"Und ich dachte, es sei Liebe"
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Zu den zeitlosen Ritualen, sich vom Geliebten zu lösen, gehört der Abschiedsbrief – ein Klassiker seines Genres, so alt wie die Liebe selbst. Sibylle Berg hat quer durch die Zeiten solche Briefe von Frauen gesammelt, von Berühmtheiten und Prominenten wie Anne Boleyn, Marlene Dietrich, Corinne Hofmann oder Else Buschheuer genauso wie von ganz normal-sterblichen Vertreterinnen ihres Geschlechts.
Wunderbare Trosttexte für alle, die unter Liebeskummer leiden
Sibylle Berg, geboren in Weimar, lebt heute in Zürich. Sie hat bislang zwölf Bücher veröffentlicht. Frau Bergs aktueller Roman „Vielen Dank für das Leben“ erscheint im Herbst 2012 im Hanser Verlag. Die Theaterstücke von Sibylle Berg („Helges Leben“, „Hund, Mann, „Hauptsache Arbeit!“, „Nur Nachts“ u.a.) werden an zahlreichen Bühnen im In- und Ausland gespielt.
"Wer eine große Liebe hinter sich lassen musste, wird dieses Buch verschlingen."
Als ich gefragt wurde, dieses Buch zu machen, interessierte mich an der Idee vor allem: Geht es den anderen Frauen anders als mir? Denkt man doch immer, dass man selber schuld ist am Elend, dass man zu wenig war, zu laut, zu schnell. Dass man alles falsch gemacht hat in all den traurigen Geschichten, die unsere Seele pflastern, die sie so schwer machen und uns immer misstrauischer. Es ist nicht wahr, dass alles vergessen ist, wenn der Richtige kommt. Leider. Die vielen kleinen Risse und Verletzungen machen, dass unsere Liebe später nie mehr so rein, naiv und strahlend sein kann. Ehrlich: Ja. Tief: Durchaus. Aber so verrückt und unendlich wie am Anfang unseres Liebeslebens: Nie mehr. Nach all den Briefen, die ich gelesen habe, von heute und gestern, merke ich: Nicht ich war falsch, nicht die Männer, es ist wohl einfach das Leben, das nicht so besonders richtig ist. Die Gründe, warum Lieben scheitern, sind immer dieselben: Er hält sie nicht aus, ihre Stärke nicht aus, ihre Schwäche nicht aus, hält nicht aus, nie mehr eine andere haben zu können, hält sich nicht aus in dem Bild, ein Paar zu sein, und umgekehrt. Egal, immer dieselben Traurigkeiten in immer neuen Geschichten. Jede anders, wie die Menschen immer anders sind, und nur immer gleich ihre Sehnsucht nach Liebe. Vielen Dank allen traurigen Damen, die mir ihre Briefe zur Verfügung gestellt haben. Ich und 1 Million Leserinnen wissen dieses Vertrauen zu schätzen! Ich hoffe, es geht euch allen wieder gut. Vielen Dank Anne Wieser für ihren Fleiß – und Hann Leitgeb für ihren Fleiß! Sibylle Berg Kapitel 1 Briefe von Frauen, die man kennen könnte. Heute »Fahr zur Hölle. Und wenn du dort bist – warte auf mich.« Else Buschheuer Sibylle Berg Von Abschiedsbriefen und der Liebe Natürlich habe ich Abschiedsbriefe geschrieben. Ob auch abgesandt, das weiß ich nicht mehr zu sagen. Ich erinnere mich nur an während unendlichen Sonntagen im November aufgeschriebenen Weltschmerz – Leonard Cohens Famous Blue Raincoat auf Dauerwiederholung. Winter und leere Straßen, am Rande ein kaltes Hotel in der Nacht, drei Zimmer erleuchtet, wie müsste es sein, von dir verlassen, in diesem Hotel, in der Nacht, in Amerika. Wir fuhren, wir liefen gegen Wind. Fremd, deine Hände auf dem Steuer in dieser verdammten Nacht in Amerika. Wir wussten nichts zu sagen, am Morgen warst du nicht mehr da. Kalte Luft im Zimmer, in einem Hotel in Amerika. Vielleicht würde jemand von draußen das erleuchtete Fenster sehen, sagen, stell dir vor, Liebste, du hättest mich verlassen, und ich läge jetzt dort, alleine. Unangenehm, so etwas wiederzufinden, Jahre später. Ohne den dazugehörigen Schmerz wird Liebeskummer so austauschbar wie die Herren, an deren Gesichter ich mich heute nicht einmal mehr erinnere. Selten trauern wir um Männer. Was uns so leiden macht, zornig und kalt, sind gestorbene Träume. Immer wirst du einsam sein, bis zum Ende, und nie wird ein anderer etwas daran ändern – erkennt man im Schmerz, um es später wieder zu vergessen. Wenn man läuft zu zweit, wie eines, sich ständig berührt und so leicht ist, dass man sich auflöst und in den Himmel fliegt. Aber das endet, aus dem Himmel zurück auf dem Boden, mit der Angst und dem Wissen darum, allein im Körper, umgeben von all den merkwürdigen Gefühlen, definitiv unverstanden zu sein – selbst von sich selbst. Die Einsamkeit beginnt, wo wir anfangen und nicht mehr ein Teil unserer Mutter sind. Kindheit heißt die Zeit, da Hirn und Gefühl sich nicht recht verständigen. Die finden vielleicht in der Pubertät wieder zusammen. In der Zeit, in der die meisten die erste Liebe erleben. Die die romantischste in unserem Leben ist, weil sie nur aus Illusionen besteht. Die nichts will außer Auflösung. Ein Mädchen, ein Junge, egal, und wir wollten ihn/sie und wussten gar nicht, was wir mit ihm/ihr wollten außer: nie mehr alleine sein. Standen an offenen Fenstern, draußen Frühling und an den Wänden Pferdeposter, und was wir über Liebe wussten, das ging so: mit ihm auf einer Insel sein und ansehen, Tag und Nacht, und die kleinen Härchen am Arm berühren. Tag und Nacht. So ein Traum wie damals, als wir noch nicht wussten, was Liebe ist, wird Liebe nie mehr. Nie mehr werden wir so unendlich sein. Die erste Liebe zerbricht, und der erste Liebeskummer kommt. Ach, wären wir doch gestorben, damals. Wir hätten uns die Wiederholungen erspart. Wir haben unsere Unschuld verloren und statt ihrer Ideen entwickelt, wie Liebe sein müsste, die richtige Liebe. Denken wir, es muss sein wie fliegen und sich die Sachen vom Leib reißen und sich nie mehr trennen und nicht mehr essen und nicht mehr schlafen und nachts tanzen im Regen und tausend Kilometer fahren nur für einen Kuss, der nie endet. Das ist die Idee, und sie meint: Eigentlich wollen wir zurück zu der Zeit, als wir eins mit der Mutter waren. Bedingungslosigkeit wollen wir, danach suchen wir und werden immer enttäuscht