Tanz, Püppchen, tanz - Joy Fielding

Tanz, Püppchen, tanz

Roman

(Autor)

Buch | Softcover
448 Seiten
2007
Goldmann (Verlag)
978-3-442-46536-1 (ISBN)
9,95 inkl. MwSt
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Die packende Geschichte einer jungen Frau, die bedingungslos vertraut – und unversehens zum Spielzeug des Teufels wird.
Die Anwältin Amanda Travis ist glücklich, in ihrer neuen Heimat Florida endlich mit ihrer Vergangenheit abzuschließen. Denn in ihrer Heimatstadt Toronto hat sie ihre Mutter Gwen zurückgelassen, unter der sie zeitlebens gelitten hat. Doch eines Tages erhält Amanda einen schockierenden Anruf: Gwen hat in der Lobby eines Luxushotels einen Mann erschossen und verweigert jede Aussage. Als Amanda sich ihrer Mutter annimmt, berührt diese Ereignisse, die Amanda bislang verdrängt hatte – und vor denen sie nun nicht länger fliehen kann …

Joy Fielding, geb. 1945 in Kanada, ist heute eine in Amerika sehr bekannte Autorin. Vor ihrem literarischen Durchbruch 1991 versuchte sie sich nach dem Studium erst in der Schauspielerei. Die Autorin lebt mit ihrer Familie abwechselnd in Toronto/Kanada und Palm Beach/Florida.

Was Amanda Travis mag: die Farbe Schwarz; Spinning-Kurse in der Mittagspause im Fitness-Center in der Clematis Street in Downtown Palm Beach; ihr ganz in Wei?gehaltenes Apartment mit Meerblick in Jupiter; willf?ige Geschworene; und M?er, deren Frauen sie nicht verstehen. Was sie nicht mag: die Farbe Rosa; wenn die Temperatur hinter ihrer durchgehenden Fensterfront unter achtzehn Grad f?t; Mandanten, die ihren Rat nicht befolgen; die Farbe Grau; beim Betreten eines Lokals ihren Ausweis vorzeigen zu m?ssen; Spitznamen jedweder Art und Bedeutung. Und was sie auch nicht mag: Bissspuren. Vor allem Bissspuren, die selbst nach mehreren Tagen noch so tief und deutlich ausgepr? sind wie eine leuchtend violette T?wierung vor einem Hintergrund aus senffarbenen Bluterg?ssen; Bissspuren, die sie von den Fotos auf ihrem Verteidigertisch f?rmlich anl?eln. Amanda sch?ttelt das blonde schulterlange Haar aus ihrem schmalen Gesicht, schiebt das anst??ge Foto unter einen Block mit gelbem, liniertem Papier, nimmt einen Stift und gibt vor, etwas Wichtiges zu notieren, w?end sie in Wahrheit schreibt Zahnpasta nicht vergessen. Diese Geste richtet sich an die Geschworenen f?r den Fall, dass einer von ihnen hinguckt. Was eher unwahrscheinlich ist. Heute Morgen hat sie bereits einen von ihnen, einen Mann mittleren Alters mit roten Haaren und sch?tterer Ronald-Reagan-Frisur, dabei ertappt, wie er einged?st ist. Sie seufzt, l?t den Bleistift fallen, lehnt sich auf ihrem Stuhl zur?ck und sch?rzt ihre Lippen zu einem missbilligenden Schmollen. Nur angedeutet, gerade genug, um den Geschworenen zu zeigen, was sie von der Zeugenaussage h?. Und sie w?rde sie gern glauben machen, dass das nicht viel ist. ?Er hat rumgeschrien wegen irgendwas?, sagt die junge Frau im Zeugenstand und zupft mit einer Hand abwesend an ihrem Haar. Sie blickt zum Tisch der Verteidigung, zieht an ihren platinblonden Locken, bis der dunkle Haaransatz sichtbar wird, und wickelt sie um ihre falschen, eckigen Fingern?l. ?Er hat immer wegen irgendwas rumgeschrien.? Amanda nimmt den Bleistift wieder in ihre rechte Hand und setzt Stouffer's Tiefk?hl-Makkaroni mit K? auf ihre improvisierte Einkaufsliste. Und Orangensaft, f?t ihr noch ein, was sie mit ?bertriebenem Schn?rkel notiert, als ob sie gerade eine entscheidende juristische Einsicht gehabt h?e. Dadurch verrutscht das Foto unter dem Block, sodass ihr der fotografische Abdruck der Z?e ihres Mandaten auf der Haut der Zeugin erneut entgegenstarrt. Es sind diese Bissspuren, die ihr alles vermasseln werden. Vielleicht