Das Solidaritätsprinzip

Ein Plädoyer für eine Renaissance in Medizin und Bioethik
Buch | Softcover
184 Seiten
2016
Campus (Verlag)
978-3-593-50523-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Solidaritätsprinzip - Barbara Prainsack, Alena Buyx
35,00 inkl. MwSt
Der Begriff "Solidarität" erlebt gegenwärtig eine Renaissance: In Zeiten ökonomischer Krisen scheint eine Rückbesinnung auf solidarische Werte auch in der Gesundheitsversorgung angebracht. Anknüpfend an die internationale Bio- und Medizinethikdebatte entwickeln die Autorinnen ein neues Solidaritätsverständnis: Anstatt den Begriff nur auf der abstrakten Ebene zu behandeln, zeigen sie anhand konkreter Fallbeispiele, etwa der Schweinegrippe-Pandemie von 2009/10 oder lebensstilbedingten Krankheiten, wie ethische Regelwerke und regulatorische Instrumente aus dem Blickwinkel der Solidarität verändert und verbessert werden können.
Der Begriff »Solidarität« erlebt gegenwärtig eine Renaissance: In Zeiten der Corona-Pandemie und ökonomischer Krisen scheint eine Rückbesinnung auf solidarische Werte auch in der Gesundheitsversorgung angebracht. Anknüpfend an die internationale Bio- und Medizinethikdebatte entwickeln die Autorinnen ein neues Solidaritätsverständnis: Anstatt den Begriff nur auf der abstrakten Ebene zu behandeln, zeigen sie anhand konkreter Fallbeispiele, etwa der Schweinegrippe-Pandemie von 2009/10 oder lebensstilbedingten Krankheiten, wie ethische Regelwerke und regulatorische Instrumente aus dem Blickwinkel der Solidarität verändert und verbessert werden können.

Barbara Prainsack ist Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Alena Buyx ist Professorin für Professorin für Medizinethik an der TU München; sie wurde 2020 Vorsitzende des Deutschen Ethikrates.