werden. Denn so ist es nie. Das merken wir alle zwei Jahre, wenn wieder ein Traum zerbricht. Der Schmerz wird weniger. Wir vertragen ihn nur kaum noch, weil wir doch nicht wissen, wie es gehen soll, weil wir ahnen, dass etwas falsch ist. Und immer bleiben wir allein zurück, die wir altern, und unsere Knochen werden porös, und unsere Seele ist es schon, überzogen mit vielen Sprüngen. Wir sind nicht mehr jung und noch nicht alt – die furchtbarste Zeit im Leben, weil sie voller Sehnsucht nach einem Wunder ist, und das wird – ziemlich sicher – nicht eintreten. Eigentlich hätten wir mit unserer ersten Liebe zusammenbleiben können. Die hundert Wiederholungen auslassen. Sex ist nur Sex – kann man lernen, feuchte Geschichte, ist doch egal –, und Freundschaft wird mit der Zeit erst gut. Was suchen wir, ach ja, die große Liebe suchen wir. Immer schneller trennen wir uns, verlassen, werden verlassen. Leiden wird zur Routine und fast cool, weil: da geht was, da hat man etwas zu erzählen, da wird man bedauert und nimmt ein paar Kilo ab. Und alle reden von Lebensabschnittsgefährten und misstrauen der Unendlichkeit und nörgeln und sind unzufrieden, wenn sie einen haben zum Liebhaben. Der kann’s doch nicht gewesen sein. Überall können wir etwas Größeres und Besseres haben, überall werden uns Träume versprochen. Neue Partner kann man kaufen an jeder Ecke. Überall sehen wir Liebe und Sex und Werbung und Filme und Models, und alle sehen toll aus und sind verfügbar. Warum dann an etwas hängenbleiben, das den Glanz verloren hat? Kaum mehr einer schaut in den Spiegel und sieht sich, wie er ist. Wenn Naomi uns ihre Brüste zeigt, dann kann man doch Naomi haben. Immer kürzer wird die Halbwertszeit von dem, was wir als Liebe bezeichnen, weil wir nicht wissen, wie man den Dreck sonst nennen soll. Hatte die Generation vor uns das Problem, vor lauter Analyse und Selbstfindung zu egoistischen kleinen Arschlöchern geworden zu sein, kranken wir heute daran, nichts mehr zu sein. Keiner ist mehr etwas, keiner ist mehr besonders. Falsch verstandene Demokratie hat uns alle gleich gemacht, alle ohne Eigenschaften und mit der Sucht nach mehr. Immer weniger wollen wir uns anstrengen. Das muss passen, sofort, und gut sein. Wenn wir es mit uns selber schon nicht gut haben, dann muss doch der Partner dafür sorgen. Macht er nicht, denn der Partner will Brad Pitt, und schon ist er weg. Liebe ist: einen außer sich zu ertragen, sich mit einem anderen zu ertragen. Doch bis wir erkennen, was Liebe wirklich ist, sind wir meist schon tot. Schade. Else Buschheuer Else Buschheuers erstes Buch »Ruf! Mich! An!« erschien 2000 und eroberte die Bestsellerlisten. »Venus« heißt ihr jüngster Roman, der im Februar 2005 erschien. Else Buschheuer lebt heute in Leipzig und moderiert für den MDR die Sendung »Riverboat«. Im folgenden Brief verabschiedet sie sich von einem Herrn, der hier anonym bleibt. Ich weiß, was du willst von mir. Du willst mich zerstören. Das ist sie – die Konsequenz der Liebe. Das wahre Happy End. Drunter machen wir es nicht. Wir lausen uns nicht. Wir knuddeln nicht. Wir machen nicht Löffelchen. WIR ZIEHEN ES VOR, EINANDER ZU ZERFLEISCHEN! Du kannst nicht treu sein. Du verachtest Monogamie als bürgerliches Einerlei, als Lüge, als Scheinheiligkeit. Okay, fick alles, was am Wegesrand steht, um dich zu berauschen an diesem irrationalen ICH-BIN-EIN-MANN-WEIL-ICH-EINEN-SCHWANZ-HAB. Klingel mit deinen Eiern. Versprühe frischen Männerschweiß. Alle, die mühselig und beladen sind, werden zu dir strömen. Fick dich ins All. Steck deinen Kopf in den Mond. Steck deinen Schwanz in die Venus. SEI DEIN SCHWANZ. Du willst keine Affäre. Du willst keine Beziehung. Du willst kein Einerlei, kein Blabla, kein Tralala. Du willst eine Jahrtausendliebe. Absolut deiner Meinung! Drunter machen wir es nicht. Drunter hatten wir es schon. Alles, was drunter ist, beleidigt unsere Intelligenz, beleidigt unser emotionales VOLUMEN. Wir sind nicht irgendwer. Wir sind die EINE Frau und der EINE Mann, die Einzigen, die es gibt auf dieser Welt. Wir symbolisieren den Paarungs-Nuklearkrieg, die finale fatale letale Kopulation. Du hattest noch nie eine Frau wie mich, sagst du. Natürlich nicht. Selbstredend nicht. Und ich kannte noch nie einen Mann wie dich. Das bleibt dir unbenommen. Wir sind einander fremd und eins. Wir spiegeln uns ineinander, und was wir sehen, ist alles andere als lieblich. Wir sehen Höllenfratzen, von Begierde verzerrt. WIR WOLLEN DOCH NUR ALLES. Das sind zwei Menschen, die den Geschlechterkampf kämpfen, ganz alleine, wir beide, du und ich, nur du und ich, waidwund, mit Schaum vorm Maul, auf einem Schlachtfeld voller Schamhaare und Embryos und Schädel und Skelette. Wir reißen uns das Haupthaar büschelweise aus. Wir prellen uns die Zähne im Faustkampf. Wir beißen uns die Zungen ab. Wir verbrennen uns die Geschlechtsteile. Wir bombardieren uns mit Blut und Samen. WANN BIST DU ENDLICH TOT, DU MANN, DU LAUS? Einer zerstört den anderen. Der Not gehorchend. Dem Trieb gehorchend. Aber wer ist schneller? Wer ist stärker? Du kennst den Versuch mit zwei rohen Eiern? Eins schlägt, eins wartet. Es zerbricht immer das passive. Hast du schon mal ein Stück Fleisch in ein Glas Cola gehängt über Nacht? Wer ist das Fleisch, wer die Cola? Was bringt mehr Lust: sich fressen zu lassen oder zu fressen? Sich lieben zu lassen oder zu lieben? Sich ficken zu lassen oder zu ficken? Wem gebührt das letzte irrlichternde Lächeln über der Leiche des anderen? Monster! Drachen! Alligator! Verbrecher! Du bist ein Vulkan, Mensch! Deine Texte sind wie Lava. Sie sind so gewaltig, dass man sich vor ihnen fürchten kann. Sollte. MUSS! Man muss sich fürchten, so wie vor der Folter, so wie vor dem Teufel, so wie vor dem SCHEISS-Fegefeuer. Keine Frau, kein Mann, niemand darf jemals deine Bücher in dem Zimmer haben, in dem er schläft. Man sollte sie vor die Tür