k?nnte sie es schaffen, die Fakten zu frisieren, die Indizien zu vernebeln und die Geschworenen mit irrelevanten Details und nicht immer begr?ndeten Zweifeln zu verwirren, aber um diese grausamen Bilder f?hrt einfach kein Weg herum. Sie werden das Schicksal ihres Mandanten besiegeln und ihre eigene perfekte Bilanz besch?gen. Wie ein Fleck auf ansonsten makelloser Haut werden sie von beinahe einem Jahr voller herausragender Auftritte zugunsten der Armen, Ungl?cklichen und erdr?ckend Schuldigen ablenken. ?erhaupt dieser verfluchte Derek Clemens. Musste er so verdammt durchschaubar sein? Amanda beugt sich vor und t?chelt die Hand des neben ihr sitzenden Mannes. Eine weitere Geste f?r die Geschworenen, obwohl sie sich fragt, ob irgendjemand sich davon t?chen l?t. Diese Leute gucken garantiert auch genugFernsehen, um die diversen Tricks ihrer Zunft zu kennen: die geheuchelte Emp?rung, die mitleidigen Blicke, das ungl?ige Kopfsch?tteln. Sie zieht ihre Hand zur?ck und reibt die Stelle, wo sie die Haut ihres Mandanten ber?hrt hat, unter dem Tisch mehrfach an ihrem schwarzen Leinenrock ab. Idiot, denkt sie, w?end sie aufmunternd l?elt. Nicht mal ein Qu?chen Selbstkontrolle war drin. Du musstest sie auch noch bei?n. Der Angeklagte l?elt zur?ck, zum Gl?ck mit geschlossenem Mund. Die Geschworenen werden demn?st noch mehr als genug von Derek Clemens' Z?en zu sehen bekommen. Mit seinen achtundzwanzig Jahren und der drahtigen Statur von einsf?nfundsiebzig ist Derek Clemens genauso alt und gro?wie die Frau, die ausgew?t worden ist, ihn zu vertreten. Selbst ihr Haar ist von dem gleichen zarten Blond, ihre Augenfarbe eine Variation desselben k?hlen Blaus, wobei ihre Augen dunkler und undurchsichtiger sind als seine, die blasser wirken und ins Pastellige tendieren. Unter anderen, angenehmeren Umst?en h?e man Amanda Travis und Derek Clemens f?r Geschwister halten k?nnen, vielleicht sogar f?r Zwillinge. Amanda sch?ttelt den unsch?nen Gedanken ab, wie immer froh dar?ber, ein Einzelkind zu sein. Sie dreht sich auf ihrem Stuhl um und blickte zu der langen Fensterfront auf der R?ckseite des Gerichtssaals. Drau?n ist es ein typischer Februartag in S?dflorida - der Himmel t?rkisfarben, die Luft warm, der Strand eine Versuchung. Sie unterdr?ckt den Impuls, aufzustehen, den Kopf an die get?nten Scheiben zu lehnen und ?ber den Intercoastal Waterway hinweg auf den Ozean zu blicken. Nur in Palm Beach konnte es der Meerblick aus einem Gerichtssaal mit der Aussicht aus dem Penthouse eines Top-Hotels aufnehmen. Perverserweise sitzt Amanda lieber hier im Gerichtssaal 5C des Palm Beach County Court House neben irgendeinem asozialen Abschaum, der der K?rperverletzung sowie der massiven Bedrohung und sexuellen N?tigung seiner bei ihm lebenden Freundin beschuldigt wird, als neben einem zu leicht bekleideten, ?berf?tterten Schneevogel auf dem k?hlen Sand in der Sonne zu liegen. Ein paar Minuten auf dem R?cken, die nackten F?? von der Brandung umsp?lt, reichen Amanda Travis meistens, bis sie sich wieder nach dem hei?n Pflaster des B?rgersteigs sehnt. ?Ich w?rde die Ereignisse vom Vormittag des 16. August gern noch einmal Schritt f?r Schritt durchgehen, Miss Fletcher?, sagt der stellvertretenden Distriktstaatsanwalt, und seine tiefe Baritonstimme lenkt Amandas Aufmerksamkeit so unverz?glich auf die Geschehnisse im Gerichtssaal zur?ck wie das verf?hrerische Seufzen eines Geliebten. Caroline Fletcher nickt und spielt weiter an ihren zu stark gebleichten Haaren herum, w?end ihr chirurgisch vergr??rter Busen die Kn?pfe ihrer l?erlich konservativen blauen Bluse zu sprengen droht. Es hilft dem Angeklagten, dass die Frau, die verletzt und gedem?tigt zu haben man ihn