Mordshunger - Frank Schätzing

Mordshunger

Roman
Buch | Softcover
448 Seiten
2008
Goldmann Verlag
978-3-442-46767-9 (ISBN)
8,95 inkl. MwSt
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Mordshunger haben sie alle. Inka von Barneck auf Sex, Fritz von Barneck auf Geld und noch mehr Geld, Max Hartmann auf die Rolle seines Lebens, Romanus Cüpper auf alles, was essbar ist, und die Löwen im Kölner Zoo auf Abwechslung. Dann ist Inka plötzlich tot, und alle bekommen ihren Willen. Nur ganz anders, als sie dachten.


* Mit Rezepten von 15 mordsguten Kölner Küchenchefs.


* Frank Schätzings "Mordshunger" als TV-Film mit großem Staraufgebot - das Fernsehereignis des Frühjahrs bei RTL.


Frank Schätzing, geboren 1957 in Köln, Studium der Kommunikation, Creative-Director in internationalen Agentur-Networks, Mitbegründer der Kölner Werbeagentur Intevi, Musiker und Musikproduzent, debütierte 1995 mit dem historischen Roman Tod und Teufel, der schnell vom Geheimtipp zum Bestseller wurde. Nach einer Reihe von Krimis und Kurzgeschichten folgte 2000 - von der Presse hochgelobt - der Politthriller Lautlos. Der Schwarm, Schätzings fünfter Roman, erreichte wenige Tage nach Erscheinen Spitzenplatzierungen in den Bestsellerlisten, wurde u. a. nach England, in die USA, Spanien, Italien, Brasilien und Russland verkauft. Die Filmrechte gingen an Uma Thurman und die deutschen Produzenten Ica und Michael Souvignier. 2009 erschien Limit. Frank Schätzing, 2002 mit dem „KölnLiteraturPreis“ ausgezeichnet, lebt und arbeitet in Köln.

