Das Märchen von Prinzessin Hase-Hime (eBook)
159 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-8187-2502-0 (ISBN)
Zoé Waltermann versucht furchtlos zu sein, arbeitet an ihrer chronischen Unpünktlichkeit, hat eine ungesunde Obsession mit schönen Ohrringen, träumt von immer neuen Dingen und hofft, dass das Glück ihr weiterhin so bereitwillig in die Arme spielt. Außerdem hat sie sich in den Zauber von Sprachen verliebt und einen natürlichen Hang zum Aberglauben.
Zoé Waltermann versucht furchtlos zu sein, arbeitet an ihrer chronischen Unpünktlichkeit, hat eine ungesunde Obsession mit schönen Ohrringen, träumt von immer neuen Dingen und hofft, dass das Glück ihr weiterhin so bereitwillig in die Arme spielt. Außerdem hat sie sich in den Zauber von Sprachen verliebt und einen natürlichen Hang zum Aberglauben.
»Was seid ihr für gute Kinder, wie ihr dort so miteinander spielt. Hier habt ihr etwas süßen Wein und Gebäck. Dass ihr mir schön alles leert!«
Artig bedankten sich die beiden für die Gaben und Hase, obwohl verwundert über die ungewöhnliche Freundlichkeit ihrer Stiefmutter, hegte keinerlei Misstrauen gegen diese. Nicht im Traum wäre ihr in den Sinn gekommen, dass Terute in ihren ständigen kleinen Missetaten, so weit gehen würde. Terute selbst wäre zu gern noch geblieben, um Hase beim Einnehmen des Trunks zu beobachten, doch wie es nun mal die Eigenschaft der Menschen war, die eigenen Gedanken auf ihre Mitmenschen zu projizieren, fürchtete sie, Hase würde Verdacht schöpfen, wenn sie noch länger mit ihnen im Raum verweilte. Sie achtete also darauf, das Tablet so zu stellen, dass das vergiftete Glas jenes war, welches näher an Hase stand, dann verlies sie den Raum. Erregt konnte sie noch ausmachen, wie Hase nach dem schlechten Weine griff. Was sie jedoch nicht bedacht hatte, war, dass das Mädchen den Anstand besaß, ihren Bruder zuerst zu bedienen. Immer wieder fand Terute Ausreden, sich in das Zimmer zu stehlen. Mit wachsender Unruhe beobachtete sie ihre Stieftochter, die jedoch keinerlei Anzeichen von Schwäche aufwies. Als Terute gerade mit einer teuren Vase in den Händen erneut das Zimmer verlassen wollte, angeblich um einen dekorativeren Ort für sie zu finden, begann Hirotoshi auf einmal zu schreien. Von Krämpfen gequält wälzte sich der kleine Junge zwischen seinen Spielzeugfiguren umher.
Krachend ging die Vase zu Bruch. Terute fiel neben ihrem Sohn auf die Knie, mit Grauen ihren Fehler erkennend.
»Du dumme Gans, glotz nicht nur, sondern such gefälligst einen Arzt!«, fauchte sie die entsetzte Hase an.
Diese war sofort auf den Beinen und rannte los, aber so sehr sie sich auch beeilte, als sie mit dem Medikus endlich wieder eintraf, war der junge Prinz bereits nicht mehr am Leben.
Schlaff lag er in den Armen seiner Mutter, die heulte und schrie, weinte und jammerte, flehte und schimpfte, doch da war nichts, was sie tun konnte, um ihren Sohn zurückzuholen. Die Ärzte, damals mehr Scharlatane als tatsächliche Gelehrte, gaben als Todesgrund nur an, dass ihm der Wein wohl nicht gut bekommen sei. Was war es für ein Jammer, als Prinz Toyonari nach Hause kam und von dem Unglück erfuhr. Der Vater stürzte sich vor Gram über diesen weiteren Verlust in seine Arbeit. Die Schwester vergaß die Lehren der Besonnenheit, und weinte und betete über Tage und Nächte hinweg. Die Bediensteten des Hauses schwebten tonlos durch die stillen Flure. Die Leute in der Stadt liefen mit gesenkten Blicken, auch wenn sie den kleinen Prinzen fast nie zu Gesicht bekommen hatten. Nur die Mutter wurde von einer anderen Empfindung ausgebrannt, als Trauer: Hass. Sie weigerte sich dagegen, ihre eigene Schuld an der Tragödie einzusehen, sondern begann ihre Stieftochter so sehr zu hassen, wie nur wenige Menschen es in der Lage waren, und welch finsterer Weg, der sie dahin geführt hatte.