beschuldigt, aussieht wie eine Stripperin, obwohl sie tats?lich in einem Fris?rsalon arbeitet. Amanda l?elt in dem Wissen, dass das weniger wichtig ist als das proji- zierte Bild. Vor Gericht wie in so vielen anderen Bereichen des Lebens z?t die Erscheinung weit mehr als die Substanz. Es ist schlie?ich der Anschein von Gerechtigkeit, nicht Gerechtigkeit an sich, den es zu verwirklichen gilt. ?Der 16. August?? Die Frau schiebt mit der Zunge das Kaugummi, auf dem sie seit Beginn ihrer Zeugenaussage kaut, auf die Seite. ?Der Tag des Angriffs?, erinnert der Ankl?r sie, geht auf den Zeugenstand zu und baut sich vor seiner Starzeugin auf. Tyrone King ist knapp einsachtzig gro? mit schokoladenbrauner Haut und rasiertem Sch?l. Als Amanda vor gut einem Jahr in die Kanzlei von Beatty und Rowe eingetreten ist, drangen Ger?chte an ihr Ohr, der attraktive stellvertretende Distriktstaatsanwalt w? ein Neffe von Martin Luther King, aber als sie ihn danach fragte, erwiderte er lachend, dass man allen Schwarzen mit dem Nachnamen King nachsagte, mit dem ermordeten B?rgerrechtler verwandt zu sein. ?Sie haben ausgesagt, dass der Angeklagte schlecht gelaunt von der Arbeit nach Hause gekommen ist.??Er war immer schlecht gelaunt.?Amanda steht halb von ihrem Stuhl auf und erhebt Einspruch gegen diese Verallgemeinerung. Dem Einspruch wird stattgegeben. Die Zeugin zupft fester an ihren Haaren.?Wie hat sich diese Laune manifestiert??Die Zeugin sieht ihn verwirrt an.?Ist er laut geworden? Hat er gebr?llt???Sein Boss hat ihn angebr?llt, also hat er zu Hause mich angebr?llt.??Einspruch.??Stattgegeben.??Warum hat er gebr?llt??Die Zeugin verdreht die Augen zu der hohen Decke. ?Er hat gesagt, es w?rde aussehen wie in einem Saustall und dass nie was zu essen im Haus w? und dass er die Schnauze voll h?e, nach der Nachtschicht in eine unaufger?te Wohnung zu kommen, in der es kein Fr?hst?ck gibt.??Und was haben Sie gemacht???Ich habe gesagt, ich h?e keine Zeit, mir seine Beschwerden anzuh?ren, weil ich zur Arbeit musste. Und dann sagte er, dass es ?berhaupt nicht in Frage k?, dass ich ausgehen und ihn den ganzen Tag mit dem Baby allein lassen w?rde, weil er seinen Schlaf brauchte, und ich hab ihm gesagt, dass ich das Baby ja wohl schlecht mit in den Fris?rsalon nehmen k?nnte und immer so weiter.??K?nnen Sie uns sagen, was genau passiert ist?? Die Zeugin zuckt die Achseln und schiebt das Kaugummi mit der Zunge nerv?s von einer Wange zur anderen. ?Genau wei?ich es nicht mehr.? ?So genau, wie Sie sich erinnern k?nnen.? ?Wir haben angefangen, uns anzuschreien. Er sagte, ich w?rde nichts in der Wohnung tun und den ganzen Tag blo?auf meinem knochigen Arsch rumsitzen, und wenn ich schon nicht kochen oder sauber machen w?rde, k?nnte ich wenigstens auf die Knie gehen und ihm einen Caroline Fletcher bricht ab, strafft die Schulter und sieht die Geschworenen flehend an. ?Sie wissen schon.? ?Er hat Oralsex von Ihnen verlangt?? Die Zeugin nickt. ?Daf?r sind sie ja nie zu m?de.? Die sieben Frauen in der Jury glucksen wissend, genau wie Amanda, die hinter vorgehaltener Hand ebenfalls l?elt und beschlie?, auf einen Einspruch zu verzichten. ?Was ist dann passiert??, fragt der Ankl?r. ?Er hat mich Richtung Schlafzimmer gezerrt. Ich hab immer wieder nein gesagt, ich h?e keine Zeit, doch er hat nicht zugeh?rt. Dann ist mir ein Film wieder eingefallen, den ich im Fernsehen gesehen habe, mit Jennifer Lopez, glaube ich, aber ich wei?nicht mehr so genau, jedenfalls hat dieser Typ sie angegriffen, und sie hat gemerkt, je mehr sie sich gewehrt hat, umso geiler wurde er und umso schlimmer wurde es f?r sie, also hat sie aufgeh?rt, sich zu wehren, was ihn irgendwie aus der Fassung gebracht hat, und sie konnte