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Feuermönche - SIGMA Force - James Rollins

Feuermönche - SIGMA Force

Roman

(Autor)

Buch | Softcover
544 Seiten
2007
Blanvalet (Verlag)
978-3-442-36738-2 (ISBN)
8,95 inkl. MwSt
zur Neuauflage
  • Titel erscheint in neuer Auflage
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Zu diesem Artikel existiert eine Nachauflage
James Bond war gestern … Die Zukunft gehört Grayson Pierce, dem unnachahmlich smarten und charismatischen Top-Agenten der SIGMA Force!
Das schreckliche Ende einer Mitternachtsmesse im Kölner Dom: Ein verheerender, von mysteriösen Mönchen verübter Feueranschlag fordert die Leben von unzähligen Gläubigen! Doch nicht ihr Tod war das Ziel der skrupellosen Attentäter, sondern die Reliquie im Hochaltar – die sagenumwobenen Gebeine der Heiligen Drei Könige. Denn wer immer sie in Händen hält, besitzt den Schlüssel zu einer neuen Weltordnung! Alle Hoffnungen des Vatikans ruhen nun auf dem genialen Geheimagenten Grayson Pierce von der SIGMA Force: Er allein kann der drohenden Apokalypse in buchstäblich letzter Sekunde Einhalt gebieten …

James Rollins, geb. 1961 in Chicago, ist promovierter Veterinärmediziner und hat eine Tierarztpraxis in Sacramento, Kalifornien. Dort geht er auch seinen beiden neben dem Schreiben wichtigsten Leidenschaften nach: Höhlenforschung und Tauchen.

Norbert Stöbe, geboren 1953 in Troisdorf, begann schon als Chemiestudent zu schreiben. Neben seiner Tätigkeit als Chemiker am Institut Textilchemie und Makromolekulare Chemie der RWTH Aachen begann er zudem als Übersetzer zu arbeiten. Norbert Stöbe ist einer der bekanntesten deutschen Science-Fiction-Schriftsteller. Für seine Romane wurde er bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Norbert Stöbelebt als freier Autor und Übersetzer in Stolberg-Dorff.

März 1162 Die Männer des Erzbischofs flohen in den Schatten des unteren Tals. Hinter ihnen, auf dem verschneiten Pass, wieherten Pferde, von Pfeilen durchbohrt und von Schwertern getroffen. Männer riefen, schrien, brüllten. Das Klirren der Waffen klang silberhell wie das Läuten einer Kapellenglocke. Gottgefällig aber war das alles nicht. Die Nachhut muss standhalten. Bruder Joachim umklammerte die Zügel seines Pferdes, das auf den Hinterbacken den steilen Hang hinabrutschte. Der schwer beladene Wagen war sicher am Grund des Tals angekommen. Die wahre Rettung aber lag noch ein gutes Stück weit entfernt. Wenn sie nur so weit kämen… Die Zügel in Händen trieb Joachim die stolpernde Stute zum Talboden hinunter. Er ritt durch einen vereisten Bach und riskierte einen Blick über die Schulter. Obwohl der Frühling vor der Tür stand, regierte in dieser Höhe noch der Winter. Die Berggipfel leuchteten gleißend hell im Licht der untergehenden Sonne. Der Schnee reflektierte das Licht, und von den schroffen Gipfeln wehte eine Raureiffahne. Hier in den verschneiten Schluchten aber hatte die Schneeschmelze den Waldboden in einen Morast verwandelt. Die Pferde sackten bis zu den Fesseln ein; auf Schritt und Tritt bestand Gefahr, dass sie sich die Knochen brachen. Der Wagen weiter vorn war fast bis zu den Achsen eingesunken. Joachim gab der Stute die Fersen und schloss zu den Soldaten am Wagen auf. Man hatte ein weiteres Gespann vor den Wagen gesetzt. Von hinten schoben Soldaten. Sie mussten den Weg auf dem nächsten Gebirgsgrat erreichen. »Hü-ah!