Von Pommern nach Deutsch-Südwest (eBook)
260 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-2990-2 (ISBN)
Heidewig Feuerherdt wurde 1940 in Magdeburg geboren, ging acht Jahre in cer DDR zur Schule, bevor die Familie als politische Flüchtlinge 1954 nach Westdeutschland kam. 1960 bestand sie in Oldenburg das Abitur und verlobte sich. Sie ging nach München, wo sie eine Lehre als Verlagsbuchhändlerin machte. Nach bestandener Abschlussprüfung kündigte sie die Verlobung auf und begann 1962 in München ein Studium der Philosophie und Geschichte, das sie 1967 in Tübingen mit dem Magister artium abschloss. Nach einigen Jahren im Lektorat verschiedener Münchner Verlage wurde sie 1970 Dozentin des Goethe-Instituts, bevor sie 1972 einen Rechtsanwalt aus Alexandria/ Ägypten heiratete.
1. 1785-1885 Unsere Urahnen in Pommern
Weiße Segel wiegen sich auf blauer See,
weiße Möwen fliegen in der blauen Höh,
blaue Wälder krönen weißen Dünensand.
Pommerland, mein Sehnen ist dir zugewandt.
Pommernlied 1851
Meine Geschichte beginnt möglicherweise mit einem „Fehltritt“.
Wenn ich die Kette meiner Ahnen bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolge, fehlt mittendrin plötzlich ein Glied: sechs Generationen vor mir, 18. Jh., Goethe-Zeit, Preußen nach Friedrich dem Großen.
Die Urgroßeltern meiner Urgroßmutter sind nicht auszumachen. Da klafft eine Lücke in der Ahnenreihe.1
Doch wir kennen die Großeltern meiner Urgroßmutter. Es waren Christian Wienke, der 1785 in einem pommerschen Dorf geboren wurde, und Sophie Staege. Aber woher kamen sie? Wer waren die Eltern? Wir wissen, dass Christian Herrschaftlicher Verwalter auf dem Gut des August von der Osten in Pinnow wurde. So steht es auf seinem Grabkreuz. Auf dem verwilderten Friedhof von Pinnow in Hinterpommern befand sich ein Grab an repräsentativer Stelle: zwischen der Kirche in traditionellem Fachwerk und dem Glockenstuhl, in dem drei Glocken zum Dienst an dem obersten Herrn mahnten. Auf dem Grabkreuz stand das Geburtsdatum von Christian Wienke:
6. Oktober 1785 und auch sein Todestag: 18. Januar 1872. Nicht weit von ihm ruhte seine Frau Sophie, geb. Staege, geboren am 9. Mai 1791, gestorben am 8. Dezember 1846 in Pinnow. In den Kirchenbüchern von Pinnow oder der nahe gelegenen Stadt Jastrow sind keine Eintragungen zu finden. Doch es gibt Gerüchte. Im Dorf erinnert man sich an die weit zurück liegende Zeit: Christian sei gemeinsam mit den Kindern des „Grafen“ erzogen worden. Christian war jedoch schon elf Jahre alt, als der Gutsherr August Wilhelm Heinrich von der Osten mit 36 Jahren eine standesgemäße Ehe einging. Mit seiner Familie lebte er auf dem Stammsitz Plathe. Als die Kinder aus dieser Ehe einen Lehrer brauchten, war Christian längst konfirmiert. Hatte der Gutsherr eigens für Christian einen Privatlehrer ins Dorf geholt? War Christian womöglich ein illegitimer Sohn von der Osten? Es gab das Recht der Ersten Nacht für Feudalherren, deren Untergebene heiraten wollten.2 Wir werden es nicht erfahren. Alle Dokumente der Familie von der Osten aus jener Zeit sind verloren gegangen. Vielleicht wurden sie schon früh zur Rettung der Familienehre vernichtet.