fliehen. Ich dachte, das probier ich auch.? ?Sie haben aufgeh?rt, sich zu wehren?? Wieder nickt Caroline Fletcher. ?Ich hab mich ganz schlaff gestellt, so als w?rde ich nachgeben, und als wir an der Schlafzimmert?r waren, habe ich ihn weggeschubst, bin ins Zimmer gerannt und hab abgeschlossen.? ?Und was hat Derek Clemens dann getan?? ?Er war total w?tend. Er hat gegen die T?r geh?ertund gebr?llt, er w?rde mich platt machen?, erl?ert Caroline Fletcher.?Und wie haben Sie das interpretiert???Ich dachte, dass er mich platt machen w?rde?, erkl?e Caroline Fletcher.Amanda blickt die Geschworenen direkt an. Diesen Ausbruch, sagen ihre Augen, kann man doch gewiss nicht als ernsthafte Morddrohung betrachten. Sie nimmt ihren Bleistift und f?gt ihrer Einkaufsliste den Posten Weizenkleie hinzu.?Fahren Sie fort, Miss Fletcher.??Also, er h?erte gegen die T?r und br?llte rum. Und nat?rlich ist Tiffany aufgewacht und hat angefangen zu weinen.??Tiffany???Unsere Tochter. Sie ist f?nfzehn Monate alt.??Wo war Tiffany denn die ganze Zeit???In ihrem Kinderbett im Wohnzimmer. Dort haben wir es hingestellt, weil die Wohnung nur ein Schlafzimmer hat, und Derek sagt, dass er seine Ruhe braucht.??Sein Gebr?ll hat also das Baby geweckt.??Sein Gebr?ll hat das ganze Haus geweckt.??Einspruch.??Stattgegeben.??Und was dann???Also, mir wurde klar, wenn ich die T?r nicht aufmache, tritt er sie einfach ein, also hab ich ihm gesagt, dass ich aufmachen w?rde, aber nur wenn er verspricht, sich vorher zu beruhigen. Er hat es versprochen, und dann war es bis auf das Weinen des Babys ganz still, also hab ich die T?r aufgemacht, und ehe ich wusste, wie mir geschah, war er ?ber mir, hat mich geschlagen und an meinem Kleid gerissen.??Ist dies das Kleid?? Mit zwei Schritten steht der stellvertretende Distriktsstaatsanwalt vor dem Tisch der Anklage,wo er ein formloses graues Jerseykleid in die Hand nimmt, das erkennbar schon bessere Tage gesehen hat. Er zeigt es der Zeugin, bevor er es den Geschworenen zur Begutachtung pr?ntiert. ?Ja, das ist es.? Amanda lehnt sich auf ihrem Stuhl zur?ck, um ihre Sorglosigkeit zu bekunden. Sie hofft, dass die Geschworenen von den beiden winzigen Rissen unten an beiden Seitens?en ebenso wenig beeindruckt sind wie sie selbst; Risse, die Caroline Fletcher ebenso gut selbst verursacht haben k?nnte, als sie sich das Kleid ?ber die H?ften zog, wie Derek Clemens, als er es nach oben zerrte. ?Was geschah, nachdem er Ihr Kleid zerrissen hatte?? ?Er hat mich aufs Bett geworfen und mich gebissen.? Wie durch Zauberei tauchen die inkriminierenden Fotos in der Hand des stellvertretenden Distriktsstaatsanwalts auf. Sie werden rasch als Beweismittel zu Protokoll genommen und unter den Geschworenen verteilt. Amanda beobachtet sie, w?end sie den Abdruck von Derek Clemens' Z?en auf Caroline Fletchers R?cken betrachten, sieht den Ekel ?ber ihre Mienen huschen wie den Widerschein der Flammen an einem Lagerfeuer, w?end sie sich bem?hen, den Anschein von Unparteilichkeit zu wahren. Die Jury ist wie immer ein bunt zusammengew?rfelter Haufen - ein alter j?discher Rentner sitzt eingeklemmt zwischen zwei schwarzen Frauen mittleren Alters, ein glatt rasierter Lateinamerikaner mit Anzug und Krawatte neben einem jungen Mann mit Pferdeschwanz, Jeans und T-Shirt, eine schwarze Frau mit wei?n Haaren hinter einer wei?n Frau mit schwarzen Haaren; Korpulente und Schlanke, Beflissene und Blasierte. Und alle haben eins gemeinsam - die Verachtung in ihrem Blick, als sie von den Fotos zu dem Angeklagten schauen. ?Was geschah, nachdem er Sie gebissen hat??Caroline Fletcher blickt z?gernd auf ihre F??. ?Er hat mich auf den R?cken gedreht und Sex mit mir gehabt.??Er hat Sie