Verfolgte Verschwörungstheoretiker (eBook)
300 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-5805-7 (ISBN)
S. Pomej hat aus Interesse an der menschlichen Natur Psychologie studiert und lässt die erlernten Störungen plus eigener Erfahrung mit kranken Zeitgenossen, die immer wieder unerwünscht auftauchen, in spannende Bücher und Kurzgeschichten sowie lustige Comics einfließen. Website: https://pomej.blogspot.com/
6. Flug in die Erinnerung
Schon die Erledigung der ganzen Reiseformalitäten wäre Stoff für eine Reportage von umfangreicher satirischer Qualität gewesen. Manches wäre zum Brüller im Lokalteil geraten, sogar reif für ein Kabarettprogramm, wie all die andern vielen Realsatiren, die Jonas schon erleben musste. Letztendlich half ihm sein Presseausweis, schnellere Überzeugungsarbeit zu leisten. Jedenfalls hatte er es geschafft, im MGMHotel zwei Zimmer in derselben Etage zu mieten und im Flieger neben seiner blonden Informantin zu sitzen. Auch sie hatte einiges erlebt, denn so kurz nach einer USA-Reise erneut eine solche anzutreten, rief bei einigen Stellen erhöhtes Misstrauen hervor. Doch die Profitgier besiegte die Skepsis dieser Stellen.
Das Flugzeug füllte sich, die Stewardess ratterte ihr Standard-Begrüßungs-Sprüchlein herunter und schon hob die Maschine ab, den Bauch voller Passagierinnen und Passagiere, die ihrerseits den Bauch voll Sorgen, Ängsten und auch Hoffnungen hatten. Jonas genoss seinen Fensterplatz und beobachtete die sich immer neu bildenden Wolkenformationen unter dem Flugzeug.
Wahrscheinlich um ihre Flugangst zu überspielen, begann Frau Kopplmayr, die ein bequemes froschgrünes Jumpsuit trug, ein Gespräch: "Die Frau, die gerade zur Toilette gegangen ist, die sah so aus wie meine alte Deutschlehrerin, Frau Wasicka. Die hat uns eingeschärft, auch nach dem Schulabgang befreundet zu bleiben. Beziehungen sind das halbe Leben und so schafft man sich welche. Aber ich kann das nicht befürworten. Noch nie hat mir ein Ex-Schulkollege geholfen."
"Als Journalist bin ich im Vorteil. Ich kriege zirka 200 Mails die Woche. Übrigens zirka 10 % von gewissen Verschwörungstheoretikern, die an Echsenmenschen glauben, welche unterirdisch dahinvegetieren und aus Machtgier den Hades verlassen. Der großstädtischen Umgebung sind sie in Aussehen und Verhalten so grandios angepasst, dass sie im täglichen Trubel von niemand erkannt werden können. Und wer jemals so ein Vieh ohne Maskierung gesehen hat, wird die Erfahrung machen, dass ihm keiner Glauben schenkt oder nach der Anzahl der auf Ex gekippten Drinks gefragt wird. Ich liebe ja solche Leutchen, sie bringen Abwechslung im täglichen Einerlei. Die restlichen 90 % wollen mir nur ihre Problem-Story verklickern. Da sind immer auch einige nützliche Menschen dabei."
"Und falls keiner Ihnen helfen will, was machen Sie dann?"
"Dann geh ich meist zu meiner Oma! Ich schätze, Ihre erste Anlaufstelle ist Ihre Schwester?"
Augenrollend zog sie eine Schnute. "Äch, die Kuh kann nichts, außer mir die Bude vollqualmen und Nachbarn ausspionieren! Das immerhin gründlich. Sie legt penibel Protokolle von jedem ihr Verdächtigen an."
"Was machen Sie eigentlich beruflich, Frau Kopplmayr?"
