Kein Netz! (eBook)

Geld, Zeit, Laune, Liebe - Wie wir unser wirkliches Leben zurückerobern
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
272 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7325-9501-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kein Netz! -  Hajo Schumacher
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Internet ist wie Klimawandel: Wir wissen, dass da was auf uns zukommt, dass wir eigentlich schon mittendrin stecken, aber wir wollen rasch noch WhatsApp checken, einen Post liken oder dieses schicke Shirt bestellen. Wir nutzen all die Möglichkeiten, zugleich leiden wir an unserem Kaufwahn, dem Datenklau und unseren Kindern, die süchtig sind wie wir, nur anders.

Dieses Buch ist ein Reisebegleiter in die digitale Welt: Was ist gut für mich, für uns, für alle? Was kann weg?



Hajo Schumacher, geboren 1964, studierte Journalistik, Politologie und Psychologie. Von 1990 bis 2000 arbeitete er beim Spiegel, von 2000 bis 2002 war er Chefredakteur von Max. Er ist Journalist, TV-Moderator und Autor zahlreicher Bücher. Bei Eichborn erschienen zuletzt Restlaufzeit und Männerspagat. Hajo Schumacher lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Berlin.

Hajo Schumacher, geboren 1964, studierte Journalistik, Politologie und Psychologie. Von 1990 bis 2000 arbeitete er beim Spiegel, von 2000 bis 2002 war er Chefredakteur von Max. Er ist Journalist, TV-Moderator und Autor zahlreicher Bücher. Bei Eichborn erschienen zuletzt Restlaufzeit und Männerspagat. Hajo Schumacher lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Berlin.

Dr. Google und die Bildungskatastrophe


Warum einprägen, was im Smartphone steht? Warum Pythagoras, wenn Pornhub lockt? Wo ist die Wissensgesellschaft, wenn man sie braucht?

Ich gestehe, ich habe wirklich an die »Wissensgesellschaft« geglaubt, jenes märchenhafte Versprechen, das einst in keiner Digitalbildungsdebatte fehlen durfte. Das Internet, so die Theorie, würde das Wissen der Welt demokratisieren. Jeder Mensch würde Zugang zu allen Informationen haben, sich fortbilden, in den Dialog mit der Wissenschaft treten, Fakten überprüfen, debattieren, klüger wählen. Totale Transparenz würde unserer Demokratie bessere Entscheidungen bescheren.

Das war voreilig. Das Gegenteil traf ein. Statt Wissen herrscht Emotionales. Der Umgang mit Fakten und Forschung war nie respektloser als heute. Und gerade Eltern fragen sich, welche Chance die Bildung hat in einer Welt, die vor allem Effekte und Affekte belohnt. Mag Corona den technischen Fortschritt in vielen Schulen vorangebracht haben – die Inhalte sind immer noch wie früher. Mögen Lehrer die Gruppenarbeit nun in einem geteilten Dokument organisieren, so malen die Kinder, jetzt halt digital, immer noch ab, was an der Tafel steht. Sie üben sich in Binge-Lernen für die nächste Klassenarbeit, sie verbringen die meiste Zeit bis zur Volljährigkeit in einem Museum des alten Wissens und sind so nett, nicht jeden Tag, jede Stunde aufs Neue zu fragen: »Wofür?« und »Warum?«. Diese beiden Killerfragen würden unser Bildungssystem verunsichern.

Seit Zahlen, Daten, Fakten auf Knopfdruck aus jenem Smartphone sprudeln, kommen der Bildung neue Aufgaben, neue Prioritäten zu, die Fähigkeiten zum Checken seriöser Quellen etwa. Dafür allerdings braucht es digitales Bewusstsein.

In Dänemark musste die gesamte Lehrerschaft bereits vor 20 Jahren zur digitalen Fortbildung antreten, von PowerPoint bis Tabellenerstellen. Bei den Pragmatikern aus dem Norden wird nicht um jeden Preis digital unterrichtet, sondern dort, wo es Sinn macht. Und der Sinn beginnt dort, wo Schüler ihr Bild aus dem Kunstunterricht rasch mit dem Smartphone fotografieren, um es sofort für alle gut sichtbar an die elektronische Wandtafel zu projizieren. Eine Rede von Martin Luther King ist in Sekunden auf dem Schirm; da suchen die deutschen Kollegen noch nach dem Adapter für den Overheadprojektor.