vergewaltigt??, formuliert der Ankl?r ihre Antwort sorgf?ig um.?Jawohl. Er hat mich vergewaltigt.??Er hat Sie vergewaltigt?, wiederholt Tyrone King. ?Und was dann???Als er fertig war, hab ich im Salon angerufen und gesagt, dass ich ein bisschen sp?r kommen w?rde, und er hat mir das Telefon aus der Hand gerissen und es mir an den Kopf geworfen.?Was zum Anklagepunkt des Angriffs mit einer t?dlichen Waffe gef?hrt hat, denkt Amanda und schreibt eine ernst gemeinte Frage unter ihre Einkaufsliste. Sie haben den Salon angerufen und nicht die Polizei??Er hat Ihnen das Telefon an den Kopf geworden??, wiederholt der Ankl?r in einer Art, die schnell zur erm?denden Marotte wird.?Ja. Es hat mich seitlich am Kopf getroffen und ist dann auf den Boden gefallen und zerbrochen.??Was geschah danach???Ich habe mich umgezogen und bin zur Arbeit gegangen. Er hat mir das Kleid zerrissen?, erinnert sie die Geschworenen. ?Also musste ich mich umziehen.??Und haben Sie die Vorf?e der Polizei gemeldet???Jawohl.??Wann war das???Ein paar Tage sp?r. Er fing wieder an, mich zu schlagen, und ich hab ihm gesagt, wenn er nicht aufh?ren w?rde, w?rde ich zur Polizei gehen, und er hat nicht aufgeh?rt, also habe ich es getan.??Was haben Sie der Polizei erz?t??Caroline Fletcher wirkt verwirrt. ?Na, was der Beamte Ihnen schon erz?t hat.? Sie meint Sergeant Dan Peterson,den Zeugen vor ihr, einen Mann, der derartig kurzsichtig ist, dass sein Gesicht beinahe w?end der gesamten Zeugenaussage buchst?ich in seinen Notizen verschwunden war. ?Sie haben ihm von der Vergewaltigung berichtet?? ?Ich hab ihm erz?t, dass Derek und ich gestritten haben, dass Derek mich immer schl? und so, und dann hat er ein paar Fotos gemacht.? Tyrone King hebt seine langen, eleganten Finger und bedeutet seiner Zeugin, eine Pause zu machen, in der er etliche weitere Fotos findet, die er Caroline Fletcher zeigt. ?Sind das die Fotos, die der Polizeibeamte gemacht hat?? Caroline verzieht das Gesicht, als sie die verschiedenen Bilder betrachtet. Ziemlich ?berzeugend, denkt Amanda und fragt sich, ob ihre Aussage einstudiert ist. Haben Sie keine Angst, Gef?hle zu zeigen, kann sie Tyrone King mit seinem verf?hrerischen Bariton f?rmlich fl?stern h?ren. Die Sympathie der Geschworenen ist entscheidend. Amanda blickt in ihren Scho?und versucht, die Fotos mit den Augen eines Geschworenen zu sehen. Nichts allzu Vernichtendes. Ein paar Kratzer auf der Wange der Frau, die auch die tastenden Finger ihrer kleinen Tochter hinterlassen haben k?nnten, ein kleine rote Stelle an ihrem Kinn, ein verblassender violetter Fleck am Oberarm, den man sich bei allem M?glichen h?e zuziehen k?nnen. Kaum der Stoff f?r eine schwere K?rperverletzung. Nichts, was ihren Mandanten direkt belastet. ?Und dann hab ich ihm erz?t, dass Derek mich gebissen hat?, f?t Caroline unaufgefordert fort. ?Und er hat Fotos von meinem R?cken gemacht und mich gefragt, ob Derek mich auch sexuell gen?tigt h?e, und ich habe gesagt, ich w?sste nicht so genau.? ?Sie wussten nicht so genau?? ?Nun, wir waren seit drei Jahren zusammen. Wir hatten ein Baby. Ich war mir ?ber meine Rechte nicht im Klaren, bis Sergeant Peterson sie mir erkl? hat.? ?Und dann haben Sie beschlossen, Anzeige gegen Derek Clemens zu erstatten?? ?Ja. Ich habe also Anzeige erstattet, und die Polizei hat mich nach Hause gefahren, und dann haben sie Derek verhaftet.? Ein Telefonklingeln unterbricht die nat?rliche Ger?chkulisse im Raum. Eine Melodie ert?nt. Camptown ladies sing dis song - Doodah! Doodah. Und dann noch einmal. Camptown ladies sing dis song? Amanda blickt zu der Handtasche neben ihren F??n. Sie hat ihr Handy doch bestimmt nicht angelassen, hofft sie, greift jedoch wie mehrere Frauen aus