Radikale Nachfolge (eBook)

Briefe des Vikars Winfrid Krause an seine Verlobte Friedegard Vilmar aus dem Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde 1937
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2024 | 1. Auflage
191 Seiten
Vandenhoeck und Ruprecht (Verlag)
978-3-647-99279-2 (ISBN)

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Radikale Nachfolge -
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Dietrich Bonhoeffer, die Vikare und jungen Pfarrer im Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde lebten eine neue Form christlicher und theologischer Existenz. Zugleich war es die Zeit der staatlichen Verfolgung christlicher Kirchen durch das nationalsozialistische Regime Adolf Hitlers. Die täglichen Briefe Winfrid Krauses aus dem Predigerseminar Finkenwalde an seine Verlobte und spätere Frau Friedegard vermitteln einen lebendigen Eindruck von der christlichen Bruderschaft, die sich gegen eine totalitäre Staatsregierung zur Wehr setzte, Solidarität mit den verfolgten Brüdern zeigte und die 'Nachfolge' Bonhoeffers ernst nahm. Sie sind ein authentisches Zeugnis des letzten Finkenwalder Seminarkurses.

Die Briefe


Auszüge aus den Briefen von Winfrid Krause an seine Verlobte Friedegard Vilmar (18. April – 8. September 1937), geschrieben während seiner Teilnahme am 5. Kurs in Finkenwalde, vorwiegend theologische, kirchenpolitische und das Finkenwalder Predigerseminar betreffende Fragen und Ereignisse wiedergebend.

1


18. April 1937 [Sonntag], z. Zt. Stettin, Braunsfelde16

In aller Ruhe kann ich Dir jetzt schreiben, Gerhard [Krause] ist fort mit seinen Jungens, während draußen am dunkelblauen Himmel der Donner rollt und gleichzeitig von der anderen Ecke des Himmels die Sonne hier auf das Blatt scheint, will ich Dir von gestern und heute erzählen.17 Gestern Vormittag [habe ich] gepackt und [am] Nachmittag [bin ich] abgefahren, beladen mit zwei schweren Koffern und dem alten blauen Trenchcoat über dem Arm.18

In Finkenwalde nahm ich von wegen der Koffer und der Entfernung bis zur Waldstraße (17–20 Minuten) eine Taxe. Das Zimmer, in das ich gekommen [bin], teile ich mit einem kleinen dicken Brandenburger, [Gerhard]19 Kuhrmann, der aber noch nicht da ist. Ich bin überhaupt der erste. Es liegt zu ebener Erde und hat ein großes, dreigeteiltes langes Fenster, ist mit gelblich brauner Leinenfarbe gestrichen. Zwei Betten, zwei Schränke (die wir uns je zur Hälfte teilen müssen), zwei Tische und ein Stuhl, zwei winzige Nachttischchen (!). Eine Art Sofa. Alles recht spartanisch, schadet auch nicht. Vielleicht machte auch das kahle Zimmer einen etwas drückenden Eindruck. Vorfand ich – stell Dir vor – neben einer Vormeldung, dass ich zum 20. 4. wahrscheinlich eingezogen würde, neben Drucksachen und einem Brief von Dr. Beer (der in der »D.Z.« über Volk-Staat-Kirche geschrieben [hat] und worauf ich doch geantwortet [habe]),20 Deinen Brief. Ich war glücklich.

Ehe ich auspacken konnte, stellte mich Fritz Onnasch gleich an, zu tippen. Schließlich kam ich zum Auspacken. Der zur Verfügung stehende Raum ist äußerst gering! Meine Bücher habe ich zum Teil gar nicht auspacken können, die anderen oben auf dem einen Schrank. Keine Bücherrücken. Man darf ja nicht vergessen, dass von dem Mobiliar ja quasi das meiste aus Stiftungen zusammengekommen [ist] und dass man kein Geld für Anschaffungen hatte. Es wird auch so gehen.

