Reise zu den Grenzen der Vernunft (eBook)

Kurt Gödel und die schwerste Krise der Mathematik | Die Biografie eines der größten Denker des 20. Jahrhunderts
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
464 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2770-9 (ISBN)

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Reise zu den Grenzen der Vernunft -  Stephen Budiansky
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»Der absolute Prinz der Dunkelheit der modernen Mathematik«  David Foster Wallace über Kurt Gödel Mit seinem Unvollständigkeitssatz stürzte Kurt Gödel die Mathematik in ihre schwerste Krise: Er entdeckte, dass jedes sinnvolle logische System Sätze enthalten muss, die wahr, aber niemals beweisbar sind. Stephen Budiansky erzählt das Leben des brillanten Denkers - vom Wien der Vorkriegszeit über Gödels Flucht in die USA bis zu seinem neuen Wirkungskreis in Princeton, wo er auf Albert Einstein trifft, mit dem er später eng befreundet war. Reise zu den Grenzen der Vernunft kann sich erstmals auf Gödels vollständigen Nachlass stützen und erkundet so auch die lähmenden Anfälle von Paranoia, die diesen genialen, aber zerquälten Menschen zuletzt das Leben kosten sollten. 

Stephen Budiansky, geboren 1957 in Boston, Massachussetts, ist Autor zahlreicher Bücher, Wissenschaftsjournalist und schreibt regelmäßig u.a. für The New York Times, The Wall Street Journal und The Washington Post. Die Gödel-Biografie Reise zu den Grenzen der Vernunft wurde von der Zeitschrift Kirkus Reviews als Best Science Book of 2021 ausgezeichnet. Stephen Budiansky lebt mit seiner Frau auf einer kleinen Farm in Loudoun County, Virginia.

Stephen Budiansky, geboren 1957 in Boston, Massachussetts, ist Autor zahlreicher Bücher, Wissenschaftsjournalist und schreibt regelmäßig u.a. für The New York Times, The Wall Street Journal und The Washington Post. Die Gödel-Biografie Reise zu den Grenzen der Vernunft wurde von der Zeitschrift Kirkus Reviews als Best Science Book of 2021 ausgezeichnet. Stephen Budiansky lebt mit seiner Frau auf einer kleinen Farm in Loudoun County, Virginia.

Prolog


März 1970. Mit flinken Strichen vermerkte der Psychiater auf dem gelben Papier seines Notizblocks ungewöhnliche, aber auch ganz banale Fakten über seinen neuen Patienten. Kein Geringerer als Einstein hatte diesen den »größten Logiker seit Aristoteles« genannt, und selbst in Princeton, einer Kleinstadt mit mehr Nobelpreisträgern als Verkehrsampeln, stach sein einzigartiges Genie hervor. Die Arbeit, die er 40 Jahre zuvor im Alter von 24 Jahren geleistet hatte, brachte ihm weltweiten Ruhm und Anerkennung ein – »die bedeutendste mathematische Erkenntnis des Jahrhunderts«, ein umwerfend brillanter, paradoxer Beweis, demzufolge kein formales mathematisches System jemals jede mathematische Wahrheit innerhalb seiner eigenen Grenzen wird beweisen können.

Nun jedoch quälten ihn die Dämonen Versagensängste und Verfolgungswahn. Der Psychiater notierte:

Kurt Gödel 64. Seit 32 Jahren verheiratet mit Adele, 70. Keine Kinder. Frau war zuvor ein Mal verheiratet.

Dachte, er käme zwecks Beurteilung seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit – was ich verneinte – um »ihm zu helfen«, sofern möglich. – Kam auf Drängen von Bruder und Ehefrau.

Glaubt, er hätte die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht – wäre folglich ein »Versager« – deshalb würden andere, vor allem am Institut, ihn ebenfalls für einen Versager halten und versuchen, ihn loszuwerden. – Glaubt, man hätte ihn für unzurechnungsfähig erklärt und würde eines Tages erkennen, dass er frei ist, dann würde man ihn fortschaffen, da er zu gefährlich sei.