der Jury dann doch in ihre Handtasche. Der Lateinamerikaner klopft sein Jackett ab. Der Staatsanwalt sieht vorwurfsvoll seine Assistentin an, aber sie rei? die Augen kopfsch?ttelnd auf, als wollte sie sagen: ich nicht. ?Oh mein Gott?, ruft die Zeugin pl?tzlich, und alle Farbe weicht aus ihrem ohnehin blassen Gesicht, als sie einen riesigen Leinenbeutel vom Boden aufhebt und darin herumkramt, w?end die Melodie immer lauter und aufdringlicher wird. Camptown ladies sing dis song? ?Tut mir Leid?, entschuldigt sie sich bei dem Richter, der sie ?ber die Metallfassung einer Lesebrille hinweg tadelnd ansieht, w?end sie ihr Handy abschaltet und wieder in ihre Tasche wirft. ?Ich hab den Leuten gesagt, sie sollen mich nicht anrufen?, entschuldigt sie sich. ?Lassen Sie Ihr Telefon heute Nachmittag bitte zu Hause?, erkl? der Richter knapp und nutzt die Gelegenheit, die Sitzung f?r die Mittagspause zu unterbrechen. ?Und Ihr Kaugummi auch?, f?gt er noch hinzu, bevor er alle Anwesenden auffordert, sich um vierzehn Uhr wieder einzufinden. ?Und wo gehen wir essen??, fragt Derek Clemens l?ig und streift beim Aufstehen Amandas Arm. ?Ich esse mittags nicht.? Amanda sammelt ihre Unterlagen ein und verstaut sie in ihrem Aktenkoffer. ?Ich schlage vor, Sie holen sich in der Cafeteria was zu bei?n.? Sofort bereut sie ihre Wortwahl. ?Ich treffe Sie in einer Stunde wieder hier.? ?Wohin gehen Sie??, h?rt sie ihn fragen, ist jedoch schon auf halbem Weg den Mittelgang des Gerichtssaals hinunter. Als sie die Halle betritt und auf die Fahrst?hle auf der rechten Seite zusteuert, h?rt sie wie von ferne das Tosen des Ozeans. Ein Fahrstuhl ?ffnet sich in dem Moment, als sie zur T?r kommt, was sie als gutes Omen nimmt. Sie betritt die Kabine und blickt auf die Uhr. Wenn sie sich beeilt, kommt sie gerade noch rechtzeitig zum Beginn des Spin- ning-Kurses in ihrem Fitness-Studio. W?end sie die Olive Street bis zur Clematis Street hinuntereilt, h?rt sie die Mailbox ihres Handys ab. Sie hat drei Nachrichten. Zwei stammen von Janet Berg, die in der Wohnung direkt unter ihr lebt und mit deren Ehemann Amanda vor einigen Monaten eine kurze und nicht weiter bemerkenswerte Aff? hatte. Ist es m?glich, dass Janet davon erfahren hat? Amanda l?scht rasch beide Nachrichten und h?rt sich die dritte an, die zum Gl?ck von ihrer Sekret?n Kelly Jamieson ist. Amanda hat die gnadenlos muntere junge Frau mit den stacheligen roten Haaren von ihrer Vorg?erin bei Beatty und Rowe geerbt, einer Frau, die offenbar entt?cht davon, ?berarbeitetes und unterbezahltes Mitglied einer der am meisten besch?igten Kanzleien in der Stadt zu sein, es vorgezogen hatte, die Vorzeigeehefrau eines alternden Schweren?ters zu werden. Dagegen ist nichts einzuwenden, denkt Amanda, als sie sich der Kreuzung Olive und Clematis Street n?rt. Sie findet den Berufszweig Vorzeigeehefrau durchaus ehrenhaft. Schlie?ich war sie selbst mal eine. Sie ruft im B?ro an und f?t an zu reden, bevor ihre Sekret?n Hallo sagen kann. ?Was gibt's, Kelly?? Sie ?berquert die Stra?, w?end die Ampel von Dunkelgelb auf Rot umspringt. ?Gerald Rayner hat angerufen, um zu fragen, ob Sie einer weiteren Verschiebung im Fall Buford zustimmen; Naxine Fisher m?chte wissen, ob Sie am Mittwoch um elf statt am Donnerstag um zehn kommen k?nnen; Ellie hat angerufen, um Sie an das Mittagessen morgen zu erinnern; Ron sagt, er br?hte sie bei einem Termin am Freitag; und ein Ben Myers aus Toronto hat angerufen. Er m?chte, dass Sie ihn zur?ckrufen; er sagt, es sei dringend. Er hat seine Nummer hinterlassen.? Amanda bleibt wie angewurzelt mitten auf der Stra? stehen. ?Was haben Sie gesagt?? ?Ben Myers aus Toronto hat angerufen?, wiederholt ihre Sekret?n. ?Sie stammen