Mit meinem Amt ist nicht – wie ich zuerst meinte – die Telefonbedienung verbunden. Sondern nur das Klingeln zur Andacht, Arbeitsstunden und Essen und das abendliche Abschließen des Hauses. Das geht also. Bettenmachen und Wasserholen und Ausgießen, sowie Stiefelputz wird von dem Kandidaten selbst getätigt!

Auf dem Plan steht bereits, dass ich am 6. Mai – Himmelfahrt – predigen muss.

Was das Äußere anlangt, wird es etwas primitiver als bisher, aber dafür wird das Innere dann hoffentlich zunehmen. Jetzt sind nur die Leute aus dem Bruderhaus dort, wirkliche »Männergesellschaft«.

Heute Morgen [nach Stettin] hereingefahren. Um 10.30 Uhr hatte [Hans] Asmussen Gottesdienst. Von wegen der Züge war ich schon um 9.45 Uhr da und bekam einen guten Platz. Um 10 Uhr war das Hauptschiff besetzt. Drei Emporen hat die Kirche. Alles füllte sich, im Mittelgang standen die Leute vom Altar bis zur Tür. Auch in den anderen Kirchen war es überfüllt. Man hatte ca. 90.000 Handzettel in Stettin verteilt. Der Besuch war natürlich kolossal. Man merkte geradezu viele, die nie sonst zur Kirche kommen. Und dann hat Asmussen über 1. Korinther 15,20–28 gepredigt. Wenn eine Predigt einen so richtig getroffen hat, dann ist’s ja sehr schwer, was darüber zu sagen.

Er fing etwa damit an: Christus führt seine Gemeinde, die Kirche immer so, dass er scheinbar der Welt den Triumph über sie lässt. – Und diesen Gedanken führte er anhand des Textes durch. Er hat ja etwas wirklich Vorletztes in seiner Art zu reden und den Hörer wirklich unter das Kreuz zu schleifen, so dass man ihm nicht durch die Finger entwischen kann. Wie er immer wieder sagte: Ein einzelner mit Christus ist die Mehrzahl gegenüber der Masse und der vielen ohne Christus. Eine große ruhige Gewissheit klang in aller Not aus der Predigt. Und das andere: Nur durch Leiden werden die Christen vollkommen. Und dass uns sicher diese Leiden nicht erspart bleiben [werden], und dass die Frage nur ist: Wo stehen wir dann?

Es war sehr eindrücklich und eben ein biblisches Zeugnis für den heutigen Menschen. Kann man etwas Höheres und Besseres von einer Predigt sagen?

Danach fuhr ich zu Gerhard [Krause] hinaus. Wurde mit ihm kurz zu seinen Bekannten zu Mittag geladen. Begrüßte dann [Martin] Franke und [Edo] Osterloh und dessen Frau, (Osterloh [hat] heute vormittags in der [Heinrich] Rendtorffschen Kirche gepredigt) und schreibe jetzt, um nachher [Karl Ferdinand] Müller in der Lindenallee zu besuchen und heute Abend in eine Kirche mit Gerhard [Krause] zu gehen, wo [Hugo] Hahn-Dresden und [Hans] Asmussen sprechen.

Nun aber Deine Briefe. Vorher zweierlei: Das Lateinheft – hurra! – war in Finkenwalde; Du bekommst es mit dem Bultmann, Glaube und Verstehen, in [den] nächsten Tagen. Die NT Theologie [Bultmanns], ja, an die komme ich nun nicht heran. Tatsächlich dumm, dass wir das nicht vorher bedachten. Vielleicht kann ich es Mutter klar machen, wo es steht. Aber Verlass ist nicht darauf, obwohl es natürlich herrlich wäre, wenn Du daraus in etwa ersehen könntest, was Bultmann verlangt, zumal er da ja ausführlich übers AT geredet hat.