Angst vor Verarmung, Verlust der Stellung am Institut, weil er im letzten Jahr nichts geleistet hätte – hätte 35 Jahre lang so gut wie nichts geleistet – 4–5 uninteressante Veröffentlichungen. – Nahm sich große Themen vor, sei vielleicht nicht talentiert genug gewesen. – Arbeitet normalerweise allein, in einer Weise & auf Gebieten, die der gegenwärtigen Richtung zuwiderlaufen. – Fühlt sich möglicherweise schuldig, weil er nicht produktiv genug sei und nicht die gleiche Anerkennung erreiche wie in jungen Jahren.1

Für Princeton-Verhältnisse war es ungewöhnlich warm, die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel und sorgte für fast sommerliche 22 Grad, als Gödel zu seiner ersten Sitzung bei Dr. Philip Erlich eintraf. Im Büro des Psychiaters jedoch, in einem Backsteingebäude in ruhiger Lage an der Nassau Street – das Haus stammte aus dem 18. Jahrhundert und war sogar noch ein paar Jahre älter als die Amerikanische Revolution –, war es ihm zu kalt, und er behielt lieber seinen Mantel an. Manchmal erschien er auch in einen oder gar zwei Pullover eingepackt, was einen eigenartigen Gegensatz zu den ansonsten sehr förmlichen Gewohnheiten aus der Alten Welt bildete, die er in Sachen Kleidung und äußerer Erscheinung pflegte: sauber geschnittener Anzug, messerscharfe Bügelfalten, das graue Haar akkurat nach hinten gekämmt, mit einer auffälligen dunklen Strähne in der Mitte, die sich den Kräften des Alters beharrlich widersetzte, eine Brille mit großen, runden Gläsern und eine präzise Stimme, deren klarer und durchdringender Klang das Bild eines viel eindrucksvolleren und kräftigeren Mannes heraufbeschwor und so gar nicht zu diesem notorisch untergewichtigen, nur 1,70 Meter großen Menschen passen wollte.2

Er kam zwei Mal pro Woche – weil er, wie er sagte, den Zorn seiner Frau fürchtete, sollte er seine Termine nicht wahrnehmen. Verzweifelt hatte sie seinen Bruder aus Wien herbeigerufen, um mit der Situation klarzukommen, als die Sache Anfang des Jahres immer mehr aus dem Ruder lief. Rudolf war in der ersten Aprilwoche eingetroffen, aber Gödel geriet auch mit ihm sofort in Streit.

Notizen von Dr. Philip Erlich, 1970 KGP, 27/1

Äußerte wirre Ideen. – Der böse Bruder steckt hinter einer Verschwörung, die ihn vernichten soll – angeblich will er ihm die Frau, das Haus und seine Stellung am Institut wegnehmen. – Hat auch das Gefühl, Bruder könne mit der Situation nicht umgehen, weil er wütend wurde, anstatt die Ruhe zu bewahren. Ich nahm den Bruder in Schutz – er wolle nur sein Bestes und hege keinerlei Wunsch, ihm zu schaden, wurde von seiner Frau selbst hinzugezogen. – Ich betonte die Notwendigkeit entschlossenen Handelns & bestand darauf, dass der Patient bei mir in Behandlung bleiben müsse.

Freud und seine Theorien, erwiderte der Patient, waren Manifestationen eben jenes Materialismus, den er selbst in seinen Arbeiten über Logik und Philosophie ganz und gar zurückwies. Der menschliche Verstand ruhte viel weniger auf physischen Fundamenten und viel mehr auf spirituellen Einflüssen, als man im 20. Jahrhundert wahrhaben wollte. Die Denker des Mittelalters lagen mit ihrer Einschätzung ganz richtig, Geisteskrankheiten als »spirituelle Heimsuchung« anzusehen. Am Ende wird die Wahrheit ans Licht kommen – auch wenn die Wissenschaft auf absehbare Zukunft die materialistische Richtung eingeschlagen haben mag.

