Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen (eBook)

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2020 | 1. Auflage
209 Seiten
UTB (Verlag)
978-3-8463-5349-3 (ISBN)

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Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen -  Anne Toussaint,  Annabel Herzog
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Ob Atemnot, Schwindel oder Verdauungsprobleme, zahlreiche Patienten leiden unter anhaltenden Körperbeschwerden. Oft lassen sich dabei keine hinreichenden körperlichen Ursachen finden. Wann werden Körperbeschwerden, wie jeder sie kennt, zur übermäßigen Belastung? Dieses Lehrbuch vermittelt, wie diese Erkrankungen entstehen und wie der diagnostische Prozess vom ersten belastenden Symptom bis zur Diagnose einer somatoformen Störung oder somatischen Belastungsstörung bestmöglich abläuft. Viele Beispiele zeigen wichtige Aspekte professioneller und wertschätzender Gesprächsführung sowie Fallstricke und Hindernisse auf. Evidenzbasierte Therapiemaßnahmen nach den aktuellen Leitlinien werden übersichtlich dargestellt. Didaktisiert mit Marginalien, Kästen und Kapitelzusammenfassungen.

Dr. Anne Toussaint, Diplom Psychologin, ist seit vielen Jahren am Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf in Klinik, Forschung und Lehre tätig

Dr. Anne Toussaint, Diplom Psychologin, ist seit vielen Jahren am Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf in Klinik, Forschung und Lehre tätigDr. Dipl.Psych. Annabel Herzog, Psych. Psychotherapeutin, ist am Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf in Diagnostik, Behandlung, Lehre und Forschung tätig.

Inhalt
1 Einführung in die Thematik und Überblick 9
1.1 Charakterisierung des Störungsbildes 10
1.2 Zentrale Begriffe19
1.3 Historische Konzepte 21
1.4 "Revolution" der diagnostischen Konzepte: aktueller Stand24
1.5 Zusammenfassung 29
1.6 Fragen zum 1. Kapitel30
2 Epidemiologie 31
2.1 Prävalenz 31
2.2 Komorbidität 40
2.3 Verlauf und Prognose51
2.4 Inanspruchnahme medizinischer Leistungen 54
2.5 Zusammenfassung 56
2.6 Fragen zum 2. Kapitel57
3 Ätiologie und Pathogenese58
3.1 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Störungskonzepte 65
3.2 Psychoanalytische und tiefenpsychologische Konzepte 74
3.3 Modelle der Informationsverarbeitung 74
3.4 Zusammenfassung 78
3.5 Fragen zum 3. Kapitel78
4 Grundlagen und Voraussetzungen für Diagnostik und Therapie 80
4.1 Grundlegende Haltung80
4.2 Therapeutische Beziehung 82
4.3 Allgemeine Gesprächsführung 85
4.4 Besonderheiten in der Gesprächsführung 93
4.5 Zusammenfassung 95
4.6 Fragen zum 4. Kapitel96
5 Diagnostik 97
5.1 Klassifikation 98
5.2 Diagnostischer Prozess 110
5.3 Herausforderungen in der Diagnostik 122
5.4 Differenzialdiagnostik124
5.5 Diagnostische Tools 132
5.6 Kommunikation der Diagnose . 141
5.7 Zusammenfassung 142
5.8 Fragen zum 5. Kapitel . 143
6 Behandlung 144
6.1 Evidenzbasierte Leitlinien 144
6.2 Versorgungsmodell und Indikationen 145
6.3 Initiale Grundversorgung 146
6.4 Erweiterte Grundversorgung I: Simultandiagnostik151
6.5 Erweiterte Grundversorgung II: Vom Erklärungsmodell zur Bewältigung 157
6.6 Multimodale Behandlung, Psychotherapie, Rehabilitation: Einbeziehung weiterer Behandlungsformen163
6.7 Zusammenfassung 176
6.8 Fragen zum 6. Kapitel177
Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuches
Zur schnelleren Orientierung werden in den Randspalten Piktogramme benutzt, die folgende Bedeutung haben
Begriffserklärung, Definition
(Fall-)Beispiel
Literaturempfehlung
Forschungen, Studien
Merksatz
Tipp
Fragen zur Wiederholung am Ende des Kapitels
Literatur180
Register204