«, rief der Kutscher und ließ die Peitsche knallen. Das Leitpferd warf den Kopf zurück und stemmte sich gegen das Joch. Nichts geschah. Die Ketten strafften sich, die Pferde schnauften weiße Atemwolken, die Männer fluchten zum Gotterbarmen. Langsam, ganz langsam löste sich der Wagen mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Morast. Wenigstens war er wieder in Bewegung. Jede Verzögerung mussten sie mit Blut bezahlen. Auf dem Pass, der hinter ihnen lag, jammerten die Verwundeten. Die Nachhut muss noch ein Weilchen standhalten. Der Wagen blieb in Bewegung und gewann langsam an Höhe. Die drei großen, steinernen Sarkophage auf der Ladefläche drückten gegen die Befestigungsstricke. Wenn auch nur einer riss… Bruder Joachim hatte den schwankenden Wagen erreicht. Sein Ordensbruder Franz ritt an seine Seite. »Vor uns ist der Weg anscheinend frei.« »Die Reliquien dürfen nicht nach Rom zurückgebracht werden. Wir müssen die deutsche Grenze erreichen.« Franz nickte. Auf italienischem Boden waren die Reliquien jetzt, da der wahre Papst nach Frankreich geflohen war und in Rom der falsche Papst residierte, nicht mehr sicher. Der Wagen gewann nun rascher an Höhe, die Pferde fanden mit jedem Schritt besser Halt. Gleichwohl kamen sie nur im Schritttempo voran. Joachim beobachtete über den Hals der Stute hinweg unverwandt den Kamm. Der Kampfeslärm hatte Stöhnen und Schluchzen Platz gemacht, das unheimlich durchs Tal hallte. Das Klirren der Schwerter hatte vollständig aufgehört, was darauf schließen ließ, dass die Nachhut überwältigt worden war. Joachim kniff die Augen zusammen, doch die Höhe war in tiefen Schatten gehüllt. Dann bemerkte er einen metallischen Reflex. In einem sonnigen Flecken tauchte eine einzelne Gestalt mit funkelnder Rüstung auf. Das rote Drachenzeichen auf dem Brustpanzer des Mannes sah er nicht, so dass er den Leutnant des falschen Papstes nicht erkannte. Der heidnische Sarazene hatte den christlichen Namen Fierabras angenommen, nach einem der Paladine Karls des Großen. Seine Männer überragte er um einen ganzen Kopf. Ein wahrer Hüne. An seinen Händen klebte mehr Christenblut als an denen jedes anderen Mannes. In diesem Jahr war der Sarazene jedoch getauft worden, und nun diente er Kardinal Oktavian, dem falschen Papst, der den Namen Viktor IV. angenommen hatte. Fierabras stand in der kleinen Sonneninsel und machte keine Anstalten, ihnen nachzusetzen. Der Sarazene wusste, dass es zu spät war. Der Wagen hatte endlich den Kamm und den viel befahrenen, trockenen Passweg erreicht. Von jetzt an würden sie besser vorankommen. Nicht mehr weit, und sie befänden sich auf deutschem Boden. Der Hinterhalt des Sarazenen war gescheitert. Plötzlich fiel Joachim eine Bewegung ins Auge. Fierabras nahm einen großen Bogen von der Schulter, der so schwarz war wie der Schatten. Langsam legte er einen Pfeil an, dann beugte er sich zurück und spannte die Sehne. Joachim runzelte die Stirn. Was verspricht er sich davon, einen gefiederten Pfeil abzuschießen? Die Sehne schnellte vor, und der Pfeil flog in hohem Bogen übers Tal, geriet im Sonnenschein über dem Kamm für einen Moment außer Sicht. Joachim suchte angestrengt den Himmel ab. Dann stieß der Pfeil so lautlos wie ein jagender Falke herab und traf den mittleren Sarkophag. Der Deckel des Sarkophags