Ferner: Sprich, so voll Du kannst, gegen diese angebliche neue Leitung unter [August] Marahrens. Ganz böse Sache der Mitte. Der abwartende Instinkt der weiblichen »Helfer« gereicht ihnen nur zur Ehre. Osterloh, der ja [Hans] von Soden liebt und schätzt, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als ich ihm erzählte, dass [Hans] von Soden für diese »Leitung« [sei]. Dieses Gremium hat die Landeskirchenführerkonferenz (also die Mitte, die Kriegsgewinnler des Kirchenkampfes) herausgestellt. Man hat vorher kein Wort mit der V. K. L. verhandelt. Die Folge ist, dass sich die V. K. L. – sprich BK – nicht daran beteiligt, sondern ein klares Wort dagegen gesagt [hat], warum dieser Weg unmöglich [ist]. Asmussen [hat] gesagt: Das ist keine vorläufige Leitung, sondern eine nachläufige! Ich verstehe [von] Soden wahrhaftig nicht. Das erste Wort, dass diese »nachläufige« hat bekannt geben wollen, ist beschlagnahmt. Das also zur Aufklärung.21

[…]

Mit der Auswahl im Kindergottesdienst sei nicht zu ängstlich. Ob eines berühmten Ausgelassenen (christologische Kämpfe der ersten Jahrhunderte) passiert Dir nichts, wenn Du die große Linie kennst. – Was heißt »in kirchlichen Kreisen besseres Weltkind?«22 Asmussen [hat] heute gesagt: Die letzte Frage ist nicht die, ob Du zur Bekennenden Kirche gehörst, sondern die, ob Du Christus gehörst oder nicht (1. Kor 15,23). Was wohl aus der Studentenevangelisation wird?

[…]

Mit dem Lesen des exegetischen Teiles der Morgenwache, also dem schwarz-weißen Buch, bin ich lässig.23 Ich gestehe es. Lasse mich aber von Dir zur Ordnung rufen. Danke. Will mich nun wieder bessern. Muss mal sehen, wie es jetzt im Seminar wird, wo wir ja morgens und abends zusammen lesen. Mit den Psalmen sind wir, glaube ich, verschieden weit. Ich bin am Montag bei 119,73–96. Du auch oder [bist du] schon weiter? Schreib’s, wie wir wieder zusammenkommen.

Friedegard hatte ihm am 16. April 1937 geschrieben:

Du, ich freue mich so für Dich, dass Du es so ruhig hast und zu so viel kommst. Briefe und Fotos. Wirklich. Deine Briefe sind auch so schön still.

Und warum fährst Du so früh nach Finkenwalde? Es geht doch erst Montag los. Das verstehe ich nicht! Was willst Du denn da alleine?

Du, Du musst nun da alles ganz genau beschreiben. Räume und all die Jungens, und wie es mit Direktor und Inspektor geht. Freust Du Dich denn? – Hoffentlich hast Du eine nette Crew.

[…]

Jetzt weiß ich, warum Du nach Stettin fährst, wegen [Hans] Asmussen und all denen. Köpfchen!

2


19. April 1937, Finkenwalde, Waldstraße 524

Meine Sachen sind ausgepackt und stehen einigermaßen um mich herum. Und die Fremdheit von Zimmer und Haus beginnt schon ein ganz klein wenig zu weichen.

[…] [Hans] Asmussen gestern Abend war ganz groß. Vorher [Hugo] Jahn-Dresden. Der »Glaubensvater Luther« kennzeichnet ihn. Richtig baltisch, bieder und fest und lutherisch. Manches nicht ganz klar. Natürlich auch etwa der beste Christ = der beste N. S. (aber nicht als Tenor, sondern nebenbei). Immerhin, es war nichts Unmögliches, und für die Gemeinde gar nicht übel, gerade als Kontrast zu Asmussen, und doch »zweier Zeugen...

Erscheint lt. Verlag 18.11.2024
Mitarbeit Sonstige Mitarbeit: Gernot Gerlach
Zusatzinfo mit 4 Abb.
Verlagsort Göttingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Schlagworte Bekennende Kirche • Dietrich Bonhoeffer • Kirchenkampf • Nationalsozialismus • Predigerseminar Finkenwalde • Widerstand
ISBN-10 3-647-99279-8 / 3647992798
ISBN-13 978-3-647-99279-2 / 9783647992792
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