Die Geheimnisvolle Schrift (eBook)
394 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-2919-3 (ISBN)
Marion Uhlmann ist Ärztin und lebt in Hessen. Sie war Preisträgerinnen des Literatur-Wettbewerbs »Schüler schreiben« des hessischen Kultusministeriums und veröffentlich regelmäßig in den »Phantastischen Miniaturen« der Phantastischen Bibliothek Wetzlar. Ihre Kurzgeschichten finden sich in verschiedenen Anthologien.
Schrift und Stein
Mit einem durchdringenden Läuten beendete die Schulklingel die letzte Stunde vor dem Wochenende.
Die Schüler schlugen die Bücher zu und steckten sie in ihre Rucksäcke. Einige hatten es so eilig, dass sie schon vorher gepackt hatten und den Raum direkt nach dem Klingeln umgehend verließen.
Carl warf noch einen letzten Blick in das Buch, bevor er es zuklappte, während Ida, die neben ihm saß, es schon beim ersten Ton der Klingel weggepackt hatte, ohne noch einen Gedanken an den Lehrstoff zu verschwenden.
Zwei Freunde von Carl blieben an ihrem Tisch stehen und sahen ihn auffordernd an. »Hast du heute schon etwas vor?«
»Ja, Gartenarbeit mit meinen Eltern«, flüchtete er sich in eine Notlüge, um bei ihnen nicht mit der Wahrheit herausrücken zu müssen.
»Mein Beileid«, grinste der eine mitleidig und ging mit seinem Freund weiter.
Ida strich sich lässig ihre lange blonde Mähne zurück, die engelsgleich ihr Gesicht umrahmte und so gar nicht zu ihrem Charakter passte. Temperamentvoll und unangepasst, wie sie war, passte die Beschreibung ›Wolf im Schafspelz‹ wesentlich besser zu ihr, dachte er grinsend.
»Warum hast du ihnen nicht gesagt, dass wir beide >Drachentöten unplugged‹ spielen?«, fragte sie erstaunt.
»Weil es vom Markt genommen wurde und verboten ist. Man muss es ihnen nicht auf die Nase binden, dass wir beide kriminell sind.« Er merkte, dass ihm seine widerspenstigen blonden Locken ins Gesicht fielen, und strich sie beiläufig mit der Hand zurück, doch sie fielen sofort wieder auf seine Stirn.
»Wo hast du es eigentlich her?« Einmal auf eine Fährte gebracht, wollte Ida, wie immer, alles ganz genau wissen.
»Beziehungen«, wich er ihr aus, denn geheime Quellen wollten selten beim Namen genannt werden.
Ihren forschenden Blick erwiderte er mit seinem umwerfenden Lächeln, von dem er wusste, dass ihm nur schwer zu widerstehen war, vor allem, wenn er seinen ganzen Charme hineinlegte. Er nutzte es deshalb ganz bewusst in brenzligen Situationen.
Aber im Gegensatz zu vielen anderen schmolz Ida bei seinem Blick nicht dahin, sondern blieb völlig unbeeindruckt. Dafür kannte sie ihn einfach viel zu gut.
Beide hatten zusammen den Kindergarten und die Grundschule besucht, bevor sie auf die weiterführende Schule in dieselbe Klasse gewechselt waren. Auf ihrem gemeinsamen Lebensweg hatte sich eine enge Freundschaft zwischen ihren Müttern entwickelt, die immer häufiger gemeinsame Ausflüge mit den Kindern unternahmen und sich gegenseitig bei ihren vielen Aufgaben unterstützen.
Wobei die Betreuung der Kinder eher einseitig geregelt war, denn Idas Mutter war geschieden und zog ihre Tochter mit wenig Geld allein groß, was oft schwierig und kaum mit ihrem Beruf vereinbar war.
So hatte es sich wie von selbst zur Gewohnheit entwickelt, dass Ida meistens nach der Schule mit zu ihm nach Hause gekommen war, dort zu Mittag gegessen und gemeinsam mit ihm die Hausaufgaben erledigt hatte.
Da ihre Mutter als Krankenschwester häufig zu Nachtdiensten eingeteilt wurde, schlossen sich bald Übernachtungen an, und das Gästezimmer von Carls Eltern hatte sich über die Jahre mehr und mehr zu Idas persönlichem Raum verwandelt. Noch heute, wo sie nur noch selten bei seiner Familie übernachtete, war es mit ihren Bildern und Postern geschmückt, die sie dort vor vielen Jahren aufgehängt hatte.
Sie waren wie Geschwister aufgewachsen, waren Best Friends, wie Ida gern betonte, und damit blieb nichts übrig für Romantik, obwohl sie rein optisch wunderbar zueinander passten.
Natürlich hatten sie auch mal heimlich, hinter einem Baum versteckt, geknutscht. Aber es war wie ein Kuss unter Geschwistern gewesen, und das Kribbeln war ausgeblieben, so dass sie es wieder aufgegeben hatten und es bei dem einzigen Versuch geblieben war. Seitdem fühlten sie sich nur noch mehr wie Schwester und Bruder.
