Das Ende ist mein Anfang - Tiziano Terzani

Das Ende ist mein Anfang

Ein Vater, ein Sohn und die große Reise des Lebens

(Autor)

Buch | Softcover
416 Seiten
2008
Goldmann (Verlag)
978-3-442-12987-4 (ISBN)
9,99 inkl. MwSt
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Ein Vater spricht über das Leben, den Tod und das Abschiednehmen
Tiziano Terzani hat als langjähriger Korrespondent des SPIEGEL unser Bild von Asien mit geprägt. Das damals noch unzugängliche China kannte er wie kaum ein anderer westlicher Journalist, im asiatischen Denken war er seit langem zu Hause. Als nach längerer Krebserkrankung sein Tod naht, lädt der 65-jährige Terzani seinen Sohn Folco zu sich ein, um Abschied zu nehmen. In einem langen Zwiegespräch erzählt der Vater dem Sohn von seinem bewegten Leben zwischen Europa und Asien und von der Auseinandersetzung mit Krankheit und dem Sterben. Es entspinnt sich ein berührender Dialog über das Leben und die Begegnung mit dem Tod, über Abschied, Trauer und Verlust, aber auch über Hoffnung und Wiederkehr. Die sehr persönlichen Erinnerungen des bekannten SPIEGEL-Journalisten und Asienkenners.

Tiziano Terzani, 1938 in Florenz geboren, in Europa und den USA ausgebildet, kannte Asien wie kaum ein anderer westlicher Journalist. Von 1972 bis 1997 war er dort Korrespondent des SPIEGEL - anfangs in Singapur, dann in Hongkong, Peking, Tokio und Bangkok. 1995 war er einer der wenigen westlichen Reporter, die in Saigon blieben, als Kommunisten die Stadt übernahmen. Terzani lebte bereits fünf Jahre in China, als er 1984 plötzlich verhaftet, antirevolutionärer Aktivitäten beschuldigt, einen Monat umerzogen und schließlich ausgewiesen wurde. Nach mehrjährigen Aufenthalten in Japan und Thailand ging Terzani 1994 nach Indien. Er starb in Juli 2004.

