Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie (eBook)
448 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-240811-1 (ISBN)
Richard Michaelis, Gerhard Niemann, Renate Berger, Markus Wolff: Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie 1
Innentitel 4
Impressum 5
VORWORT 6
Abkürzungen 7
Anschriften 9
Inhaltsverzeichnis 10
Teil I Entwicklungsneurologie 18
1 Grundlagen 20
Entwicklungsneurologie, Neuropädiatrie, Entwicklungspädiatrie 20
Entwicklungsneurologie 20
Neuropädiatrie 20
Entwicklungspädiatrie 20
Entwicklungsneurologie 21
Reifung und Entwicklung 21
Eine inzwischen 30-jährige Diskussion 21
Reifung 22
Entwicklung 23
Konditionen der frühen kindlichen Entwicklung 23
Hierarchisch determinierte oder individuell-variable Entwicklung 23
„Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“ 26
Neurobiologische „Grundlagen der Entwicklung 28
Neurotransmitter 28
Sensomotorische Schleife 28
Thalamus 30
Kleinhirn 30
Basalganglien 30
Limbisches System 31
Präfrontaler Kortex 35
Asymmetrische „Organisation des Kortex 36
Reflexologie und frühe „motorische Reaktionen 37
Monosynaptische Reflexe (Eigenreflexe) 37
Polysynaptische Reflexe (Fremdreflexe) 38
Frühe motorische „Automatismen 38
Frühkindliche Reaktionen 38
Angeborene Fremdreflexe oder adaptive Fremdreflexe? 39
Neuronale Netzwerke 40
Eigenschaften neuronaler Netzwerke 40
Theorie der selektiven, „individuellen Organisation „neuronaler Netzwerke 41
Serielle Speicher (Puffer) 42
Spiegelneurone 44
Gedächtnisse 45
Unbewusste Gedächtnisse (nicht deklarative oder implizite Gedächtnisse) 45
Bewusste Gedächtnisse (deklarative oder explizite Gedächtnisse) 46
Lebenslanges Lernen 47
Literatur 48
2 Hirnentwicklung und deren mögliche Störungen 51
Erste Pränatalphase 51
Normale Entwicklung 51
Entwicklungsstörungen 53
Zweite Pränatalphase 54
Normale Entwicklung 54
Entwicklungsstörungen 59
Dritte Pränatalphase 60
Normale Entwicklung 60
Entwicklungsstörungen 62
Zentrale Läsionen bei unreifen und reifen „Neugeborenen 65
Unreife Neugeborene 65
Reife Neugeborene 67
Zentrale Plastizität 69
Welche Plastizität ist gemeint? 69
Literatur 72
3 Entwicklungsrisiken und neurologische Untersuchungen 74
Risiken 74
Risikofaktoren 74
Risikokonzepte 74
Resilienz 75
Risikofaktoren mit „neurologischen Befunden 76
Neurologische Untersuchungen im Alter von 0–2 Jahren 78
Neurologische Untersuchung oder Früherkennung? 78
Neurologische Untersuchungen im Alter von 3–5 Jahren 81
Grundsätzliche Problematik 81
Neurologische „Untersuchung motorisch „ungeschickter Kinder 81
Neurologische „Auffälligkeiten 85
Konstante Asymmetrien 85
Muskuläre Hypertonie 86
Muskuläre Hypotonien 86
Hyperexzitabilität 87
Hypoexzitabilität 87
Motorische Hyperaktivität 87
Motorische Hypoaktivität 87
Muskuläre Hypertonie plus Hyperexzitabilität 88
Muskuläre Hypotonie plus motorische Hypoaktivität 88
Muskuläre Hypotonie plus Hyperexzitabilität 88
Spastik, Ataxien, „Dsykinesien 88
Neurologische Befunde bei motorisch ungeschickten Kindern 89
Transitorische neurolo„gische Symptome (TNS) 91
Definition 91
Bedeutung transitorischer, neurologischer Symptome 91
