Neuroreha bei Multipler Sklerose (eBook)

Therapie - Sport - Selbsthilfe
eBook Download: EPUB
2020 | 2. Auflage
208 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-242023-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Neuroreha bei Multipler Sklerose -  Sabine Lamprecht,  Hans Lamprecht
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MS-Patienten therapieren und trainieren Schmerzen, Zittern, Fatigue... die Liste an Symptomen von Multipler Sklerose ist lang. Mit Physio-, Ergo- und Sporttherapie können Sie die Lebensqualität Ihrer Patienten verbessern und können Hilfe zur Selbsthilfe geben. Die Autoren haben jahrelange Erfahrung in der Therapie von Patienten mit MS und behandeln auf Basis aktueller Evidenz. Als Therapeut vertiefen Sie mit diesem Buch Ihr Verständnis für die Multiple Sklerose und können so Ihren Patienten optimal gerecht werden. Für die zweite Auflage wurde das Buch komplett überarbeitet und dem aktuellen Stand der Forschung angepasst. Dieses Buch bietet Ihnen: - medizinische Grundlagen der Krankheit, um deren Symptome besser zu verstehen - Therapiemöglichkeiten aus physio- und ergotherapeutischer Sicht - Tipps zu Sport und Empowerment der Betroffenen - Anregungen und Anleitungen zur Selbsthilfe Pflichtlektüre für alle, die Patienten mit MS umfassend therapieren möchten.

2 Medizinische Grundlagen


An MS erkrankte Patienten suchen häufig fachkundigen Rat und Unterstützung, weil die Symptome sehr verschieden sind und der Verlauf der Erkrankung unberechenbar ist. Hier spielen auch Therapeuten eine wichtige Rolle. Deshalb sollten alle Therapeuten, die MS-Betroffene behandeln, über die Krankheit, deren mögliche Ursache und Besonderheiten sehr gut Bescheid wissen.

2.1 Epidemiologie


Die Prävalenz der Erkrankung weist ein geografisches Gefälle hin zu den Polen auf. Die Prävalenzraten schwanken zwischen 1 und 309 pro 100 000 Einwohner ( ▶ [133]). Allgemein scheinen Zonen mit gemäßigtem Klima stärker betroffen zu sein als jene nahe am Äquator. Das gilt für die nördliche und die südliche Hemisphäre in gleichem Maße. In der Nähe des Äquators kommt MS selten vor ( ▶ Abb. 2.1). Die Häufigkeit in Abhängigkeit zur Entfernung vom Äquator wird unterschiedlich interpretiert.

Abb. 2.1 Weltkarte mit geografischer Häufigkeit von MS.

In Deutschland leben ca. 200 000 Menschen mit MS ( ▶ [119]), die Prävalenz beträgt 149 auf 100 000 Einwohner ( ▶ [93]), wobei es auch hier ein Nord-Süd-Gefälle gibt. Die Prävalenz für die Schweiz ist nicht bekannt. Für den Kanton Bern haben Beer et al. 1994 eine Prävalenz von 110/100 000 ( ▶ [77]) formuliert. Die Prävalenz in Österreich beträgt 148/100 000 ( ▶ [74]). Weltweit gibt es ca. 2,5 Millionen MS-Erkrankte.

Definition

Prävalenz

Als Prävalenz bezeichnet man die Häufigkeit einer Krankheit in einer definierten Anzahl der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt.

2.1.1 Häufigkeitsverteilung nach Geschlecht und Alter


Frauen sind häufiger von MS betroffen als Männer, das Verhältnis beträgt 2 : 1 (w : m). Laut ▶ [83]) hat sich die Verteilung nach neuen Erhebungen auf 3 : 1 (w : m) erhöht. Eine bestimmte Genvariante bei Frauen könnte der Grund dafür sein, dass Frauen häufiger an MS erkranken als Männer: Im Erbgut von Frauen ist eine sehr aktive Form eines immunregulierenden Gens häufiger vertreten als bei Männern, hat ein internationales Forscherteam entdeckt. Dadurch ist das Immunsystem bei Frauen im Durchschnitt aktiver bzw. aggressiver und greift eher körpereigenes Gewebe an, wie es auch bei MS der Fall ist. Das berichtete das Team um Brian Weinshenker von der Mayo-Klinik in Rochester in der Fachzeitschrift Genes & Immunity ( ▶ [97]).

