Interaktion und Kommunikation bei Autismus-Spektrum-Störungen -  Ulrike Funke

Interaktion und Kommunikation bei Autismus-Spektrum-Störungen (eBook)

Mit Komm!ASS® zur Sprache führen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
214 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-035675-7 (ISBN)
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Autismus-Spektrum-Störungen sind Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung. Der ganzheitliche Therapieansatz Komm!ASS® baut hierauf auf: Ein Hinführen zu spezifischen, positiv empfundenen Reizen sowie häufige Modalitätenwechsel und beständige Hilfen zur Selbstregulation verbessern die Wahrnehmung und die gesamte (Interaktions-)Entwicklung der Patientinnen und Patienten. Durch die gestärkte Eigen- und Fremdwahrnehmung wird Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit gefördert. Die Patientinnen und Patienten lernen Wünsche zu äußern, diese einzufordern, aber auch abzuwarten und eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Mithilfe von 'Führen' soll gemeinsame und geteilte Aufmerksamkeit erreicht und Imitation und Modelllernen ermöglicht werden - Grundlage für Kommunikation und Sprachanbahnung.

Ulrike Funke, Logopädin (Staatsexamen, 1996). Seit 20 Jahren in eigener Praxis tätig. 2017 Gründerin und seitdem Leiterin des Autismuszentrums Komm!ASS® in Schriesheim bei Heidelberg. Frau Funke entwickelte das Konzept 'Komm!ASS' und gibt hierzu seit 2013 regelmäßig Fortbildungen.

Ulrike Funke, Logopädin (Staatsexamen, 1996). Seit 20 Jahren in eigener Praxis tätig. 2017 Gründerin und seitdem Leiterin des Autismuszentrums Komm!ASS® in Schriesheim bei Heidelberg. Frau Funke entwickelte das Konzept "Komm!ASS" und gibt hierzu seit 2013 regelmäßig Fortbildungen.

 

2        Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung


 

 

Die Reizaufnahme erfolgt über die Sinne. Es wird unterschieden zwischen den Sinnen bzw. Sinnessystemen, welche Informationen über den Körper geben, sowie denen, die Informationen über die Umwelt vermitteln.

Zu den »Basis- bzw. Nahsinnen« gehören folgende Sinnessysteme:

•  das kinästhetische oder propriozeptive Wahrnehmungssystem

•  das vestibuläre Wahrnehmungssystem

•  das taktile Wahrnehmungssystem

Grundlage Basissinne

Gut ausgebildete und integrierte Basissinne bilden die Grundlage für eine gesunde Entwicklung des Kindes und sind bereits wichtige Voraussetzungen für komplexe, höhere Leistungen, die im weiteren Leben erworben werden.

Die Fernsinne bauen zudem auf diesen Erfahrungen und Kenntnissen auf. Sie geben mithilfe des jeweiligen Systems Informationen über die Umwelt. Hier erfolgt die Informationsaufnahme ohne einen direkten Körperkontakt mit dem wahrgenommenen Gegenstand bzw. der Information.

Zu den »Fernsinnen« gehören folgende Sinnessysteme:

•  das gustatorische Wahrnehmungssystem

•  das olfaktorische Wahrnehmungssystem

•  das visuelle Wahrnehmungssystem

•  das auditive Wahrnehmungssystem

Fernsinne erweitern das Wissen

Die Fernsinne verhelfen zu einem Bild von der Umgebung, von Abläufen im Umfeld und von dem, was ggf. als Nächstes passieren könnte.

Störungen dieser Systeme werden als zentrale Wahrnehmungs- und Verarbeitungs- bzw. sensorische Integrationsstörungen bezeichnet. In den folgenden Kapiteln werden die jeweiligen Bereiche mit ihren Auffälligkeiten beschrieben, dann erfolgt eine Beschreibung möglicher Hilfen.

Jeder Mensch ist besonders

Jedoch sind nicht alle »Auffälligkeiten« (besonders isoliert gesehen) auch behandlungsbedürftig. Eine Vielzahl von Verhaltensweisen sind dann einfach nur »anders« und entsprechend sollte den Kindern hier mit Toleranz und Verständnis begegnet werden. Ob das Kind zum Beispiel zur Beruhigung dem Schleudern der Wäschetrommel zuschaut oder ob neurotypische Personen den Wellengang am Meer oder einen Sonnengang betrachten, macht kaum einen Unterschied.

2.1      Das kinästhetische/propriozeptive Wahrnehmungssystem


Den eigenen Körper spüren

Mithilfe der Propriozeptoren werden Informationen aus dem Körperinneren aufgenommen. Die Reizaufnahme erfolgt über das kinästhetische System und liefert Mitteilungen über Muskeln, Sehnen und Gelenke. So kann gespürt werden, wo sich der Körper im Raum befindet, welche Haltung oder Lage er einnimmt, welche Bewegungen bei verschiedenen Körperteilen möglich ist und in welchem Spannungszustand sich die Muskeln und Sehnen befinden, ob der Körper sich bewegt und wenn ja, in welche Richtung. Dies geschieht mithilfe von Stellungssinn, Bewegungssinn, Kraftsinn und Spannungssinn.

Mithilfe des kinästehtischen/propriozeptiven Wahrnehmungssystems ist es möglich zu gehen, zu greifen oder andere Tätigkeiten zu vollziehen. Das Gehirn bekommt zum Beispiel über Reize wie Zug und Druck Informationen über die Stellung des Körpers, ohne die visuelle Kontrolle zu benötigen. Oder es ermöglicht, einen Gegenstand mit der richtigen Kraftdosierung in die Hand zu nehmen, ohne ihn zu zerdrücken.