zersprang mit einen donnernden Geräusch. Als das Behältnis barst, rissen mehrere Stricke. Alle drei Sarkophage rutschten auf der Ladefläche nach hinten. Männer rannten vor und versuchten zu verhindern, dass die Steinsarkophage herunterfielen. Hände wurden ausgestreckt. Der Wagen hielt an. Einer der Sarkophage rutschte zu weit nach hinten. Er stürzte herab und begrub einen Soldaten unter sich, brach ihm ein Bein und das Becken. Die Schreie des bedauernswerten Opfers erfüllten die Luft. Franz eilte herbei und sprang aus dem Sattel. Zusammen mit den anderen Männern versuchte er, den steinernen Sarkophag von dem Soldaten herunterzuheben… und, was noch wichtiger war, ihn wieder auf den Wagen zu wuchten. Der Sarkophag wurde angehoben und der Mann darunter hervorgezogen, doch die Totenlade war zu schwer, um sie wieder auf die Ladefläche zu heben. »Stricke!«, rief Franz. »Wir brauchen Stricke!« Einer der Männer rutschte aus. Der Sarkophag fiel abermals herab, diesmal auf die Seite, und der Deckel sprang auf. Hinter ihnen auf dem Pfad war Hufgetrappel zu vernehmen, das schnell näher kam. Joachim drehte sich um, wohl wissend, was ihn erwartete. Schäumende Pferde, die in der Sonne glänzten, setzten ihnen nach. Obwohl sie noch dreioder vierhundert Meter entfernt waren, war doch zu erkennen, dass die Reiter schwarz gekleidet waren. Soldaten des Sarazenen. Ein zweiter Hinterhalt. Joachim verharrte reglos auf dem Pferd. Es gab kein Entkommen. Franz atmete keuchend – nicht wegen ihrer verzweifelten Lage, sondern ob des Inhalts des Sarkophags. Oder vielmehr ob dessen Fehlen. »Leer!«, rief der junge Bruder. »Der Sarkophag ist leer.« Der Schock trieb Franz wieder auf die Beine. Er kletterte auf die Ladefläche und blickte in den Sarkophag, dessen Deckel der Pfeil des Sarazenen gesprengt hatte. »Wieder nichts«, sagte Franz und sank auf die Knie. »Wo sind die Reliquien? Warum ist das Ding leer?« Der junge Bruder suchte Joachims Blick, fand darin aber keine Überraschung. »Du hast Bescheid gewusst.« Joachim blickte starr den heranstürmenden Pferden entgegen. Das ganze Unternehmen war eine List gewesen, dazu gedacht, die Männer des falschen Papstes abzulenken. Der wahre Kurier war schon vor Tagen mit einem Maultiergespann aufgebrochen. Die echten Reliquien waren in grob gewebten Stoff eingeschlagen und in einem Bündel Heu versteckt. Joachim fixierte über das Tal hinweg Fierabras. Der Sarazene würde seinen Blutdurst heute stillen, doch der falsche Papst würde die Reliquien nicht bekommen. Niemals. Gegenwart 22. Juli, 23:46 Köln, Deutschland Kurz vor Mitternacht reichte Jason seinen iPod Mandy. »Hör mal. Das ist die neue Single von Godsmack. Ist noch nicht mal in den Staaten veröffentlicht. Cool, findest du nicht?« Ihre Reaktion fiel enttäuschend aus. Mandy zuckte gleichgültig mit den Schultern, nahm die Ohrhörer aber gleichwohl entgegen. Sie streifte sich die pink gefärbten Spitzen ihres schwarzen Haars zurück und stopfte sich die Hörer in die Ohren. Dabei öffnete sich ihre Jacke, und er sah ihre Brüste, die sich unter dem schwarzen T-Shirt wie Äpfel abzeichneten. Jason machte große Augen. »Ich hör nichts«, sagte Mandy, seufzte genervt und musterte ihn mit hochgezogenen Brauen. Oh. Jason wandte sich wieder dem iPod zu und drückte die Play-Taste. Er lehnte sich zurück und stützte sich mit den Händen