doch aus Toronto, oder?? Amanda leckt frische Schwei?erlen von ihrer Oberlippe. Ein Auto hupt, kurz danach ein weiteres. Amanda versucht, einen Fu?vor den anderen zu setzen, aber erst als sie mehrere Wagen ungeduldig auf sich zurollen sieht, setzen sich ihre Beine widerwillig in Bewegung. P?ppchen!, h?rt sie ferne Stimmen rufen, w?end sie sich durch den flie?nden Verkehr einen Weg auf die andere Stra?nseite bahnt. ?Amanda? Amanda, sind Sie noch da?? ?Ich melde mich sp?r.? Amanda schaltet das Handy aus und l?t es wieder in ihre Handtasche fallen. Mehrere Sekunden steht sie keuchend auf dem B?rgersteig, als wollte sie jeden Hauch der Vergangenheit ausatmen. Bis sie den verglasten Eingang des Fitness-Studios erreicht hat, ist es ihr fast gelungen, das Gespr? mit ihrer Sekret?n wieder aus ihren Gedanken zu radieren. Noch etwas, was Amanda Travis nicht mag: Erinnerungen.Als Amanda sich umgezogen, ihre Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre Turnschuhe geschn?rt hat, ist der Spinning-Kurs bereits voll im Gange, und alle R?r sind besetzt. ?Verdammt?, murmelt sie, schl? mit der flachen Hand auf ihre schwarze Lycra-Hose und stellt erstaunt fest, dass sie den Tr?n gef?lich nahe ist. Das Studio sollte wirklich mehr R?r anschaffen, denkt sie, weil acht f?r einen derart beliebten Kurs wohl kaum ausreichen. Sie spielt kurz mit dem Gedanken, eine andere Frau vom Sattel zu schubsen, wobei sie sich zwischen einem muskul?sen Teenager in der ersten Reihe und einer atemlosen Frau Mitte f?nfzig, die sich weiter hinten abstrampelt, zu entscheiden versucht. Ihre Wahl f?t auf Letztere, da es ihrerseits wahrscheinlich ein Akt der Gnade w?, sie von ihrem Platz zu vertreiben. Die arme Frau kriegt noch einen Herzinfarkt, wenn sie nicht aufpasst. Wei?sie nicht, dass Spinning-Kurse f?r diejenigen sind, die sie eigentlich gar nicht n?tig haben? Amanda steht eine Weile unschl?ssig in der T?r und beobachtet voller Neid den Kurs, w?end sie hofft, dass eine der Teilnehmerinnen die Verzweiflung in ihrem Blick lesen und ihr ihren Platz abtreten wird. Versteht denn niemand, dass sie nur begrenzt Zeit hat? Dass sie im Gegensatz zu den meisten anderen hier einen richtigen Job hat, zu dem sie zur?ckkehren muss, dass sie in etwas mehr als einer Stunde wieder vor Gericht erwartet wird und diese f?nfundvierzig Minuten qu?nden Strampelns braucht, um ein wenig von dem am Vormittag angestauten Dampf abzulassen und ihre Kr?e f?r den Nachmittag zu sammeln? ?Okay, alle miteinander Popo hoch?, bellt der m?liche Trainer ?ber das ununterbrochene Wummern der Rockmusik hinweg. Die Frauen, denen der Schwei?schon in die glasigen Augen und offenen M?nder tropft, heben unverz?glich ihr Hinterteil in die H?he und strampeln schneller und h?er und schneller und h?er, um mit dem Vorturner mitzuhalten, w?end Blondie aus den Lautsprechern pl?t. Die Erinnerung an das Gespr? mit ihrer Sekret?n schleicht sich erneut von hinten an und fl?stert in Amandas Ohr. Und ein Ben Myers aus Toronto hat angerufen, sagt ihre Sekret?n. Er m?chte, dass Sie ihn zur?ckrufen. Er sagt, es sei dringend. Eilig flieht Amanda in den gro?n Raum des Studios, st?rzt sich auf das erste unbesetzte Laufband vor den Fenstern mit Blick auf die unten liegende Stra? und beschleunigt das Tempo, bis sie rennt. Drei Fernseher blicken strategisch platziert auf sie herab, ohne Ton, aber den Nahaufnahmen kann man sich nicht entziehen, und am unteren Bildrand laufen ununterbrochen die neuesten Nachrichten. Amanda sp?rt hinter ihren Augen den Ansatz von Kopfschmerzen und wendet den Blick ab, als der Nachrichtensprecher gerade eine wichtige aktuelle Entwicklung aus dem Nahen Osten vermeldet. Er sagt, es sei dringend. ?Das