Ursprünglich war es die Eifersucht auf Hase gewesen, weil sie sich gedacht hatte: »Wenn sie nicht wäre, würde mich mein Mann mehr lieben.«
Später lag es in ihrer vertrackten mütterlichen Fürsorge begründet, dass sie sich eingeredet hatte: »Wenn Hase nicht wäre, würde mein Sohn die ganze Liebe seines Vaters erhalten.«
Nun aber, war es reiner Hass, der jeden ihrer Gedanken verseuchte. Wäre es nicht um diese Bestimmung gewesen, der
Prinzessin Hase ihre vermeintlichen Schulden zu vergelten, hätte sich Terute womöglich über den Verlust ihres Kindes selbst das Leben genommen. Stattdessen suhlte sie sich nun zu jeder freien Minute in Vorstellungen darüber, wie sie ihre Stieftochter büßen lassen würde. Klarer und klarer kristallisierte sich dabei ein Gedanke heraus, der sie wie ein treuer Hund überallhin verfolgte: Prinzessin Hase musste sterben.
***
Eine geeignete Gelegenheit hierfür sollte sich schon bald bieten: Prinz Toyonari wollte aus beruflichen Gründen für mehrere Tage verreisen. Froh darüber, wie die Dinge ihr in die Hände zu spielen schienen, verabschiedete sich Terute von ihrem Gatten.
Auf die Frage, was er ihr denn von der Reise mitbringen solle, antwortete sie: »Teure Ketten und Ohrringe. Wenn sie das nicht haben, dann ein paar neue Schuhe, meine zerfallen ja bald zu Staub! Und wenn du die auch nicht findest, dann werden es auch edle Kleider tun, an denen gibt es schließlich nie eine Obergrenze im Schrank einer Dame.«
Toyonari versprach, sich an die Weisung zu halten. Als er sich seiner Tochter zuwandte, beschlich ihn sogleich Sorge, ob der Erschöpfung, die er in ihrem Gesicht sah. Er vermutete dahinter die Trauer um den Tod ihres kleinen Bruders, was auch zu seinem Teil stimmte. Was er aber nicht wissen konnte, war, dass die dunklen Ringe unter ihren Augen auch in einem Albtraum begründet lagen, der sie in der vorherigen Nacht vom Ruhen gehalten hatte. Da sie wusste, wie wichtig diese Reise für ihren Vater war – nicht nur wegen des Geschäfts, sondern auch, weil es seine Seele für eine Weile vom Haus des Todes fortbringen würde –, verriet Hase ihm nichts von dem Falken, der sie in ihrem Traum schutzlos zurückgelassen hatte, sodass
eine Krähe kam, sie mit ihren rauen Klauen packte und in die See warf, in der sie von Strömung zu Strömung geworfen worden war, im ständigen Kampf darum, ihren Kopf über Wasser zu halten, bis sie schließlich nass und salzig vom Schweiß aufgeschreckt war. Dabei ahnte die Prinzessin, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Traum, sondern vielmehr um eine Warnung, vielleicht gar eine Prophezeiung gehandelt hatte.
»Meine liebe Tochter, womit kann ich Euch bei meiner Rückkehr beglücken?«
»Mit nicht mehr, als Eurer Gesundheit und einem Lächeln auf den Lippen«, antwortete Hase-Hime.
»Aber Kind, es muss doch etwas geben, mit dem ich Euch zeigen kann, dass Euer Vater auch auf der Reise mit den Gedanken ganz bei Euch war.«
Da sann die Prinzessin kurz nach, bevor sie sprach: »So bringt mir eines Falken-Feder, sollte sie Euch freien Willens von der Natur gegeben werden.«
Der Prinz war sehr verwundert über diesen Wunsch, brachte es aber trotz der Abwegigkeit seiner Erfüllung nicht übers Herz, ihn seiner Tochter abzuschlagen. Er versprach, nach Allem Ausschau zu halten und ritt mit einigen seiner Männer von dannen.