Die Herren von der Osten
Unser Dorf ist eines von den im 16. Jh. gegründeten Grenzdörfern, die lange im Streit mit ihren slawischen Nachbarn lagen, bis ein Vertrag 1588 die Landesgrenze zwischen dem Amt Neu - Stettin in Pommern und dem Land Deutsch - Krone in Polen regelte und das Gebiet befriedete. Die ersten Siedler rodeten und kultivierten die wüst liegenden Flächen, entwässerten das Bruch und bauten Hütten. Der Herzog Bogislav XIII. (1544 – 1606) belehnte 1582 Wedige von der Osten mit dem Gut Pinnow.
Pinnow gehört zu den Besitzungen der Familie von der Osten, deren Stammgut ist Plathe mit Zowen, Altenhagen und Justin. Der Herr ist August Wilhelm Heinrich, geboren 1760 auf dem Stammsitz Plathe. August Wilhelm Heinrich war der Sohn des berühmten Friedrich Wilhelm von der Osten (1721 - 1786), des kgl. preuß. Kammerherrn und Landrats des Ostenkreises auf Plathe. 3
In seiner Jugend lebt Friedrich Wilhelm von der Osten bei seinem Vater in Berlin und widmet sich dort im Umfeld des Hofes zahlreichen Studien, was ihn zu einem anerkannten Gelehrten und Kunstsammler macht.
Nach dem Tod des Vaters verlässt Friedrich Berlin und begibt sich 1748 mit all seinem reichen Wissen und den gesammelten Schätzen nach Pommern auf das väterliche Gut Plathe, südöstlich von Kolberg. Hier trägt er die bis heute berühmte Schlossbibliothek mit 25000 kostbaren Werken, historischen Urkunden aus der Zeit der alten Pommernherzöge sowie Handschriften, Pergamentrollen, Landkarten und Kupferstichen zusammen, die das kleine Städtchen Plathe an der Rega zum geistigen Mittelpunkt Pommerns macht. Er sammelt auch Gemälde zeitgenössischer Maler, Kunsthandwerk des Rokoko und alte Münzen. Von seinen Nachfahren wird die Plather Sammlung sorgfältig gehütet und beschützt, bis sie im 20. Jh. in den Wirren des
2. Weltkrieges verstreut wird und, bis auf wenige Reste im Bundesarchiv in Koblenz, verloren geht. Augusts Vater Friedrich Wilhelm hatte bewusst Wohnung auf Plathe genommen und damit verhindert, dass die Schlossbibliothek feindlichen Soldaten in die Hände fällt.
Der Stammsitz der Familie ist eine Kleinstadt an der Rega mit lübschem Recht, ca. 70 km nordöstlich von Neu - Stettin. Bei Ausgrabungen wurden arabische Münzen gefunden, die dafür sprechen, dass Plathe schon in frühester Zeit rege Handelsbeziehungen unterhielt. Zu beiden Seiten der Rega, durch die seit alters her eine Furt führte, liegen zwei beeindruckende Herrensitze. Ein erster Schlossbau stammt aus der Renaissance. 1577 musste die Familie einen Teil ihres Besitzes an die Familie von Blücher veräußern, die sich um 1600 eine trutzige Wohnstatt auf der anderen Seite hoch über der Rega erbaute. Dieses imposante „Blücherschloss“ kam 1731 durch Heirat auch an die von der Osten und beherbergte dann die wertvolle Bibliothek, die Plathe bis 1945 zum kulturellen Zentrum Pommerns machte.
Das Schloss auf der anderen Seite des Flusses, hinter dem sich ein Park mit seltenen Bäumen erstreckt, wurde im 20. Jh. vom mecklenburgischen Architekten Paul Korff (1875 - 1945) in dem für ihn typischen Stil erweitert und zeitgemäßen Ansprüchen angepasst.
