Was wir verschweigen/Was wir verbergen (eBook)
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-8289-0 (ISBN)
Zwei Krimi-Highlights aus Finnland von dem vielfach ausgezeichneten Bestsellerautor Arttu Tuominen
Band 1 WAS WIR VERSCHWEIGEN: Pori, Finnland. An einem stürmischen Herbsttag wird ein betrunkener Mann mit mehreren Messerstichen in einem Holzhaus ermordet. Ein typisch finnischer Mord - so der lakonische Kommentar der hinzugerufenen Kommissare. Der Fall scheint zunächst schnell gelöst: Im nahe gelegenen Wald wird noch am gleichen Abend ein verdächtiger Mann festgenommen.Doch für den Ermittler Jari Paloviita entpuppt sich der Mord als schwierigster Fall seines Lebens. Der Verdächtige war in der Jugend sein allerbester Freund. Und Jari Paloviita verdankt ihm sein Leben ...
Ausgezeichnet als 'Bester Kriminalroman Finnlands 2020'
Band 2 WAS WIR VERBERGEN: Auf einen Nachtklub, den queere Partyleute besuchen, wird ein Anschlag verübt. Ein Fanatiker, der sich in einem Bekennervideo als 'Abgesandter' bezeichnet, hat Handgranaten geworfen. Fünf Menschen werden getötet und viele schwer verletzt. Kommissar Henrik Oksman von der Kripo in Pori übernimmt die Ermittlungen. Oksman war kurz zuvor jedoch selbst in dem Klub. Davon darf niemand etwas wissen. Der Anschlag sorgt für große mediale Aufmerksamkeit. Im Internet verbreitet sich das Bekennervideo wie ein Lauffeuer, und die Foren quillen über vor Mutmaßungen, ob der Täter weiter morden wird. Und genau das muss Oksman verhindern: dass es weitere Opfer gibt ...
Beide Romane wurden aus dem Finnischen übersetzt von Anke Michler-Janhunen
<p><strong>Arttu Tuominen</strong>, geboren 1981, wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet. Der erste Band <strong>WAS WIR VERSCHWEIGEN</strong> seiner auf sechs Bände angelegten Delta-Serie erschien 2021 auf Deutsch und schaffte es auf Anhieb auf die <strong>SPIEGEL</strong>-Bestsellerliste. Die Beliebtheit des Autors nimmt stetig zu, und er ist vom Geheimtipp im <strong>FINNISH NOI</strong>R zu einem international erfolgreichen Autor vielschichtiger Spannungsromane geworden.<br>Arttu Tuominen lebt mit seiner Familie in der Küstenstadt Pori, dem Schauplatz seiner Romane. arbeitet er neben dem Schreiben auch als Ingenieur für Umwelttechnik.<br>Tuominens Werke wurden bisher in acht Sprachen übersetzt.<br><br></p>
11
Sommer 1991
»Zeig mal!«, feixt Jari und kriecht zu Antti.
»Zerreiß sie nicht«, sagt Antti, hält die Zeitschrift in sicherer Entfernung von Jaris grapschenden Fingern und betrachtet die Titelseite. »Mann, das ist eine. Das ist tatsächlich eine, sogar die Weihnachtsausgabe!«
Antti legt sich auf den Bauch, sodass der Lichtstrahl, der durch den Schlitz der Luke scheint, genau auf das Titelbild des Magazins fällt. Jari kriecht neben Antti. Im Papiermüllcontainer riecht es nach einer Mischung aus verrottetem Papier und Schimmel. Auf der Titelseite hockt eine dunkelhaarige Frau, die nur mit einer Wichtelmütze bekleidet ist. Darunter steht zu lesen, dass der Weihnachtsmann für brave Mädchen einen prallen Sack bereithält. Eine andere Schlagzeile verspricht, dass Ruprechts dicker Knüppel einsatzbereit ist.
»Geil, der Busen!«, sagt Jari und grinst.
»Aus Silikon«, stellt Antti fachkundig fest und schlägt die Zeitschrift auf. Auf der nächsten Seite befinden sich das Inhaltsverzeichnis und ein Leitartikel zur Alkoholpolitik. Die Jungs überspringen beides und blättern weiter, betrachten genussvoll die Fotos und nähern sich langsam der Heftmitte, wo, wie sie wissen, die schärfsten Bilder zu finden sind. Und sie werden nicht enttäuscht. Die Bildserie zeigt einen Weihnachtsmann (der allerdings keinen Bart, dafür aber einen Waschbrettbauch und eine gewaltige Erektion hat), wie er mit einer Weihnachtselfin rummacht, die in den Augen von Jari und Antti alles andere als brav aussieht.