legen, nicht vor die Zimmertür, vor die Wohnungstür. Sie sollen auf der Schwelle liegen, ihren betäubenden Gestank verbreiten, ihre magischen Beschwörungen verflüchtigen, ihre Lava ins Freie gießen, denn nur dann ist ihre Botschaft nicht todbringend. Nur dann verpufft ihr Gift. Ja! Bitte! Schlag mich! Schlag an gegen meine Überlegenheit! Schlag an gegen alles, was ich weiß und will, gegen alles, was ich sage und nicht sage. Schlag an gegen das Ungewisse. Bäume dich auf gegen mich, deine Henkerin. Ich hasse dich. Ich hasse dich mit jeder Faser meines Körpers, der dich zitternd ersehnt. Ich hasse deinen Hochmut. Deine intellektuelle Überheblichkeit. Deinen Testosterongestank. Dein Macho-Gehabe. Deinen Schwanz, der sich hebt wie ein belehrender, wie ein monströser Zeigefinger. Ich bin dir verfallen. Deiner Wortgewalt, deinem Griff, deiner Stimme. Mich von dir zu trennen hieße, mir den Arm abzuhacken, mir die Augen auszustechen, mir das Herz rauszureißen. Hier, nimm es. Friss es, du Bestie. Verreck daran! Erstick daran! Verschluck deine Zunge, beiß deine Finger ab, stoß dir den Schädel ein an den Wänden deines Kerkers aus Dünkel! Sitz in den Scherben deines zerbrochenen Schädels und tu dir leid und hasse und verdamme und begehre mich und begehe Selbstmord, häng dich auf an deinen Samensträngen. Komm, begehre mich, verzehre dich, liebe mich mehr als ich dich. Liebe mich mehr als ich dich und du hast verloren. Ich werde dich zugrunde richten. Ich werde dich mit Genuss über den Abgrund schubsen. In meinen Sneakers, die du so unerotisch findest. Im Todeskampf werden wir unsere besten Texte in goldene Pokale scheißen. Ich werde deinen dicken muskulösen Hals zusammendrücken mit meinen Krallen. Die letzten Verse werde ich aus dir herauspressen. SOLANGE IN DIESER ZITRONE NOCH SAFT IST. Röcheln wirst du. Die Augen verdreht, nur das Weiße. Zeig es mir zum letzten Mal, das Gesicht, das nur mir gehört. Zeig’s mir! Ach Gottchen, du stirbst? Na so ein Pech! Hast du einen letzten Wunsch? Was? Ich verstehe dein Geröchel nicht. Kein letzter Wunsch? Bitte, dann nicht. Amboss oder Hammer sein, mein Freund. Ich werde deinen Schwanz wie ein Gummiseil lang ziehen. Ich werde dich strangulieren mit deinem eigenen treulosen Fickschwanz. Ich werde deinen Schwanz als Armreif tragen, als Relikt, als Fetisch, als Orden. Ich wünsche dir den Tod, von Herzen. Stirb, Schrecklicher! Erlöse mich! Hau ab, verpiss dich, fahr zur Hölle. Und wenn du dort bist – warte auf mich. Milena Moser Milena Moser, Schweizer Schriftstellerin, lebt heute mit ihrer Familie in San Francisco, Amerikas Mekka der Yoga-Fanatiker. Auch Milena Moser hat dort Yoga für sich entdeckt, was sie zu ihren letzten Büchern »Sofa, Yoga, Mord« (2003) und »Schlampenyoga« (2004) inspirierte. Sie veröffentlichte 1990 ihre erste Kurzgeschichtensammlung »Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord« in einem eigens von ihren Freunden für sie gegründeten Verlag – und landete 1991 mit »Die Putzfraueninsel« ihren ersten Bestseller. Die Verfilmung durch Peter Timm wurde preisgekrönt. Es folgten genauso erfolgreich: »Das Schlampenbuch«, »Blondinenträume«, »Das Faxenbuch«, »Das Leben der Matrosen«, »Artischockenherz« und »Bananenfüße«. Ihr Kommentar zu dem folgenden Brief aus dem Jahr 2005: »Ein Abschiedsbrief, den ich definitiv geschrieben hätte, wenn mein Liebster nicht rechtzeitig zur Vernunft gekommen wäre.« Liebster Mann, bitte setz dich erst mal hin, bevor du weiterliest. Ich möchte nicht, dass deine dünnen Beine einknicken, dass dein geschwächter Körper nachgibt, dass du am Ende ohnmächtig wirst. Du sollst nicht ohnmächtig werden. Du sollst nur ohne mich weiterleben. Vierzig, fünfzig, achtzig Jahre lang. So lang es eben sein muss. Du willst mit mir alt werden, hast du gesagt. Das fand ich schön. Das wollte ich auch. Aber doch nicht gleich hundertzwanzig Jahre alt! Siebzig, hab’ ich mir vorgestellt, fünfundsiebzig vielleicht, so genau hab’ ich mir das nie überlegt. Ich fand die Vorstellung einfach schön: zusammen alt werden. Zusammen immer weitergehen. Zusammen immer wieder neu anfangen. Ich mag es, wenn plötzlich etwas Fremdes in dir aufblitzt, etwas, das ich noch nicht kannte. Als du von dem Interviewtermin mit dem Arzt in Denver zurückkamst, der das Geheimnis des ewigen Lebens zu kennen meint, voller neuer Ideen und Tragetaschen voller Broschüren und Vitaminkapseln, fand ich das erst mal spannend. Etwas Neues ausprobieren. Gewohnheiten verändern. Rituale ersetzen. Bei Klein’s Delikatessen, wo wir oft sitzen, einen Grüntee bestellen statt eines doppelten Espressos und statt des Himbeer-Mandel-Scones: nichts. Ratten, die ein Drittel weniger Nahrung bekommen, als sie eigentlich brauchen, werden fast doppelt so alt wie ihre lustigen, satten Artgenossen, das hast du mir erklärt. Aber sind sie auch glücklich? Oder träumen sie nachts von einem Himmel, der aus Schokoladenkuchen gebaut ist – oder was immer für Ratten Schokoladenkuchen ist. Wovon träumst du, wenn du unter deinen drei Decken endlich einschläfst, die Arme um dich selbst geschlungen? Nicht mal mehr wärmen kann ich dich. Meine Berührung ist dir zu viel, die Haut tut dir weh, sagst du, und so sieht sie auch aus, kalt und grau. Ich bin keine Ratte. Ich will nicht weniger essen (eher mehr). Ich will nicht ewig leben. Schon gar nicht so! Ich vermisse unsere ausgedehnten Abendessen. Ich vermisse die kurzen Wanderungen, die nur ein Vorwand sind, um das Tuch auszubreiten, den Käse und das Brot auszupacken, eine Flasche Wein aufzumachen. Ich vermisse Gespräche, die sich um etwas anderes als um Rattenleben drehen, vermisse unsere Sorglosigkeit, ich vermisse sogar unseren heftigen Streit, für den die Kraft fehlt. Deshalb geh’ ich jetzt zu Klein’s Delikatessen runter und bestell’ mir einen doppelten Espresso und ein Stück Pumpkin-Cheesecake. Und warte auf dich. always but not forever, M.
