Die Enkel des Massenbläsers (eBook)

Band 3 der Massenbläser-Trilogie
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
428 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-38988-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Enkel des Massenbläsers -  Hans-Jochen Grisse
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In der Mitte des 19. Jahrhunderts steht das Siegerland steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Blashütten und Stahlhämmer kämpfen ums Überleben. Die Region droht zum Verlierer der Industrialisierung zu werden. Inmitten dieses Umbruchs suchen die Benders ihren Weg. Michael lehnt sich gegen die Enge der Heimat auf und will neue Horizonte erobern. Caroline stellt das traditionelle Frauenbild mutig infrage, während Anton darum ringt, die alten Werte zu bewahren. Doch düstere Geheimnisse drohen, die Familie zu zerreißen, und Intrigen treiben sie an den Rand des Ruins. Kann sich die junge Generation im Sturm der Zeit behaupten?

Jochen Grisse wurde 1954 in Siegen geboren. Nach dem Studium der Elektrotechnik und der Promotion in Maschinenbau verbrachte er sein Berufsleben in der Stahl- und Eisenindustrie, zuletzt als Geschäftsführer einer international agierenden deutsch/luxemburgischen Firma im Sondermaschinenbau. Durch zahlreiche Reisen lernte er die weltweite Stahlindustrie kennen. Stets interessierte ihn auch die Historie dieses Industriezweiges. Unter anderem war er im Geschichtsausschuss des Vereins deutscher Eisenhüttenleute engagiert. Nach dem Tod seiner jüngsten Tochter zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück, vollendete die Recherche zu der vorliegenden Erzählung und verfasste nach zahlreichen technisch/wissenschaftlichen Publikationen seine erste belletristische Arbeit.

Jochen Grisse wurde 1954 in Siegen geboren. Nach dem Studium der Elektrotechnik und der Promotion in Maschinenbau verbrachte er sein Berufsleben in der Stahl- und Eisenindustrie, zuletzt als Geschäftsführer einer international agierenden deutsch/luxemburgischen Firma im Sondermaschinenbau. Durch zahlreiche Reisen lernte er die weltweite Stahlindustrie kennen. Stets interessierte ihn auch die Historie dieses Industriezweiges. Unter anderem war er im Geschichtsausschuss des Vereins deutscher Eisenhüttenleute engagiert. Nach dem Tod seiner jüngsten Tochter zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück, vollendete die Recherche zu der vorliegenden Erzählung und verfasste nach zahlreichen technisch/wissenschaftlichen Publikationen seine erste belletristische Arbeit.

1. Sechzig, Dezember 1854

Christian klopfte an sein Glas, bat um Ruhe und sprach zu seinen Gästen:

„Ihr Lieben, es ist über dreißig Jahre her, dass meine Franziska und ich mit euch, Hedwig und Arnold hier unsere Doppelhochzeit gefeiert haben. Heute sind wir wieder im Goldenen Löwen in Siegen, diesmal mit Kindern und Enkeln. Es erfüllt mich mit Stolz, dass der Name Bender Ansehen genießt und wir trotz aller Widrigkeiten im Eisengewerbe erfolgreich sind. Bernhard ist an der Eiserner Blashütte ein einflussreicher Gewerke. Heinrich führt in Haardt1 eine bedeutende Hammerschmiede, und Friedrich leitet unser modernes Walzwerk. Wenn wir Einigkeit und Aufrichtigkeit in der Familie weiter pflegen, müssen wir die Herausforderungen der Zukunft nicht fürchten. Darauf lasst uns trinken!“

Christian nippte an seinem Wein, sah in die Runde, wartete, bis der Beifall abebbte, und nahm wieder Platz.

„Gut, dass du betont hast, wie wichtig Einmütigkeit und Aufrichtigkeit sind.“ Hedwig, Christians ältere Schwester, wirkte nachdenklich und ergänzte nach einer kleinen Pause: „Zur Ehrlichkeit würde aber auch gehören, dass wir den Enkeln reinen Wein einschenken.“

„Sicher müssen wir es ihnen irgendwann sagen, aber jetzt ist es noch zu früh. Bernhard wird bestimmt nicht einverstanden sein.“ Christian war unangenehm berührt, dass Hedwig hier bei der Feier an die misslichen Kapitel der Familiengeschichte erinnerte. Er war daher dankbar, dass Arnold den Einwurf seiner Frau wohl nicht mitbekommen hatte und Christians Rede seinerseits kommentierte.