sollten Sie nicht tun?, sagt ein Mann und bleibt neben ihr stehen. Amanda sp?rt seinen warmen Atem auf ihrem nackten Arm. ?Was sollte ich nicht tun??, fragt sie, ohne ihn anzusehen. Seine Stimme klingt unbekannt, und sie versucht, sich vorzustellen, wie er aussieht. Um die drei?g, entscheidet sie.Dunkle Haare, braune Augen, muskul?se Arme, kr?ige Schenkel. ?Wenn Sie die Neigung so steil einstellen, riskieren Sie eine Verletzung. Ich spreche aus Erfahrung?, f?gt er hinzu, als sie seine Warnung ignoriert. ?Ich habe mir im letzten Jahr den Adduktor gerissen. Hat alles in allem ein halbes Jahr gedauert.? Ohne ihre Schritte zu verlangsamen, blickt Amanda in seine Richtung und ist zufrieden, dass er ziemlich genauso aussieht, wie sie ihn sich vorgestellt hat, au?r dass er wahrscheinlich eher vierzig als drei?g ist und keine braunen, sondern gr?ne Augen hat; auf eine ?bertrieben gepflegte Art attraktiv, nie allzu weit von seinem F?hn entfernt. Sie hat ihn schon ?fter gesehen und wei? dass sie ihm nicht zum ersten Mal auff?t. Sie dr?ckt auf einen Knopf und sp?rt, wie der Aufstieg unter ihren F??n weniger steil wird. ?So besser?? ?Am besten w? es ehrlich gesagt, wenn Sie ganz ohne Steigung laufen w?rden. Sie laufen ohnehin schon gegen Druck an. Die Steigung bedeutet nur eine zus?liche Belastung Ihrer Unterleibsmuskulatur.? ?Na, das wollen wir doch nicht.? Amanda reduziert die Steigung auf null. ?Vielen Dank?, sagt sie und fragt sich, wie lange der Mann braucht, um sich vorzustellen. ?Carter Reese?, sagt er, bevor sie den Gedanken zu Ende gedacht hat. ?Amanda Travis.? Sie verschlingt ihn mit einem Blick, w?end er auf das Laufband neben sie steigt: die breiten Schultern, die muskul?sen Beine, der dicke Hals. Hat im College wahrscheinlich Football gespielt. Jetzt spielt er Golf und geht ins Fitness-Studio. Bestimmt ein Investment-Berater. Frisch geschieden oder seit kurzem getrennt. Dem fehlenden Ehering nach zu urteilen. Mehrere Kinder. Kein Interesse an etwas Ernstem. Sie gibt ihm drei Minuten, biser vorschl?, dass man sich sp?r noch auf einen Drink treffen k?nnte.?Nennen die Leute Sie Mandy???Nie.??Okay, dann also Amanda. Kommen Sie oft hierher??, fragt er nur halb im Scherz.Amanda l?elt. Sie mag M?er, die sich im Klischee zu Hause f?hlen. ?So oft ich kann.??Normalerweise sehe ich Sie auf einem dieser verr?ckten Fahrr?r.??Leider bin ich heute ein bisschen zu sp?gekommen. Sie waren alle besetzt.??Wohnen Sie in der N????Ich wohne in Jupiter. Und Sie???In West Palm. Erz?en Sie mir nicht, dass Sie den weiten Weg von Jupiter bis hierher gemacht haben, nur um zu trainieren.??Nein. Ich bin von der Arbeit gekommen.??Was arbeiten Sie denn???Ich bin Anw?in.??Wirklich? Ich bin beeindruckt.?Amanda l?elt. ?Ach wirklich?? Sie fragt sich, ob er sich ?ber sie lustig macht.?Anw?innen mit tollen Beinen beeindrucken mich?, redet er weiter.Amandas L?eln erstarrt. Sie h?e es wissen m?ssen. Zwei Minuten, denkt sie.?Und Sie???Ich bin Investment-Berater.??Jetzt bin ich diejenige, die beeindruckt ist?, erkl? sie, gratuliert sich insgeheim zu ihrer intuitiven Menschenkenntnis und hofft, dass sie sich nicht allzu unaufrichtig anh?rt.

Reihe/Serie Goldmann Taschenbücher
Platinum Edition
Übersetzer Kristian Lutze
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Puppet
Maße 118 x 187 mm
Gewicht 370 g
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Fielding • Florida • Florida; Krimis/Thriller • Krimis/Thriller • Mutter • Mutter-Tochter-Beziehung; Krimis/Thriller • spiegel bestseller • Thriller • Toronto • Toronto; Krimis/Thriller
ISBN-10 3-442-46536-2 / 3442465362
ISBN-13 978-3-442-46536-1 / 9783442465361
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