Warum transitorische neurologische Symptome? 92
Literatur 92
4 Entwicklung und Entwicklungsbeurteilungen 95
Entwicklungsgeneratoren 95
Drang nach Teilhabe am menschlichen Leben und präverbale Kommunikation und Kooperation 95
Bindungsverhalten 96
Transitorische Gegenstände (Objekte) 98
Magische Phase 100
Imitation 102
Entwicklungspfade 105
Entwicklungspfad Körpermotorik 105
Entwicklungspfad Hand-Finger-Motorik 110
Entwicklungspfad Sprache und Sprechen 111
Entwicklungspfad kognitive Entwicklung 117
Entwicklungspfad soziale Kompetenz 123
Entwicklungspfad „emotionale Kompetenz 128
Entwicklungspfad der Ich-(Selbst) Entwicklung 132
Entwicklungspfad Selbstständigkeit 133
Entwicklungstests und Entwicklungsbeurteilungen 133
Grundsätzliche Probleme von Entwicklungstests 133
Strukturierte „Spielsituationen 134
Grenzsteine der Entwicklung 136
Transitorische Entwicklungsphänomene (TEP) 144
Schulreife, Schulfähigkeit und Schulbereitschaft 145
Literatur 147
5 Frühe Lernstörungen (FLS) 151
Definition 151
Ursachen früher „Lernstörungen 151
Auffälligkeiten und Symptome bei Kindern mit frühen Lernstörungen 152
Entwicklungsneurologische Anamnese 153
Diagnostische Verfahren 153
In der Praxis 153
Diagnostische Testverfahren 154
Frühe Lernstörungen und ADHS 158
Definitionen 158
Komorbiditäten und entwicklungshemmende „Kontextfaktoren 160
Nosologische Existenz früher Lernstörungen 161
Kommentar 162
Literatur 162
6 Frühe Verhaltensstörungen 165
Worum es geht 165
Verhaltensstörungen 165
Präverbale Kommunikation und Kooperation 166
Verhaltensprobleme schaffen Bindungsprobleme 166
Verhaltensstörungen können Risikofaktoren sein 167
Resilienz 167
Regulationsstörungen 168
Worum es geht 168
Exzessives Schreien 169
Schlafstörungen 169
Fütter- und Gedeih„störungen 170
Bindungsstörungen 171
Worum es geht 171
Varianten des Bindungs„verhaltens 171
Notwendige Maßnahmen 175
Depressionen 175
Definition 175
Klinische Symptomatik im Vorschulalter 175
Probleme 175
Notwendige Maßnahmen 175
Ängste 176
Definition 176
Klinische Symptomatik 176
Weitere, praxisrelevante Formen kindlicher Angststörungen 176
Vernachlässigung 178
Worum es geht 178
Definition 179
Nicht-organische Gedeih„störung 179
Emotionale Vernachlässigung und Misshandlung 179
Subtypen 179
Klinische Symptomatik 180
Notwendige Maßnahmen 180
Literatur 180
Teil II Klinisch-diagnostische Strategien 182
7 Allgemeine Einordnungsstrategien – Was man sagen kann, wenn man nichts über die Diagnose weiß 184
Übersicht 184
Erläuterungen 184
Sammeln der wichtigsten Daten 184
Erste Analyse 185
Verlauf und Dynamik 185
Ätiopathogenetische „Zuordnung 186
8 Somatische Störungen 188
Dysmorphien, Anomalien, Dysplasien 188
Worum es geht 188
Definitionen 189
Klinische Konsequenzen 189
Diagnostische Strategie – Syndromsuche 191
Dokumentation – Untersuchungen – weiteres Vorgehen 194
Zusammenfassung 194
Makro- und Mikrozephalie 195
Makrozephalie 195
Mikrozephalie 205
Körperlänge und Gewicht 208
Großwuchs 208
Minderwuchs 210
Gewicht 211
Internetadressen 212
Große Datenbanken 212
Literatur 213
9 Funktionelle und transiente Störungen 215
Kopfschmerzen 215
Worum es geht 215
Klassifikation und „Annäherung 215