"Ich besitze ein Nagelstudio, das in meiner Abwesenheit meine Schwester führt. Andern die Krallen stutzen, das hat die Maus schon als Kind gekonnt. Der Stewardess hab ich vorhin schon meine Visitenkarte ausgehändigt." Zufrieden betrachtete sie ihre eigenen Fingernägel. "Sicher eine Kundin mehr!"
Aha, dachte sich Jonas, daher hat sie das Geld für die teure Handtasche und den Flug und so weiter. "Sehr geschäftstüchtig! Und privat wollen Sie jetzt einen Amerikaner zum Lover?"
"Nein, ich hab ja einen Freund", sagte sie hörbar stolz.
"Und der hat nix dagegen, dass Sie jetzt wieder nach Vegas abschwirren?"
"Er ist verheiratet."
"Ach sooo."
"Demnächst werde ich mit ihm Schluss machen!"
"Das klingt vernünftig."
Auf seinem Weg zur Toilette fiel Jonas eine Visitenkarte auf, die im Gang zwischen den Sitzen lag.
NAGELSTUDIO Janina KOPPLMAYR & CO
Insgeheim grinste er in sich hinein: Nix mit neuer Kundin! Bei seiner Rückkehr überlegte er sich, ob er petzen solle, entschied sich jedoch dagegen, warum sollte er die Hoffnung auf Umsatzsteigerung seiner Begleiterin zerstören.
"Grad hat mich einer angebraten", berichtete sie ihm von einem Anmachversuch eines Mitreisenden. "Wenn's wenigstens der Pilot gewesen wäre, aber sooo...."
Mit schelmischem Lächeln scherzte Jonas: "Vielleicht hätten wir erstmal unsere natürliche Intelligenz stabilisieren sollen, bevor wir uns an künstliche wagen."
"Sagen Sie mal, Herr Jericho, haben Sie schon jemals etwas - na, sagen wir mal Schräges, Unheimliches, ja sogar Übernatürliches erlebt?" Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, sehr nahe, sodass er in ihrem Atem noch den Pfefferminz-Kaugummi riechen konnte.
"Hm", nach kurzem Überlegen gestand er: "Vor Jahren traf ich mich mit einer Gruppe Esoteriker in Salzburg, gut gemischte Gruppe, ein weißhaariger Engländer war auch dabei. Wir wanderten frühmorgens - wie heißt's in einem Kinderlied so schön - im Frühtau zu Berge, wir zieh'n, falleraaa..."
Freudig setzte sie singend fort: "Es leuchten die Wälder und die Höh'n, falleraaa..."
"Exakt. Und der Morgentau tauchte die Landschaft knapp vor dem Untersberg in ein surreales Szenario, es zwitscherte nicht einmal ein Vöglein, außer unseren Schritten herrschte Todesstille. Da sagte einer aus der Gruppe: 'Da wallt grüner Nebel auf uns zu.' Auf einmal fiel der alte Engländer auf die Knie und stammelte ängstlich: 'We come in Peace!' Zur Sicherheit übersetzte eine Dame: 'Wir kommen in Frieden!' Ich half ihm wieder hoch und beruhigte ihn so gut es meine Sprachkenntnisse zuließen. Alle wollten den Untersberg erklimmen, um die dort angeblich herrschenden Zeitanomalien zu testen. Es soll dort nämlich sogar die Sage von einer Höhle geben, wo sich der Kaiser Friedrich Barbarossa schlafend seiner Auferstehung entgegen träumt."
"Und? Haben Sie ihn aufgeweckt?"
"Nein, wahrscheinlich ist sein Bart noch nicht lang genug gewachsen. Außerdem soll sich dort in der Nähe auch ein deutscher Landser aufhalten, der ebenfalls in einer Höhle, wo die Zeit schneller vergeht als sonst, vom nächsten Diktator träumt. Hin und wieder kehrt er kurz in die Zivilisation zurück - noch in der Wehrmachtsuniform - und fragt Touristen, die glauben, es wird wieder ein Film über den 2. Weltkrieg gedreht, wer denn gerade in Deutschland an der Macht ist."