Es geht nicht darum, analog gegen digital auszuspielen, sondern zu versöhnen. Die Schule wäre der perfekte Ort dafür. Aber nur, wenn die Bildungsanstalt ihre Schüler auch ernst nimmt. Wieso Vokabeln büffeln, wenn das Smartphone jeden Text in Echtzeit übersetzt? Das deutsche Schulsystem hat sich in dem halben Jahrhundert seit der Bildungsreform immer wieder um die Sinnfrage herumgedrückt: Wie geht sinnvolles Lernen in digitalen Zeiten?

So wird Bildung simuliert, wenn sich ein Digitalpakt der Bundesregierung darauf beschränkt, technische Geräte an Schulen zu verteilen. Was fehlt, ist eine übergreifende Idee, wie, wann, wo wir digitale Hilfsmittel einsetzen und was unbedingt weiterhin analog vermittelt werden soll. Dazu braucht es eine Richtung, Lehrpläne und vor allem Lehrende, die Spaß am Neuen haben und mit den Kindern digital auf Augenhöhe kommunizieren.

Doch wie vor 100 Jahren frage ich Konjunktivformen ab, lasse Formeln bimsen und beobachte interessiert, wie alles Kooperative von der individuellen Hatz nach Noten überlagert wird. Die Kinder werden dressiert, Wissen in ihren Kurzzeitspeicher zu pressen, auf Kommando abzurufen und den Lehrern Interesse vorzuspielen. Wie unter einem Brennglas hat Corona die Schwächen gnadenlos offenbart: Millionen von Kindern wurden mit standardisierten Wochenplänen abgespeist und sich selbst überlassen. Unser Schulsystem trainiert die Kinder darauf, es zu überstehen.

Laut OECD haben sich die Mathe-Leistungen deutscher Schüler trotz Pisa-Schock im vergangenen Jahrzehnt verschlechtert. Lesen klappt zwar, das Verstehen wird nur immer schlechter. Und 90 Prozent der getesteten 15-Jährigen können Fakten nicht von Meinungen unterscheiden. Wir Eltern lernen nun dauernd, was in der Schule alles nicht funktioniert. Spannend zu erfahren wäre, welche Lehrpläne, welches Personal, welche Schulen die bekannten Missstände ändern. Oder wissen wir das gar nicht?

Wie und was sollen unsere Kinder nun in Zukunft lernen? Wie integrieren wir die Fundgrube Wikipedia? Sind Lesen und Schreiben Kulturtechniken, die wir nach etwa 5 000 Jahren nicht mehr brauchen? Kommen wir künftig ohne jene magische Koordination von Auge, Arm, Hand, Hirn, Stift und Papier aus? Das Smartphone liest schließlich jeden Text vor, semantische Software schreibt Gesprochenes aus und verfertigt immer bessere Aufsätze.

Es gehört zur Wahrheit, dass wir allenfalls schemenhaft ahnen, wie wir unsere Kinder auf eine Zukunft vorbereiten, von der es heißt, dass die allermeisten Jobs heute noch gar nicht definiert sind, die sie eines Tages ausüben werden. Setzen wir auf den guten alten Kanon Sokrates und Kant? Oder jagen wir sie durchs digitale Bootcamp? Politiker fordern an dieser Stelle der Debatte, dass zu Hause bitte schön wieder mehr vorgelesen werden möge. Geht aber gerade nicht, weil Mutti noch bei Instagram klebt und Vati abends Mails schreibt, um zu beweisen, dass er im Homeoffice sogar noch besser performt als im Büro.

Digitale Bildung kommt woandersher, von YouTube oder aus Ferien-Computerkursen. Zugleich sehe ich als Vater hilflos zu, wenn meine Söhne etwa von Politikern jede Menge Memes kennen, also die unzähligen Spaß- und Veräppelungsbildchen und -filmchen, aber nicht deren Funktion oder Strategien. Das allgegenwärtige Verjuxen schafft eine digitale Parallelwirklichkeit, in der nichts wirklich ernst ist.

Dieser Konflikt ist kaum zu lösen. Denn sobald die Kinder auf eigene Faust im Netz unterwegs sind, schwindet die pädagogische Steuerung durch Eltern oder Lehrer. Der Nachwuchs lässt sich nur ungern über die Schulter gucken. So habe ich es mit unseren beiden Söhnen erlebt. Am Ende der Grundschulzeit hatten die Jungs uns Eltern technisch überholt und bewegten sich in ihrer eigenen digitalen Welt, die zunächst aus Zocken bestand, später aus sozialen Netzwerken und dann aus Klippenwissen, aber leider viel zu selten aus, Pluto oder Pythagoras.