Inhalt
Einleitung9
1.Solidarität: Einführung in die Genese des Begriffs14
1.1Einleitung14
1.2Frühe Ansätze: klassische Gesellschaftstheorie und Sozialwissenschaft15
1.3Solidarität in christlicher Theorie, Politik und Ethik 17
1.4Solidarität in der sozialistischen Theorie 20
2.Aktuelle Entwicklungen und Ansätze21
2.1Solidarität und Kommunitarismus 22
2.2Solidarität und rationale Entscheidungstheorie 27
2.3Vertragliche Solidarität29
2.4Solidarität, Gaben und Geschenke 31
2.5Reflektierte Solidarität32
2.6Agonistische Solidarität33
3.Solidarität in der aktuellen bioethischen Literatur35
3.1Die Rolle des Solidaritätsbegriffs in der
bioethischen Literatur 35
3.2Definitionen von Solidarität in der bioethischen Literatur36
3.3Themenbereiche 39
3.4Solidarität und Public Health-Ethik40
3.4.1Solidarität im NCoB-Bericht über Demenz42
3.4.2Solidarität und Personalismus43
3.4.3Public Health-Ethik und Solidarität: relationale Ansätze44
3.4.4Public Health-Ethik und Solidarität: für einen starken Staat?47
3.5Solidarität und das Gesundheitswesen50
3.6Solidarität und globale Gesundheit52
3.7Solidarität als spezifisch europäischer Wert56
3.8Kritik des Solidaritätsbegriffs in der bioethischen Literatur58
3.9Erste Erkenntnisse und Schlussfolgerungen63
4.Verwandte Begriffe68
4.1Altruismus70
4.2Gegenseitigkeit/Reziprozität72
4.3Wohltätigkeit73
4.4Verantwortung75
4.5Würde76
4.6Soziales Kapital78
4.7Vertrauen79
4.8Fazit80
5.Solidarität: Versuch einer neuen Definition81
5.1Arbeitsdefinition82
5.2Die drei Ebenen der Solidarität83
5.2.1Ebene 1 - die interpersonale Ebene84
5.2.2Ebene 2 - die kollektive Ebene87
5.2.3Ebene 3 - vertragliche und rechtliche Erscheinungsformen88
5.3Formen der Institutionalisierung von Solidarität 88
5.4Einschränkungen92
5.5Verwandte Begriffe: Mitgefühl, Freundschaft und Liebe94
5.6Autonomie und Solidarität96
6.Solidarität in der Praxis - Fallbeispiel 1: Forschungsbiobanken100
6.1Einleitung100
6.2Datenschutz und Schutz der Privatsphäre102
6.3Diskriminierung104
6.4Eigentum und informierte Einwilligung105
6.5Nutzen107
6.6Aktuelle Herausforderungen109
6.7Teilnahme an Forschungsbiobanken: ein solidaritätsbasierter Ansatz110
6.8Kernelemente und Argumente112
6.8.1Der Prozess der Zustimmung zur
biobankbasierten Forschung112
6.8.2Erneute Zustimmung für neue Forschungsvorhaben115
6.8.3Information über Ergebnisse mit klinischer Relevanz117
6.8.4Von der Risikominimierung zur Schadenskompensation118
6.8.5Die drei Ebenen der Solidarität im Bereich der Forschungsbiobanken120
7.Solidarität in der Praxis - Fallbeispiel 2: Pandemien und globale Gesundheit123
7.1Pandemien: Hintergründe und aktuelle Herausforderungen123
7.2Der Fall der Schweinegrippe127
7.3Solidarität unter Einzelpersonen und das Verhältnis zwischen Individuen und staatlichen Behörden128
7.4Impfungen131
7.5Triage133
7.6Überwachung, Infodemiologie und Datenschutz135
7.7Einschränkung der Bewegungsfreiheit137
7.8Neue Praktiken der Solidarität im Pandemiefall139
7.9Solidarität zwischen Staaten und anderen globalen Akteuren141
8.Solidarität in der Praxis - Fallbeispiel 3: Lebensstilbedingte Krankheiten147
8.1Was sind lebensstilbedingte Krankheiten?147
8.2Lebensstilbedingte Krankheiten, gesundheitliche Eigenverantwortung und Mittelverteilung149
8.3Solidarität und Risikostratifikation153
8.4Gesundheitspolitische Risikostratifikation in den USA und in Europa155
8.5Bevölkerungsstratifikation, Eigenverantwortung und Lebensstil: ein solidaritätsbasierter Ansatz159
9.Schlusswort.163
Literatur165

