben den testpychologischen Untersuchungen auch umfangreiche biographische Daten, wie Alter, Geschlecht, Bildung und Beruf auch Krankheiten und psychische Störungen abgefragt. Das ermöglichte später wichtige Gruppenvergleiche. Zum Einsatz kam der 16 Items umfassende SENS-E-Test, eine verbesserte Version des HS-Tests. Das Verfahren erfüllte in der Erprobung alle Gütekriterien psychologischer Tests, d. h. hohe Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Gültigkeit. Die 16 Items wurden von eine Expertenkommission aus einem Datenpool der häufigsten Merkmale hochsensibler Persönlichkeiten ausgewählt und über eine Faktorenanalyse auf 16 Items verkürzt. Die Testentwicklung wird in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert [14].
Die 16 Items des SENS-E-Tests:
1. Ich leide an der Unvollkommenheit und Ungerechtigkeit der Welt.
2. Die Stimmungen anderer Menschen beeinflussen mich.
3. Ich neige zur Schreckhaftigkeit.
4. Verkehrslärm, grelle Lichter oder Martinshörner bereiten mir Unbehagen.
5. Es interessiert mich sehr, was andere über mich denken.
6. Wenn ich oder mein Kind krank werden, denke ich rasch an Komplikationen.
7. Schurwolle oder andere raue Textilien empfinde ich als unangenehm.
8. Im privaten oder beruflichen Umgang nehme ich atmosphärische Störungen früher wahr als andere.
9. Ständig lautsprechende Menschen empfinde ich als unangenehm.
10. Das...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2021 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Krankheiten / Heilverfahren |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete | |
Studium ► Querschnittsbereiche ► Infektiologie / Immunologie | |
Schlagworte | Allergien • Allergische Erkrankungen • Alternative Heilmethoden • Asthma • Asthma bronchiale • Astma • Cortison • Eltern Ratgeber • Gesundheitsratgeber • Haut • Hautreizungen • Heuschnupfen • Hochsensibilität • Homöopathie • Hypersensibilität • Liffler • Lifler • Nervöse Überempfindlichkeit • Nervosität • Neurodermitis • Selbstbehandlung • Selbsthilfe • Überempfindlichkeit |
ISBN-10 | 3-8437-2416-4 / 3843724164 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2416-6 / 9783843724166 |
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Größe: 14,4 MB
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