Differenzialdiagnostischer Zugang 216
Ursachen 219
Diagnostik 223
Zusammenfassung 224
Paroxysmal-transitorische Störungen 224
Differenzialdiagnostischer Zugang 224
Differenzialdiagnosen und Ursachen 227
Zusammenfassung 236
Bewusstseinsstörungen 236
Worum es geht 236
Definitionen 237
Diagnostischer Zugang 238
Schlafstörungen 241
Worum es geht 241
Beurteilung von Schlafstörungen: Definitionen – Klassifikation 241
Diagnostische Ansätze 243
Ursachen/Entitäten 245
Anamnese und Diagnostik 247
Phänomenologie und Klassifikation epileptischer Anfälle 248
Worum es geht 248
Definition 248
Phänomenologie und Einteilungskriterien 249
Manifestationsalter 252
Anamnese und Diagnostik 252
Ursachenspektrum 254
Literatur 261
10 Hirnnervenstörungen 264
Okuläre und visuelle Symptome 264
Pupillenreaktion 264
Optokinetischer Nystagmus (OKN) 266
Visusminderung 267
Tapetoretinale Degeneration, Retinitis pigmentosa 270
Okulomotorikstörungen 272
Unwillkürliche Augenbewegungen 274
Hörstörung 278
Worum es geht 278
Beurteilung des Hörvermögens 279
Diagnostische Einordnung – differenzialdiagnostischer Zugang 279
Ursachen 280
Anamnese, Befunde und Diagnostik 283
Zusammenfassung 285
Fazialisparese 285
Worum es geht 285
Neuroanatomie 285
Differenzialdiagnostischer Zugang und Ursachen 286
Weitere Ursachen 288
Diagnostik 289
Zusammenfassung 290
Literatur 290
11 Störungen der Motorik 292
Grundlagen: Definitionen, Einteilung und primäre diagnostische Einordnung 292
Worum es geht 292
Korrelate der Motorik„störungen, der Bewegungs„störungen im weitesten Sinne 292
Definitionen 293
Allgemeine Differenzialdiagnose der Paresen 295
Ataxie 295
Worum es geht 295
Übersicht 295
Klinische Untersuchungsbefunde und weitere Definitionen 297
Differenzialdiagnostischer Zugang 297
Ursachen 302
Anamnese, Diagnostik 310
Zusammenfassung 311
Bewegungsstörungen (Dyskinesien) 312
Worum es geht 312
Dystonie 313
Parkinson-Syndrome 323
Athetose 323
Chorea 324
Ballismus 329
Myoklonus 329
Tremor 334
Tics 337
Der dyskinetische Säugling 338
Differenzialdiagnostische Fallstricke 339
Erworbene Hemiparese 340
Worum es geht 340
Akute Hemiparese 341
Chronisch-progrediente Hemiparese 345
Ursachen 345
Diagnostik 347
Hypotonie des Neu„geborenen und Säuglings 349
Worum es geht 349
Differenzialdiagnostischer Zugang 349
Ursachen 353
Zusatzuntersuchungen und Beratung 356
Zusammenfassung 357
Hypotone Paresen jenseits des Säuglingsalters 358
Worum es geht 358
Das Vorgehen 359
Differenzialdiagnostische Wertung 360
Ursachen und Beispiele 363
Anamnese und Zusatzuntersuchungen 368
Zusammenfassung 369
Weitere Para- und „Tetraparesen 370
Worum es geht 370
Paraparese 370
Tetraparese 373
Zusammenfassung 374
Literatur 374
Internetadressen 375
12 Störungen der Kognition und Interaktion 377
Geistige Behinderung und Regression 377
Worum es geht 377
Definitionen und Ursachenspektrum 377
Klinisches Bild, „Frühsymptome 378
Differenzialdiagnostischer Zugang 379
Ursachen 382
Fragiles-X-Syndrom 382
Anamnese 387
Diagnostik 388
Zusammenfassung 389
Sprachentwicklungs„störung 390
Übersicht 390
Klassifikation und „Definitionen 391
Der Entwicklungsstand und die Wertung 393