Der Blick der Jungen wird glasig, ihr Mund trocken. Antti liest die Lesergeschichte laut vor. Sie ist so schlüpfrig, dass sie ständig kichern müssen. Je weiter die Geschichte voranschreitet, umso schwerer fällt Antti das Lesen, weil er bei jeder Zeile heftig losprusten muss. Trotz all des Lachens bemerkt Jari unterhalb des Bauchnabels eine Veränderung an sich. Die Hose kneift extrem, und er muss das Knie anziehen, um sich Platz zu verschaffen.
Antti erzählt, dass er in der Umkleidekabine im Freibad Marias Brüste gesehen hat und dass die riesig sind. Dann sucht er im Magazin welche, die so ähnlich aussehen.
»Das hast du nicht! Da wette ich um ’nen Zehner!«, entgegnet Jari, obwohl er weiß, dass es gut möglich ist. Es kann tatsächlich sein, dass Antti auf das Zwischendach geklettert ist und von dort auf die Mädchenseite hinübergucken konnte. Aber so groß wie die Brüste der Frau auf dem Foto waren Marias garantiert nicht!
Die Metallklappe des Papiermüllcontainers wird aufgerissen, und sie werden von einem hellen Lichtstrahl geblendet. Ein fleischiges Männergesicht schiebt sich in die Öffnung. Obwohl das Gesicht im Dunkeln bleibt, erkennen die Jungs die speckige Silhouette des Hausmeisters sofort. Blitzschnell wie ein Schlangenbändiger streckt er seine Hand in den Container und reißt ihnen das Magazin aus der Hand. Gesicht und Zeitschrift verschwinden aus ihrem Sichtfeld, dafür hören sie jetzt den Alten umso deutlicher donnern: »Raus mit euch, und zwar dalli!«
Alle Kinder im Wohnblock wissen, wie sie ihm aus dem Weg gehen, dem Hausmeister aus Aufgang C, der mindestens einhundertzwanzig Kilo auf die Waage bringt und von Anttis Vater immer nur Walross genannt wird. Zugegeben, ein bisschen sieht er tatsächlich aus wie ein Walross. Mit seinen hängenden Wangen, seiner breiten Nase und den Nüstern, die aussehen wie zwei nebeneinanderliegende Höhleneingänge, wenn er sie aufbläht. Gesicht und Hals sind ständig gerötet und von dünnen Äderchen durchzogen, und der Bauch quabbelt über der Hose wie ein Wackelpudding. Das Walross hat Antti schon seit geraumer Zeit auf dem Kieker. Und in diesem Moment durchfurcht ein Grinsen sein gesamtes Gesicht, aus dem man ablesen kann, wie diebisch es ihn freut, Antti auf frischer Tat ertappt zu haben. Offen gesagt sieht er aus, als hüpfe ihm gleich das Herz vor Freude aus dem Leibe.
Jari steckt den Kopf aus der Luke und kneift in der hellen Frühlingssonne die Augen zusammen. Er stößt sich leichtfüßig ab und springt auf den Rand des Containers und von dort auf den Asphalt. Antti folgt ihm ein paar Sekunden später. Der Hausmeister glotzt sie unter seinen buschigen Augenbrauen hervor hämisch an. Sein Gesicht und sein kahler Schädel glänzen von Schweiß.
»Wie oft habe ich euch Bengeln gesagt, dass ihr im Papiermüll nichts zu suchen habt, he?« Das Walross pumpt sich auf und wandert mit dem Blick von Antti zu Jari. »Und wessen Sprössling bist du?«
Jari schaut zu Antti und zurück zum Hausmeister. »Paloviita«, antwortet Jari.
»Du solltest dir besser überlegen, in wessen Gesellschaft du dich begibst«, sagt der Hausmeister zu Jari, obwohl die Worte eigentlich direkt gegen Antti geschleudert waren. Dann blickt das Walross angewidert auf die Zeitschrift in seinen Händen, so, als ob er zum ersten Mal ein Pornomagazin sähe, und dreht sie zu einer Rolle zusammen.
»Also diese Art von Spiel. Pornografie. Wissen eure Eltern, was für ein Schundblatt ihr hier lest, he?«
Die beiden stehen stumm da. Jari guckt auf seine Schuhspitzen, doch Antti sieht dem Walross direkt in die Augen.
»Das ist das letzte Mal, dass ich euch Helden im Papiercontainer erwische, klar? Da sind schon viele drin krepiert. Außerdem ist es eine Straftat, die Post anderer Leute zu lesen. Und nur damit das klar ist, ich könnte euch deswegen anzeigen.«
Jari schluckt, sein Unterleib krampft sich unter einer kalten Welle zusammen.
»Eure Eltern informiere ich in jedem Fall.« Er dreht die Pornozeitschrift zu einer noch engeren Rolle zusammen und hofft darauf, Entsetzen im Blick der beiden zu entdecken. Aber aus Anttis Augen starrt ihm nur blanker Trotz entgegen.