Einmal erzählte er dem Psychiater, er betrachte seine Sitzungen nicht als Therapie, sondern nur als Gespräche mit einem Freund. Von seinen Freunden war niemand mehr da. Während seiner Zeit in Princeton in den 1940er- und frühen 1950er-Jahren war er eindeutig derjenige, der Einstein am nächsten stand. Einstein sagte, er hätte zu jener Zeit nicht besonders viel geleistet und wäre nur ins Büro gekommen, »um das Privileg zu haben, mit Gödel zu Fuß nach Hause gehen zu dürfen«.3 Die beiden waren ein vertrauter Anblick in Princeton, ein auf geradezu komische Weise und in beinahe jedem persönlichen Wesenszug gegensätzliches Paar, das da jeden Nachmittag über den Rasen des Institutsgeländes schlenderte. Einstein mit seinem berühmten strubbeligen Haarschopf, dem ausgeleierten Pulli und Hosenträgern – »dass Einstein wie ein guter alter Großpapa aussieht, dagegen ist doch nichts einzuwenden«, hatte Gödel seinen Freund einmal gegenüber seiner Mutter in Schutz genommen. Gödel hatte ihr ein Foto geschickt, und sie hatte sich über Einsteins unordentliche und »unästhetische« Erscheinung Gedanken gemacht.4 Daneben der feierliche, ernsthafte, spindeldürre, selbst am heißesten Sommertag picobello gekleidete Gödel im weißen Leinenanzug und mit feschem Fedorahut. Und doch spazierten sie Tag für Tag gemeinsam über den Campus und unterhielten sich auf Deutsch angeregt über Politik, Physik, Philosophie und das Leben im Allgemeinen.

Spaziergang mit Einstein in Princeton Leonard McCombe LIFE Picture Collection/Getty Images

Doch Einstein war schon seit 15 Jahren tot. Und dann, behauptete der Patient standhaft, hätte ihn sein anderer alter Kollege in Princeton, der geniale und brillante Ökonom Oskar Morgenstern, den er schon aus alten Wiener Tagen gekannt hatte, einfach fallen gelassen, ihn ohne jeden Grund im Stich gelassen. »Ich habe meinen besten Freund verloren«, meinte er kläglich. Und nun ließ ihn auch noch das Institute for Advanced Study im Stich, jenes akademische Elysium, das sich drei Jahrzehnte lang mit väterlicher Beflissenheit um ihn gekümmert hatte. Gewiss würde er demnächst entlassen werden. Oder vielleicht war er bereits gefeuert worden, nur hatte man die Entscheidung im Geheimen getroffen und vor ihm verborgen.

Jedem Versuch des Arztes, vernünftig mit ihm zu reden, begegnete der Patient mit eiserner Logik:

Ist noch immer überzeugt vom Realitätsgehalt seiner Ideen & diese in Zweifel zu ziehen wäre ein Eingeständnis des Wahnsinns, das die Gültigkeit seines Lebenswerks infrage stellen würde. – Ich müsse ihn als objektiv & und zur akkuraten Darstellung fähig akzeptieren & dies führe logisch zur richtigen Schlussfolgerung. Andernfalls müsse er von bösen Geistern getäuscht worden sein.

Der Psychiater wandte ein, der Institutsdirektor hätte ihm doch gewiss nicht eben erst einen Brief geschrieben, in dem er Gödels Status als ordentlicher Professor mit garantierter Pension beim Übergang in den Ruhestand bestätigte – »eine dauerhaft gültige Erklärung der Haltung des Instituts«, wie der Direktor betont hatte –, wenn das Institut die Absicht gehabt hätte, ihn zu entlassen.5

Oder sehen Sie sich Einstein an, drängte er ihn: Genau wie Sie hat er seine größten Leistungen in jungen Jahren vollbracht und ist trotzdem nicht in Depression verfallen.

Oder einmal, in einem aus schierer Verzweiflung geborenen Ratschlag: Versuchen Sie es doch mit einem Glas Sherry vor den Mahlzeiten.

Er versuchte, seinen Patienten herauszufordern. Sie brauchen einen Bösewicht, einen Sündenbock; mal übernehmen die Ärzte diese Rolle, mal Ihr Bruder. Sie leiden unter einem heimlichen Verlangen nach Einkerkerung, aus Schuldgefühlen wegen Ihres vermeintlichen Scheiterns. Sie leiden unter einem extrem überhöhten Ego aufgrund Ihres frühen Triumphs und der Ehrungen, die in jungen...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2022
Übersetzer Hans-Peter Remmler
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Geisteswissenschaften Philosophie Logik
Mathematik / Informatik Mathematik
Schlagworte Bach • Biografie • Einstein • Emigration • Escher • Genie • Gödel • Gödel, Escher, Bach • Logik • Nationalsozialismus • Paranoia • Philosophie • Princeton • Relativitätstheorie • Unvollständigkeitssatz • Wien • Wissenschaft
ISBN-10 3-8437-2770-8 / 3843727708
ISBN-13 978-3-8437-2770-9 / 9783843727709
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