2 Epidemiologie

2.1 Prävalenz

Anhaltende Körperbeschwerden sind ein weit verbreitetes Phänomen. Genaue Schätzungen zur Prävalenz und Inzidenz klinisch relevanter Körperbeschwerden lassen sich nur schwer bestimmen. Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, existieren zahlreiche unterschiedliche Begrifflichkeiten und diagnostische Konzepte zur Klassifikation anhaltender und medizinisch unerklärter Körperbeschwerden, somatoformer und funktioneller Störungen und somatischer Belastungsstörungen. Die Prävalenzzahlen lassen sich entsprechend nur bezogen auf die jeweils zugrunde liegenden diagnostischen Kriterien (Kap. 5) bestimmen und interpretieren.

2.1.1 Allgemeinbevölkerung

In der Allgemeinbevölkerung sind körperliche Beschwerden sehr häufig.

In einer Studie aus dem Jahr 2006 gaben 82 % der befragten Teilnehmerinnen und Teilnehmer Beschwerden an, die sie innerhalb der letzten sieben Tage zumindest leicht beeinträchtigten, 22 % berichteten sogar mindestens eine Beschwerde, die sie schwer beeinträchtigte (Hiller et al. 2006). Die Teilnehmenden wiesen dabei oft multiple Körperbeschwerden anstatt nur einzelner Symptome auf und berichteten im Durchschnitt sieben verschiedene Symptome. Dabei wurden vor allem Rücken-, Kopf-, Gelenk- und Menstruationsschmerzen, Schmerzen in den Extremitäten, Verdauungsbeschwerden und mit Sexualität assoziierte Beschwerden wie Erektions- und Ejakulationsstörungen genannt. In einer vergleichbaren Studie aus Großbritannien ergaben sich als häufigste über die vergangenen 2 Wochen berichteten Symptome Müdigkeit, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Rückenschmerzen und Schlafstörungen (McAteer et al. 2011), wobei im Durchschnitt vier belastende Symptome pro befragter Person genannt wurden. In einer Studie aus den USA zeigte sich, dass von 1000 befragten Personen jeden Monat 80 % körperliche Beschwerden verspürten, die sie als beeinträchtigend beschrieben (Green et al. 2001).

Die Häufigkeitsbestimmung der so genannten „medizinisch unerklärten“ oder „somatoformen“ Beschwerden in der Allgemeinbevölkerung ist dadurch erschwert, dass die somatoforme Symptomatik oftmals nicht als solche erkannt wird und somit auch nicht die passende Diagnose gestellt werden kann. Angaben zur Prävalenz medizinisch unerklärter Körperbeschwerden schwanken daher massiv (Hilderink et al. 2013).

Auch die Häufigkeit somatoformer Störungen nach ICD-10 (WHO 1996) oder DSM-IV (APA 2000) lässt sich in der Allgemeinbevölkerung, außerhalb eines klinischen Kontextes, nur schwer bestimmen. In repräsentativen Bevölkerungsstichproben werden nur selten standardisierte klinische Interviews (Kap. 5) durchgeführt, mit denen sich die Häufigkeit somatoformer Störungen zuverlässig ermitteln lassen könnte.


Prävalenz in Deutschland

Im Bundesgesundheitssurvey 1998 / 1999, einer Umfrage zur Häufigkeit psychischer und körperlicher Erkrankungen in der deutschen Allgemeinbevölkerung, wurde eine Lebenszeitprävalenz von 16,2 %, eine 12-Monats-Prävalenz von 11 % und eine 4-Wochen-Prävalenz von 7,5 % für die gesamte Diagnosegruppe der somatoformen Störungen nach ICD-10 ermittelt (Jacobi et al. 2004).