Als ich gefragt wurde, dieses Buch zu machen, interessierte mich an der Idee vor allem: Geht es den anderen Frauen anders als mir? Denkt man doch immer, dass man selber schuld ist am Elend, dass man zu wenig war, zu laut, zu schnell. Dass man alles falsch gemacht hat in all den traurigen Geschichten, die unsere Seele pflastern, die sie so schwer machen und uns immer misstrauischer. Es ist nicht wahr, dass alles vergessen ist, wenn der Richtige kommt. Leider. Die vielen kleinen Risse und Verletzungen machen, dass unsere Liebe später nie mehr so rein, naiv und strahlend sein kann. Ehrlich: Ja. Tief: Durchaus. Aber so verrückt und unendlich wie am Anfang unseres Liebeslebens: Nie mehr. Nach all den Briefen, die ich gelesen habe, von heute und gestern, merke ich: Nicht ich war falsch, nicht die Männer, es ist wohl einfach das Leben, das nicht so besonders richtig ist. Die Gründe, warum Lieben scheitern, sind immer dieselben: Er hält sie nicht aus, ihre Stärke nicht aus, ihre Schwäche nicht aus, hält nicht aus, nie mehr eine andere haben zu können, hält sich nicht aus in dem Bild, ein Paar zu sein, und umgekehrt. Egal, immer dieselben Traurigkeiten in immer neuen Geschichten. Jede anders, wie die Menschen immer anders sind, und nur immer gleich ihre Sehnsucht nach Liebe. Vielen Dank allen traurigen Damen, die mir ihre Briefe zur Verfügung gestellt haben. Ich und 1 Million Leserinnen wissen dieses Vertrauen zu schätzen! Ich hoffe, es geht euch allen wieder gut. Vielen Dank Anne Wieser für ihren Fleiß - und Hann Leitgeb für ihren Fleiß! Sibylle Berg Kapitel 1 Briefe von Frauen, die man kennen könnte. Heute »Fahr zur Hölle. Und wenn du dort bist - warte auf mich.« Else Buschheuer Sibylle Berg Von Abschiedsbriefen und der Liebe Natürlich habe ich Abschiedsbriefe geschrieben. Ob auch abgesandt, das weiß ich nicht mehr zu sagen. Ich erinnere mich nur an während unendlichen Sonntagen im November aufgeschriebenen Weltschmerz - Leonard Cohens Famous Blue Raincoat auf Dauerwiederholung. Winter und leere Straßen, am Rande ein kaltes Hotel in der Nacht, drei Zimmer erleuchtet, wie müsste es sein, von dir verlassen, in diesem Hotel, in der Nacht, in Amerika. Wir fuhren, wir liefen gegen Wind. Fremd, deine Hände auf dem Steuer in dieser verdammten Nacht in Amerika. Wir wussten nichts zu sagen, am Morgen warst du nicht mehr da. Kalte Luft im Zimmer, in einem Hotel in Amerika. Vielleicht würde jemand von draußen das erleuchtete Fenster sehen, sagen, stell dir vor, Liebste, du hättest mich verlassen, und ich läge jetzt dort, alleine. Unangenehm, so etwas wiederzufinden, Jahre später. Ohne den dazugehörigen Schmerz wird Liebeskummer so austauschbar wie die Herren, an deren Gesichter ich mich heute nicht einmal mehr erinnere. Selten trauern wir um Männer. Was uns so leiden macht, zornig und kalt, sind gestorbene Träume. Immer wirst du einsam sein, bis zum Ende, und nie wird ein anderer etwas daran ändern - erkennt man im Schmerz, um es später wieder zu vergessen. Wenn man läuft zu zweit, wie eines, sich ständig berührt und so leicht ist, dass man sich auflöst und in den Himmel fliegt. Aber das endet, aus dem Himmel zurück auf dem Boden, mit der Angst und dem Wissen darum, allein im Körper, umgeben von all den merkwürdigen Gefühlen, definitiv unverstanden zu sein - selbst von sich selbst. Die Einsamkeit beginnt, wo wir anfangen und nicht mehr ein Teil unserer Mutter sind. Kindheit heißt die Zeit, da Hirn und Gefühl sich nicht recht verständigen. Die finden vielleicht in der Pubertät wieder zusammen. In der Zeit, in der die meisten die erste Liebe erleben. Die die romantischste in unserem Leben ist, weil sie nur aus Illusionen besteht. Die nichts will außer Auflösung. Ein Mädchen, ein Junge, egal, und wir wollten ihn/sie und wussten gar nicht, was wir mit ihm/ihr wollten außer: nie mehr alleine sein. Standen an offenen Fenstern, draußen Frühling und an den Wänden Pferdeposter, und was wir über Liebe wussten, das ging so: mit ihm auf einer Insel sein und ansehen, Tag und Nacht, und die kleinen Härchen am Arm berühren. Tag und Nacht. So ein Traum wie damals, als wir noch nicht wussten, was Liebe ist, wird Liebe nie mehr. Nie mehr werden wir so unendlich sein. Die erste Liebe zerbricht, und der erste Liebeskummer kommt. Ach, wären wir doch gestorben, damals. Wir hätten uns die Wiederholungen erspart. Wir haben unsere Unschuld verloren und statt ihrer Ideen entwickelt, wie Liebe sein müsste, die richtige Liebe. Denken wir, es muss sein wie fliegen und sich die Sachen vom Leib reißen und sich nie mehr trennen und nicht mehr essen und nicht mehr schlafen und nachts tanzen im Regen und tausend Kilometer fahren nur für einen Kuss, der nie endet. Das ist die Idee, und sie meint: Eigentlich wollen wir zurück zu der Zeit, als wir eins mit der Mutter waren. Bedingungslosigkeit wollen wir, danach suchen wir und werden immer enttäuscht werden. Denn so ist es nie. Das merken wir alle zwei Jahre, wenn wieder ein Traum zerbricht. Der Schmerz wird weniger. Wir vertragen ihn nur kaum noch, weil wir doch nicht wissen, wie es gehen soll, weil wir ahnen, dass etwas falsch ist. Und immer bleiben wir allein zurück, die wir altern, und unsere Knochen werden porös, und unsere Seele ist es schon, überzogen mit vielen Sprüngen. Wir sind nicht mehr jung und noch nicht alt - die furchtbarste Zeit im Leben, weil sie voller Sehnsucht nach einem Wunder ist, und das wird - ziemlich sicher - nicht eintreten. Eigentlich hätten wir mit unserer ersten Liebe zusammenbleiben können. Die hundert Wiederholungen auslassen. Sex ist nur Sex - kann man lernen, feuchte Geschichte, ist doch egal -, und Freundschaft wird mit der Zeit erst gut. Was suchen wir, ach ja, die große Liebe suchen wir. Immer schneller trennen wir uns, verlassen, werden verlassen. Leiden wird zur Routine und fast cool, weil: da geht was, da hat man etwas zu erzählen, da wird man bedauert und nimmt ein paar Kilo ab. Und alle reden von Lebensabschnittsgefährten und misstrauen der Unendlichkeit und nörgeln und sind unzufrieden, wenn sie einen haben zum Liebhaben. Der kann's doch nicht gewesen sein. Überall können wir etwas Größeres und Besseres haben, überall werden uns Träume versprochen. Neue Partner kann man kaufen an jeder Ecke. Überall sehen wir Liebe und Sex und Werbung und Filme und Models, und alle sehen toll aus und sind verfügbar. Warum dann an etwas hängenbleiben, das den Glanz verloren hat? Kaum mehr einer schaut in den Spiegel und sieht sich, wie er ist. Wenn Naomi uns ihre Brüste zeigt, dann kann man doch Naomi haben. Immer kürzer wird die Halbwertszeit von dem, was wir als Liebe bezeichnen, weil wir nicht wissen, wie man den Dreck sonst nennen soll. Hatte die Generation vor uns das Problem, vor lauter Analyse und Selbstfindung zu egoistischen kleinen Arschlöchern geworden zu sein, kranken wir heute daran, nichts mehr zu sein. Keiner ist mehr etwas, keiner ist mehr besonders. Falsch verstandene Demokratie hat uns alle gleich gemacht, alle ohne Eigenschaften und mit der Sucht nach mehr. Immer weniger wollen wir uns anstrengen. Das muss passen, sofort, und gut sein. Wenn wir es mit uns selber schon nicht gut haben, dann muss doch der Partner dafür sorgen. Macht er nicht, denn der Partner will Brad Pitt, und schon ist er weg. Liebe ist: einen außer sich zu ertragen, sich mit einem anderen zu ertragen. Doch bis wir erkennen, was Liebe wirklich ist, sind wir meist schon tot. Schade. Else Buschheuer Else Buschheuers erstes Buch »Ruf! Mich! An!