Körpertonus

Menschen mit Autismus können diese Informationen oft nicht ausreichend wahrnehmen und verarbeiten. Einzelne Körperregionen weisen zusätzlich einen zu geringen Muskeltonus (Hypotonus), andere einen zu starken Muskeltonus (Hypertonus) auf.

»Ohne hinzuschauen wissen Sie genau, wo Ihr Körper den Stuhl oder Boden berührt und wie Ihre Füße stehen. Ich kann das nicht. Meine Körperwahrnehmung ist dafür zu gering. […] Ich muss schauen, um zu wissen, ob und wie ich sitze, wo meine Füße sind und was die Arme machen.
In der Schule habe ich nach dem Melden oft vergessen den Arm wieder herunter zu nehmen, weil ich so mit der Antwort (und den vielen anderen Reizen) beschäftigt war. Ich habe ihn einfach vergessen« (Vero, 2014, S. 99).

»Ich habe erst verstanden, wieso die Leute immer behaupten, ich würde beim Abschied verkehrt herum winken, als ich mich eines Tages in einem großen Spiegel sah. Da begriff ich, dass ich mir beim Winken selbst auf Wiedersehen sagte!« (Higashida, 2018, S. 51).

2.1.1     Mögliche Symptome bei einer Störung des propriozeptiven Wahrnehmungssystems


Überschießende Bewegungen um den Körper zu spüren

Folgendes Verhalten ist bei vorwiegender Hyposensibilität zu beobachten:

•  Schlagen, treten, anrempeln, fallen lassen auf/gegen/von Tischkanten, Zimmerwände(n), weitere(n) Begrenzung(en) und auch Personen; dies geschieht mit den Händen, den Füßen, dem Kopf oder dem gesamten Körper.

•  Häufiges Hüpfen oder Herunterspringen von Erhöhungen um u. a. den gesamten Oberkörper sowie Becken- und Bauchraum besser zu spüren

•  Zähneknirschen oder -klappern, Beißen in die eigene Hand oder in einen Gegenstand, das ruckartige Werfen des Kopfes nach hinten, starker Druck mit dem Kinn gegen einen Widerstand usw. bieten Informationen im Bereich der Schultern, des Nackens und für den Kiefer.

•  Den Kopf nach unten hängen lassen, um ihn durch den erhöhten Blutdruck spüren zu können

•  Flattern der Hände und der Arme, Kreisen der Handgelenke, Überstrecken einzelner Körperteile oder des gesamten Körpers; was eine besondere Information in Bezug auf Sehnen und Gelenke bietet

•  Zehenspitzengang, um die Spannung im Körper und besonders in den Fußgelenken zu erhöhen

Gezielte und flüssige Bewegungen einzelner Körperteile sind kaum möglich. Greifen und etwas Hineinstecken, Ziehen und Drücken, Richtung und Ziel können nicht ausreichend aufeinander abstimmt werden. Dies führt zu folgenden Auffälligkeiten:

•  Steck-, Stapel- und Drehspiele werden nicht gespielt.

•  Kaum differenzierte Fingerbewegungen, z. B. fehlender Pinzettengriff

•  Das Anheben von Gegenständen wird vermieden.

•  Kein »Hand geben«

•  Werfen oder Fangen erscheinen ungelenk oder sind nicht möglich.

•  Verschiedene Bewegungsabläufe benötigen die gesamte Konzentration.

Passivität als Schutz

Folgendes Verhalten ist bei vorwiegender Hypersensibilität zu beachten:

•  Schon kaum spürbare, tiefenstimulierende Reize können Unbehagen oder Schmerz auslösen.

•  Jegliche Bewegung wird vermieden.

•  Deutlicher Bewegungsunmut; Bewegungen werden nur minimal und verlangsamt ausgeführt.

•  Einzelne Körperteile werden nicht in Bewegung gebracht; der gesamte Körper geht in Aktion oder führt diese an, ein Ausstrecken der Hände oder Arme ist nicht isoliert möglich.

Gut zu wissen: Hilfen zur Sauberkeitserziehung


Auch die Sauberkeitserziehung zeigt sich bei Kindern mit Autismus oft deutlich verzögert. Unter anderen bedingt durch die veränderte Körperwahrnehmung wird auch der Druck von Darm und Blase »anders« gespürt. So kann es sein, dass dieser Druck als angenehm empfunden wird und die Kinder deshalb den Toilettengang vermeiden. Vielleicht wird dieser Reiz nicht gespürt, so dass die Kinder die Sauberkeit nicht erlernen.

Zur Einleitung der Sauberkeitserziehung muss das Kind seinen Körper (besser) spüren. Übungen zur Verbesserung der propriozeptiven und der taktilen Wahrnehmung zeigen sich hierbei zielführend. Eine entspannte Umgebung hilft zusätzlich, dass es den Kindern leichter fällt, »Druck« gezielt abzulassen. Eine Stütze unter den Füßen knickt den Oberkörper leicht ab und entspannt den unteren Rücken. Eine Massage, welche den Tonus nochmals verringert, könnte ebenfalls helfen.

(Symbol-)Spiele, aber auch Bücher können die Bedeutung dieser Fähigkeit zudem kognitiv und spielerisch in den Fokus rücken und zusätzlich anstoßen.

Abb....

Erscheint lt. Verlag 19.2.2020
Zusatzinfo 37 Abb., 3 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Autismus-Spektrum-Störung • Interaktion • Sprachbehinderung • Sprachentwicklung • Sprachstörungen • Wahrnehmung
ISBN-10 3-17-035675-5 / 3170356755
ISBN-13 978-3-17-035675-7 / 9783170356757
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