Sie hatte ihm eine Gurke geschenkt mit dem Ratschlag, sie sich sonst wohin zu stecken, und war ausgezogen. »Ein guter Kriminalist«, pflegte er zu sagen, »wird verlassen. Er muss verlassen werden. Würde er der Idee verfallen, hinter Wahnsinnigen und Mördern herzulaufen, wenn man ihn nicht verlassen hätte? Fähige Polizisten neigen zum Verlust der Freundin, die Genies sind allesamt geschieden. Schön, ich hab nur eine Freundin. Aber ich bin ein guter Polizist! Folglich wird sie mich verlassen, irgendwann, das ist die Tragik meiner Profession. Ich frage mich eigentlich nur, ob ich sie vorher schnell heiraten sollte, um hinterher ein ganz besonders genialer Polizist zu sein. Verzwickt, das Ganze! Geht mir im Kopf rum, immer wieder. Im Allgemeinen gehe ich dann was essen und sage mir, langsam Cüpper. Sechsunddreißigmal kauen, jeden Bissen. Hat alles noch Zeit.« Es hatte keine Zeit. Sie hatte ihm eine Gurke geschenkt, weil sie wusste, dass er keine Gurken mochte, dass es nur drei Dinge gab, die er von Herzen verabscheute: Gurken, Kümmel, Kokos. Er war um die Gurke herumspaziert, als könne sie den Lauf der Dinge biegen, während im Nebenzimmer Blusen, Röcke, Jeans, Dessous flupp flupp in den Koffer flogen. Dann kamen die Packer, und man trug die Couch und den Glastisch und die zwei CD-Regale und die komplette Stereoanlage und noch bedenklich viel mehr an ihm vorbei nach draußen und fütterte einen schier unersättlichen Möbelwagen. Währenddessen lag die Gurke lang und dunkelgrün vor ihm und begann ihn auf merkwürdige Weise zu faszinieren, bis einer der Männer sie kurzerhand auf die Fensterbank legte, um das Schränkchen wegzutragen, das ihm, wie er sich mit einem Mal entsann, auch nicht gehörte. Nichts gehörte ihm. Bis auf die Küche. Er unterbrach seinen Spaziergang entlang der Promenade und blinzelte durch den stärker werdenden Regen hinaus auf den Rhein. Das Wasser lief ihm in den Nacken. Gut zwei Stunden waren vergangen, seit er losgezogen war, immer den Fluss entlang, vom Dom hoch Richtung Rodenkirchen, kehrt und wieder zur Bastei, den Wind als Gegner und als Freund, nass wie ein Lurch. Lastkähne zogen durchs kräuselige Schwarz. Wie urzeitliche Krokodile, dachte er, was ihn prompt daran erinnerte, dass sie auch die Dias von der Amazonasfahrt mitgenommen hatte, alle fünf Kästen, und den Projektor und die Leinwand obendrein. Aber er brauchte keine Bilder, um der Wirklichkeit zu vertrauen. Er hatte immer noch die Gurke. Mitgenommen auf diese nächtliche Streife. Nur, dass er diesmal einer Flüchtigen auf der Spur war, die er nicht würde verhaften können. Musste sie laufen lassen. Hm. Warum die Gurke eigentlich nicht essen? Aber ja, mach aus der Niederlage einen Sieg! Streiche die Gurke von der Liste deiner Animositäten, widme sie der Ausbrecherin, die sich nicht geschämt hat, dein Herz noch obendrauf zu packen auf den Berg gestohlener Erinnerungen. Sollst sie dir sonst wohin stecken, was? Allerdings, mein Schatz! Ab heute sei die Gurke rehabilitiert, oft und gern verschlungen, liebevoll verdaut, eine hochgeschätzte Kostbarkeit im Fundus all der Rezepturen, die drei Meter Ikea-Regal gefüllt hatten, bis dem großen Raub auch das Regal zum Opfer gefallen war. Marodeurin! Er beschnupperte die Gurke, zögerte und biss hinein. Ein Genuss! Wie hatte er nur jemals glauben können - mhhmmmm! Diese hier, das war kein Treibhausklon. Sicher vom Gemüsemann auf der Neusser Straße, dessen Rasierwasser der Duft frischen, feuchten Basilikums war, konspirativ herübergereicht wie eine Flasche guten Weines. Hätte sie ihm eine solch phänomenale Gurke geschenkt, wenn sie ihn nicht immer noch liebte? Knack, spritzender Saft im Mund. Mit jedem Stück fühlte er die Lebensgeister in sich zurückfließen, atmete tief durch, biss ab, verfiel in einen Fressrausch, ließ den Regen Beifall prasseln, bis ein ungeheurer Blitz die Schwärze jäh zerriss und krachend niederging, direkt über dem Dom. Für die Dauer eines Augenblicks war Köln in weiße Gischt getaucht. Weltuntergang. Dann wieder gleichmäßig niederströmender Frieden. Romanus Cüpper grinste den Rest seiner Gurke an, schüttelte das Wasser aus den