« erschien 2000 und eroberte die Bestsellerlisten. »Venus« heißt ihr jüngster Roman, der im Februar 2005 erschien. Else Buschheuer lebt heute in Leipzig und moderiert für den MDR die Sendung »Riverboat«. Im folgenden Brief verabschiedet sie sich von einem Herrn, der hier anonym bleibt. Ich weiß, was du willst von mir. Du willst mich zerstören. Das ist sie - die Konsequenz der Liebe. Das wahre Happy End. Drunter machen wir es nicht. Wir lausen uns nicht. Wir knuddeln nicht. Wir machen nicht Löffelchen. WIR ZIEHEN ES VOR, EINANDER ZU ZERFLEISCHEN! Du kannst nicht treu sein. Du verachtest Monogamie als bürgerliches Einerlei, als Lüge, als Scheinheiligkeit. Okay, fick alles, was am Wegesrand steht, um dich zu berauschen an diesem irrationalen ICH-BIN-EIN-MANN-WEIL-ICH-EINEN-SCHWANZ-HAB. Klingel mit deinen Eiern. Versprühe frischen Männerschweiß. Alle, die mühselig und beladen sind, werden zu dir strömen. Fick dich ins All. Steck deinen Kopf in den Mond. Steck deinen Schwanz in die Venus. SEI DEIN SCHWANZ. Du willst keine Affäre. Du willst keine Beziehung. Du willst kein Einerlei, kein Blabla, kein Tralala. Du willst eine Jahrtausendliebe. Absolut deiner Meinung! Drunter machen wir es nicht. Drunter hatten wir es schon. Alles, was drunter ist, beleidigt unsere Intelligenz, beleidigt unser emotionales VOLUMEN. Wir sind nicht irgendwer. Wir sind die EINE Frau und der EINE Mann, die Einzigen, die es gibt auf dieser Welt. Wir symbolisieren den Paarungs-Nuklearkrieg, die finale fatale letale Kopulation. Du hattest noch nie eine Frau wie mich, sagst du. Natürlich nicht. Selbstredend nicht. Und ich kannte noch nie einen Mann wie dich. Das bleibt dir unbenommen. Wir sind einander fremd und eins. Wir spiegeln uns ineinander, und was wir sehen, ist alles andere als lieblich. Wir sehen Höllenfratzen, von Begierde verzerrt. WIR WOLLEN DOCH NUR ALLES. Das sind zwei Menschen, die den Geschlechterkampf kämpfen, ganz alleine, wir beide, du und ich, nur du und ich, waidwund, mit Schaum vorm Maul, auf einem Schlachtfeld voller Schamhaare und Embryos und Schädel und Skelette. Wir reißen uns das Haupthaar büschelweise aus. Wir prellen uns die Zähne im Faustkampf. Wir beißen uns die Zungen ab. Wir verbrennen uns die Geschlechtsteile. Wir bombardieren uns mit Blut und Samen. WANN BIST DU ENDLICH TOT, DU MANN, DU LAUS? Einer zerstört den anderen. Der Not gehorchend. Dem Trieb gehorchend. Aber wer ist schneller? Wer ist stärker? Du kennst den Versuch mit zwei rohen Eiern? Eins schlägt, eins wartet. Es zerbricht immer das passive. Hast du schon mal ein Stück Fleisch in ein Glas Cola gehängt über Nacht? Wer ist das Fleisch, wer die Cola? Was bringt mehr Lust: sich fressen zu lassen oder zu fressen? Sich lieben zu lassen oder zu lieben? Sich ficken zu lassen oder zu ficken? Wem gebührt das letzte irrlichternde Lächeln über der Leiche des anderen? Monster! Drachen! Alligator! Verbrecher! Du bist ein Vulkan, Mensch! Deine Texte sind wie Lava. Sie sind so gewaltig, dass man sich vor ihnen fürchten kann. Sollte. MUSS! Man muss sich fürchten, so wie vor der Folter, so wie vor dem Teufel, so wie vor dem SCHEISS-Fegefeuer. Keine Frau, kein Mann, niemand darf jemals deine Bücher in dem Zimmer haben, in dem er schläft. Man sollte sie vor die Tür legen, nicht vor die Zimmertür, vor die Wohnungstür. Sie sollen auf der Schwelle liegen, ihren betäubenden Gestank verbreiten, ihre magischen Beschwörungen verflüchtigen, ihre Lava ins Freie gießen, denn nur dann ist ihre Botschaft nicht todbringend. Nur dann verpufft ihr Gift. Ja! Bitte! Schlag mich! Schlag an gegen meine Überlegenheit! Schlag an gegen alles, was ich weiß und will, gegen alles, was ich sage und nicht sage. Schlag an gegen das Ungewisse. Bäume dich auf gegen mich, deine Henkerin. Ich hasse dich. Ich hasse dich mit jeder Faser meines Körpers, der dich zitternd ersehnt. Ich hasse deinen Hochmut. Deine intellektuelle Überheblichkeit. Deinen Testosterongestank. Dein Macho-Gehabe. Deinen Schwanz, der sich hebt wie ein belehrender, wie ein monströser Zeigefinger. Ich bin dir verfallen. Deiner Wortgewalt, deinem Griff, deiner Stimme. Mich von dir zu trennen hieße, mir den Arm abzuhacken, mir die Augen auszustechen, mir das Herz rauszureißen. Hier, nimm es. Friss es, du Bestie. Verreck daran! Erstick daran! Verschluck deine Zunge, beiß deine Finger ab, stoß dir den Schädel ein an den Wänden deines Kerkers aus Dünkel! Sitz in den Scherben deines zerbrochenen Schädels und tu dir leid und hasse und verdamme und begehre mich und begehe Selbstmord, häng dich auf an deinen Samensträngen. Komm, begehre mich, verzehre dich, liebe mich mehr als ich dich. Liebe mich mehr als ich dich und du hast verloren. Ich werde dich zugrunde richten. Ich werde dich mit Genuss über den Abgrund schubsen. In meinen Sneakers, die du so unerotisch findest. Im Todeskampf werden wir unsere besten Texte in goldene Pokale scheißen. Ich werde deinen dicken muskulösen Hals zusammendrücken mit meinen Krallen. Die letzten Verse werde ich aus dir herauspressen. SOLANGE IN DIESER ZITRONE NOCH SAFT IST. Röcheln wirst du. Die Augen verdreht, nur das Weiße. Zeig es mir zum letzten Mal, das Gesicht, das nur mir gehört. Zeig's mir! Ach Gottchen, du stirbst? Na so ein Pech! Hast du einen letzten Wunsch? Was? Ich verstehe dein Geröchel nicht. Kein letzter Wunsch? Bitte, dann nicht. Amboss oder Hammer sein, mein Freund. Ich werde deinen Schwanz wie ein Gummiseil lang ziehen. Ich werde dich strangulieren mit deinem eigenen treulosen Fickschwanz. Ich werde deinen Schwanz als Armreif tragen, als Relikt, als Fetisch, als Orden. Ich wünsche dir den Tod, von Herzen. Stirb, Schrecklicher! Erlöse mich! Hau ab, verpiss dich, fahr zur Hölle. Und wenn du dort bist - warte auf mich. Milena Moser Milena Moser, Schweizer Schriftstellerin, lebt heute mit ihrer Familie in San Francisco, Amerikas Mekka der Yoga-Fanatiker. Auch Milena Moser hat dort Yoga für sich entdeckt, was sie zu ihren letzten Büchern »Sofa, Yoga, Mord« (2003) und »Schlampenyoga« (2004) inspirierte. Sie veröffentlichte 1990 ihre erste Kurzgeschichtensammlung »Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord« in einem eigens von ihren Freunden für sie gegründeten Verlag - und landete 1991 mit »Die Putzfraueninsel« ihren ersten Bestseller. Die Verfilmung durch Peter Timm wurde preisgekrönt. Es folgten genauso erfolgreich: »Das Schlampenbuch«, »Blondinenträume«, »Das Faxenbuch«, »Das Leben der Matrosen«, »Artischockenherz« und »Bananenfüße«. Ihr Kommentar zu dem folgenden Brief aus dem Jahr 2005: »Ein Abschiedsbrief, den ich definitiv geschrieben hätte, wenn mein Liebster nicht rechtzeitig zur Vernunft gekommen wäre.