Orsigna, den 12. M? 2004 Mein lieber Folco,Du wei?, wie ungern ich telefoniere und wie schwer es mir meine schwindenden Kr?e machen, selbst wenige Zeilen zu Papier zu bringen. Daher ist dies kein richtiger Brief, sondern ein ?Telegramm" mit zwei, drei Punkten, die mir noch wichtig sind und die Du wissen sollst.Ich bin entsetzlich schwach, aber heiter und gelassen. Ich liebe dieses Haus und rechne damit, bis zum Ende hier zu bleiben. Ich hoffe, Dich bald zu sehen, aber nur unter der Bedingung, dass Du mit Deiner Arbeit fertig geworden bist. Denn bist Du erst einmal hier, wird Dich (uns) alles andere vollkommen in Anspruch nehmen, besonders wenn Du Dich auf eine Idee einl?t, ?ber die ich lange nachgedacht habe. Und zwar folgende: Wie w? es, wenn wir zwei uns jeden Tag eine Stunde zusammensetzten und Du mich fragtest, was Du schon immer fragen wolltest, und ich Dir frei von der Leber weg erz?te, was mir wichtig ist, von mir und meiner Familie, von der gro?n Reise des Lebens? Ein Austausch zwischen uns beiden, Vater und Sohn, so verschieden und einander doch so ?lich, ein Testament, das Du dann zu einem Buch zusammenstellen k?nntest.Beeil Dich, denn ich glaube, mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Sieh zu, wie Du es einrichten kannst, und ich werde mir M?he geben, noch eine Weile zu leben, um dieses wundersch?ne Projekt mit Dir zu verwirklichen, wenn Du Lust dazu hast.Ich umarme Dich. Dein Papa KUCKUCKFolco, Folco, komm schnell! In der Kastanie sitzt ein Kuckuck! Ich kann ihn nicht sehen, aber er singt dort sein Lied: Kuckuck, Kuckuck,vorbei ist der April,im Maien angekommen,der Kuckuck schweigt nicht still. H?r doch, wie sch?n!Ich bin so froh, mein Sohn. Ich bin jetzt sechsundsechzig, und mein Leben, diese gro? Reise, geht dem Ende zu. Ja, ich bin an der Endstation angelangt. Aber ohne Trauer, im Gegenteil, fast mit einem Schmunzeln. Vor ein paar Tagen hat deine Mutter mich gefragt, ?H?r mal, wenn jemand anriefe und uns von einem Mittel erz?te, mit dem du noch zehn Jahre weiterleben k?nntest, w?rdest du es nehmen?" Und ich habe ganz spontan gesagt: ?Nein!" Ich w?rde es nicht nehmen, ich will nicht noch zehn Jahre leben. Wozu denn? Um all das zu tun, was ich bereits getan habe? Ich bin im Himalaja gewesen und habe mich darauf vorbereitet, auf den gro?n Ozean des Friedens hinauszusegeln. Warum sollte ich mich da noch einmal in ein B?tchen setzen, um am Ufer entlang zu schippern und zu angeln? Das interessiert mich einfach nicht mehr.Sieh dir die Natur an, von dieser Wiese aus, sieh sie dir genau an, h?r ihr zu. Der Kuckuck; all die zwitschernden V?gel in den B?en ? wer die wohl sind? ?, die Grillen im Gras, der Wind, der durchs Laub streicht. Ein einziges, gro?s Konzert mit einem eigenen Leben, das von dem Tod, auf den ich warte, vollkommen unber?hrt bleibt. Die Ameisen krabbeln weiter vor sich hin, die V?gel singen ihrem Gott ein Lied, und der Wind weht wie eh und je.Was f?r eine gro? Lehre! Deshalb bin ich so heiter. Seit Monaten sp?re ich eine geballte Freude in mir, die in alle Richtungen ausstrahlt. Ich habe das Gef?hl, nie zuvor so leicht und gl?cklich gewesen zu sein. Und wenn du mich fragst: Wie geht es dir?, kann ich nur antworten: hervorragend. Mein Kopf ist frei, ich f?hle mich wunderbar. Nur dieser K?rper fault vor sich hin und ist inzwischen ?berall leck. Das Einzige, was bleibt, ist, sich von ihm zu l?sen und ihn seinem Schicksal zu ?berlassen, dem Schicksal der Materie, die zerf?t und wieder zu Staub wird. Ohne Angst, denn es ist doch die nat?rlichste Sache der Welt.Aber eben weil mir nur noch wenig Zeit bleibt, m?chte ich noch etwas Letztes tun: mit dir reden. Mit dir, der du f?nfunddrei?g Jahre lang ? oder wie alt bist du jetzt? Vierunddrei?g? ? Teil meines Lebens gewesen bist, Zuschauer dieser langen Reise, die du von unten, aus der Perspektive des Sohns, mitverfolgt hast. Immer warst du da, und doch wei?ich, dass du nicht mein ganzes Leben kennst. So wie ich eigentlich nur sehr wenig vom Leben meines Vaters wusste und am Ende bedauerte, nicht ein wenig Zeit mit ihm verbracht zu haben, um dar?ber zu reden. FOLCO: Also hast du deinen Tod tats?lich angenommen, Papa?TIZIANO: Wei? du, diese Vorstellung vom ?Tod" w?rde ich gern vermeiden. Die indische Wendung ?den K?rper verlassen", die dir so gel?ig ist wie mir, finde ich viel sch?ner. Mein Traum w? es zu