Manuelle Therapie nach Mulligan (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-242767-9 (ISBN)
1 Geschichte des Mulligan-Konzepts
In der Geschichte der Manuellen Therapie gab es in den letzten Jahrzehnten einschneidende Veränderungen. Verantwortlich dafür waren Manualtherapeuten, die mit neuen Ansätzen und Gedanken auf sich aufmerksam machten. Maitland, McKenzie, Elvey, Butler, McConnell und Kaltenborn sind nur einige der Praktiker, die durch Vermittlung ihres Wissen und ihrer Fertigkeiten zu einem Paradigmenwechsel in der Manuellen Therapie beigetragen haben. In der Tat wurden ihre Namen über die Jahrzehnte synonym mit dem Begriff „Manuelle Therapie“ verwendet. Alle Vertreter haben eines gemeinsam: Sie haben ihre Ideen und Erfahrungen mit anderen Klinikern geteilt und weltweit verbreitet.
Brian Mulligan ist ein weiterer Vertreter unter den führenden Manualtherapeuten, der in den letzten dreißig Jahren durch sein einmaliges Konzept „Mobilisation with Movement“ (MWM) Physiotherapeuten weltweit signifikant beeinflusst hat ( ▶ Abb. 1.1). In Kap. ▶ 2 wird dann näher auf den Begriff „MWM“ eingegangen. Seit Anfang der 1990er-Jahre gibt es einen rasanten Zuwachs an Techniken, die bei zahlreichen klinischen Beschwerdebildern eingesetzt werden können, und parallel dazu einen stetigen Anstieg in Bezug auf die Qualität sowie die Quantität von Forschungsarbeiten. Was einst mit der Beschreibung von Fallbeispielen und „antiquarischen“ Videoaufnahmen aus Mulligans Praxis in Neuseeland begann, hat längst zu randomisiert kontrollierten Studien geführt, die in anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht werden.
Abb. 1.1 Brian Mulligan – Begründer des Mulligan-Konzepts
Ähnlich verhält es sich mit der von Brian Mulligan sehr einfach beschriebenen Theorie zur Wirkungsweise seiner Techniken, dem sogenannten „Positionsfehler“ (siehe dazu auch Kap. ▶ 2 und ▶ 6). Diese Hypothese wird in Studien der jüngeren Vergangenheit mit bildgebenden Verfahren wie z.B. Ultraschall und Magnetresonanztomografie (MRT) und anderen Instrumenten überprüft. Diese Evidenz zur Wirkungsweise der MWMs ist in Zukunft die Grundlage der Anwendung der Techniken in der klinischen Praxis.
Neben der Zunahme der wissenschaftlichen Publikationen über Brian Mulligans Mobilisation with Movement ist auch die steigende Anzahl an Mulligan-Instruktoren weltweit (siehe Kap. ▶ 8) und die zunehmende Anzahl an Kursen zum Mulligan-Konzept in Deutschland, Österreich, Schweiz und in anderen Ländern ein Indiz dafür, dass sich das Konzept in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt hat. Darüber hinaus hat sich das Mulligan-Konzept weltweit in der Grundausbildung von Physiotherapeuten an Universitäten und Schulen sowie in postgraduierten Studiengängen etabliert. Die seit 2009 regelmäßig stattfindenden internationalen Konferenzen zum Mulligan-Konzept komplettieren das Bild einer zunehmend anerkannten Therapieform.
Bevor die Besonderheiten von MWMs und die Basisprinzipien der Therapiemethode näher erklärt und die einzelnen Techniken genau dargestellt und erläutert werden (Kap. ▶ 3.1, ▶ 4 und ▶ 5), ist es ohne Zweifel notwendig, dem Menschen zu danken, der das Konzept initiiert und diese originäre Form der Manuellen Therapie entwickelt hat, und ihn näher vorzustellen: Brian Mulligan selbst.
1.1 Brian Mulligan
Brian Mulligan absolvierte seine Physiotherapie-Ausbildung an der Universität von Otago in Dunedin, Neuseeland und schloss diese im Jahr 1954 erfolgreich ab. Zur selben Zeit graduierten an der gleichen Schule Stanley Paris und Robin McKenzie, zwei Weggefährten von Brian Mulligan. Seine erste Anstellung erhielt Mulligan im Krankenhaus von Wellington, auf der Nordinsel von Neuseeland, bevor er wenige Jahre später bereits in seiner eigenen Praxis arbeitete. Mulligan war sehr aktiv in der Gesellschaft neuseeländischer Physiotherapeuten (New Zealand Society of Physiotherapists, NZSP), zu deren Präsidenten er wenige Jahre nach seinem Examen ernannt wurde.
Ende der 1950er-Jahre wurde Brian Mulligan zunächst von der Lehre von Dr. James Cyriax in orthopädischer manueller Therapie (insbesondere Manipulationen der Wirbelsäule und passive Mobilisation der Gelenke) beeinflusst. Zur gleichen Zeit gingen Stanley Paris und Robin McKenzie nach Europa, um von Freddy Kaltenborn zu lernen. Zurück in Neuseeland, gaben sie Mulligan und anderen Physiotherapeuten den manualtherapeutischen Ansatz von Freddy Kaltenborn weiter. Manuelle Therapie war in dieser Zeit noch nahezu unbekannt, umso aufregender war der neue Therapieansatz auch für Mulligan. Beispielsweise wurde Manuelle Therapie an der Physiotherapie-Schule in Otago nicht gelehrt. Behandlungen bestanden im Wesentlichen aus Übungen, Massage und Elektrotherapie.