"Ist ja abgefahren....", entkam ihr, als sie aufmerksam an seinen Lippen hing.
Er maß sie mit einem Blick, den sie als Zuneigung hätte deuten können. Ihr Gesicht näherte sich ihm, er sah ihr direkt in die Augen und entdeckte winzige, safrangelbe Einsprengungen in ihrer Iris, fand sie zweifellos eine hübsche Frau, doch wandte sich von ihr ab. NEIN, rief er sich innerlich zur Ordnung, nicht schon wieder eine Lovestory! Die Erinnerung an Senta war noch zu frisch und schmerzhaft. Vor seinem geistigen Auge sah er sie noch in seinen Armen sterben.
"Tja,...", säuselte er verlegen, "das Leben spielt einem oft seltsame Streiche."
"Wem sagen sie das", meinte sie und bemühte sich, auf dem Bildschirm vor ihr einen Film ansehen zu können.
Nachdenklich kam Jonas zur Einsicht, dass es besser war, ihr nicht alles an Übernatürlichem erzählt zu haben. Er hatte nämlich selbst das Phänomen des Zeitverlustes am Unterberg erlebt. In seiner Erinnerung trat der sonnige Urlaubstag wieder vor sein geistiges Auge, wo er hinter der Gruppe froh bergauf marschierte. Kurz wollte er austreten, doch als er von seinem Versteck zurückkehrte, waren alle verschwunden, gehetzt sprintete er ihnen nach, konnte sie nirgendwo erblicken, nicht einmal ihre Spuren. Kein weggeworfenes Stück Kaugummipapier, keine glosenden Zigarettenkippen, keine leere Getränkedose, keine Fußabdrücke, nicht einmal lästige Insekten, wie Gelsen, Hornissen oder ähnliches Getier, die seine Bergkameraden emsig umschwirrt hatten. Verwirrt blickte er sich um und erkannte: überall nur unberührte Natur, deren Geschöpfe sich ihm nicht zeigen wollten. Dann hatte er sich auch noch verirrt, kam endlich erschöpft auf den Wanderweg retour und erreichte schließlich den Gipfel. Das Ganze hatte seiner Meinung nach höchstens eine Stunde gedauert. Oben angekommen beim Zeppezauerhaus, fragte er den Hüttenwirt nach der Gruppe und erfuhr zu seinem Riesen-Erstaunen, dass die gestern da war. Die bunt zusammengewürfelte Truppe dachte, er hätte aufgrund gesundheitlicher Probleme Kehrt gemacht.
"Haben'S vielleicht an Herzschrittmacher?", fragte ihn der Hüttenwirt im leichten Dialekt damals. "Das is scho einmal vorgekommen, dass so a armer Teufel mit Schrittmacher keinen Rempler der implantierten Maschin kriegt hat."
"Nein, ich hab sowas noch nicht, trotz Stress in meinem Beruf. Ich versteh das nicht, ich war doch nur ganz kurz austreten, hab mich von der Route deshalb entfernt und dann verirrt, aber das kann doch keinen ganzen Tag gedauert haben..."
"Haben Sie a Ahnung, was bei uns scho alls vorkommen ist!", versicherte ihm der Hüttenwirt, dass sein Erlebnis gar nichts Besonderes gewesen sei. Und so fand er sich damit ab, am Untersberg einen Tag seines Lebens verloren zu haben, immer noch besser als sein gesamtes, wie viele Wanderer, die in eine Bergspalte gepurzelt sind.
Während seiner Überlegungen war der Film zu Ende und Frau Kopplmayr wandte sich ihm wieder zu....
Erscheint lt. Verlag | 10.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7597-5805-3 / 3759758053 |
ISBN-13 | 978-3-7597-5805-7 / 9783759758057 |
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