Taschenatlas Anästhesie (eBook)
424 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-240383-3 (ISBN)
1 Grundlagen von Anästhesie und Narkose
1.1 Begriffsbestimmungen
1.1.1 Anästhesie
Der Begriff „Anästhesie“ leitet sich vom griechischen „αναισθησια“ ab, was soviel bedeutet wie „Unempfindlichkeit eines Organismus“ oder „Empfindungslähmung“. Man versteht darunter die Aufhebung sämtlicher peripherer Sinnesqualitäten wie Berührungs-, Tast-, Temperatur- und Schmerzempfinden. Der Teil- oder Unterbegriff „Analgesie“ bezeichnet dagegen lediglich die Schmerzlosigkeit.
Im Zentrum der anästhesiologischen Tätigkeit steht, allgemein gesagt, die Ermöglichung schmerzloser Eingriffe in die Körperintegrität. Hierbei handelt es sowohl um die klassischen, d.h. offenen Operationen als auch um die sog. minimalinvasiven (videoassistierten) Eingriffe, daneben um invasive diagnostische Maßnahmen und zunehmend um interventionelle Eingriffe, also solche, die mithilfe bildgebender (radiologischer) Verfahren durchgeführt werden. Das anästhesiologische Hauptziel bei derartigen Eingriffen, die Schmerzfreiheit, kann grundsätzlich auf zweierlei Art erreicht werden ( ▶ Abb. 1.1):
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mit der klassischen Narkose oder
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mit einer Regionalanästhesie.
Synonym für „Narkose“ steht semantisch die Allgemeinanästhesie. Sie unterscheidet sich von den regionalanästhesiologischen Methoden unter anderem durch die Ausschaltung des Bewusstseins.
Eine Allgemeinanästhesie umfasst die Anästhesie des gesamten Körpers. Sie geht immer mit der Aufhebung, zumindest aber mit einer deutlichen Einschränkung des Bewusstseins einher. Der hierfür umgangssprachlich benutzte Begriff „Vollnarkose“ ist ein Pleonasmus und sollte deshalb in der Fachsprache nicht angewendet werden. Für eine Allgemeinanästhesie können
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inhalative, d.h. über die Lungen zugeführte Gase oder
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intravenöse, d.h. in Wasser gelöste Stoffe
eingesetzt werden. Sie alle haben ihre Hauptwirkorte im zentralen Nervensystem (ZNS: Gehirn und Rückenmark). Begrifflich werden die
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Inhalations-,
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intravenöse und
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balancierte Anästhesie
voneinander unterschieden, wobei unter einer balancierten Anästhesie der kombinierte Einsatz von Inhalations- und intravenösen Anästhetika verstanden wird. Da eine Allgemeinanästhesie stets zu einer Beeinträchtigung oder Ausschaltung der Atemtätigkeit führt, werden hierbei künstliche Atemwegshilfen und außerdem maschinelle Systeme benötigt, die die Atmung unterstützen oder ersetzen.
Bei einer Regional- oder Lokalanästhesie kann die Anästhesie auf bestimmte Körperareale begrenzt werden („topische Anästhesie“). Man unterscheidet folgende Formen:
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rückenmarknahe Regionalanästhesien (=zentrale Nervenblockaden: Spinalanästhesie, Epi- oder Periduralanästhesie, Kaudal- oder Sakralanästhesie)
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periphere Nervenblockaden (z.B. Anästhesie des Plexus brachialis, Anästhesie einzelner Nerven)
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Infiltrationsanästhesie (z.B. sub- oder intrakutan)
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Oberflächenanästhesie (z.B. epikutane Anästhesie, Schleimhautanästhesie)
Bei all diesen Verfahren werden spezielle Wirkstoffe, die sog. Lokalanästhetika, nicht systemisch (z.B. inhalativ oder intravenös) appliziert, sondern – abgesehen von der Oberflächenanästhesie – in die unmittelbare Nähe von nervalen Strukturen injiziert, um dort die Erregungsentstehung und -fortleitung selektiv auszuschalten. Bewusstsein und Spontanatmung bleiben so erhalten. Rückenmarknahe Regionalanästhesien und Plexus-brachialis-Anästhesien liegen – wie die Allgemeinanästhesie – ausschließlich in der Hand des Anästhesisten.
Anästhesieverfahren.
Abb. 1.1
1.1.2 Kombinationsanästhesie
Unter gewissen Umständen oder bei bestimmten Eingriffen können Allgemein- und Regionalanästhesieverfahren auch vorteilhaft miteinander kombiniert werden („Kombinationsanästhesie“) ( ▶ Abb. 1.2). Ein solches Vorgehen empfiehlt sich besonders dann, wenn Regionalanästhesiekatheter als Bestandteil eines gesamtheitlichen perioperativen Anästhesiekonzepts postoperativ zur selektiven Analgesie genutzt werden sollen. Die Kombinationsanästhesie muss semantisch von der Kombinationsnarkose abgegrenzt werden. Unter letzterer versteht man die gemeinsame Verwendung zentral wirksamer Pharmaka, z.B.
