Reading & Writing. 25 Manifestos
Andrea Sick ist Kultur- und Medienwissenschaftlerin, Kuratorin und seit 2009 Professorin für Kultur- und Mediengeschichte/-theorie an der Hochschule für Künste Bremen. Dort von April 2012 bis Mai 2018 Dekanin des Fachbereichs Kunst und Design, seit Mai 2018 Konrektorin für Forschung und Internationales. Seit 1993 Künstlerische Leitung/Geschäftsführung des Frauen.Kultur.Labor. thealit (seit 2009 zusammen mit Claudia Reiche / Helene von Oldenburg) thealit.de Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Relationen zwischen technischen Medien und kultureller Produktion, Kultur- und Mediengeschichte, Schnittstellen wissenschaftlicher und künstlerischer Handlungszusammenhänge, Verwicklungen kultureller und technischer Bedingungen, Gender- und Queertheorie. andreasick.de
Einleitung von Andrea Sick (Hg.) Schreiben Wir schreiben Wortlisten, Nachrichten, Posts, Blogeinträge, Arbeitspläne, Exzerpte, Tagebuchnotizen, Reklameslogans, Flugblätter, Geschäfts- und Liebesbriefe, Kontrakte, Rechnungen, Schulaufsätze, wissenschaftliche Abhandlungen, Chroniken, Beschreibungen, literarische Texte, Gedichte und Code. Das Schreiben ist nicht unbedingt mit der Produktion von Text verbunden, kann es aber durchaus sein. Schriftduktus, Motorik, Werkzeug, Publikationsort, Grammatik, Orthographie sind Teil des Schreibprozesses und zeugen mitunter auch von Formen der Disziplinierung (Foucault) und Demonstrationen von Macht (Lévi-Strauss). Auch Schreibkrisen und Schreibenkönnen markieren die Komplexität dieser Tätigkeit. Unterschiedliche Laborexperimente und Versuchsanordnungen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen dokumentieren den Wunsch, diese Einflüsse auf die Schreibakte begreifbar zu machen. Lesen Jede Schreiber*in ist automatisch auch ihre Leser*in (frz. se relire). Während des Schreibens wird immer auch das Geschriebene gelesen. Zusätzlich zu dieser grundständigen Kopplung wird zumeist im Hinblick auf eine reale oder virtuelle Leser*in geschrieben, deren Erwartungen im Schreibprozess antizipiert werden. So sprechen wir auch von Rezeption und Produktion, Textverstehen und Textproduzieren. Im Schreiben wird immer schon zuvor Geschriebenes und Gelesenes (wo auch immer) aufgenommen: Schreiben ist rewriting. Fremde Diskurse werden transformiert, integriert und verworfen. Diese Schreib-Leseprozesse können zugleich als Erfindungs- und Entdeckungsmechanismen bezeichnet werden. Denken Es ist unmöglich von der Sprache zum Denken anders als durch Wahrscheinlichkeit zurückzukehren. Mit dem Schreiben gibt man dem Denken eine lesbare Form.¹ Aber Denken wir in Wörtern? Visualisieren wir ein Sprachgitter? Wissen wir, was wir schreiben? „Muß man nicht wie in einem dunklen Tunnel schreiben, ohne zu wissen wie sich die Figuren [Themen] entwickeln werden?“ 2 Die Schreiblabyrinthe der aktuellen Digitalen Kultur machen diese hier skizzierten Prozesse schneller, verwegener, komplexer. Digitale Texte — kurz oder lang — ermöglichen ein Schreiben, welches sofort gelesen, beantwortet, kommentiert, verlinkt und gespeichert wird. Unterschiedliche Onlinedienste (z. B. Google Docs, WordPress, Twitter, GitHub) bieten hier Templates an, die die Schreibformate maßgeblich bestimmen und dabei in vielfältiger Form wirksam werden. Issue No. 3 versammelt Manifeste (Statements, kühne Behauptungen, Zuspitzungen) die dieses Feld bespielen und im Versuch losgelöst von bereits existierenden Systemen auch Unbekanntes und Illusorisches im Schreiben realisieren. ¹ Vgl. Paul Valéry, Cahiers 1894 –1914, Edition intégrale, Paris 1987, S. 247, zitiert in: Almuth Grésillion, „Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben“, in: Raible, Wolfgang (Hg.): Kulturelle Perspektiven auf Schrift und Schreibprozesse. Tübingen 1995, S. 1–36. ² Vgl. Mitteilung Kafkas an Max Brod, zitiert nach Malcolm Pasley: „Der Schreibakt und das Geschriebene. Zur Frage der Entstehung von Kafkas Texten“, in: Ders., „Die Schrift ist unveränderlich …“, Essays zu Kafka, Frankfurt am Main 1995, S. 99–120, hier: S. 111.