Sprachentwicklungs„störungsarten, Symptomkon„stellationen und die Deutungen 393
Differenzialdiagnostischer Zugang und Ursachen 394
Anamnese und „Untersuchungen 395
Zusammenfassung 397
Autistische Symptome 397
Worum es geht 397
Definitionen, diagnostische Kriterien, nosologische Stellung 397
Strategien auf dem Weg zur Diagnose 398
Ursachen und Differenzialdiagnosen 399
Diagnostische Maßnahmen 400
Zusammenfassung 400
Literatur 400
Internetadressen 401
13 Wenn es diagnostisch nicht weitergeht 403
Teil III Entwicklungstherapien und Entwicklungsförderung in der Entwicklungsneurologie 404
14 Worum es geht 406
Literatur 407
15 Basiskonditionen entwicklungsfördernder Therapien 409
Moderne Entwicklungstheorien 409
Handlungsempfehlungen 409
Neurobiologische Systeme als Basiskonditionen 410
Sensomotorisches System, mit Kleinhirn und Basalganglien 410
Serielle sensomotorische Speicher (Puffer) 411
Neuronale Netzwerke 412
Spiegelneurone (Imitation) 413
Limbisches System, „somatische Marker 414
Entwicklungsgeneratoren 415
Drang zur Teilhabe, Imitation, frühe Kooperation, geteilte Intentionalität 415
Bindung und „Bindungsverhalten 416
Transitorische Gegenstände (Übergangsobjekte) 417
Die Magische Phase 418
Frühe Vertikalisierung 418
Literatur 419
16 Physiotherapeutische Konzepte 421
Zielsetzung: Entwicklungsförderung 421
Physiotherapien mit oder ohne „Goldstandard“ 421
Literatur 423
17 Manualmedizinische Konzepte einer Entwicklungsförderung 425
Literatur 425
18 Andere therapeutische Methoden 427
Literatur 427
19 Therapeutisch-pädagogische Methoden 429
Literatur 429
20 Spracherwerb: Variabilität oder frühe Auffälligkeiten? 431
Kontroversen zum „Spracherwerb 431
Literatur 433
Sachverzeichnis 435
1 Grundlagen
1.1 Entwicklungsneurologie, Neuropädiatrie, Entwicklungspädiatrie
1.1.1 Entwicklungsneurologie
Im Zuge einer fortschreitenden Spezialisierung der Kinder- und Jugendmedizin während der letzten 40 Jahre entstand auch das Fachgebiet einer Entwicklungsneurologie. Die Aufgaben, die sich ihr stellten, ergaben sich aus den damaligen Notwendigkeiten ärztlicher Herausforderungen, die Entwicklungsbeurteilungen von früh geborenen Kindern, von Kindern mit prä-und perinatalen Entwicklungsrisiken und die Versorgung von Kindern mit angeborenen oder erworbenen Behinderungen. Die ersten Entwicklungsneurologen kamen daher zumeist aus der damaligen Neonatologie und aus der Pädiatrie des Säuglings und Kleinkinds. Die Gründung einer selbstständigen Gesellschaft erfolgte nicht, wohl aber – und immer wieder bis heute – das Arbeiten an dieser Thematik in zeitlich begrenzten, kleinen Arbeitsgruppen. Heute ist die Entwicklungsneurologie ein Teilgebiet der Neuropädiatrie, mit den Schwerpunkten Entwicklungsbeurteilung, frühe Diagnostik neurologischer Erkrankungen in den ersten Lebensjahren sowie ärztliche Versorgung und Betreuung fortschreitender oder bleibender neurologischer Störungen in den ersten 6 Lebensjahren. Mit der Gründung flächendeckender sozialpädiatrischer Zentren (SPZ) in den 1990er-Jahren ist auch die Sozialpädiatrie in ihrer klinischen Arbeit auf eine Entwicklungsneurologie angewiesen ▶ [59].