Haaren und ging heim. Es war der 23. Juni. Mitternacht. Der Regen wurde dichter. Schritte schürften über Treppenmarmor, unregelmäßig, aber beharrlich dem fünften Stock zustrebend. Der Urheber passierte idyllische Szenen hinter verschlossenen Türen. Blaubeleuchtete Familien vor Fernsehapparaten. Kinder, brav zu Bett gegangen, Licht aus, Küsschen, Decke übern Kopf, Nintendo. Alte Paare, einander in den Wahnsinn schnarchend. Unparteiisch nur das Treppenhaus, ein Niemandsland. - Und nun ein Jemand, der sich anschlich in der Anonymität der Nacht. Der Jemand blieb stehen und keuchte. Vor ihm eine Wohnungstür, einen Spaltbreit geöffnet. Regungslos verharrte die Gestalt, streckte dann zögernd eine Hand aus, bis die Fingerspitzen das lackierte Holz berührten, um den Kontakt gleich wieder zu verlieren. Mit kaum wahrnehmbarem Rauschen schwang die Türe weiter auf und gab den Blick frei in einen anderen Zustand der Dunkelheit, wie er nur bewohnten Räumen zu eigen ist, ein Schwarz voller Andeutungen, Körperlichkeiten und wechselnder Standorte, eine vertraute, fremde Welt. Wieder erstarrte die Gestalt. Sie schien zu überlegen. Ihr Keuchen wurde heftiger. Dann setzte sie sich langsam in Bewegung, stieß die Tür ganz auf, drang ein und verlor sich in der Lichtlosigkeit des dahinterliegenden Raumes, als hätte es sie nie gegeben. Cüpper Fast zu Hause. Tausend Gedanken führten in Cüppers Schädel ein chaotisches Dasein, während sich der Magen unbeeindruckt an die Arbeit machte, Säure produzierte, Enzyme freisetzte, Moleküle spaltete, Nährstoffe weiterleitete und den Gurkenrest im Darmsystem diskret beseitigte. Wie immer der perfekte Mord. Cüppers Kopf versuchte unterdessen, die Frau verschwinden zu lassen, mit der er die letzten sechs Jahre verbracht hatte, was sich als wesentlich schwieriger erwies. Ich sollte mich betrinken, dachte er schließlich, weil ihm partout nichts Besseres einfiel. Zählen darf nur der Alkoholgehalt. Kein Genuss! Jeder, der fernsieht oder Bücher liest, weiß, dass verlassene Männer betrunken durch die Straßen irren, was in den seltensten Fällen auf einen Brunello di Montalcino oder einen Mouton Rothschild zurückzuführen ist. Aber er wollte sich nicht betrinken. Halt die Spielregeln ein, schalt er sich. Die Sache wird dir doch wohl einen ordentlichen Suff wert sein. Also gut, betrinken. Die Tankstelle in der Riehler Straße, nah genug, um den Gedanken ernsthaft in Erwägung zu ziehen, bot für wenig Geld einen so sündhaft schlechten Weißen, dass jeder Trennungsschmerz im anschließenden Sodbrennen rückstandslos zersetzt würde. Trennungsschmerz? Pah! Nein, er hatte Wut, und die verdiente etwas anderes. Beispielsweise könnte man sich in ein Taxi setzen, die Kyffhäuserstraße ansteuern und einen Besuch im La Société abstatten, das über den Vorzug eines respektablen Weinkellers gebot. Es mochte gelingen, dem Patron die eine oder andere Flasche Bordeaux abzuschwatzen. Wozu hatte man Freunde? Dann fiel ihm ein, dass er noch einen 89er Pio Cesare im Keller hatte. Aber der würde bis morgen warten müssen. Pio Cesare schmeckte Cüpper am besten zu Geschnäbeltem. Also früh in die Stadt, auf der Apostelnstraße eine Ente kaufen, eine schöne französische Flugente mit Hals und Arsch und Innereien. Dann die ganze Ente ganz alleine fressen, ohne die Frau, um derentwegen er sich fast mit Blanc de Blanc vergiftet hätte. Doch nicht Cüpper. Bei dem Gedanken an die Ente lief ihm mehr Wasser im Mund zusammen als durch die Haare. Eine Ente, ja! Und vorher ein Salat. Mit Gurke. Schramm konnte nicht schlafen. Am Nachmittag hatte ihn der Fabrikant aus München angerufen und Konkurs vermeldet. Die siebzehn Seidenhemden könne er nun leider nicht mehr liefern. Die zehn Mäntel auch nicht, von den bestellten vierzehn Sakkos immerhin sechs, zwei davon mit kleinen Fehlern, wer sei schon perfekt?

Reihe/Serie Goldmann Allgemeine Reihe
Sprache deutsch
Maße 118 x 187 mm
Gewicht 362 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Köln; Krimis/Thriller
ISBN-10 3-442-46767-5 / 3442467675
ISBN-13 978-3-442-46767-9 / 9783442467679
Zustand Neuware
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