ab. Sie saßen auf dem schmalen Rasenstreifen, der den Domvorplatz einfasste. Er umgab die gotische Kathedrale, den Kölner Dom. Das imposante Bauwerk beherrschte die ganze Stadt. Jason blickte zu den beiden Türmen auf, geschmückt mit Steinfiguren und verschwenderisch verziert mit Marmorreliefs, die teils religiöse, teils weltliche Themen darstellten. Jetzt bei Nacht waren sie beleuchtet und wirkten irgendwie unheimlich, als wäre etwas Uraltes, etwas, das nicht von dieser Welt war, aus der Tiefe des Erdreichs aufgestiegen. Während sie der blechernen Musik aus dem iPod lauschten, beobachtete Jason Mandy. Sie besuchten beide das Boston College und reisten in den Sommerferien mit dem Rucksack durch Deutschland und Österreich. Begleitet wurden sie von zwei Freunden, Brenda und Karl, doch die interessierten sich mehr für die Kneipen als für die Mitternachtsmesse. Mandy hingegen war römisch-katholisch aufgewachsen. Im Dom gab es nur an einigen wenigen Ferientagen Mitternachtsmessen, die vom Erzbischof von Köln persönlich abgehalten wurden. Das galt auch für das heutige Hochamt. Mandy wollte das Ereignis auf keinen Fall versäumen. Obwohl Jason protestantisch war, hatte er eingewilligt, sie zu begleiten. Während sie darauf warteten, dass es Mitternacht wurde, wiegte Mandy den Kopf im Rhythmus der Musik. Jason gefiel es, wie ihr Pony hin- und herschwang und wie ihre Unterlippe hervortrat, während sie sich auf die Musik konzentrierte. Auf einmal spürte er eine Berührung. Mandys Arm streifte an seiner Hand. Ihr Blick blieb jedoch auf den Dom gerichtet. Jason hielt den Atem an. In den vergangenen zehn Tagen waren sie immer häufiger miteinander allein gewesen. Vor der Reise waren sie lediglich gute Bekannte gewesen. Mandy war seit der High-School Brendas beste Freundin, und Karl teilte sich mit Jason ein Zimmer im Wohnheim. Die anderen beiden, seit kurzem ein Liebespaar, hatten nicht allein reisen wollen, weil sie fürchteten, ihre unerprobte Beziehung könnte unterwegs Schaden nehmen. Dem war jedoch nicht so gewesen. Deshalb gingen Jason und Mandy häufig allein auf Besichtigungstour. Nicht dass Jason das bedauert hätte. Auf dem College studierte er Kunstgeschichte. Mandy hatte Europakunde als Hauptfach belegt. Hier gewannen die akademischen Lehrbücher Saft und Kraft, Gewicht und Substanz. Da sie beide empfänglich waren für den Reiz des Neuen, kamen sie gut miteinander aus. Jason sah ihren Arm nicht an, schob die Finger aber näher an ihre Hand heran. War es um sie herum nicht ein bisschen heller geworden? Bedauerlicherweise endete der Song allzu früh. Mandy straffte sich, zog die Hand weg und nahm die Ohrhörer ab. »Wir sollten allmählich reingehen«, flüsterte sie und nickte zu den Menschen hinüber, die durch die offene Domtür strömten. Sie richtete sich auf und knöpfte die schwarze Kostümjacke zu, die sie über dem bunten T-Shirt trug. Jason trat neben sie, während sie den knöchellangen Rock glättete und sich die pinkfarbenen Haarspitzen hinter die Ohren streifte. Im Handumdrehen verwandelte sie sich von einer etwas abgerissenen Studentin in ein gesetztes katholisches Schulmädchen. Jason verschlug die plötzliche Wandlung den Atem. Mit seiner schwarzen Jeans und der hellen Jacke kam er sich auf einmal für den Anlass unpassend gekleidet vor. »Du siehst gut aus«, sagte Mandy, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Danke«, murmelte er. Sie sammelten ihre Sachen ein, warfen die leeren Coladosen in einen Abfallbehälter und überquerten den gepflasterten Domplatz. »Guten Abend«, begrüßte sie ein schwarz berockter Geistlicher am Eingang. »Willkommen.