Unverschämter Rotzjunge. Genau wie sein Vater.
»Die Sache ist die«, sagt das Walross und beugt sich jetzt zu Jari, in dessen Augen er endlich jenem angstschlotternden Blick begegnet, den er sich erhoffte, »dass ich dich hier auf unserem Hof nicht mehr sehen will. Hast du das kapiert?«
Jari schluckt und nickt.
»Und du, Mielonen junior«, wendet sich der Hausmeister wieder Antti zu, »wie oft habe ich dir das schon gesagt. Muss ich wirklich …«
Weiter kommt das Walross nicht, denn Antti schnellt urplötzlich nach vorn. Ungeachtet seines behäbigen Äußeren ist die Bewegung so flink und geschmeidig, wie sie bei einem Dreizehnjährigen nur sein kann. Der Hausmeister ist völlig überrumpelt. Antti greift blitzschnell nach dem Magazin, reißt es ihm aus der Hand, dreht sich im gleichen Moment um und braust über den Hof davon.
»Lauf!«, schreit Antti und reißt Jari aus seiner Erstarrung. Jaris Beine gehorchen instinktiv und setzen sich mit dem Körper in Bewegung. Keine Sekunde zu früh, denn auch das Walross hat reagiert und greift nach ihm, streift aber nur den Kragen seines Sweatshirts. Jari folgt Antti so schnell, wie er kann. Antti lacht hysterisch und steckt damit auch Jari an. Aber das Walross hat noch nicht aufgegeben und stürmt ihnen hinterher. Sie hören sein schweres Keuchen hinter sich, der Boden dröhnt jedes Mal, wenn die pfahlartigen Beine aufstampfen. Tobend vor Wut brüllt er hinter ihnen: »Stehen geblieben! Verdammt, ihr Teufelsbrut! Kommt zurück! Sofort!«
Hinter ihrem Wohnblock liegt ein Stück Brachland, auf dem mannshohe Birken und Weidenbüsche wachsen. Die Gräser dort hat der Schnee im Winter zu Boden gedrückt. Hierhin steuern die Jungs. Jari holt Antti schnell ein, und sie lachen laut vor Panik, trauen sich aber erst am Rand der Wiese, einen Blick zurückzuwerfen. Der Hausmeister hat schon nach ein paar Metern die Verfolgung aufgegeben, und jetzt steht er mit den Händen in den Hüften keuchend auf dem Hof und sieht ihnen nach. Sein Bauch spannt, und die Wangen leuchten wie die Flanken eines Feuerwehrautos. Das Walross zieht ein Stofftaschentuch hervor und trocknet sich die Birne. Die Jungs bleiben stehen. Zwischen ihnen und dem Hausmeister liegen etwa dreißig Meter. Weit genug entfernt, um sich sicher zu fühlen, und nah genug, um das Walross auf die Palme zu bringen. Sie sehen, wie dessen graue Zellen geradezu dampfen, während er überlegt, ob es sich lohnt, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Kurz sieht es so aus, als ob er es tatsächlich noch einmal versuchen will, doch er gibt sofort auf, als er bemerkt, dass auch die Jungs bereit sind, umgehend loszuflitzen.
»Jungs!« Das Walross schnaubt und trampelt auf der Stelle wie ein Stier, der an einem Sparren festgebunden ist. Die Nasenlöcher ziehen sich zusammen. Jetzt brüllt er nicht mehr, sondern spricht mit tiefer Stimme, in der ein drohender Unterton mitschwingt: »Kommt sofort zurück! Gebt mir die Zeitschrift! Ihr solltet euch besser nicht mit mir anlegen.«
Doch Antti und Jari stehen nebeneinander, ein siegessicheres Leuchten auf den Gesichtern. »Komm doch und hol sie dir, Fettwanst!«, ruft Antti.
»Fang uns, wenn du kannst!«, traut sich auch Jari.
»Gottverdammte …!«, knurrt das Walross und stürzt los. Obwohl er fast vierzig Kilo Übergewicht auf die Waage bringt, sind seine Bewegungen überraschend schnell. Er stürmt wie eine Dampflokomotive voran. Seine Füße tackern über den Rasen, und kurz sieht es so aus, als könnte er die beiden tatsächlich erreichen, doch dann laufen auch sie los, und die Distanz wächst schnell wieder. Antti und Jari tauchen in einem Weidengebüsch unter, und...
Erscheint lt. Verlag | 1.11.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | skandinavische Spannung |
ISBN-10 | 3-7517-8289-3 / 3751782893 |
ISBN-13 | 978-3-7517-8289-0 / 9783751782890 |
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Größe: 1,2 MB
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