Einleitung von Andrea Sick (Hg.)SchreibenWir schreiben Wortlisten, Nachrichten, Posts, Blogeinträge, Arbeitspläne, Exzerpte, Tagebuchnotizen, Reklameslogans, Flugblätter, Geschäfts- und Liebesbriefe, Kontrakte, Rechnungen, Schulaufsätze, wissenschaftliche Abhandlungen, Chroniken, Beschreibungen, literarische Texte, Gedichte und Code. Das Schreiben ist nicht unbedingt mit der Produktion von Text verbunden, kann es aber durchaus sein. Schriftduktus, Motorik, Werkzeug, Publikationsort, Grammatik, Orthographie sind Teil des Schreibprozesses und zeugen mitunter auch von Formen der Disziplinierung (Foucault) und Demonstrationen von Macht (Lévi-Strauss). Auch Schreibkrisen und Schreibenkönnen markieren die Komplexität dieser Tätigkeit. Unterschiedliche Laborexperimente und Versuchsanordnungen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen dokumentieren den Wunsch, diese Einflüsse auf die Schreibakte begreifbar zu machen.LesenJede Schreiber*in ist automatisch auch ihre Leser*in (frz. se relire). Während des Schreibens wird immer auch das Geschriebene gelesen. Zusätzlich zu dieser grundständigen Kopplung wird zumeist im Hinblick auf eine reale oder virtuelle Leser*in geschrieben, deren Erwartungen im Schreibprozess antizipiert werden. So sprechen wir auch von Rezeption und Produktion, Textverstehen und Textproduzieren.Im Schreiben wird immer schon zuvor Geschriebenes und Gelesenes (wo auch immer) aufgenommen: Schreiben ist rewriting. Fremde Diskurse werden transformiert, integriert und verworfen. Diese Schreib-Leseprozesse können zugleich als Erfindungs- und Entdeckungsmechanismen bezeichnet werden.DenkenEs ist unmöglich von der Sprache zum Denken anders als durch Wahrscheinlichkeit zurückzukehren. Mit dem Schreiben gibt man dem Denken eine lesbare Form.¹Aber Denken wir in Wörtern? Visualisieren wir ein Sprachgitter? Wissen wir, was wir schreiben? "Muß man nicht wie in einem dunklen Tunnel schreiben, ohne zu wissen wie sich die Figuren [Themen] entwickeln werden?" 2Die Schreiblabyrinthe der aktuellen Digitalen Kultur machen diese hier skizzierten Prozesse schneller, verwegener, komplexer. Digitale Texte - kurz oder lang - ermöglichen ein Schreiben, welches sofort gelesen, beantwortet, kommentiert, verlinkt und gespeichert wird. Unterschiedliche Onlinedienste (z. B. Google Docs, WordPress, Twitter, GitHub) bieten hier Templates an, die die Schreibformate maßgeblich bestimmen und dabei in vielfältiger Form wirksam werden.Issue No. 3 versammelt Manifeste (Statements, kühne Behauptungen, Zuspitzungen) die dieses Feld bespielen und im Versuch losgelöst von bereits existierenden Systemen auch Unbekanntes und Illusorisches im Schreiben realisieren.¹ Vgl. Paul Valéry, Cahiers 1894 -1914, Edition intégrale, Paris 1987, S. 247, zitiert in: Almuth Grésillion, "Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben", in: Raible, Wolfgang (Hg.): Kulturelle Perspektiven auf Schrift und Schreibprozesse. Tübingen 1995, S. 1-36.² Vgl. Mitteilung Kafkas an Max Brod, zitiert nach Malcolm Pasley: "Der Schreibakt und das Geschriebene. Zur Frage der Entstehung von Kafkas Texten", in: Ders., "Die Schrift ist unveränderlich ...", Essays zu Kafka, Frankfurt am Main 1995, S. 99-120, hier: S. 111.
Erscheinungsdatum | 02.02.2020 |
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Reihe/Serie | Manifestos |
Sprache | englisch; deutsch |
Maße | 220 x 220 mm |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater |
Mathematik / Informatik ► Informatik ► Grafik / Design | |
Schlagworte | Digitale Medien • Manifeste • Medientheorie • Schreiben & Lesen |
ISBN-10 | 3-87512-750-1 / 3875127501 |
ISBN-13 | 978-3-87512-750-8 / 9783875127508 |
Zustand | Neuware |
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