verschwinden, als g? es diesen Moment der Trennung nicht. Der letzte Akt des Lebens, den man Tod nennt, macht mir keine Angst, denn darauf habe ich mich vorbereitet.Ich will nicht sagen, dass es in deinem Alter genauso w?. Aber in meinem! Ich habe alles getan, was ich wollte, ich habe ungeheuer intensiv gelebt, und ich habe nicht das Gef?hl, ich h?e irgendetwas vers?t. Ich brauche nicht zu sagen: ?Ach, wie gern h?e ich noch ein bisschen Zeit, um dies oder jenes zu tun." Und ich habe keine Angst ? dank jener zwei, drei Dinge, die ich f?r wesentlich halte und die alle Gro?n und Weisen der Vergangenheit begriffen haben.Was ist es, was uns am Tod so ?stigt?Was uns vor Angst erstarren l?t, wenn wir an den Augenblick des Todes denken, ist die Vorstellung, dass in dem Moment alles, woran wir h?en, verschwindet. Zun?st einmal der K?rper. Was f?r eine ungeheure Bedeutung haben wir ihm zugemessen! Denk doch nur, wie wir mit ihm wachsen, wie wir uns mit ihm identifizieren. Sieh dich an, so jung, so stark, ?berall Muskeln. Ich war doch genauso! Ich bin jeden Tag kilometerweit gejoggt, um in Form zu bleiben, ich habe Gymnastik gemacht, ich hatte gerade Beine, einen dichten Schnurrbart und den ganzen Kopf voller rabenschwarzer Haare! Ich war ein sch?ner junger Mann! Wenn einer ?Tiziano Terzani" sagt, stellt er sich diesen K?rper vor.Das ist doch zum Lachen! Sieh dir an, wie ich jetzt aussehe! Nur noch Haut und Knochen, die Beine geschwollen, der Bauch rund wie ein Ballon! Die Geometrie des K?rpers ist auf den Kopf gestellt: Zuerst hat man breite Schultern und schmale H?ften, jetzt habe ich schmale Schultern und einen riesigen Bauch. Wieso sollte ich an diesem K?rper h?en? Einem K?rper, der mit jedem Tag schw?er wird, dem die Haare ausfallen, der nur noch humpeln kann, an dem die Chirurgen herumschnippeln?Wir sind nicht dieser K?rper. Aber was sind wir dann?Wir glauben, all das zu sein, was wir mit dem Tod zu verlieren f?rchten. Unsere Identit? Da hast du dich mit deinem Beruf identifiziert, Journalist, Rechtsanwalt, Bankdirektor, und der Gedanke, dass all das auf einmal verschwindet, dass du nicht mehr der gro? Journalist oder der erfolgreiche Bankdirektor bist, dass der Tod dir all das nimmt, ersch?ttert dich. Und dann alles, was dir geh?rt ? das Fahrrad, das Auto, ein wertvolles Bild, das du dir mit den Ersparnissen deines ganzen Lebens gekauft hast, ein Grundst?ck, ein H?chen am Meer. Alles deins! Und jetzt stirbst du und verlierst es. Der Grund, warum wir solche Angst vor dem Tod haben, ist, dass wir pl?tzlich auf alles verzichten m?ssen, woran unser Herz h?t, unseren Besitz, unsere W?nsche, unsere Identit? Ich habe das bereits hinter mir. In den letzten Jahren habe ich all diese Dinge ?ber Bord geworfen, und jetzt gibt es nichts mehr, woran ich h?e.Denn nat?rlich bist du nicht dein Name, nat?rlich bist du nicht dein Beruf und auch nicht dein Haus am Meer. Und wenn du schon im Leben lernst, zu sterben, wie die Weisen der Vorzeit es gelehrt haben ? die Sufis, die Griechen, unsere geliebten Rischis im Himalaja ?, dann gew?hnst du dich daran, dich mit diesen Dingen nicht zu identifizieren und zu erkennen, was f?r einen absolut begrenzten, vor?bergehenden, l?erlichen, verg?lichen Wert sie haben. Wenn dein Haus am Meer eines Tages ? wrumm! ? von einer Sturmflut fortgerissen wird; wenn dein Sohn, einer wie du, der du so lange mein Kind gewesen bist, um den ich mir so viele Gedanken und manchmal auch Sorgen gemacht habe, aus dem Haus geht und ihm ein Ziegelstein auf den Kopf f?t und auf einmal ? wrumm! ? alles vorbei ist, dann begreifst du, dass du unm?glich etwas sein kannst, was einfach so verschwindet.

Erscheint lt. Verlag 17.10.2008
Reihe/Serie Goldmann Taschenbücher
Übersetzer Christiane Rhein
Zusatzinfo s/w-Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel La fine è il mio inizio
Maße 125 x 187 mm
Gewicht 330 g
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Biografisch • China • China, Tod & Sterben • China, Tod & Sterben, Vater und Sohn, spiegel Reporter, spiegel bestseller, Dialog, loslassen • Dialog • Krankheit • Krebs • Loslassen • spiegel bestseller • spiegel Reporter • Terzani, Tiziano • Tod & Sterben • Tod & Sterben • Vater und Sohn
ISBN-10 3-442-12987-7 / 3442129877
ISBN-13 978-3-442-12987-4 / 9783442129874
Zustand Neuware
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