Der Beginn der Erkrankung liegt zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr ( ▶ Abb. 2.2). Durch verbesserte Diagnosemöglichkeiten können Mediziner die Erstdiagnose allerdings immer früher stellen, sodass das durchschnittliche Alter der Erstdiagnose voraussichtlich deutlich sinken wird. Die Häufigkeit der MS hat nach bisherigem Kenntnisstand nicht zugenommen. Allerdings wird die Erkrankung durch eine immer bessere Frühdiagnostik häufiger erkannt und auch „leichte“ Fälle werden diagnostiziert ( ▶ [101]).

Abb. 2.2 Alter bei Erkrankungsbeginn (Stand: Mai 2013).

2.2 Ursachen


Die genaue Ursache (Ätiologie) der MS ist nach wie vor nicht geklärt. Sicherlich ist die Ursache multifaktoriell. Dies bedeutet, dass viele verschiedene Faktoren zu der Erkrankung führen können. Das genaue Zusammenspiel der einzelnen Faktoren ist jedoch nicht hinreichend bekannt.

Bekannt ist hingegen, dass das Immunsystem bei der Entstehung von MS eine entscheidende Rolle spielt, aber auch genetische Faktoren von Bedeutung sind.

2.3 Pathogenese (mögliche Ursachen)


2.3.1 Genetische Prädisposition


MS ist zwar keine Erbkrankheit im engeren Sinne, aber es existiert eine genetische Disposition. Dies lässt sich sowohl aus Familienstudien als auch durch das Auftreten in verschiedenen ethnischen Gruppen schließen. In diesem Zusammenhang ist das humane Leukozytenantigen (HLA, auch als Histokompatibilitätsantigen bezeichnet) zu nennen. Die Gene, die für HLA codieren sind auf Chromosom 6 lokalisiert. Man fand bei Patienten mit MS eine Häufung von bestimmten HLA-Systemen, z.B. HLA-DRB1*15:01 ( ▶ [117]).

Merke

Humanes Leukozytenantigen-System (HLA-System)

Unter dem humanen Leukozytenantigen-System (HLA-System, engl. Human Leukocyte Antigen) versteht man eine Gruppe menschlicher Gene, die für die Funktion des Immunsystems zentral sind.

Das Erkrankungsrisiko ist auch abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit. In Japan sind MS-Erkrankungen sehr viel seltener als in anderen Staaten dieses Breitengrades (1:100 000 Einwohner). Dies spricht dafür, dass verschiedene ethnische Gruppen unterschiedlich anfällig sind für die Entstehung einer MS ( ▶ [69]). Nordeuropäer sind beispielsweise häufiger betroffen als Schwarzafrikaner. Afroamerikaner sind häufiger betroffen als Schwarzafrikaner, Afroamerikaner und Hispanics aber weniger häufig als männliche Weiße in den USA ( ▶ [142]).

Neue Daten zeigen aber beispielsweise für Südamerika (Argentinien, Brasilien), dass auch Gebiete mit einer niedrigen Prävalenz inzwischen zu den Gebieten mit mittlerem Erkrankungsrisiko gezählt werden müssen ( ▶ [80]).

2.3.2 Hygienehypothese


MS tritt häufiger in Ländern mit hohem Hygienestandard (z. B. Nordamerika, Mitteleuropa) und auch eher in mittleren und höheren sozialen Schichten mit ausgeprägter Hygienementalität auf. Daher kann es sein, dass sich aufgrund des ausgeprägten Hygienestandards in dieser Personengruppe das Immunsystem nicht entsprechend ausbilden kann bzw. sich dadurch verändert hat. Die Thymusdrüse kann hier eine wichtige Rolle spielen.

Ein Zusammenleben mit Geschwistern in den ersten 6 Lebensjahren reduziert das Erkrankungsrisiko signifikant. Diese Tatsache wird durch eine gegenseitige Ansteckung mit Infektionskrankheiten erklärt ( ▶ [121]).