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i. v. Hypnotikum zur Narkoseeinleitung und Inhalationsanästhetikum zur Aufrechterhaltung
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i. v. Hypnotikum zur Bewusstseinsausschaltung, Opioid zur Analgesie und Relaxans zur Muskelerschlaffung
Kombinationsanästhesie.
Abb. 1.2
1.2 Eigenschaften der Narkose
Unter „Narkose“ (Syn.: Allgemeinanästhesie) versteht man eine zur Durchführung operativer, diagnostischer oder interventioneller Eingriffe pharmakologisch induzierte, reversible Verminderung der Aktivität des ZNS. Im Vordergrund steht dabei die komplette Aufhebung der Sinneswahrnehmung.
1.2.1 Komponenten der Narkose
Der Zustand der Narkose ist geprägt durch den Verlust des Bewusstseins (Hypnose) und der Schmerzwahrnehmung (Analgesie). Für die Dauer der Hypnose und in der Regel noch für einige Zeit danach ist die Wahrnehmung blockiert, sodass die Erinnerung fehlt (anterograde Amnesie). Meist geht aber auch die Erinnerung an Sinneseindrücke verloren, die in die Phase unmittelbar vor Eintritt der Hypnose fallen (retrograde Amnesie). Mit der Analgesie verschwinden nicht nur die willkürlichen, sondern auch die unwillkürlichen Schmerzreaktionen (Reflexe). Durch die Unterdrückung der Reflexaktivität werden Abwehrbewegungen verhindert, der Skelettmuskeltonus wird vermindert, das vegetative Nervensystem gedämpft (vorrangig Sympathikushemmung). In tieferen Narkosestadien kommt es dann zu einer wirklichen Erschlaffung (Relaxation) der Skelettmuskulatur, in diesem Fall hervorgerufen durch eine Hemmung der motorischen Aktivität auf Rückenmarkebene ( ▶ Abb. 1.3).
Komponenten der Narkose.
Abb. 1.3
1.2.2 Dämpfung zerebraler Funktionen
Die Narkose ist das Ergebnis einer generalisierten Dämpfung der Aktivität des ZNS. Sie kann durch Pharmaka unterschiedlichster chemischer Struktur und Herkunft erzeugt werden ( ▶ Abb. 1.4). Die Vorstufen sind die Sedierung, ein Zustand psychomotorischer Indifferenz, in dem Schlaf ermöglicht wird, der Patient aber ansprechbar oder weckbar bleibt, und die Hypnose, ein Zustand erzwungenen Schlafs, während dessen der Patient nicht mehr durch äußere Reize geweckt werden kann ( ▶ Abb. 1.5). Beiden Zuständen fehlt im Unterschied zur Narkose die somatische Komponente der Analgesie. Durch eine Sedierung wird der psychische, angstbezogene Schmerzanteil ausgeschaltet („der Schmerz tut nicht mehr so weh“), durch eine Hypnose geht auch das an das Bewusstsein gekoppelte Schmerzempfinden verloren. Schmerzinduzierte Abwehrbewegungen und Kreislaufreaktionen können aber in beiden Fällen weiterhin auftreten. Sedierung oder Hypnose lässt sich sowohl durch spezifisch wirkende Substanzen herbeiführen als auch durch Narkotika im engeren Sinn. Narkotika wirken nämlich dosisabhängig und erzeugen zunächst Sedierung, dann Hypnose und ...
Erscheint lt. Verlag | 16.8.2017 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Anästhesie |
Schlagworte | Allgemeinanästhesie • Analgesie • Anästhesie • Anästhesiologie • Anästhetika • Atemweg • Beatmung • Begleiterkrankungen • Checkliste Anästhesie • Gefäßzugang • Grundlagen Anästhesie • Herztod • Homöostase • Intensivpflege • intubation • kardiopulmonale Reanimation • Kitteltaschenbuch Anästhesie • Kompliaktionen • Komplikationen • Künstlicher Atemweg • Kurzprofile • Medikamente • Monitoring • Narkose • Narkosebeatmung • Normalwerte • Operationslagerungen • Pharmakologie • postoperativ Anästhesie • Postoperative Versorgung • Prämedikation • präoperative Anästhesie • Präoperative Visite • Regionalanästhesie • Schmerztherapie • Taschenatlas Anästhesie • Visite |
ISBN-10 | 3-13-240383-0 / 3132403830 |
ISBN-13 | 978-3-13-240383-3 / 9783132403833 |
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Größe: 30,4 MB
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