Knapp ein Drittel der Patientinnen und Patienten gaben dabei zwei oder mehr Schmerzsymptome an; am häufigsten wurden Kopf-, Unterbauch- und Rückenschmerzen berichtet (Fröhlich et al. 2006). Bezogen auf die Lebenszeitprävalenz sind somatoforme Störungen damit die dritthäufigste Störung nach Suchtstörungen und Angststörungen (Jacobi et al. 2004).

Für die undifferenzierte Somatisierungsstörung (zu den diagnostischen Kriterien (siehe Kap. 5) wurde in einer weiteren Studie aus der deutschen Allgemeinbevölkerung eine Punktprävalenz von 19,7 % festgestellt (Grabe et al. 2003). Für die Somatisierungsstörung, die durch sehr streng definierte diagnostische Kriterien gekennzeichnet ist, wurde in einer repräsentativen Studie aus den USA eine Lebenszeitprävalenz unter 1 % gefunden (Robins / Regier 1991).

Prävalenz in Europa

In der europäischen Bevölkerung wird die 12-Monats-Prävalenz somatoformer Störungen 2011 mit 4,9 % angegeben (Wittchen et al. 2011; Abb. 2.1), was einer Anzahl von ca. 25,1 Millionen Erkrankten in der Europäischen Union entspricht. Mit dieser Prävalenz stellen somatoforme Störungen die vierthäufigsten psychischen Störungen nach Angststörungen, Schlafstörungen und affektiven Störungen dar.

Abb. 2.1: 12-Monats-Prävalenz psychischer Störungen in Europa (geschätzte Anzahl an Personen in Mio.; nach Wittchen et al. 2011)

2.1.2 Hausärztliche Versorgung (Allgemeinmedizin)

Insbesondere in der medizinischen Primärversorgung (Hausarztpraxen, Allgemeinmedizin) stellen sich viele Patientinnen und Patienten mit unerklärten Körperbeschwerden vor, womit auch die Hauptverantwortung für das Erkennen und Diagnostizieren bei Ärztinnen und Ärzten der Primärversorgung liegt.

In 15–19 % der Fälle sind somatische Symptome ohne organische Ursache der Hauptgrund für eine Konsultation in der Hausarztpraxis (Burton 2003). In einer Untersuchung von Nimnuan et al. (2001) fand sich eine Punktprävalenz von 52 % bezogen auf unerklärte Körperbeschwerden. Dabei wurde eine breit gefasste Definition der Symptome zugrunde gelegt, nämlich im Sinne von medizinischen Beschwerden, für die keine definierte medizinische Diagnose im Rahmen einer adäquaten medizinischen Untersuchung gefunden werden konnte. Verhaak et al. (2006) analysierten Daten von Patientinnen und Patienten, die über das vergangene Jahr mindestens vier Arztbesuche bezüglich ihrer Körperbeschwerden in Anspruch genommen hatten. Dabei ergab sich eine Punktprävalenz von 2,5 % unerklärter Körperbeschwerden. Auch hier sind die Schwankungen in den Prävalenzraten in Abhängigkeit von den angewendeten diagnostischen Kriterien zu sehen.

In einem aktuellen und hochwertigen systematischen Review, in das Daten von über 70.000 Patientinnen und Patienten aus 24 Ländern eingeschlossen wurden, zeigte sich, dass bei 40-49 % aller Patientinnen und Patienten aus dem hausärztlichen Setting mehr als eine medizinisch unerklärte Beschwerde diagnostiziert werden konnte (Haller et al. 2015).