« »Danke«, murmelte Mandy. Flackernder Kerzenschein fiel aus der offenen Tür. Er verstärkte den Eindruck von Alter und Würde. Bei der Dombesichtigung früher am Tag hatte Jason erfahren, dass der Grundstein der Kathedrale im dreizehnten Jahrhundert gelegt worden war. Sich eine solche Zeitspanne vorzustellen fiel ihm schwer. In Kerzenschein gebadet näherte Jason sich den massiven, mit Schnitzereien verzierten Türen und folgte Mandy in den Vorraum. Sie tauchte die Finger in ein Weihwasserbecken und bekreuzigte sich. Jason war sich seines Unglaubens peinlich bewusst. Er war hier ein Eindringling, ein Störenfried. Er fürchtete, einen Fehler zu machen und sich und Mandy in Verlegenheit zu bringen. »Komm mit«, sagte Mandy. »Ich möchte einen guten Platz haben, aber auch nicht zu weit vorn.« Jason folgte ihr. Als er in den eigentlichen Kirchenraum gelangte, machte seine Verlegenheit Ehrfurcht Platz. Obwohl er den Dom bereits besichtigt und sich mit dessen Geschichte und Eigenheiten vertraut gemacht hatte, schlug die Magie des Raums ihn abermals in den Bann. Vor ihm erstreckte sich das lange Mittelschiff fast einhundertzwanzig Meter weit, unterteilt von einem hundert Meter langen Querschiff, das mit dem Altar in der Mitte ein Kreuz bildete. Doch es waren weniger die Länge und Breite der Kathedrale, die ihn überwältigten, als vielmehr deren unglaubliche Höhe. Sein Blick wurde immer weiter in die Höhe gelenkt, geleitet von Spitzbogen, hohen Säulen und dem gewölbten Dach. Von zahllosen Kerzen kräuselten sich dünne Rauchspiralen empor und segelten himmelwärts, während das flackernde Licht von den Wänden reflektiert wurde. Schwerer Weihrauchduft lag in der Luft. Mandy führte ihn zum Altar. Das Querschiff war zu beiden Seiten mit Seilen abgesperrt, doch im Mittelschiff waren noch genug Plätze frei. »Wie wär’s da?«, sagte sie und blieb in der Mitte des Gangs stehen. In ihrem Lächeln mischten sich Dankbarkeit und Scheu. Er nickte. Ihre schlichte Schönheit verschlug ihm die Sprache – eine Madonna in Schwarz. Mandy fasste Jason bei der Hand und zog ihn an die Wand, zum Ende der Kirchenbank. Er setzte sich, froh darüber, dass sie hier nicht so exponiert waren. Mandy ließ seine Hand nicht los. Er spürte die Wärme ihrer Handfläche. Die Nacht hellte sich eindeutig auf. Schließlich ertönte ein Glöckchen, und der Chor hob an zu singen. Die Messe hatte begonnen. Jason machte Mandy alles nach: aufstehen, niederknien und sich setzen in einem kunstvollen Ballett des Glaubens. Er verstand nichts, doch das prachtvolle Schauspiel schlug ihn in den Bann: die Priester in den langen Gewändern, die qualmende Weihrauchkessel schwenkten, die Prozession, die das Erscheinen des mit der hohen Mitra und dem goldverzierten Messgewand bekleideten Erzbischofs ankündigte, die von Chor und Gläubigen gesungenen Lieder, der Kerzenschein. Die Kunstwerke waren ebenso Teil der Zeremonie wie die Gläubigen. Eine Holzfigur, die Maria mit dem Jesuskind darstellte und Mailänder Madonna genannt wurde, leuchtete vor Alter und Anmut. Auf der anderen Seite des Mittelgangs hielt