Einleitung
Mit Fug und Recht darf man den Begriff der Solidarität als "schillernd" bezeichnen. Nach einer heterogenen Begriffsgeschichte wird er heute in verschiedenen Fachdisziplinen sehr unterschiedlich definiert und eingesetzt. Sozialwissenschaftler untersuchen Phänomene sozialer Kohäsion unter Verweis auf Solidarität, Moraltheologen entwickeln Theorien globaler Verantwortung auf ihrer Grundlage, und Philosophen debattieren die Zulässigkeit und Reichweite von Gruppensolidarität. Manche streben danach, Solidarität als universelles Prinzip zu konzipieren. Hinzu kommt die breite Verwendung des Begriffs in alltagspolitischen und medialen Debatten. Solidarität ist hier ein viel bemühtes Schlagwort und taucht in ganz unterschiedlichen Kontexten auf. Die Abwesenheit einer klaren Definition des Begriffes führt dazu, dass manchmal völlig gegensätzliche Analysen oder Normen auf den diversen Definitionsspielarten aufgebaut werden. So sehen etwa manche Autoren Solidarität vor dem Hintergrund der derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Krisen als gefährdet an, während andere Krisen als solidaritätsfördernd betrachten. Ähnlich werden zum Beispiel soziale Medien von manchen Autoren als Grundlage neuer solidarischer Bindungen beschrieben, während andere ihre solidaritätszersetzende Wir-kung beklagen.
Diese unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Begriffsver-wendungen - teils komplex theoretisch, teils völlig unterbestimmt - haben dazu geführt, dass Solidarität zwar fest in der Alltagssprache und in ein-schlägigen Fachdebatten verankert ist, aber häufig als vages oder schwer zu fassendes Konzept wahrgenommen wird. Obwohl in den unterschiedlichsten Lebensbereichen und intellektuellen Traditionen auf sie Bezug genommen wird, findet man erstaunlich wenige explizite Auseinandersetzungen mit dem Solidaritätsbegriff. Selbst in der Moralphilosophie, zu deren Aufgaben die Analyse moralrelevanter Begriffe gehört, spielt Solidarität eine untergeordnete Rolle - und das, obwohl sich die meisten Autoren einig sind, dass Solidarität jedenfalls ethisch-normative Elemente hat. Auch nach mehr als 15 Jahren muss Kurt Bayertz' Aussage zugestimmt werden, dass das "Phänomen der Solidarität wie ein erratischer Block in der moralischen Landschaft der Moderne [liegt]. Es ist aus dem Alltag wohlbekannt, zugleich aber doch ein Fremdkörper geblieben" (Bayertz 1997: 9).
Diese Diagnose trifft auch auf den weiten und interdisziplinären Be-reich der biomedizinischen Ethik zu. Auch hier finden sich gemischt all-tagssprachliche und fachspezifische Verwendungen, und auch hier herrscht begriffliche Verwirrung. In einzelnen Teildebatten wurde der Begriff näher in den Blick genommen; so etwa in den Niederlanden in den späteren 1990er-Jahren im Kontext beginnender Auseinandersetzungen um die gerechte Verteilung knapper Ressourcen im Gesundheitswesen oder angesichts neuer Möglichkeiten genetischer Diagnostik und Therapie (siehe etwa ter Meulen u.a. 2010; Van Hoyweghen & Horstman 2010). Der Versuch, eine Übersicht über Verwendungsweisen und Begriffsdefinitionen zu geben, oder gar eine systematische Untersuchung des analytischen und lösungsorientierten Potentials des Begriffs im Kontext biomedizinethischer Fragen wurden bisher jedoch nicht unternommen.
Als noch relativ junger Forschungsbereich hat die biomedizinische Ethik ein besonderes Interesse an der Analyse fachintern wichtiger und grundlegender Konzepte. Autonomie ist ein prominentes Beispiel, Men-schenwürde ein anderes, insbesondere im deutschsprachigen Raum. Umso mehr erstaunt es, dass neben den inzwischen zahllosen Publikationen zu diesen Begriffen nur eine Handvoll von Arbeiten die frequenten, unter-determinierten Begriffsverwendungen der Solidarität untersucht.
Angesichts dieses Umstandes - aber auch im Lichte der zunehmenden Popularität von Solidarität in der öffentlichen Debatte (nicht nur) im an-gelsächsischen Raum, wo Solidarität bis dahin eine ganz besonders rand-ständige Ro

Erscheinungsdatum
Zusatzinfo 1 Abbildung
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 141 x 214 mm
Gewicht 250 g
Themenwelt Studium 1. Studienabschnitt (Vorklinik) Med. Psychologie / Soziologie
Sozialwissenschaften
Schlagworte Affenpocken • Biobanken • Bioethik • Bioethikkommission • Corona • Corona-Pandemie • Corona-Virus • Covid 19 • Deutscher Ethikrat • Eigenverantwortung • Entsolidarisierung • Ethik • Ethikkommission • Ethikrat • Gesellschaftlicher Wandel • Gesellschaftlicher Zusammenhalt • Gesundheit • Gesundheitssystem • Gesundheitsversorgung • Gesundheitswesen • Lebensstilbedingte Erkrankungen • Medizin • Medizinethik • Medizinsoziologie / Gesundheitswissenschaft • Pandemie • Pandemieprävention • Public Health • Schweinegrippe • Solidarisierung • Solidarität • Solidaritätsbegriff • Triage • Vorsitzende Deutscher Ethikrat
ISBN-10 3-593-50523-1 / 3593505231
ISBN-13 978-3-593-50523-7 / 9783593505237
Zustand Neuware
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