In derselben Übersichtsarbeit wurden aus den Studien, in denen klinische strukturierte Interviews bei Patientinnen und Patienten in der Hausarztpraxis durchgeführt worden waren, auch die Prävalenzen für die Diagnosen der somatoformen Störungen nach DSM-IV bzw. ICD-10 ermittelt. Dabei ergaben sich Punktprävalenzen für die Somatisierungsstörung von 0,8 % bzw. 5,9 %, für die undifferenzierte somatoforme Störung von 27,0 % bzw. 8,9 % und für die Schmerzstörung von 7,3 % bzw. 9,3 %. (Haller et al. 2015).

2.1.3 Funktionelle Syndrome

Multiple unerklärte Körperbeschwerden treten häufig auch im Rahmen spezifischer funktioneller Syndrome auf. Die Angaben der Punktprävalenz schwanken auch hier, und zwar in Abhängigkeit von der Art eines solchen Syndroms bzw. von den zugrunde liegenden diagnostischen Kriterien.

Gerade in der ambulanten hausärztlichen Versorgung gehören funktionelle Körperbeschwerden zu einem der häufigsten Beratungsanlässe. Dabei werden für funktionelle Körperbeschwerden Häufigkeiten zwischen 20 % und 50 % in Hausarztpraxen angegeben (Nimnuan et al. 2001). Eine Allgemeinärztin mit 40 Patienten am Tag sieht demnach ca. zwei Patienten mit funktionellen Körperbeschwerden pro Stunde (Reid et al. 2001; Henningsen et al. 2018).

Zu den klassischen funktionellen Syndromen zählen das chronische Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome), für das Punktprävalenzen von 0,2–0,4 % in der Allgemeinbevölkerung ermittelt wurden (Jason et al. 1999; Nacul et al. 2011; Reyes et al. 2003), oder die Fibromyalgie. Für letztere fand sich in Großbritannien eine Punktprävalenz von 3,3 % (Gallagher et al. 2001). In einer repräsentativen deutschen Bevölkerungsstichprobe wurde sie mit 2,1 % angegeben. In einer größeren europäischen epidemiologischen Studie ergab sich in Abhängigkeit von den verwendeten Kriterien eine Punktprävalenz zwischen 2,9 % und 4,7 % (Branco et al. 2010). Funktionelle gastrointestinale Störungen (einschließlich des Reizdarmsyndroms) traten bei 3,6 % der Hausarztpatientinnen und –patienten auf (Thompson et al. 2000). Die Punktprävalenzen schwanken hier je nach zugrunde gelegten Störungskriterien (z. B. Grundmann / Yoon 2010; Rey / Talley 2009: 2,1–22,0 %). Bei Anwendung der so genannten Rome-Kriterien wird die Punktprävalenz des Reizdarmsyndroms auf 7-10 % geschätzt (Wolfe et al. 2013).

Tab. 2.1: Prävalenz diagnostischer Subkategorien in der Allgemeinbevölkerung (nach Wittchen / Hoyer 2011; Kleinstäuber et al. 2011)

Diagnostische Kategorie

Art der Prävalenzbestimmung

Prävalenz

Somatoforme Störung

4 Wochen

7,5 %

Somatisierungsstörung

Lebenszeit

< 0,01–0,84 %

Chronic Fatigue Syndrome

Punkt-Prävalenz

0,4 %

Fibromyalgie

Punkt-Prävalenz

3,3...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2020
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Adipositas • Asthma • Ätiologie • Bluthochdruck • Chronische Reizblase • Differentialdiagnostik • Epidemiologie • ganzheitliche Medizin • Komorbidität • Lehrbuch • Medizinstudium • Migräne • Morbus Crohn • Neurodermitis • Psyche • Psychiatrie • Psychoanalytische Konzepte • Psychologie • Psychologiestudium • Psychosomatik • Psychosomatische Erkrankungen • Psychosomatische Störungen • Psychotherapie • Schuppenflechte • Soma • starkes übergewicht • Störungen der Sexualfunktion • Therapie bei psychosomatischen Erkrankungen • tiefenpsychologische Konzepte • Tinnitus • UTB • Verhaltenstherapeutische Störungskonzepte • Versorgungsmodell
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