eine Marmorstatue des heiligen Christopherus ein selig lächelndes kleines Kind auf den Armen. Und alles wurde überragt von den gewaltigen dunklen Bleiglasfenstern, in denen sich der Kerzenschein widerspiegelte, der gewöhnliches Glas in Juwelen verwandelte. Kein Kunstwerk aber war spektakulärer als der goldene, von Glas und Metall umschlossene Sarkophag hinter dem Altar. Der Schrein, der eine kleine Kirche darstellte und nicht größer war als ein großer Baumstumpf, war das Prunkstück der Kathedrale, der Grund für den Bau dieses gewaltigen Hauses der Anbetung, der Brennpunkt des Glaubens und der Kunst. Er barg die heiligsten Reliquien der Kirche. Der Schrein aus reinem Gold war noch vor der Grundsteinlegung der Kirche angefertigt worden. Entworfen im dreizehnten Jahrhundert von Nicolas von Verdun, galt der Sarkophag als das wertvollste Zeugnis mittelalterlicher Goldschmiedekunst. Während Jason seine Beobachtungen fortsetzte, näherte die Messe sich mit Glöckchengeläut und Gebeten allmählich dem Ende. Schließlich kam die Kommunion, das Brechen des eucharistischen Brotes. Die Gläubigen erhoben sich langsam von den Kirchenbänken und gingen nach vorn, um Jesu Leib und Blut zu empfangen. Auch Mandy stand auf und ließ seine Hand los. »Ich bin gleich wieder da«, flüsterte sie. Jason beobachtete, wie die Bank sich leerte und die Prozession sich langsam dem Altar näherte. Während er ungeduldig Mandys Rückkehr erwartete, stand er auf und streckte ein wenig die Beine. Er nutzte die Unterbrechung, um die Statue neben einem der Beichtstühle zu betrachten. Jetzt, da er stand, bedauerte er, dass er auch noch die dritte Coladose leer getrunken hatte. Er blickte sich zum Vorraum um, denn dort war eine Besuchertoilette. Jason sah die Mönche, die soeben durch die schwarzen Türen hindurch in die Kathedrale traten, somit als Erster. Obwohl sie alle lange, an der Hüfte gegürtete Kutten mit Kapuzen trugen, kam Jason etwas an ihnen merkwürdig vor. Sie bewegten sich zu schnell, schlüpften mit geradezu militärischer Präzision in den Schatten. War das der Abschluss des Schauspiels? Als er sich in der Kathedrale umblickte, bemerkte er an anderen Türen und sogar im abgesperrten Seitenschiff neben dem Altar weitere Kapuzengestalten. Obwohl sie die Köpfe andächtig gesenkt hielten, machten sie den Eindruck, als stünden sie dort Wache. Was ging hier vor? Er machte Mandy in der Nähe des Altars aus. Soeben empfing sie die heilige Kommunion. Hinter ihr kamen nur noch eine Hand voll Gläubige. Leib und Blut Christi, meinte Jason von ihren Lippen ablesen zu können. Amen, dachte er. Die Kommunion war beendet. Die letzten Gläubigen, darunter auch Mandy, kehrten an ihre Plätze zurück. Jason winkte sie zu sich in die Bank, dann nahm er wieder neben ihr Platz.

Erscheint lt. Verlag 11.5.2007
Reihe/Serie Die SIGMA-Force ; 2
Übersetzer Norbert Stöbe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Map of Bones
Maße 115 x 183 mm
Gewicht 412 g
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte KölnerDom • Krimis/Thriller • Mönch • neueWeltordnung • Reliquie • Roman • Sigma • SIGMA Force • Verschwörung • Waffe • Weltherrschaft
ISBN-10 3-442-36738-7 / 3442367387
ISBN-13 978-3-442-36738-2 / 9783442367382
Zustand Neuware
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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