« Liebster Mann, bitte setz dich erst mal hin, bevor du weiterliest. Ich möchte nicht, dass deine dünnen Beine einknicken, dass dein geschwächter Körper nachgibt, dass du am Ende ohnmächtig wirst. Du sollst nicht ohnmächtig werden. Du sollst nur ohne mich weiterleben. Vierzig, fünfzig, achtzig Jahre lang. So lang es eben sein muss. Du willst mit mir alt werden, hast du gesagt. Das fand ich schön. Das wollte ich auch. Aber doch nicht gleich hundertzwanzig Jahre alt! Siebzig, hab' ich mir vorgestellt, fünfundsiebzig vielleicht, so genau hab' ich mir das nie überlegt. Ich fand die Vorstellung einfach schön: zusammen alt werden. Zusammen immer weitergehen. Zusammen immer wieder neu anfangen. Ich mag es, wenn plötzlich etwas Fremdes in dir aufblitzt, etwas, das ich noch nicht kannte. Als du von dem Interviewtermin mit dem Arzt in Denver zurückkamst, der das Geheimnis des ewigen Lebens zu kennen meint, voller neuer Ideen und Tragetaschen voller Broschüren und Vitaminkapseln, fand ich das erst mal spannend. Etwas Neues ausprobieren. Gewohnheiten verändern. Rituale ersetzen. Bei Klein's Delikatessen, wo wir oft sitzen, einen Grüntee bestellen statt eines doppelten Espressos und statt des Himbeer-Mandel-Scones: nichts. Ratten, die ein Drittel weniger Nahrung bekommen, als sie eigentlich brauchen, werden fast doppelt so alt wie ihre lustigen, satten Artgenossen, das hast du mir erklärt. Aber sind sie auch glücklich? Oder träumen sie nachts von einem Himmel, der aus Schokoladenkuchen gebaut ist - oder was immer für Ratten Schokoladenkuchen ist. Wovon träumst du, wenn du unter deinen drei Decken endlich einschläfst, die Arme um dich selbst geschlungen? Nicht mal mehr wärmen kann ich dich. Meine Berührung ist dir zu viel, die Haut tut dir weh, sagst du, und so sieht sie auch aus, kalt und grau. Ich bin keine Ratte. Ich will nicht weniger essen (eher mehr). Ich will nicht ewig leben. Schon gar nicht so! Ich vermisse unsere ausgedehnten Abendessen. Ich vermisse die kurzen Wanderungen, die nur ein Vorwand sind, um das Tuch auszubreiten, den Käse und das Brot auszupacken, eine Flasche Wein aufzumachen. Ich vermisse Gespräche, die sich um etwas anderes als um Rattenleben drehen, vermisse unsere Sorglosigkeit, ich vermisse sogar unseren heftigen Streit, für den die Kraft fehlt. Deshalb geh' ich jetzt zu Klein's Delikatessen runter und bestell' mir einen doppelten Espresso und ein Stück Pumpkin-Cheesecake. Und warte auf dich. always but not forever, M.
Als ich gefragt wurde, dieses Buch zu machen, interessierte mich an der Idee vor allem: Geht es den anderen Frauen anders als mir? Denkt man doch immer, dass man selber schuld ist am Elend, dass man zu wenig war, zu laut, zu schnell. Dass man alles falsch gemacht hat in all den traurigen Geschichten, die unsere Seele pflastern, die sie so schwer machen und uns immer misstrauischer. Es ist nicht wahr, dass alles vergessen ist, wenn der Richtige kommt. Leider. Die vielen kleinen Risse und Verletzungen machen, dass unsere Liebe später nie mehr so rein, naiv und strahlend sein kann. Ehrlich: Ja. Tief: Durchaus. Aber so verrückt und unendlich wie am Anfang unseres Liebeslebens: Nie mehr. Nach all den Briefen, die ich gelesen habe, von heute und gestern, merke ich: Nicht ich war falsch, nicht die Männer, es ist wohl einfach das Leben, das nicht so besonders richtig ist. Die Gründe, warum Lieben scheitern, sind immer dieselben: Er hält sie nicht aus, ihre Stärke nicht aus, ihre Schwäche nicht aus, hält nicht aus, nie mehr eine andere haben zu können, hält sich nicht aus in dem Bild, ein Paar zu sein, und umgekehrt. Egal, immer dieselben Traurigkeiten in immer neuen Geschichten. Jede anders, wie die Menschen immer anders sind, und nur immer gleich ihre Sehnsucht nach Liebe. Vielen Dank allen traurigen Damen, die mir ihre Briefe zur Verfügung gestellt haben. Ich und 1 Million Leserinnen wissen dieses Vertrauen zu schätzen! Ich hoffe, es geht euch allen wieder gut. Vielen Dank Anne Wieser für ihren Fleiß – und Hann Leitgeb für ihren Fleiß! Sibylle Berg Kapitel 1 Briefe von Frauen, die man kennen könnte. Heute »Fahr zur Hölle. Und wenn du dort bist – warte auf mich.« Else Buschheuer Sibylle Berg Von Abschiedsbriefen und der Liebe Natürlich habe ich Abschiedsbriefe geschrieben. Ob auch abgesandt, das weiß ich nicht mehr zu sagen. Ich erinnere mich nur an während unendlichen Sonntagen im November aufgeschriebenen Weltschmerz – Leonard Cohens Famous Blue Raincoat auf Dauerwiederholung. Winter und leere Straßen, am Rande ein kaltes Hotel in der Nacht, drei Zimmer erleuchtet, wie müsste es sein, von dir verlassen, in diesem Hotel, in der Nacht, in Amerika. Wir fuhren, wir liefen gegen Wind. Fremd, deine Hände auf dem Steuer in dieser verdammten Nacht in Amerika. Wir wussten nichts zu sagen, am Morgen warst du nicht mehr da. Kalte Luft im Zimmer, in einem Hotel in Amerika. Vielleicht würde jemand von draußen das erleuchtete Fenster sehen, sagen, stell dir vor, Liebste, du hättest mich verlassen, und ich läge jetzt dort, alleine. Unangenehm, so etwas wiederzufinden, Jahre später. Ohne den dazugehörigen Schmerz wird Liebeskummer so austauschbar wie die Herren, an deren Gesichter ich mich heute nicht einmal mehr erinnere. Selten trauern wir um Männer. Was uns so leiden macht, zornig und kalt, sind gestorbene Träume. Immer wirst du einsam sein, bis zum Ende, und nie wird ein anderer etwas daran ändern – erkennt man im Schmerz, um es später wieder zu vergessen. Wenn man läuft zu zweit, wie eines, sich ständig berührt und so leicht ist, dass man sich auflöst und in den Himmel fliegt. Aber das endet, aus dem Himmel zurück auf dem Boden, mit der Angst und dem Wissen darum, allein im Körper, umgeben von all den merkwürdigen Gefühlen, definitiv unverstanden zu sein – selbst von sich selbst. Die Einsamkeit beginnt, wo wir anfangen und nicht mehr ein Teil unserer Mutter sind. Kindheit heißt die Zeit, da Hirn und Gefühl sich nicht recht verständigen. Die finden vielleicht in der Pubertät wieder zusammen. In der Zeit, in der die meisten die erste Liebe erleben. Die