2.3.3 Infektionshypothese


Ein zeitlicher Zusammenhang mit einer Infektion konnte nicht bestätigt werden. Nach einer Infektion können Erregerreste im Körper (Persistenz von Erregern) zurückbleiben. Zwei Hypothesen machen einen Zusammenhang erklärbar ( ▶ [131]):

  • „Hit-hit“-Hypothese: Dieser Hypothese liegt zugrunde, dass eine Persistenz und Reaktivierung des Virus im ZNS vermutet wird.

  • „Hit-run“-Hypothese: Diese Hypothese geht davon aus, dass zwar periphere Zellen mit dem Virus infiziert sind, aber nicht das ZNS. Das Virus bereitet ein anormales immunologisches Milieu, welches die Aktivierung autoreaktiver Zellen begünstigt.

Ein überzeugender Nachweis eines spezifischen Erregers gelang bisher jedoch noch nicht. Zu den Viren, die mit MS assoziiert werden, gehören Herpesviren wie das Epstein-Barr-Virus (EBV), das humane Herpesvirus 6 (HHV-6), das Herpes-simplex-Virus (HSV), das Varicella-Zoster-Virus (VZV) oder die Paramyxoviren, wie z.B. Masern-, Mumps- oder Parainfluenzaviren Typ 1 ( ▶ [88]).

Insbesondere bei Kindern mit Multipler Sklerose konnte eine Immunreaktion gegen das Epstein-Barr-Virus häufiger als bei nicht erkrankten Kindern nachgewiesen werden ( ▶ [68]).

„... Es lässt sich gut vorstellen, dass verschiedenste Antigene Einflüsse aus der Umwelt im Zusammenspiel mit den prädisponierenden HLA-Genen im Laufe des Lebens ... das Immunsystem so prägen, dass schließlich durch weitere auslösende Umweltfaktoren ein pathogener Effekt entsteht. Es ist aus epidemiologischen und Migrationsstudien bekannt, dass Umwelteinflüsse im Kindesalter, möglicherweise die Durchseuchung mit infektiösen Erregern, zusammen mit den genetischen Faktoren für die Multiple Sklerose prädisponieren. Zur Auslösung der eigentlichen Erkrankung kommen dann aber weitere Faktoren im Erwachsenenalter dazu“ ( ▶ [99], S. 58).

2.3.4 Umweltgifte


Häufig wird ein kausaler Zusammenhang zwischen Umweltgiften und MS behauptet, allerdings gibt es kaum Nachweise dafür. Auch einen Zusammenhang zwischen Amalgamfüllung der Zähne und MS konnte in einer Metaanalyse nicht nachgewiesen werden ( ▶ [70]).

2.3.5 Vitamin-D-Stoffwechsel-Hypothese


Dass die Prävalenz in äquatornahen Regionen so gering ist, versucht man mit dem Vitamin-D-Stoffwechsel zu erklären. Denn eine Unterversorgung mit Vitamin D scheint nach bisherigen Untersuchungen ein Risikofaktor für MS zu sein ( ▶ [71]).

Nielsen und Kollegen konnten zeigen, dass eine niedrige Vitamin-D-Konzentration bei Neugeborenen mit einem erhöhten Risiko, an MS zu erkranken, korreliert ( ▶ [114]).

Van der Mei konnte in einer Studie zeigen, dass eine höhere Sonnenexposition während der Kindheit und frühen Jugend mit einem reduzierten Risiko für MS assoziiert ist ( ▶ [141]). Sandberg und Kollegen fanden heraus, dass ein hoher Vitamin-D-Spiegel mit einer verminderten axonalen Schädigung zusammenhängt ( ▶...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2020
Reihe/Serie Physiofachbuch
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Gesundheitsfachberufe
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Neurologie
Medizin / Pharmazie Physiotherapie / Ergotherapie
Schlagworte Ataxie • Empowerment • fatigue • Motorisches Lernen • MS • Neurologie • Neurorehabilitation • Paresen • Physiotherapie • Sensibilitätsstörungen • Spastik
ISBN-10 3-13-242023-9 / 3132420239
ISBN-13 978-3-13-242023-6 / 9783132420236
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