August Wilhelm Heinrich von der Osten wird 1760 auf Plathe in die Kämpfe des siebenjährigen Krieges hineingeboren, in dem Preußen um seine Existenz gegen Österreich, Russland, Frankreich, Schweden und die Mehrzahl der Fürsten im Deutschen Reich kämpft. Auf dem Gut schlagen Kavallerieverbände des russischen Zaren mehrfach ihr Hauptquartier auf. Bis zu 12 Regimenter tummeln sich mit ihren Pferden und dem ganzen Tross auf Plathe. Sie nutzen hier den strategisch günstigen Übergang über die Rega und versorgen sich mit den Vorräten aus Scheunen und Ställen der umliegenden Dörfer. Wenn es ihnen nicht freiwillig herausgegeben wird, plündern und brandschatzen sie. Die Ernte erstickt unter den Hufen der Pferde. Die Bevölkerung versinkt in Hunger und Elend.
Als der Krieg 1763 endlich vorbei ist, bereist der preußische König Friedrich II. das wirtschaftlich heruntergekommene Land. Seine Kutsche nimmt die alte Heerstraße von Stettin und sucht auf dem holprigen Pflaster die Begegnung mit den Untertanen, von denen er sich über die Verwüstungen berichten lässt und die nötigen Maßnahmen zum Wiederaufbau erkundet. Er verspricht Hilfe und sorgt für Mut bei den Menschen.
Christian Wienke (1785 - 1872)
August Wilhelm Heinrich ist 25 Jahre alt, als 1785 unser Urahn Christian geboren wird. August ist noch nicht verheiratet und steht in voller Manneskraft. Vielleicht sind ihm die kalten Winter auf den Gütern seines Vaters zu einsam geworden. Vielleicht gibt es ein hübsches Bauernmädchen oder auch eine junge Gesellschafterin auf Plathe, von der sich August die langen Abende aufheitern lässt. Seine Aufgaben als Landschaftsdeputierter können ihn nicht ausfüllen.
Als Christian elf Jahre alt ist, heiratet August Wilhelm Heinrich mit 36 Jahren standesgemäß Friederike Karoline v. Normann, die ihm drei Töchter und nach sechsjähriger Ehe 1802 den ersten Sohn, Friedrich August Heinrich, schenkt. Er wird allgemein Fritz genannt, vielleicht in Erinnerung an den alten Fritz, der als Preußischer König auch Herrscher über Pommern war. Christian Wienke ist jetzt 17 Jahre alt. 1803 wird als zweiter Sohn aus der Ehe von August und Friederike Carl geboren, der „gegraft“ wird, und als Carl Graf von der Osten-Plathe in die Geschichte eingeht. Die Familie lebt auf dem Stammsitz an der Rega. Ob Christian Wienke ebenfalls dort aufwuchs, ist nicht mehr festzustellen. Der Herr mag den Jungen schon früh mit sich genommen haben, wenn er über die Felder ritt. August setzt ihn vor sich aufs Pferd, oder der Junge schlurft barfuß über die staubtrockene Pommersche Erde, bis so dichte Wolken über dem Weg liegen, dass der Junge kaum noch zu sehen ist. Christian fährt mit den Fischern auf den See und zieht die Netze mit ins Boot. Pommerns Gewässer sind reich an Barschen, Karauschen, Hechten und Schleien. Der Junge fragt viel und lernt schnell. Er zeigt Begeisterung für alles, was sich regt auf den Fluren der pommerschen Landschaft.
Als Napoleon mit seinen Truppen durch Deutschland zieht, bleibt Pommern nicht unberührt. Während die Rheinlande die Neuerungen der Französischen Revolution feiern, leidet man im Osten unter dem Eroberungsdrang des Franzosen.
Christian erfährt von der Vernichtung des preußischen Heeres 1806 bei Jena und Auerstedt. Er hört von der Belagerung der Festung Kolberg, die nicht weit von Pinnow an der Ostsee liegt. Der preußische Kommandeur von Gneisenau verteidigt die Stadt im Sommer 1807 mit Unterstützung des Kolberger Bürgers Joachim Nettelbeck und des zu Hilfe...
Erscheint lt. Verlag | 6.11.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Diamantenrausch • Erster Weltkrieg • Familie • Feminismus • Kolonialismus |
ISBN-10 | 3-7693-2990-2 / 3769329902 |
ISBN-13 | 978-3-7693-2990-2 / 9783769329902 |
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Größe: 23,2 MB
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