»Klippenwissen«, diesen Begriff kann man nicht googeln, er wurde für dieses Buch erfunden. Klippenwissen ist nicht illegal, geisterte aber in analogen Zeiten auch nicht frei herum. Es beschreibt eine Parallelwirklichkeit, gespeist aus fragwürdigen Versatzstücken digitaler Quellen, ob Verschwörungstheorien, Pornografie, Jux, Gewalt, Betäubungsmitteln, eben Themen, die weitaus spannender sind als das, was der Lehrplan vorsieht. Sobald die Kinder ein eigenes Smartphone haben und mit dem Internet verbunden sind, werden sie auf Klippenwissen stoßen.

Zum Klippenwissen zähle ich gesundheitsgefährdende Informationen, etwa Anleitungen, wie man aus Baumarktzeug eine Nagelbombe baut, mit Haushaltsreinigern aggressive Rauschzustände erzeugt, wie man Menschen mit K.-o.-Tropfen betäubt, mit welchen Psychotricks Mobbing besonders wirkungsvoll wird, wo es Tauschringe für Pädophile gibt oder Waffen, dazu Hetzparolen oder das Verspotten Andersdenkender, kurz: jede Art von Information, die instabile Menschen auf dumme Gedanken bringt. Wissen an der Klippe, wo das Terrain des Legalen endet.

Minderjährige, die sich früher leistungssteigernde Mittel besorgen wollten, vulgo Doping, mussten entweder einen unseriösen Arzt kennen oder in einem düsteren Fitnessstudio verkehren. Der Zugang war kompliziert, die Hemmschwelle hoch, was einen großen Teil der Interessenten vom Gebrauch abhielt. Dieser Effekt galt auch für Drogenneugier, Attentatsfantasien oder Neigung zu Abartigem. Beschaffungsaufwand und Risiko standen in einem abschreckenden Verhältnis.

Das ist heute anders. Neulich beim Abendbrot kam die Sprache auf die dunkle Seite des Internets. Der Religionslehrer habe Matrix als Lehrmaterial empfohlen, erzählte der Kleine, weil: Dieser 20 Jahre alte Science-Fiction-Film über die Machtübernahme durch Maschinen übersetze das Höhlengleichnis von Platon ins 21. Jahrhundert. Ich korrigierte vorübergehend meine skeptische Haltung zum deutschen Bildungssystem.

Die Kinder höhnten, weil ich Matrix auszuleihen gedachte, gegen Gebühr. »Gibt’s alles umsonst«, sagte der Große, strafmündig. Die Jungs protzen mit Halbwissen aus dem digitalen Paralleluniversum, von Waffen, Drogen, Killern, die man frei Haus bestellen könne.

Die Chefin sagt »Quatsch«, während ich beim Abwasch grübele, warum ich noch lebe, wenn Auftragsmörder so leicht zu mieten sind. Haben meine Söhne halbstarkes Angebergewäsch wiederholt? Oder ist es wirklich so leicht, an Koks und Knarren zu gelangen?

Eine Viertelstunde später ist die Kamera am Rechner abgeklebt. Ich fühle mich halbkriminell, weil ich mit den Söhnen nur mal einen Blick ins Darknet werfen will. Als Portal ins Reich der Düsternis dient der Tor-Browser, der im Gegensatz zu Chrome oder Safari meine Anschlussdaten über mindestens drei Server leitet und dabei unkenntlich macht. Noch bevor ich mich wundern kann, ist Tor von meinem kleinen Sohn installiert. Er macht das nicht zum ersten Mal.

Nächster Schritt: eine Suchmaschine. Die Fachpresse empfiehlt »Hidden Wiki«. Die Seite sieht amateurhaft aus, bietet aber Links zu allem, was Strafverfolger elektrisiert. Ich könnte pfundweise Cannabis bestellen, auch als Kekse nach Jamie-Oliver-Rezept, dazu einen britischen Pass (aber warum?), gefälschte Dollarnoten – 1 300 echte für 5 000 falsche –, oder einen Profi-Hacker anmieten, der für pauschal...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2020
Sprache deutsch
Original-Titel Kein Netz!
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Mathematik / Informatik Informatik Grafik / Design
Mathematik / Informatik Informatik Web / Internet
Technik
Schlagworte Apple • Computer • Daten • digital • Digitale Welt • Digitalisierung • Droge • Facebook • Google • Handy • Instagram • Internet • Kontrolle • Online • Smartphone • Soziale Medien • Sucht • Technik • Technologie • Twitter • Whatsapp • WLAN • Zwang
ISBN-10 3-7325-9501-3 / 3732595013
ISBN-13 978-3-7325-9501-3 / 9783732595013
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