„Es ist zwar wichtig, die Einmütigkeit immer wieder zu betonen“, sagte er, „aber nützen tut es wenig. Sieh nur, mit welcher angespannten Miene unser Bernhard auf Friedrich und Heinrich einredet. Nach Einvernehmen sieht das nicht gerade aus.“

„Seid doch nicht so streng mit den jungen Leuten“, schaltete sich Christians Frau Franziska ein. „Es sind so wechselvolle Zeiten, in denen sie zurechtkommen müssen, da kann man doch nicht immer einer Meinung sein.“

„Nun ja“, meinte Christian, „die Zeiten, in denen wir unseren Weg finden mussten, waren viel unruhiger, wenn ich nur an den Wechsel von der nassauischen auf die französische und dann auf die preußische Herrschaft denke. Das Zunftmonopol wurde durch freie Märkte ersetzt, dagegen erscheint mir die heutige Zeit eher ruhig. Ich werde mich ein wenig zu den Kindern setzen und hören, was sie so aufbringt.“

Christian nahm sein Glas und setzte sich an den Nebentisch, wo die jungen Leute debattierten und Bernhard mit hochrotem Kopf eben postulierte:

„Das ist doch kein Fortschritt! Selbst wenn ich davon ausgehe, dass so eine Lokomotive funktioniert, was ja nur sehr selten vorkommt, so ist sie immer an ihre Schienen gebunden. Ein Fuhrwerk kann überall hinfahren. Für die Eisenbahn muss man die Waren erst zum Bahnhof bringen und auch wieder abholen. Wenn das Fuhrwerk gleich durchfährt, spart man zweimal Umladen.“

„Aber die Eisenbahn fährt viel schneller und zieht auch mehrere und schwerere Wagen auf einmal“, hielt Heinrich dagegen. „Auf dem Weg von der Ruhr nach Siegen muss ein Fuhrmann zweimal übernachten. Da entsteht doch ein erheblicher Kostenvorteil für die Eisenbahn.“

Bernhard konnte der Eisenbahn nichts Positives abgewinnen. „Die Baukosten sind enorm, besonders in unseren Bergen. Wir brauchen keine Eisenbahn. Die Steinkohle von der Ruhr ist in den Hochöfen unbrauchbar.“

Karl Bender aus Obernau fügte hinzu: „Holzkohle ist unsere Lebensgrundlage. Wenn sie nicht mehr gebraucht würde, wäre das fatal.“ Karl führte die Landwirtschaft und Köhlerei in Obernau, dem Herkunftsort der Familie Bender.

„Mit Koks, den man aus Steinkohle gewinnt, kann man Hochöfen betreiben“, erläuterte Friedrich, der weniger aufgeregt war als die Anderen in ruhigem Ton. „In England ist das längst Realität.“

„England, England, wenn ich das nur höre! Alles soll dort besser sein, und doch kenne ich niemanden, der es gesehen hat!“ Bernhard war so echauffiert, dass man meinte, der Schädel könne ihm platzen. „Ich glaube nicht, dass dieser Schnickschnack je von Bedeutung sein wird. Außerdem können Menschen diese hohen Geschwindigkeiten auf Dauer nicht aushalten.“

„Das ist doch Unsinn.“ Heinrich war kaum weniger aufgeregt bei der Sache. „Die Eisenbahn wird kommen und ist ein Segen für das Siegerland. Sie bringt uns Kohle für die Puddelöfen, und wir können unseren Stahl einfacher verkaufen. Die Wirtschaft wird aufblühen. Ich habe jedenfalls schon Eisenbahnaktien erworben.“

Friedrich gab der Debatte eine weitere Facette. „Die Eisenbahn wird zwar eine große Zukunft haben, aber ich fürchte, die Stahlwerke an der Ruhr werden viel mehr profitieren als das Siegerland. Sie können das schwere Erz viel günstiger beschaffen und werden uns so den Rang ablaufen.“

Friedrichs Standpunkt brachte Bernhard und Heinrich kurz zum Verstummen. Das nutzte Christian aus: „Niemand kann die zukünftigen Entwicklungen voraussehen und schon gar nicht aufhalten. Anstatt zu streiten, solltet ihr die Gegenwart beobachten und euch gemeinsam auf die Veränderungen vorbereiten.“