***
Kaum einen Tag konnte Terute sich gedulden, bis sie den alten Katoda, einen treuen Diener des Hofes, zu sich rief.
»Ihr wünscht, Herrin?«, fragte er mit einer Verneigung.
»Diener« sprach Terute, »ich möchte, dass du Prinzessin Hase-Hime zum Berg Hibari geleitest. Lass sie dort zurück und du wirst eine große Belohnung erhalten.«
Der alte Mann runzelte die Stirn.
»Aber Eure Majestät, diese Gegend ist ausgesprochen gefährlich. Die Prinzessin wird sterben, lässt man sie dort allein.«
»Genau das ist es, was ich begehre. Warst du nicht immer treu zu deinen Herren? Solltest du dich etwa nun auf deine alten Jahre deinen Pflichten verwehren?«
Katoda schwieg eine Weile unter dem scharfen Blick der Prinzessin. Schließlich neigte er sein weißes Haupt und sagte:
»Euer Wunsch ist mir Befehl. So sagt mir nur noch, wann ich aufbrechen und mit welcher Begründung ich die Prinzessin führen soll.«
»Geht sogleich, und über Hase mach dir nur keine Sorgen.
Sag ihr, ich wünsche es so, und sie wird dir folgen wie ein Lamm.«
Katoda verneigte sich noch einmal, dann verließ er den Raum, um Vorbereitungen für die Reise zu treffen.
***
»Sagt, Katoda, wohin führt Ihr mich?«, fragte die Prinzessin ohne Furcht, als sie durch den dichten Wald an den Ausläufern des Berges Hibari irrten.
»Meine Prinzessin, Eure Stiefmutter sandte mich aus, Euch hier in den Bergen allein und schutzlos zurückzulassen«, antwortete der gute Mann ehrlich. »Sie trachtet nach Eurem Leben, doch ängstet Euch nicht: Ich will mich meiner Anweisung widersetzen, um Euch zu helfen.«
»Das ist sehr nobel von Euch, aber bedenkt, dass Ihr meiner Stiefmutter einst einen Schwur leistetet«, gab da die Prinzessin zu bedenken.
Überrascht blickte der Diener sie an.
»Ja, Prinzessin, ich leistete Ihrer einen Schwur und die Götter selbst wissen um meine Treue. Doch mein ganzes Leben
würde ich mich schämen, wenn ich nun ein Kind an einem so verlassenen Ort zum Sterben lassen würde.«
»Euer Ungehorsam wird Euch noch großen Ärger einbringen. Ihr solltet lieber heimkehren. Sorgt Euch nicht um mich, die Wälder sind mir eine zweite Heimat geworden. Ich werde es schon schaffen, sie zu bestehen.«
»Aber wo wollt Ihr denn hin? In Eurem Heim lauert die Schlange Terute und überall sonst auf dieser Erde weitere böse Geister. Nein, ich werde bei Euch bleiben und Eure Stiefmutter an Eurer Seite stürzen.«
»Von welchem Sturz sei hier die Rede?«
»Der, den sie für ihr Hexenwerk verdient. Ihr gehört als Herrin des Hauses, nicht dieses eitle Wesen welches sich mit Grausamkeit schmückt.«
Sanft legte Hase dem Alten eine Hand auf den Arm.
»Katoda, ich schätze sehr Euer Angebot, doch werde ich nicht gegen meine Stiefmutter vorgehen. Sie mag von Hass und Neid geblendet sein, aber sicher ist sie kein böser Mensch. Ich will hier warten, bis mein Vater mich findet und dann wird sich zeigen, was als nächstes kommt.«
Katoda schwieg eine Weile.
Dann sagte er: »So das Euer Beschluss ist, werde ich bei Euch bleiben, bis Ihr wieder mit Eurem werten Vater vereint.«
»Mein ganzer Dank gilt Euch, Katoda.«
»Ich...
Erscheint lt. Verlag | 21.11.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Märchen / Sagen |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Hase-Hime • Japan • kaguya • Nara-Periode • Prinz • Retelling |
ISBN-10 | 3-8187-2502-0 / 3818725020 |
ISBN-13 | 978-3-8187-2502-0 / 9783818725020 |
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