Im Jahr 1970 repräsentierte Mulligan Neuseeland beim WCPT-Kongress in Amsterdam. Im Anschluss daran absolvierte er seine ersten Kurse in der Mobilisation von peripheren Gelenken bei Kaltenborn in Helsinki. Zurück in Neuseeland, führte er im selben Jahr die ersten Wochenendkurse in Manueller Therapie durch. Ab dem Jahr 1972 unterrichtete er regelmäßig auch in australischen Städten – zunächst ausschließlich manualtherapeutische Techniken nach Kaltenborn.
1984 hatte Brian Mulligan sein erstes und einschneidendes Erlebnis mit MWMs. Diese Begebenheit, die sich durch Zufall ereignete, sollte seine Denkweise in Bezug auf die Manuelle Therapie komplett verändern. Er behandelte eine junge Korbballspielerin, die sich beim Spiel am Finger verletzt hatte. Das proximale Interphalangealgelenk war geschwollen und schmerzhaft eingeschränkt. Ein schmerzfreies Gleiten des Gelenks nach lateral (siehe ▶ Abb. 1.2) ermöglichte es der Patientin, ihren Finger sofort aktiv zu bewegen, und zwar schmerzfrei. Vorher durchgeführte Traktions- und Mobilisationsbehandlungen gemäß der Konvex-Konkav-Regel nach Kaltenborn waren genauso wie therapeutischer Ultraschall und Kryotherapie ohne Erfolg geblieben. Diese „Entdeckung“ bewog Mulligan, die Techniken auf den gesamten Körper zu übertragen.
Abb. 1.2 Gleiten nach lateral am proximalen Interphalangealgelenk des Zeigefingers.
(Beyerlein, Therapiekonzepte in der Physiotherapie Mulligan, Stuttgart: Thieme; 2009)
Alle Techniken, die mittlerweile entwickelt und beschrieben wurden, haben ihren Ursprung in der Begebenheit aus dem Jahr 1984. Mulligan war stark daran interessiert, diese Techniken bei allen Patienten mit bewegungsabhängigen Schmerzen auszuprobieren. Als Zusatzbewegungen wurden Medialgleiten und Lateralgleiten sowie Rotation entwickelt, zunächst für die Fingergelenke, später für das Handgelenk und weitere Gelenke. Das Konzept der MWMs entwickelte sich rasant weiter. Gehaltenes Gleiten in den Facettengelenken (SNAGs) an der Wirbelsäule entstand zeitgleich. Mulligan stellte fest, dass sich die Prinzipien der Extremitätengelenke auch auf die Wirbelsäule übertragen ließen. Das gemeinsame Merkmal aller Techniken war: Eine gehaltene Zusatzbewegung durch den Therapeuten wurde mit einer aktiven Bewegung des Patienten kombiniert.
1986 gab Brian Mulligan seinen ersten offiziellen Mulligan-Konzept-Kurs, der überwiegend aus seinen bis zu diesem Zeitpunkt vorhandenen eigenen Techniken bestand. Im Jahr 1989 erschien Mulligans erstes Buch mit dem Titel „Manual Therapy – NAGs, SNAGs, MWMs, etc.“. Mittlerweile gibt es bereits die 7. Auflage dieses populären Buches (2018), da zunehmend mehr Techniken entwickelt wurden. Das Buch ist in zehn Sprachen übersetzt. Ein weiteres Buch ist im Jahr 2003 erschienen: ein Buch mit Selbstbehandlungsübungen mit dem Titel „Self Treatments for Back, Neck and Limbs“ (2. Auflage, 2006).
Im Jahr 1990 unterrichtete Mulligan sein Konzept im postgraduierten Studiengang an der Curtin University in Perth, Australien. An diesem Kurs nahmen auch drei Physiotherapeuten aus Großbritannien teil, die von Mulligans Behandlungsansatz begeistert waren. Durch diesen Kontakt ergab sich, dass Mulligan nach Europa eingeladen wurde, um sein Konzept interessierten Kollegen weiterzuvermitteln. 1996 wurden die ersten Mulligan-Kurse in Deutschland gehalten. Ein weiterer Meilenstein war die Gründung der Mulligan Concept Teachers Association (MCTA) in Stevenage, Großbritannien, im Jahr 1995. Diese Organisation wurde ins Leben gerufen, um die Unterrichtstätigkeit weltweit zu standardisieren. Der MCTA gehören momentan mehr als 50 akkreditierte Mulligan-Lehrer aus über 20 Nationen an. Mulligan ist nicht nur Begründer des gleichnamigen Konzepts, sondern auch aktueller Präsident der MCTA.
Seit 2006 gibt es für deutsche Physiotherapeuten die Möglichkeit, an einem sogenannten CMP-Programm (CMP: Certified Mulligan Practitioner) teilzunehmen (Modul 3), welches aus einer theoretischen und praktischen Prüfung besteht. Die Teilnahme an diesem CMP-Examen ist freiwillig und stellt die Mindestanforderung für eine spätere Lehrtätigkeit im Mulligan-Konzept dar (siehe Kap. ▶ 7).
Als Anerkennung für seinen wertvollen Beitrag zur Manuellen Therapie und zur Physiotherapie im Allgemeinen erhielt Brian Mulligan zahlreiche Auszeichnungen, u.a....
Erscheint lt. Verlag | 21.8.2019 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Gesundheitsfachberufe |
Physiotherapie / Ergotherapie ► Behandlungstechniken ► Manuelle Therapie / Chirotherapie | |
Schlagworte | Bewegungsapparat • Bewegungsstörung • Manuelle Therapie • Mobilisations with Movement • Mulligan-Konzept • Mulligan-Kurse • Mulligan-Tape-Anlagen • Physiotherapie |
ISBN-10 | 3-13-242767-5 / 3132427675 |
ISBN-13 | 978-3-13-242767-9 / 9783132427679 |
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Größe: 52,4 MB
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