Entwicklungsneurologische Relevanz
Die zeitliche Begrenzung auf die ersten 6 Lebensjahre lässt sich folgendermaßen begründen:
In den ersten Lebensjahren ändern die zeitlich raschen Entwicklungsverläufe die Phänomenologie der normalen neurologischen Entwicklung, aber auch deren Pathologie. Normalität und Auffälligkeit müssen sicher bekannt sein, um verlässlich entscheiden zu können, ob Kinder dieses Alters sich unauffällig oder auffällig entwickeln und welche Konsequenzen aus den Befunden zu ziehen sind.
1.1.2 Neuropädiatrie
Die Neuropädiatrie, also eine Neurologie des Kindes- und Jugendalters, entstand als pädiatrisches Pendant zur Neurologie der Erwachsenen ebenfalls in der Zeit der o.g. Spezialisierung der Pädiatrie. 1974 erfolgte die Gründung der deutschsprachigen Gesellschaft für Neuropädiatrie. Die erste Generation der Ärzte, die neuropädiatrisch arbeitete, kam meist aus der Epileptologie oder der Erwachsenenneurologie. Nicht jeder Neuropädiater ist allerdings eo ipso auch ein guter Entwicklungsneurologe, was umgekehrt ebenso für Entwicklungsneurologen gilt. Entscheidend für die Ausbildung von Kinderärzten zu Neuropädiater – mit oder ohne Entwicklungsneurologie – sind bis heute die Institutionen (meist Kinderkrankenhäuser), Zentren an denen eine Ausbildung absolviert werden kann, je nach den Schwerpunkten, über die eine solche Institution verfügt.
Es existieren genügend Angebote, berufsbegleitend oder durch zusätzliche Fortbildungskurse, um die Ausbildung in der Kinderneurologie mit ihren verschiedenen Schwerpunkten zu vervollständigen.
1.1.3 Entwicklungspädiatrie
Vom Schweizer Kinderarzt Largo ▶ [31], ▶ [32] wurde ein neuer Schwerpunkt in den Berufskatalog von Kinderärzten in der Praxis eingeführt: Die Entwicklungspädiatrie. In einem prinzipiellen Gegensatz zur Organmedizin, ist nach Largo die Entwicklungsbeurteilung das „Kerngeschäft“ der Pädiatrie in der Praxis; sie könne von keiner anderen ärztlichen Institution übernommen werden. Dieses Kerngeschäft zu vernachlässigen, gefährde die Existenz der Pädiatrie. Kinderärzte seien durch eine Zusatzausbildung (die in der Schweiz möglich ist) befähigt, die Gesamtentwicklung eines individuellen Kindes zu beurteilen. Damit seien sie auch zu fachlicher Kooperation mit anderen medizinischen, therapeutischen oder pädagogischen Diensten qualifiziert.
Eine Entwicklungspädiatrie setzt u.a. Kenntnisse über Störungen des Bindungs- und des Kommunikationsverhaltens, Wissen über Störungen der Nahrungsaufnahme, der Verhaltensregulation, über frühe Lernstörungen und über die frühen Symptome relevanter kinder- und jugendpsychiatrischer Erkrankungen voraus. Dazu gehört aber auch das Wissen über die gefährdete soziale Situation eines Kindes, über die Verhaltensstörungen, die daraus erwachsen können und die Beratung der Eltern bei Verhaltensstörungen ihres Kindes. Entwicklungspädiatrisch ausgebildete Ärzte haben auch gelernt, die körperliche Entwicklung zu beurteilen, ebenso wie die Entwicklung der Körper- und Hand-Fingermotorik, die Sprach- und Sprechentwicklung, die kognitive Entwicklung, die soziale und emotionale Kompetenz und die Entwicklung der Selbstständigkeit. Unerlässlich sind dazu Kenntnisse über die Varianten der normalen individuellen Entwicklung, deren Grenzwerte und Pathologie, und schließlich auch Kenntnisse über transitorische Entwicklungskomponenten (TEK), die oft genug dazu verführen, sie allzu schnell als Pathologie zu deuten, mit allen daraus folgenden misslichen Konsequenzen für Kind und Eltern. Viele der von Largo geforderten entwicklungspädiatrischen Bedingungen sind schon immer in der Entwicklungsneurologie selbstverständlich gewesen, nicht aber für die Arbeit der Ärzte in der kinderärztlichen Praxis. Ob es auch in Deutschland dazu kommen wird, eine Zusatzausbildung für Entwicklungspädiatrie erwerben zu können, ist derzeit offen.