die romantischste in unserem Leben ist, weil sie nur aus Illusionen besteht. Die nichts will außer Auflösung. Ein Mädchen, ein Junge, egal, und wir wollten ihn/sie und wussten gar nicht, was wir mit ihm/ihr wollten außer: nie mehr alleine sein. Standen an offenen Fenstern, draußen Frühling und an den Wänden Pferdeposter, und was wir über Liebe wussten, das ging so: mit ihm auf einer Insel sein und ansehen, Tag und Nacht, und die kleinen Härchen am Arm berühren. Tag und Nacht. So ein Traum wie damals, als wir noch nicht wussten, was Liebe ist, wird Liebe nie mehr. Nie mehr werden wir so unendlich sein. Die erste Liebe zerbricht, und der erste Liebeskummer kommt. Ach, wären wir doch gestorben, damals. Wir hätten uns die Wiederholungen erspart. Wir haben unsere Unschuld verloren und statt ihrer Ideen entwickelt, wie Liebe sein müsste, die richtige Liebe. Denken wir, es muss sein wie fliegen und sich die Sachen vom Leib reißen und sich nie mehr trennen und nicht mehr essen und nicht mehr schlafen und nachts tanzen im Regen und tausend Kilometer fahren nur für einen Kuss, der nie endet. Das ist die Idee, und sie meint: Eigentlich wollen wir zurück zu der Zeit, als wir eins mit der Mutter waren. Bedingungslosigkeit wollen wir, danach suchen wir und werden immer enttäuscht werden. Denn so ist es nie. Das merken wir alle zwei Jahre, wenn wieder ein Traum zerbricht. Der Schmerz wird weniger. Wir vertragen ihn nur kaum noch, weil wir doch nicht wissen, wie es gehen soll, weil wir ahnen, dass etwas falsch ist. Und immer bleiben wir allein zurück, die wir altern, und unsere Knochen werden porös, und unsere Seele ist es schon, überzogen mit vielen Sprüngen. Wir sind nicht mehr jung und noch nicht alt – die furchtbarste Zeit im Leben, weil sie voller Sehnsucht nach einem Wunder ist, und das wird – ziemlich sicher – nicht eintreten. Eigentlich hätten wir mit unserer ersten Liebe zusammenbleiben können. Die hundert Wiederholungen auslassen. Sex ist nur Sex – kann man lernen, feuchte Geschichte, ist doch egal –, und Freundschaft wird mit der Zeit erst gut. Was suchen wir, ach ja, die große Liebe suchen wir. Immer schneller trennen wir uns, verlassen, werden verlassen. Leiden wird zur Routine und fast cool, weil: da geht was, da hat man etwas zu erzählen, da wird man bedauert und nimmt ein paar Kilo ab. Und alle reden von Lebensabschnittsgefährten und misstrauen der Unendlichkeit und nörgeln und sind unzufrieden, wenn sie einen haben zum Liebhaben. Der kann’s doch nicht gewesen sein. Überall können wir etwas Größeres und Besseres haben, überall werden uns Träume versprochen. Neue Partner kann man kaufen an jeder Ecke. Überall sehen wir Liebe und Sex und Werbung und Filme und Models, und alle sehen toll aus und sind verfügbar. Warum dann an etwas hängenbleiben, das den Glanz verloren hat? Kaum mehr einer schaut in den Spiegel und sieht sich, wie er ist. Wenn Naomi uns ihre Brüste zeigt, dann kann man doch Naomi haben. Immer kürzer wird die Halbwertszeit von dem, was wir als Liebe bezeichnen, weil wir nicht wissen, wie man den Dreck sonst nennen soll. Hatte die Generation vor uns das Problem, vor lauter Analyse und Selbstfindung zu egoistischen kleinen Arschlöchern geworden zu sein, kranken wir heute daran, nichts mehr zu sein. Keiner ist mehr etwas, keiner ist mehr besonders. Falsch verstandene Demokratie hat uns alle gleich gemacht, alle ohne Eigenschaften und mit der Sucht nach mehr. Immer weniger wollen wir uns anstrengen. Das muss passen, sofort, und gut sein. Wenn wir es mit uns selber schon nicht gut haben, dann muss doch der Partner dafür sorgen. Macht er nicht, denn der Partner will Brad Pitt, und schon ist er weg. Liebe ist: einen außer sich zu ertragen, sich mit einem anderen zu ertragen. Doch bis wir erkennen, was Liebe wirklich ist, sind wir meist schon tot. Schade. Else Buschheuer Else Buschheuers erstes Buch »Ruf! Mich! An!« erschien 2000 und eroberte die Bestsellerlisten. »Venus« heißt ihr jüngster Roman, der im Februar 2005 erschien. Else Buschheuer lebt heute in Leipzig und moderiert für den MDR die Sendung »Riverboat«. Im folgenden Brief verabschiedet sie sich von einem Herrn, der hier anonym bleibt. Ich weiß, was du willst von mir. Du willst mich zerstören. Das ist sie – die Konsequenz der Liebe. Das wahre Happy End. Drunter machen wir es nicht. Wir lausen uns nicht. Wir knuddeln nicht. Wir machen nicht Löffelchen. WIR ZIEHEN ES VOR, EINANDER ZU ZERFLEISCHEN! Du kannst nicht treu sein. Du verachtest Monogamie als bürgerliches Einerlei, als Lüge, als Scheinheiligkeit. Okay, fick alles, was am Wegesrand steht, um dich zu berauschen an diesem irrationalen ICH-BIN-EIN-MANN-WEIL-ICH-EINEN-SCHWANZ-HAB. Klingel mit deinen Eiern. Versprühe frischen Männerschweiß. Alle, die mühselig und beladen sind, werden zu dir strömen. Fick dich ins All. Steck deinen Kopf in den Mond. Steck deinen Schwanz in die Venus. SEI DEIN SCHWANZ. Du willst keine Affäre. Du willst keine Beziehung. Du willst kein Einerlei, kein Blabla, kein Tralala. Du willst eine Jahrtausendliebe. Absolut deiner Meinung! Drunter machen wir es nicht. Drunter hatten wir es schon. Alles, was drunter ist, beleidigt unsere Intelligenz, beleidigt unser emotionales VOLUMEN. Wir sind nicht irgendwer. Wir sind die EINE Frau und der EINE Mann, die Einzigen, die es gibt auf dieser Welt. Wir symbolisieren den Paarungs-Nuklearkrieg, die finale fatale letale Kopulation. Du hattest noch nie eine Frau wie mich, sagst du. Natürlich nicht. Selbstredend nicht. Und ich kannte noch nie einen Mann wie dich. Das bleibt dir unbenommen. Wir sind einander fremd und eins. Wir spiegeln uns ineinander, und was wir sehen, ist alles andere als lieblich. Wir sehen Höllenfratzen, von Begierde verzerrt. WIR WOLLEN DOCH NUR ALLES. Das sind zwei Menschen, die den Geschlechterkampf kämpfen, ganz alleine, wir beide, du und ich, nur du und ich, waidwund, mit Schaum vorm Maul, auf einem Schlachtfeld voller Schamhaare und Embryos und Schädel und Skelette. Wir reißen uns das Haupthaar büschelweise aus. Wir prellen uns die Zähne im Faustkampf. Wir beißen uns die Zungen ab. Wir verbrennen uns die Geschlechtsteile. Wir bombardieren uns mit Blut und Samen. WANN BIST DU ENDLICH TOT, DU MANN, DU LAUS? Einer zerstört den anderen. Der Not gehorchend. Dem Trieb gehorchend. Aber wer ist schneller? Wer ist stärker? Du kennst den Versuch mit zwei rohen Eiern? Eins schlägt, eins wartet. Es zerbricht immer das passive. Hast du schon mal ein Stück Fleisch in ein Glas Cola gehängt über Nacht? Wer ist das Fleisch, wer die Cola? Was bringt mehr Lust: sich fressen zu lassen oder zu fressen? Sich lieben zu lassen oder zu lieben? Sich ficken zu lassen oder zu ficken? Wem gebührt das letzte irrlichternde Lächeln über der