Im Gegensatz zu seinen Eltern fiel es Idas Mutter schwer, ihren Lebensunterhalt allein zu verdienen, und obwohl Ida es nie in seiner Gegenwart erwähnt hatte, wusste er, dass das wenige Geld bis heute ein Thema geblieben war. Jeder Euro wurde zweimal umgedreht, und Ida war es gewohnt, neben der Schule für ihr Taschengeld zu arbeiten. Momentan sparte sie für den unendlich teuren Führerschein, der ihm von seinen Eltern, ohne mit der Wimper zu zucken, bezahlt worden war, weswegen er auch schon mit der Prüfung fertig war. Für ihn stand außer Frage, dass er, genauso wie sein Bruder vor ihm, sofort ein eigenes Auto geschenkt bekommen würde, sowie er endlich achtzehn Jahre alt geworden war.
Schweigend packten sie die letzten Schulutensilien in ihre Rucksäcke, unter anderem ihre Tablets, und verließen als letzte den Klassenraum.
»Ich war schon lange nicht mehr bei dir«, schreckte Ida ihn aus seinen Gedanken.
»Du bist stets willkommen.«
Mittlerweile hatten sie einen Gang aus nüchternen Betonwänden hinter sich gelassen, der mit bunten Gemälden von vergangenen Schülergenerationen verziert war. Ohne auf ihre Umgebung zu achten, liefen sie die Treppe an einem sich über zwei Etagen erstreckenden, gläsernen Bücherturm vorbei, der neben den unbeliebten Lehrbüchern mit unzähligen Fantasy-Büchern gefüllt war.
»Bei deiner Familie ist es immer lustig«, stellte Ida in Gedanken an die guten alten Zeiten wehmütig fest.
Carl wohnte mit seiner Familie in einem stattlichen Einfamilienhaus in einem der gepflegten Viertel nahe der Kernstadt, während Ida in einem der großen Betonmietblöcke in einem Außenbezirk lebte.
»Da muss ich dich enttäuschen. Sie sind am Wochenende alle ausgeflogen«, musste er zugeben.
»Hoffentlich auch dein blöder Bruder!«, fuhr sie auf und entlockte ihm damit ein Lächeln.
Sein älterer Bruder Daniel hatte nichts von Carls freundlichen Art, sondern war völlig aus der Art geschlagen. Selbst mit seinen Eltern oder seinen Tanten und Onkeln hatte er wenig gemeinsam, sondern war im Gegensatz zur restlichen Familie herablassend und oft bösartig.
Carl wusste, dass Ida ihn konsequent ignorieren würde, wenn er nicht ausgerechnet mit ihm verwandt wäre. Nur deshalb rang sie sich notgedrungen ab und zu ein laues ›Hallo‹ ab.
Unterdessen waren sie am Ausgang der Schule angekommen und traten aus dem Gebäude. Vom grellen Sonnenlicht geblendet, kniffen sie die Augen zusammen, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten.
»Kalle findet dich toll.« Ihm fiel siedendheiß ein, dass er die ganze Woche vergessen hatte, es ihr auszurichten.
»Wie kommst du jetzt darauf?«, fragte sie erstaunt.
»Das sollte ich dir die ganze Zeit schon sagen.«
»Aber du solltest es mir bestimmt nicht einfach so an den Kopf knallen, oder?«
Er lachte verschämt und strich sich wieder erfolglos seine Locken aus der Stirn. »Nein, es sollte beiläufiger und cooler rüberkommen.«
Sie kannten sich beide gut genug, um die Wahrheit beim Namen zu nennen, insofern war seine unverblümte Ansage für Ida völlig in Ordnung und benötigte keine diskreten Andeutungen.
»Kalle ist nichts für mich, der ist viel zu angepasst. Ich warte auf einen Typen, der mir den Boden unter den Füßen wegreißt. Der stark genug ist, um an meiner Seite zu bestehen, ohne mit meinem Ego Probleme zu bekommen.« Ida sprühte vor Temperament und Energie, so dass sich die Jungs zwar schnell in sie verliebten, aber genauso rasch wieder Reißaus nahmen.
»So einen Kerl wie mich!«, stellte Carl selbstbewusst fest und zeigte ihr seinen Bizeps.
»Genau!« Lachend warf sie ihr langes blondes Haar zurück und warf ihm einen verschmitzten Blick zu.
Carl war fast ein Kopf größer als sie und besaß die Ansätze zu einem athletischen Körperbau, war schlank und breitschultrig. Aber man sah ihm an, dass er nicht trainierte und seine Zeit lieber am Computer als beim Sport verbrachte.
»Keine Ahnung, was die anderen Weicheier für ein Problem mit dir haben. Ich finde dich toll! Du siehst super aus, bist witzig und schlau.«
»Hör auf! Wenn du so weitermachst, werde ich noch ganz eingebildet.«
Amüsiert bemerkte er, dass ihr das Blut in den Kopf schoss und sie rot wurde. »Na ja, dafür bist du manchmal auch sehr nervend und bockig«, ergänzte er.
»Selten.«
»Wenn dein Superheld nicht auftaucht, dann melde dich halt. Wenn ich bis dahin keine Bessere gefunden haben sollte, denke ich vielleicht drüber nach und gebe dir Nervensäge eine Chance«, fügte er lässig hinzu.
»Danke für das tolle Angebot, klingt echt mega«, bemerkte sie wohlwissend, dass es nicht ernst gemeint war. »Wie dem auch sei, nach dem Computerspielen fahre ich wieder heim. Ich will nicht allein mit dir in eurem Haus übernachten.«
»Ich habe kein Problem damit, wenn du bleibst«, zuckte er gleichgültig mit den...
Erscheint lt. Verlag | 25.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-7693-2919-8 / 3769329198 |
ISBN-13 | 978-3-7693-2919-3 / 9783769329193 |
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