1.1.4 Entwicklungsneurologie
Nach der Darstellung der Aufgaben der Entwicklungsneurologie, der Neuropädiatrie und der Entwicklungspädiatrie, würde es nahe liegen, die Entwicklungsneurologie als Teil der Entwicklungspädiatrie zu sehen. Dann müsste dieses Buch den Titel tragen: „Entwicklungspädiatrie und Neuropädiatrie“. Bei der Diskussion ob so verfahren werden solle, in kleineren Kreisen aber auch mit einzelnen Vertreterinnen und Vertretern der Entwicklungsneurologie, Neuropädiatrie und Entwicklungspädiatrie trafen wir allerdings auf ganz unerwartete Widersprüche, wobei 2 ernst zu nehmende Begründungen immer wieder auffielen:
-
Der Ausdruck Entwicklungspädiatrie sei eigentlich seiner Bedeutung nach, nur ein Synonym für Pädiatrie, die es bekanntlich nahezu ausschließlich mit Entwicklung zu tun habe: Entwicklungsstörungen wie der Lungen, des Herzens, des Gastrointestinaltraktes beispielsweise. Jede Pädiatrie sei gleichzeitig auch Entwicklungspädiatrie.
-
Trotz der Betonung der Neurologie, sei von Anfang an ein ganzheitlicher Ansatz für die Entwicklungsneurologie selbstverständlich gewesen und sei es auch bis heute. Bei keinem Kind habe man sich je nur und ausschließlich um die Neurologie gekümmert. Immer habe das gesamte Kind in der Frühphase seiner Entwicklung und seine Einschränkungen im Fokus der Entwicklungsneurologie gestanden und das möge und sollte auch weiterhin so bleiben.
Wir waren von den geäußerten Meinungen zu dem Begriff Entwicklungsneurologie überrascht und beschlossen, für die fünfte Auflage des Buches den Titel beizubehalten und weiterhin abzuwarten, ob die Entwicklungsneurologie in der Entwicklungspädiatrie aufgeht oder ob sie für die Altersgruppe von 0 bis 6 Jahren existent bleiben wird.
Entwicklungsneurologische Relevanz
Entwicklungsneurologie setzt die Kenntnis der frühen, sich rasch ändernden Neurologie und deren Störungen voraus ▶ [42], plus Grundkenntnisse über die motorische, sprachliche, soziale und emotionale Entwicklung und deren Störungen sowie über Gefährdungspotenziale bei Kindern im Alter von 0–6 Jahren, also bis zum Ende des Vorschulalters. Neuropädiatrie und Entwicklungspädiatrie sollten von diesen Kenntnissen profitieren und sie in der eigenen Arbeit umsetzen können.
1.2 Reifung und Entwicklung
1.2.1 Eine inzwischen 30-jährige Diskussion
Vor nun schon etwa 30 Jahren, gaben die Meinungsunterschiede über die Definitionen von Reifung und Entwicklung Anlass zu grundsätzlichen und kontroversen Diskussionen ▶ [74], ▶ [46], ▶ [49], ▶ [50], ▶ [58]. Für fast ein halbes Jahrhundert galt das Paradigma von...
Erscheint lt. Verlag | 22.3.2017 |
---|---|
Co-Autor | Renate Berger, Markus Wolff |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete |
Schlagworte | Entwicklungsneurologie • Entwicklungspädiatrie • Entwicklungsrisiko • Hirnentwicklung • Hirnnervenstörung • Kognitive Störung • Lernstörung • Motorische Störung • Neuropädiatrie • Verhaltensstörung |
ISBN-10 | 3-13-240811-5 / 3132408115 |
ISBN-13 | 978-3-13-240811-1 / 9783132408111 |
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