Leiche des anderen? Monster! Drachen! Alligator! Verbrecher! Du bist ein Vulkan, Mensch! Deine Texte sind wie Lava. Sie sind so gewaltig, dass man sich vor ihnen fürchten kann. Sollte. MUSS! Man muss sich fürchten, so wie vor der Folter, so wie vor dem Teufel, so wie vor dem SCHEISS-Fegefeuer. Keine Frau, kein Mann, niemand darf jemals deine Bücher in dem Zimmer haben, in dem er schläft. Man sollte sie vor die Tür legen, nicht vor die Zimmertür, vor die Wohnungstür. Sie sollen auf der Schwelle liegen, ihren betäubenden Gestank verbreiten, ihre magischen Beschwörungen verflüchtigen, ihre Lava ins Freie gießen, denn nur dann ist ihre Botschaft nicht todbringend. Nur dann verpufft ihr Gift. Ja! Bitte! Schlag mich! Schlag an gegen meine Überlegenheit! Schlag an gegen alles, was ich weiß und will, gegen alles, was ich sage und nicht sage. Schlag an gegen das Ungewisse. Bäume dich auf gegen mich, deine Henkerin. Ich hasse dich. Ich hasse dich mit jeder Faser meines Körpers, der dich zitternd ersehnt. Ich hasse deinen Hochmut. Deine intellektuelle Überheblichkeit. Deinen Testosterongestank. Dein Macho-Gehabe. Deinen Schwanz, der sich hebt wie ein belehrender, wie ein monströser Zeigefinger. Ich bin dir verfallen. Deiner Wortgewalt, deinem Griff, deiner Stimme. Mich von dir zu trennen hieße, mir den Arm abzuhacken, mir die Augen auszustechen, mir das Herz rauszureißen. Hier, nimm es. Friss es, du Bestie. Verreck daran! Erstick daran! Verschluck deine Zunge, beiß deine Finger ab, stoß dir den Schädel ein an den Wänden deines Kerkers aus Dünkel! Sitz in den Scherben deines zerbrochenen Schädels und tu dir leid und hasse und verdamme und begehre mich und begehe Selbstmord, häng dich auf an deinen Samensträngen. Komm, begehre mich, verzehre dich, liebe mich mehr als ich dich. Liebe mich mehr als ich dich und du hast verloren. Ich werde dich zugrunde richten. Ich werde dich mit Genuss über den Abgrund schubsen. In meinen Sneakers, die du so unerotisch findest. Im Todeskampf werden wir unsere besten Texte in goldene Pokale scheißen. Ich werde deinen dicken muskulösen Hals zusammendrücken mit meinen Krallen. Die letzten Verse werde ich aus dir herauspressen. SOLANGE IN DIESER ZITRONE NOCH SAFT IST. Röcheln wirst du. Die Augen verdreht, nur das Weiße. Zeig es mir zum letzten Mal, das Gesicht, das nur mir gehört. Zeig’s mir! Ach Gottchen, du stirbst? Na so ein Pech! Hast du einen letzten Wunsch? Was? Ich verstehe dein Geröchel nicht. Kein letzter Wunsch? Bitte, dann nicht. Amboss oder Hammer sein, mein Freund. Ich werde deinen Schwanz wie ein Gummiseil lang ziehen. Ich werde dich strangulieren mit deinem eigenen treulosen Fickschwanz. Ich werde deinen Schwanz als Armreif tragen, als Relikt, als Fetisch, als Orden. Ich wünsche dir den Tod, von Herzen. Stirb, Schrecklicher! Erlöse mich! Hau ab, verpiss dich, fahr zur Hölle. Und wenn du dort bist – warte auf mich. Milena Moser Milena Moser, Schweizer Schriftstellerin, lebt heute mit ihrer Familie in San Francisco, Amerikas Mekka der Yoga-Fanatiker. Auch Milena Moser hat dort Yoga für sich entdeckt, was sie zu ihren letzten Büchern »Sofa, Yoga, Mord« (2003) und »Schlampenyoga« (2004) inspirierte. Sie veröffentlichte 1990 ihre erste Kurzgeschichtensammlung »Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord« in einem eigens von ihren Freunden für sie gegründeten Verlag – und landete 1991 mit »Die Putzfraueninsel« ihren ersten Bestseller. Die Verfilmung durch Peter Timm wurde preisgekrönt. Es folgten genauso erfolgreich: »Das Schlampenbuch«, »Blondinenträume«, »Das Faxenbuch«, »Das Leben der Matrosen«, »Artischockenherz« und »Bananenfüße«. Ihr Kommentar zu dem folgenden Brief aus dem Jahr 2005: »Ein Abschiedsbrief, den ich definitiv geschrieben hätte, wenn mein Liebster nicht rechtzeitig zur Vernunft gekommen wäre.« Liebster Mann, bitte setz dich erst mal hin, bevor du weiterliest. Ich möchte nicht, dass deine dünnen Beine einknicken, dass dein geschwächter Körper nachgibt, dass du am Ende ohnmächtig wirst. Du sollst nicht ohnmächtig werden. Du sollst nur ohne mich weiterleben. Vierzig, fünfzig, achtzig Jahre lang. So lang es eben sein muss. Du willst mit mir alt werden, hast du gesagt. Das fand ich schön. Das wollte ich auch. Aber doch nicht gleich hundertzwanzig Jahre alt! Siebzig, hab’ ich mir vorgestellt, fünfundsiebzig vielleicht, so genau hab’ ich mir das nie überlegt. Ich fand die Vorstellung einfach schön: zusammen alt werden. Zusammen immer weitergehen. Zusammen immer wieder neu anfangen. Ich mag es, wenn plötzlich etwas Fremdes in dir aufblitzt, etwas, das ich noch nicht kannte. Als du von dem Interviewtermin mit dem Arzt in Denver zurückkamst, der das Geheimnis des ewigen Lebens zu kennen meint, voller neuer Ideen und Tragetaschen voller Broschüren und Vitaminkapseln, fand ich das erst mal spannend. Etwas Neues ausprobieren. Gewohnheiten verändern. Rituale ersetzen. Bei Klein’s Delikatessen, wo wir oft sitzen, einen Grüntee bestellen statt eines doppelten Espressos und statt des Himbeer-Mandel-Scones: nichts. Ratten, die ein Drittel weniger Nahrung bekommen, als sie eigentlich brauchen, werden fast doppelt so alt wie ihre lustigen, satten Artgenossen, das hast du mir erklärt. Aber sind sie auch glücklich? Oder träumen sie nachts von einem Himmel, der aus Schokoladenkuchen gebaut ist – oder was immer für Ratten Schokoladenkuchen ist. Wovon träumst du, wenn du unter deinen drei Decken endlich einschläfst, die Arme um dich selbst geschlungen? Nicht mal mehr wärmen kann ich dich. Meine Berührung ist dir zu viel, die Haut tut dir weh, sagst du, und so sieht sie auch aus, kalt und grau. Ich bin keine Ratte. Ich will nicht weniger essen (eher mehr). Ich will nicht ewig leben. Schon gar nicht so! Ich vermisse unsere ausgedehnten Abendessen. Ich vermisse die kurzen Wanderungen, die nur ein Vorwand sind, um das Tuch auszubreiten, den Käse und das Brot auszupacken, eine Flasche Wein aufzumachen. Ich vermisse Gespräche, die sich um etwas anderes als um Rattenleben drehen, vermisse unsere Sorglosigkeit, ich vermisse sogar unseren heftigen Streit, für den die Kraft fehlt. Deshalb geh’ ich jetzt zu Klein’s Delikatessen runter und bestell’ mir einen doppelten Espresso und ein Stück Pumpkin-Cheesecake. Und warte auf dich. always but not forever, M.
Reihe/Serie | Goldmann Sachbücher |
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Sprache | deutsch |
Maße | 125 x 183 mm |
Gewicht | 193 g |
Einbandart | Paperback |
Themenwelt | Literatur ► Zweisprachige Ausgaben |
Schlagworte | Abschiedsbriefe • Briefsammlungen • Frau • Trennung |
ISBN-10 | 3-442-15456-1 / 3442154561 |
ISBN-13 | 978-3-442-15456-2 / 9783442154562 |
Zustand | Neuware |
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