Die Mahnung verhallte ungehört, denn Bernhard blies bereits wieder die Backen auf und legte los. „Bleib mir bloß weg mit den MöchtegernStahlwerkern von der Ruhr. Hochwertigen Stahl werden sie dort niemals kochen. Dazu braucht es Jahrhunderte an Erfahrung, und die gibt es nun mal nur im Siegerland …“

Christian hörte nicht mehr zu. Alle diese Argumente waren ihm bekannt. Doch der Fortschritt war unvermeidlich, und es war klüger, sich auf ihn einzustellen und ihn mitzugestalten. Diese Offenheit wünschte er sich auch für die nächste Generation. Er selbst war früher weit herumgekommen und hatte nicht nur das Erbe der Väter, Hütte und Hammerschmiede, bewahrt, sondern durch die Gründung des Walzwerks, das Friedrich heute führte, einen ganz neuen Weg beschritten.

Christians Blick wanderte zum Nachbartisch, wo die Enkelgeneration saß. Dort herrschte Eintracht, es wurde gelacht und gescherzt. Alle acht Kinder gingen seit dem Frühjahr in Siegen zur Schule. Dank Christians Einfluss besuchten auch die Mädchen die Höhere Schule. Sie wohnten im alten Gewerkenhaus in Haardt, groß genug, damit sie nicht wie einfache Bergleute beengt leben mussten. Die fünf Jungen teilten sich ein Zimmer, die drei Mädchen ein anderes. Christians ganze Hoffnung ruhte auf diesen Kindern.

Wie um seiner Hoffnung Nahrung zu geben, stand nun Heinrichs Sohn Michael auf. „Lieber Opa“, begann er, „auch wir Jugendlichen möchten uns für die Bewirtung bedanken und dir ein Ständchen bringen.

Die Kinder sangen schön, und der anrührende Text trieb Christian die Tränen in die Augen. Mit Wohlwollen glitt sein Blick an der Reihe der Jugendlichen entlang. Friedrichs Sohn Thomas war mit dreizehn der Älteste. Danach folgten Heinrichs Kinder Michael und Anton mit zwölf und elf Jahren. Bernhards Zwillinge Caroline und Peter waren gerade noch elf. Karls Tochter Eleonore war zwar erst zwölf, aber für ein Mädchen hoch aufgeschossen, und ihr schlanker Körper zeigte bereits erste Anzeichen von weiblichen Rundungen.

Am Ende der Reihe standen Adolf und Paula Göbel, die, obwohl sie keine Verwandte waren, einfach dazugehörten. Ihr Vater Adam war als Betriebsleiter der Eiserner Hütte und auch als Prediger der Versammlung sehr angesehen. Erstaunlich eigentlich, dachte Christian und erinnerte sich, dass Adams Großvater Ludwig Göbel einst ein erbitterter Feind seines Vaters Tillman gewesen war. Glücklicherweise waren die alten Zwistigkeiten längst vergessen.

Der Vortrag der Jugendlichen war in Bezug auf die Liedauswahl und den Gesang rundum gelungen, fand Christian. Wahrscheinlich hatte der Musiklehrer, der, um seinen kargen Lohn aufzubessern, sowohl an der Jungen- wie auch an der Mädchenschule unterrichtete, mit den Kindern geübt. Das Ständchen endete mit dem beliebten Choral: Wie groß ist des Allmächt’gen Güte. Ein anhaltender und verdienter Applaus begleitete die Jugendlichen an ihren Tisch zurück.

*

Michael holte sich eine weitere Portion Pudding.

„Das ist schon deine dritte!“, tadelte Caroline.

„Vierte!“, korrigierte Michael lächelnd. „Der Pudding ist das Beste an Opas Geburtstagsfeier. Holt euch auch noch was.“ Dabei warf er einen Blick auf die Anderen, die das Wortgeplänkel zwischen Caroline und ihm verfolgt hatten.

„Du hast ja recht“, meinte Michaels Bruder Anton, „aber ich kann nicht mehr. Es gab so viele leckere Sachen, ich bin voll bis oben hin.“ Mit seinem Löffel kratze er den letzten Rest Pudding aus seinem...

Erscheint lt. Verlag 7.11.2024
Reihe/Serie Die Massenbläaser-Trilogie
Mitarbeit Cover Design: Hans-Jochen Grisse
Verlagsort Ahrensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Bergbau • Eisen • Hüttenwesen • Industriealisierung • Massenbläser • Schmieden • Siegerland • Stahl
ISBN-10 3-384-38988-3 / 3384389883
ISBN-13 978-3-384-38988-6 / 9783384389886
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